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Zehn

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Lemke wollte nur einen kurzen Besuch in der Residenz machen. Es war Vormittag. Er hatte sich für den Nachmittag mit Carolin verabredet. Dieser sorgfältig eingefädelte Tag war zeitlich somit abgesichert, im Betrieb und auch zuhause.

„Ich habe 12 Personen gefunden, die mitmachen wollen“, sagte Frau Brotkorb bei Lemkes Besuch. „Ich habe die Tuben an die zwölf Gäste verteilt und nummeriert und mir natürlich doch die Namen aufgeschrieben. Das ist jetzt zwei Wochen her.“

„Kompliment, Frau Brotkorb. Das ist richtig gute Arbeit“, lobte Lemke sie.

In ihrem Büro stand der Karton mit weiteren Produkten, die sie bei Bedarf aushändigen sollte.

„Wo kann ich mir die Menschen ansehen, die unser Produkt verwenden? Und überhaupt, auch die Anderen, die das nicht tun?“ fragte Lemke.

Der Mittagstisch um 12 Uhr 30 im großen Saal bot eine gute Gelegenheit dazu. Lemke und Frau Brotkorb saßen in einer Ecke und überblickten den Raum. Das Restaurant der Residenz war großzügig und in warmen Farben eingerichtet. Es gab eine feste Tischordnung mit stets denselben Tischnachbarn, wie Frau Brotkorb berichtete. Während die meisten Gäste beim Essen schwiegen, gab es an anderen Tischen gedämpfte Gespräche. Alltag in der Residenz. Auf Lemke wirkte die Atmosphäre nicht unangenehm. Dennoch blieb bei ihm ein leichtes Unbehagen.

„Das ist wie bei meinem Arbeitgeber in der Kantine, bei der Mittags-Essensschicht. Wenn ich mir vorstelle, dass ich später auch hier sitze, na ich weiß nicht.“

„Setzen Sie sich doch an einen der Tische, um sich ein wenig mit den Gästen zu unterhalten“, schlug Frau Brotkorb vor. Lemke fand einen Tisch, an dem noch ein Platz frei war. Sofort stellte die Bedienung ihm einen Teller mit dem Tagesmenü hin. Sie hielt ihn vielleicht für einen der Tagesgäste, der zum Probewohnen in die Residenz gekommen war. Am Nachbartisch schwärmte eine ältere Frau von ihrem Enkel. Der sei hochintelligent. Aber manchmal etwas frech. Das sei aber nicht schlimm, auch wenn seine Eltern sich darüber ärgerten.

Von anderen Tischen schnappte Lemke Wortfetzen auf. Es ging über „die Merkel“, oder Sahra Wagenknecht, das wäre doch eine knackige Frau. Vom Tisch zur anderen Seite hörte Lemke das Wort „Müntefering“. „Vor einigen Wochen, der Artikel in der Zeitung. Welches Recht nimmt sich dieser Mann heraus, mir die Selbstbestimmung über mein Leben oder mein Sterben abzusprechen.“ „Ja, aber Ihr Leben gehört nicht Ihnen“, antwortete eine Frau mit Goldrand-Brille. Sie zupfte an ihrer Perlenkette, die auf ihrer gestärkten Bluse ruhte. Man war sich uneins. „Das kann ich doch halten, wie ich will. Ich glaube nicht an Gott“. Lemke hatte an der Tafel für die Residenz-Aktivitäten gelesen, dass es hier auch eine Gruppe für philosophische Themen gab. Waren dies Teilnehmer der Gruppe? So richtig philosophisch schien Lemke diese Unterhaltung nicht gerade, aber dazu hatte er auch nicht genug verstanden.

„Es ist schön hier“, erzählte ihm ein munterer Senior am Tisch auf Lemkes Frage. „Hier wird so viel angeboten, Ausflüge, Sprachkurse. Wir haben sogar einen Fitnessraum im Keller. Ich sage nur: fit halten! Es gibt ja auch Konkurrenz“, meinte er verschmitzt.

„Wie meinen Sie das?“ fragte Lemke.

„Na sehen Sie sich doch um, es gibt einige recht knackige Männer. Und nicht nur Männer. Hier leben sogar mehr Frauen als Männer. Und wir sind doch noch nicht alt.“ Er schmunzelte.

Ja. Lemke hatte seinen Test in der richtigen Residenz angesetzt. Er sah auf die Uhr. Die Verabredung mit Carolin!

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