Читать книгу Rhino makes horny - Rolf Richter - Страница 6
Fünf
ОглавлениеLemke rief Carolin nach zwei Tagen an, erst jetzt, um nicht überinteressiert zu wirken. „Frau Brix? Ja, ich kann sehen, sie ist frei. Ich stelle Sie durch“, sagte ihre Kollegin. Neugierig beobachtete sie Carolin Brix, die plötzlich einen ganz anderen, so wenig geschäftlichen Gesichtsausdruck annahm. „Moment, ich muss eben nach nebenan gehen“, sagte Carolin. Sie hatte durch die Glasscheibe einen freien Raum nebenan gesehen, wo sie ungestört reden könnte.
„Ich dachte, Sie würden sich gar nicht mehr melden. Schön, dass Sie anrufen. Aber, wie das so ist. Ich habe leider im Moment keine Zeit“.
Lemke war enttäuscht. Hatte er wieder Pech? Oder wollte sie es nur spannend machen. Er wollte diesmal nicht so schnell aufgeben.
„Dann, dann rufe ich morgen an. Oder, bevor Sie auflegen, was halten Sie davon, dass wir mal zusammen essen gehen. Ich kenne da ein nettes Lokal, gute deutsche Küche.“
„Deutsche Küche, wie ungewöhnlich. Ja, dazu hätte ich Lust. Wollen Sie mich morgen Abend abholen?“ Sie nannte ihm ihre Anschrift. „Das ist am Stadtrand Richtung Bad Segeberg. Sie klingeln einfach und ich komme runter. So um halb acht, ist das o.k.“?
„Prima. Ich hole Sie ab“. Lemke war froh. Vielleicht klappt es ja doch.
Es war schon etwas dunkel, als er sie abholte. Das Restaurant in Boostedt war nur eine kurze Autofahrt von Neumünster entfernt. Es lag in einem älteren Bauernhaus mit alten Sprossenfenstern. Große, verblühte Rhododendron-Büsche begrenzten den Weg vom Parkplatz zum Eingang des Restaurants. Der Weg war mit einigen am Boden befestigten Kugellampen beleuchtet. Ganz romantisch, empfand Lemke. Er war etwas aufgeregt. Es war lange her, dass er sich mit einer Frau, die er kaum kannte, getroffen hatte. Das war wohl das letzte mal damals, als er seine Frau Britta gerade kennen gelernt hatte.
Nicht besonders aufregend, dachte Carolin. Sie war aus ihrer verflossenen Beziehung einigen Luxus gewöhnt. Aber, mal sehen, was wird. Ihre Meinung sollte sich schnell ändern. „Oh, das ist aber schön hier“, sagte sie, als sie das Restaurant betraten. Die Lampen im Raum warfen ihr Licht auf die dunkelgrün gedeckten Tische. So blieb die Decke im Halbdunkel. Das Licht verbreitete Geborgenheit, Abgrenzung zum Nachbartisch. Dunkelgrüne Läufer auf dem Dielenboden führten zu den einzelnen Tischen. In der Ecke flackerte ein Kamin, der den Raum mit einem leichten Brandgeruch erfüllte.
„Ist das ein guter Tisch für uns?“ fragte er und wies auf einen Tisch in der Ecke. Heute war Dienstag. Das Lokal war kaum besetzt. Stühle aus dunklem Holz, bezogen mit hellgrün-gemustertem Stoff. Die Fenster waren umrahmt von hellen, halbtransparenten Vorhängen. Ihr kam ein Lieblingswort in den Sinn: gediegen.
„Woher kennen Sie denn dieses schöne Lokal“, fragte sie Lemke.
„Hierher führen wir ab und zu unsere Geschäftsgäste. Nur die Wichtigen, natürlich. Und so wie heute, die wichtigsten privaten Gäste“.
Die Bedienung brachte zwei ledergebundene Speisekarten und legte eine Weinkarte vor ihn. „Möchten Sie etwas zu trinken bestellen“? fragte sie.
„Bringen Sie mir bitte Mineralwasser“, sagte Carolin. „Bitte mit Kohlensäure“. „Einen Prosecco vorab?“ fragte er.
„Nein, vielen Dank. Ich muss einen klaren Kopf behalten“.
„Das ist aber vielleicht nicht in meinem Interesse“.
„Doch doch, sonst rede ich noch zu viel, so wie mein Bruderherz“. Sie kannte die Schwäche ihres Bruders.
„Aber mir können Sie doch alles sagen. Ich rede nicht darüber, großes Ehrenwort. Ich sage Ihnen dann auch, wie ich mit Vornamen heiße“.
Er machte eine Pause. „Ich bin Ralf. Wollen wir uns nicht duzen, jetzt, wo Sie auch meinen Vornamen kennen“? Kaum gesagt kam ihm dieses Duz-Angebot als sehr voreilig vor. Er war wohl doch noch etwas unsicher im Umgang mit einer Frau, die er hier erst kennenlernen wollte.
„Sie sind ja schnell. Na gut“. Sie war etwas überrascht. Der geht aber ran, dachte sie. Aber warum nicht?
„Ich heiße Carolin. So, dann musst du mir empfehlen, was ich essen soll“.
Er winkte die Bedienung erneut an den Tisch. „Können Sie heute Kaninchen empfehlen“? Er hatte beim Betreten des Lokales das Tagesangebot auf einer Tafel gelesen.
„Ja, das ist in dieser Woche unsere Spezialität.
Mariniertes Kaninchen, über drei Stunden bei Niedrigtemperatur im Ofen zubereitet. Natürlich vorbereitet. Sie müssen also keine drei Stunden darauf warten“, sagte sie scherzhaft. „Und dazu Kartoffelgratin mit Selleriekruste“.
„Hast du darauf Appetit“? fragte er.
„Kaninchen habe ich noch nie gegessen, ja gerne“.
„Und - wenn Sie keinen ganz großen Hunger haben - zur Vorspeise empfehle ich Ihnen Artischocken mit Minze und Zitrone. Vielleicht zum teilen“.
„Gern, hervorragend“, sagte Lemke. „Und dann bringen Sie uns dazu eine Flasche roten Bergerac. Den hier“. Er zeigte auf einen Wein in der Karte. „Rouge Duc de Meziere von 2010“, entschied er, ohne Carolin noch einmal zu fragen.
„So richtig urdeutsch wie versprochen ist das Angebot hier aber nicht“, meinte Carolin.
„Die Kaninchen sind immerhin hier aus Schleswig-Holstein. Und Rotwein kommt für mich noch immer nicht aus Deutschland, obwohl es hier jetzt auch ganz gute Tröpfchen gibt“.
Es war ihm so rausgerutscht, beinahe unangenehm, den Weinkenner zu spielen. Und natürlich kamen die Kaninchen aus Polen, aber das konnte er nicht wissen.
Das Gespräch mit Carolin lief locker und entspannt. Es wurde ein angenehmer Abend. Lemke war froh, dass seine übliche Schüchternheit wieder wie weggeblasen war. Er erzählte viel von sich. Kein Wort von seiner Arbeit. Und er war neugierig. Er wollte alles über sie wissen.
Zusammen mit ihrem Bruder war sie bei Pflegeeltern aufgewachsen, Verwandte ihres verstorbenen Vaters. Ihre Mutter hatte Alkoholprobleme, war regelmäßig arbeitslos und lebte oft in wechselnden Beziehungen. „Dein Bruder ist so völlig anders als du“, sagte Lemke. „Er ist laut, manchmal etwas grob. Wie kann das sein, und du bist eine so wunderbare Frau?“
Carolin widersprach. Sie liebte ihren Bruder Christof und wollte nichts Negatives auf ihm sitzen lassen. Während er in der Pubertät große Probleme hatte und sich erst durch ein spätes Studium eine berufliche Perspektive erschloss, hatte sie es besser getroffen. Sie wurde beeinflusst von der Familie ihrer besten Freundin. Ihre Eltern bezogen Carolin in ihr Leben mit ein und ließen sie teilhaben an ihren Interessen für Musik und Malerei. Dazu hatte Carolin den Vorteil, den schöne Menschen haben, zumal sie auch noch fröhlich sind, den Vorteil, es einfach leichter im Leben zu haben.
Auch sie wollte mehr über ihn erfahren. „Du bist doch verheiratet. Weiß deine Frau, dass du heute Abend hier bist“?
„Nein, sie muss es auch nicht wissen. Ich nehme ihr nichts weg, wenn ich hier mit dir bin“.
„Aber vielleicht nehme ich ihr etwas weg“.
Wenn du es man tätest, dachte er. Er sah ihr in die Augen. Was für eine schöne Frau. Ihm schien, als ob sie einen leichten Dufthauch verströmte.
„Nein. Seit der Geburt unseres zweiten Sohnes ist da nichts mehr zwischen uns. Wir gehen uns weitgehend aus dem Weg. Wir leben nebeneinander her. Das ist diese übliche Geschichte eines trockengelegten Ehemannes, wirst du jetzt sagen. Aber weißt du, es stimmt. Und du, was sagt dein Mann oder Freund dazu?
Sie sah ihn an. „Dazu sagt niemand etwas. Da ist zur Zeit nichts“.
Das hatte erhofft. Ihr Bruder hatte ihm erzählt, dass sie sich von ihrem bisherigen Freund getrennt hatte. Aber er wollte es noch einmal von ihr hören. Vielleicht wird da mal etwas draus, dachte er. Ihre Hände lagen dicht beieinander. Er bemerkte dies und er tat es. Er berührte ihren Handrücken. Sie berührte seinen Daumen und streichelte ihn mit ihren Fingern.
„Ich könnte mir vorstellen, dich öfter zu sehen. Das ist so ein schöner Abend heute, das sollten wir wiederholen“.
„Ich denke darüber nach“, meinte sie. „Aber das wird dann doch etwas kompliziert bei deinem Privatleben“.
Der lange Abend ging scheinbar schnell vorbei. Kein Nachtisch, kein Kaffee. Es war spät geworden. Er fuhr Carolin zurück zu ihrer Wohnung. Keiner sprach. Irgendwas war zwischen ihnen, ein lustvolles Schweigen, eine positive Stimmung. Sie waren schnell an ihrem Haus. Fast war sie ausgestiegen, da drehte sie sich noch einmal um und gab ihm einen flüchtigen Kuss.
Also doch? Er meinte, etwas viel Wein getrunken zu haben, oder fühlte sich sein Kopf so leicht an. Vor Glück?
„Ruf mich an“, sagte sie, und schloss die Autotür leise, um nicht die Nachbarschaft aufmerksam zu machen.
Auf der Rückfahrt sah er auf sein Handy, das er ausgestellt hatte. Ein Anruf vom Büro. Die Wirklichkeit hatte ihn wieder. Er beschloss, den Anruf erst morgen Früh abzuhören. Was soll schon sein. Nichts, was so wichtig wäre wie das, was heute Abend passiert war. Oder?