Читать книгу Seewölfe Paket 30 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 33
1.
ОглавлениеNiemand hatte für die Schönheit der Landschaft einen Blick übrig.
An der Südspitze von Spanien erhob sich zwischen der Bahia de Algeciras und dem Mittelmeer ein fast tausenddreihundert Yards breiter und mehr als vierhundert Yards hoher nach Norden und Osten steil abfallender Kalkfelsen, eine der „Säulen des Herkules“, nur durch einen breiten Schwemmlandstreifen mit dem Festland verbunden.
Auf dem Felsen tummelten sich Affen, Magoten genannt. Es gab sie schon, seit die Mauren die Stadt gegründet hatten, und es würde sie noch in Ewigkeiten geben.
Im Westen ging es durch die Estrecho de Gibraltar, wo der Atlantik das Wasser ins Mittelmeer drückte, wo es die starke West-Ost-Strömung an der Oberfläche und die untergelagerte schwächere Gegenströmung gab.
Dieser Weg war den Arwenacks allerdings versperrt. Sie wollten nach England segeln, doch daraus wurde vorerst nichts.
Trotz allem hatten sie noch Glück, denn zu ihrer allergrößten Verblüffung hatte keiner der zahlreichen Dons den Seewolf erkannt, sonst wäre längst die Hölle losgewesen.
Vielleicht lag es daran, daß Hasard einen Bart trug, einen schwarzen Bart mit glitzernden Silberfäden. Auch sein Haar war an den Schläfen ergraut und schimmerte silbern.
Den Dons hatte vorerst genügt, daß er sich als Virgil Senona, Kauffahrer und Kapitän aus Cádiz ausgegeben hatte. Aber für die Spanier und ganz besonders den Generalkapitän De Salamanca, gab es noch einige „Ungereimtheiten“, deshalb mußten sie unter schwerer Bewachung den Hafen von Gibraltar anlaufen.
Immer wenn Hasard aufblickte, sah er die zahlreichen Seesoldaten an Bord der Kriegsgaleonen, die schweren Geschütze, deren dunkle Schlünde auf sie gerichtet waren, und hin und wieder den überlegen grinsenden Generalkapitän auf dem Achterdeck der „El Lucifero“, dem es eine Genugtuung war, Don Juan de Alcazar gefangen zu haben.
Carberry blickte in hilfloser Wut zurück, wenn die Spanier herübergrinsten. Sie taten es höhnisch und überlegen, und überlegen waren sie auch.
„Diesmal haben sie uns endgültig“, sagte er zu Ferris Tucker, der mit mißmutigem Gesicht an Deck stand. „Möchte bloß wissen, wie wir aus dieser Situation wieder mit heilen Knochen herausgelangen.“
„Für uns gibt es ganz sicher einen Weg“, meinte Ferris, „solange die Dons nicht merken, wer da in ihrer Mitte segelt. Aber für Juan sieht es verdammt schlecht aus.“
„Ich weiß. Ich habe auch mit allem gerechnet, nur nicht damit, daß es ausgerechnet Juan erwischt. Wenn ich das vorher geahnt hätte, dann wären die Halunken auf dem Bumboot von mir persönlich zu den Fischen geschickt worden. Aber jetzt hilft alles Lamentieren nicht.“
„So ist es“, erwiderte Ferris ruhig. „Wir können froh sein, daß sie Hasard nicht erkannt haben. Ich sehe das so: Wenn sie Juan haben und uns nicht erkennen, können wir vermutlich wieder weitersegeln. Von da an haben wir die Möglichkeit, etwas für ihn zu tun. Haben sie uns aber alle, dann sind die letzten Segel gesetzt. Wir hätten nicht mehr die geringste Chance. Wir dürfen uns jetzt nur nicht verraten und müssen einen kühlen Kopf behalten sowie die Ruhe bewahren.“
Der Profos knurrte etwas, das Ferris nicht verstand. Sie unterhielten sich leise im Flüsterton und ganz unauffällig. Auch die anderen benahmen sich so, als hätten sie nichts zu verbergen. Sie gaben sich eher empört, daß man sie so behandelte.
Ferris warf einen Blick zu Hasard.
Der Seewolf gab sich ganz den Anschein, als ginge ihn das alles nichts an. Sehr ruhig, ausgeglichen und gelassen wirkte er. Nur wer ihn näher kannte, der wußte, wie es in ihm aussah und wie seine Gedanken ständig um einen Punkt kreisten: Er überlegte seine weiteren Schritte und schätzte kühl die Lage ab.
Sie bewegten sich inmitten eines Pulks spanischer Schiffe, die sie von allen Seiten umklammerten. Pete Ballie, der am Ruder stand, hatte alle Hände voll zu tun, die Schebecke so zu segeln, daß sie nicht an die Bordwände der wesentlich langsameren und schwerfälligeren Kriegsgaleonen stieß.
Trotz der üblen Lage, in der sie sich befanden, war Hasard noch heilfroh, daß die Spanier sie zwangen, den Hafen von Gibraltar anzulaufen.
So bestand wenigstens die Aussicht, möglicherweise etwas darüber zu erfahren, wohin sie Don Juan brachten, auch wenn es nur ein kleiner Anhaltspunkt war.
Andererseits war es höllisch riskant, gerade diesen Hafen anzulaufen, denn die Gefahr der Entdeckung wurde immer größer.
So ähnlich mochte auch Ben Brighton denken, der die Stirn in Falten gelegt hatte und zur Hafeneinfahrt blickte. Er sah die Einfahrt gar nicht, er fixierte lediglich einen imaginären Punkt davor.
Die Unterhaltung an Bord der Schebecke wurde nur noch auf Spanisch geführt, damit die Dons keinen fremden Brocken aufschnappten und noch mißtrauischer wurden.
Hasard blickte aus den Augenwinkeln zu Old O’Flynn. Der Alte stand da wie aus Eisen gegossen, und in seinem Blick lag soviel Hochnäsigkeit, wie der Seewolf sie an ihm noch nie gesehen hatte. Wie ein spanischer Grande stand er da in seiner weißen Halskrause und dem kaschierten Holzbein, das unter dem Gewand nicht zu erkennen war. Sie hatten es dementsprechend ausgepolstert.
Old O’Flynn schien über alles erhaben zu sein. Er sah hochmütig und hoheitsvoll über die Dons hinweg, die ihn heimlich musterten und nicht einzuordnen vermochten.
Der Blick des Seewolfs kehrte zu den Schiffen zurück. Da waren drei große Brocken, die unglaublich stark armiert waren. Das Flaggschiff des Generalkapitäns, die „El Lucifero“, dann die „Nuestra Señora de Flores“ und schließlich der große Brocken „Virginidad“.
Jungfräulichkeit, dachte Hasard, das paßt zu diesem Feuerspucker wie die Faust aufs Auge.
Eine grobe Stimme riß ihn aus seinen Betrachtungen.
Der Teniente von der Schaluppe brüllte: „Sie legen dort an der Pier an, Steuerbordseite! Dort vertäuen Sie! Keiner verläßt das Schiff!“
„Verstanden“, sagte Hasard ruhig.
Die „El Lucifero“ nahm Kurs auf eine lange hölzerne Pier, die „Virginidad“ vertäute dicht dahinter, und die „Nuestra Señora de Flores“ ging dicht hinter der Hafeneinfahrt vor Anker. Mit ihrer Breite versperrte sie den größten Teil der Einfahrt.
Karavellen und Schaluppen nahmen ebenfalls Kurs auf die kleineren Piers, wo sie vertäuten.
Die Seewölfe brachten die Schebecke vierkant an die Pier. Ein paar Soldaten nahmen schweigend die Leinen wahr und belegten sie an den hölzernen Pollern.
Der Teniente mit dem dünnen Bart verließ die Schaluppe und brüllte ein paar Befehle.
Daraufhin traten zwölf mit Musketen bewaffnete Spanier vor und nahmen Aufstellung. In zackiger Formation marschierten sie von Bord. Der blasierte Teniente ging wichtigtuerisch voran. Ihm folgte der Corporal mit dem Nußknackergesicht, dann die Soldaten. Ihre Schritte dröhnten laut auf den Holzbohlen.
Vor der Schebecke der Arwenacks hielt der Trupp an.
„Auf der Pier verteilen!“ schrie der Teniente. „Die Musketen sind schußbereit zu halten! Es wird sofort geschossen, sobald einer der Kerle ohne Sondererlaubnis das Schiff verläßt! Dafür haften Sie, Corporal, verstanden?“
Der Corporal hatte verstanden. Er tat das kund, indem er ebenfalls laut brüllte und die zwölf Kerle anpfiff.
Mit der fürchterlichen Drohung „Sie hören noch von mir!“ wandte sich der Teniente ab und ging zur Schaluppe zurück. Mit den Worten hatte er Hasard gemeint. Der Seewolf gab jedoch keine Antwort.
Er sah, wie die zwölf Kerle ihren Posten bezogen und sich auf der Pier verteilten. Der Corporal hockte auf einem Poller und stierte Schiff und Leute an. Hin und wieder gähnte er ungeniert.
Die meisten Arwenacks zogen sich auf die andere Schiffsseite zurück, wo sie ungestört miteinander reden konnten, ohne von den Soldaten gehört zu werden.
„Jetzt sitzen wir zwischen zwei Stühlen“, sagte Hasard, „und dazu noch sozusagen in der Schwebe.“
„Noch hat dich keiner erkannt, Sir“, sagte Dan O’Flynn. „Es sieht auch nicht so aus, als würden sie Verdacht schöpfen. Der Bart verleiht dir ein völlig anderes Aussehen.“
„Ich dachte weniger an mich, es geht um Juan. Wenn sie ihm die Frage stellen, wo er als angeblicher Gast zugestiegen sei und an mich die gleiche Frage richten, erhalten sie zwei verschiedene Antworten. Für so dämlich halte ich die Dons nicht, daß ihnen das nicht auffällt.“
„Es wird noch mehr Ungereimtheiten geben“, sagte Dan. „Sie brauchen unsere Leute nur einzeln zu verhören, dann sitzen wir hoffnungslos in der Patsche. Wir sollten uns wenigstens jetzt noch absprechen, solange wir Gelegenheit dazu haben. Jeder muß einen gewissen Part übernehmen, damit es keine Unstimmigkeiten gibt.“
„Gut, dann holen wir das jetzt nach, aber perfekt können wir nicht sein, dazu sind wir zu viele Männer.“
Eine halbe Stunde lang wurden Einzelheiten besprochen, doch es war einfach zu viel, was da auf jeden einzelnen einstürmte. Zwar konnte sich jeder seinen neuen Namen merken, doch die der anderen war schon ausgesprochen schwierig.
Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne schien immer noch freundlich und warm vom Himmel.
Die Arwenacks hätten jetzt mit Kurs auf den Atlantik gelegen und wären nach England gesegelt.
Doch das Bild hatte sich grundlegend geändert. Sie waren inmitten schwimmender Festungen gefangen und konnten keinen einzigen Schritt an Land tun.
„Lassen wir es uns nicht verdrießen“, sagte der Kutscher. „Es gibt Mittagessen, und danach sehen wir weiter.“
Eine halbe Stunde nach dem Essen, das sie an Deck einnahmen, erschien der Teniente. Er blickte den Seewolf verkniffen und überheblich an.
„Der Generalkapitän, Don Miguel de Salamanca, will Sie sprechen“, sagte er unfreundlich. Sein Blick wanderte weiter und blieb an Old O’Flynn hängen. „Und Sie möchte er auch sehen.“
Old O’Flynn blickte sehr hochnäsig zu dem Teniente.
„Ich wüßte nicht, was ich mit dem Generalkapitän zu besprechen habe“, erklärte er blasiert. „In meinen Kreisen ist es nicht üblich, daß man mich einfach abkommandiert. Richten Sie das dem Generalkapitän gefälligst aus. Wenn er mich zu sprechen wünscht, dann soll er mir eine Eskorte oder eine Sänfte schicken. Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben, Sie Schnösel!“
Hasards Gesicht wurde ausdruckslos und starr. Am liebsten wäre er laut herausgeplatzt, aber er behielt sich in der Gewalt.
Er sah, wie der Teniente wegen des „Schnösels“ zusammenzuckte, den Alten verärgert musterte, die Beleidigung aber ohne weiteren Kommentar schluckte. Dann salutierte er kurz.
„Ganz nach Ihren Wünschen“, schnarrte er und drehte ab.
Als er weg war, sah Hasard den kauzigen Alten entgeistert an.
„Sag mal, wen, um Himmels willen, willst du eigentlich darstellen? Du kannst doch hier nicht so großkotzig auftreten.“
„Warum nicht?“ fragte Old O’Flynn gelassen. „Immerhin bin ich der legitime Sohn des Fernando Alvarez de Toledo, spanischer Feldherr und Oberbefehlshaber der Heere Kaiser Karls des Fünften, wenn’s genehm ist.“
„Um Gottes willen“, murmelte Hasard erschüttert. „Das nimmt dir doch kein Mensch ab. Du, und der Sohn des Herzogs von Alba! Hatte er denn überhaupt einen?“
„Na klar“, versicherte der Alte unerschütterlich. „Warum sollte er keinen gehabt haben?“
„Und wenn diesen Sohn zufällig jemand kennt?“
„Dann bin ich der zweite Sohn. Dieser Affenarsch von Generalkapitän soll mir erst einmal das Gegenteil beweisen.“
„Jetzt ist ohnehin alles egal“, murmelte Hasard. „Die Widersprüche werden sich gleich häufen. Warten wir es ab. Und von wo aus bist du auf der Schebecke mitgesegelt?“
„Das geht den Salamander, oder wie der Kerl heißt, einen Scheiß an“, murmelte Old O’Flynn. „Der soll nur wagen, einen spanischen Granden auszufragen. Dem werde ich was flöten.“
Die Arwenacks trauten ihren Augen nicht, als schon ein paar Minuten später tatsächlich vier Kerle auftauchten, die eine leere Sänfte trugen. Der Teniente marschierte vor der Sänfte her und hatte einen knallroten Schädel.
Wo sie die Sänfte aufgetrieben hatten, war den Arwenacks allerdings schleierhaft, aber sie hatten eine, mit Baldachin, mit Plüsch ausgeschlagen und silbernen und goldenen Bommeln und Troddeln an der Seite. Sehr eindrucksvoll sah das aus.
Old Donegal selbst sah allerdings auch sehr eindrucksvoll aus. Er betrachtete die Sänfte etwas geringschätzig, als sei sie für ihn zu schäbig, ließ sich aber schließlich zu einem gnädigen Kopfnicken herab und betrat etwas steifbeinig die Pier, wo die Soldaten sofort respektvoll vor ihm zurückwichen.
Hasard schluckte trocken, als Old O’Flynn in die Sänfte hineinkomplimentiert wurde.
Der Seewolf selbst mußte laufen, für ihn stand keine Sänfte bereit.
Aber schließlich war er auch nicht der Sohn des Herzogs von Alba.
„Das darf nicht wahr sein“, sagte der Profos Edwin Carberry ungläubig und leise. „Das darf wirklich nicht wahr sein. Jetzt wird das alte Zauselchen auch noch getragen. Lacht bloß nicht, ihr lausigen Kanalratten“, fügte er grimmig hinzu. „Das ist eine verdammt bierernste Angelegenheit.“
Der Alte gönnte dem „Pöbel vorm Mast“ natürlich keinen einzigen Blick.
Er stieg auf einen Hocker, den zwei Kerle eifrig zurechtrückten, warf noch einen Blick zum Achterkastell der Kriegsgaleone und nahm dann mit einem leisen Seufzen in den Pfühlen der Sänfte Platz.
Hasard, mit einem Gesicht wie aus Stein gehauen, ging neben der Sänfte her. Idiotisch ist das, dachte er immer wieder, einfach verrückt. Das gibt es doch gar nicht in Wirklichkeit.
Die Sanfte wurde von vier Männern vorsichtig angehoben. Die vier Kerle marschierten ab zur Stelling der „El Lucifero“, wo überall Posten und Wachen standen.
Der Seewolf wurde ziemlich von oben herab und nachlässig behandelt. Bei Old O’Flynn dagegen war das anders. Er genoß schon jetzt gewisse Privilegien, obwohl kein Mensch wußte, wer er überhaupt war.
An der Stelling grüßten sie, aber wiederum nur den Alten, der das mit grantigem Gesicht oder meist gar nicht zur Kenntnis nahm. Er schien die Leute überhaupt nicht zu sehen, die ihn umstanden.
Die Kerle mühten sich mit der sperrigen Sänfte redlich ab, konnten aber nicht verhindern, daß sie hin und wieder in der Enge leicht aneckten. Jedesmal war dann ein unwilliges Grunzen aus der Sänfte zu vernehmen.
Hasard ging mit steinernem Gesicht weiter. Immer wenn er in die Sänfte blickte, sah er den vorgereckten Hals Old Donegals mit der weißen Halskrause. Der Alte schien alles schlechtgelaunt zu mustern, und er scheute sich auch keinesfalls, die Sänftenträger anzupfeifen, wenn sie mal stehenblieben oder irgendwo aneckten.
Sein Spanisch ist jedenfalls perfekt, dachte Hasard. Aber was bezweckte Old Donegal nur mit seinem merkwürdigen Aufzug?
Die Sänfte wurde im Achterdeck vor einem verzierten Schott abgesetzt.
„Bitte, geduldigen Sie sich einen Augenblick“, sagte der schnaufende Teniente. „Der Generalkapitän wird Sie sofort empfangen.“
„Was heißt hier, sofort empfangen?“ wetterte Old O’Flynn erbost. „Ich bin nicht gewohnt, daß mich ein Generalkapitän warten läßt. Schließlich will er mich sehen, nicht umgekehrt. Er weiß wohl immer noch nicht, wen er vor sich hat!“
Es wurde dezent geklopft, dann öffnete Don Miguel de Salamanca persönlich das Schott. Mit einer einladenden Handbewegung wies er in eine luxuriös eingerichtete riesige Kammer mit getäfelten Wänden und dicken Teppichen auf dem Boden.
Zwei Wachen blieben am Schott zurück. Der Teniente, wohl eine Vertrauensperson des Generalkapitäns, nahm innen am Schott Aufstellung und stand verlegen herum.
„Hinaus, hinaus!“ sagte Old O’Flynn hitzig. „Ich liebe es nicht, wenn einfache Stallburschen die Gespräche Adliger mit anhören. Also, verschwinden Sie gefälligst.“
Sehr beeindruckt zog sich der Teniente mit einer leichten Verbeugung zurück. Er war hochrot im Gesicht und seine Narbe schien zu glühen.
Don Miguel de Salamanca nahm hinter einem riesigen Tisch Platz, der mit Intarsien reich versehen war.
Er saß noch nicht richtig, als ihn Old O’Flynn schon respektlos anfuhr: „Wollen Sie einen de Toledo etwa der Lächerlichkeit preisgeben, indem Sie ihm einen angemessenen Sitzplatz verweigern, Señor Generalkapitän, oder wer auch immer Sie sein mögen?“
Don Miguel war verblüfft, ein wenig beschämt und auch etwas indigniert, als er sich wieder erhob.
„Einen de Toledo?“ fragte er leise.
„Wen denn sonst?“ schnappte der Alte grantig. „Oder ist Ihnen etwa Don Fernando Alvarez de Toledo kein Begriff?“
„Der – der Herzog von Alba?“ fragte Don Miguel fassungslos. „Aber Don Alonso Alvarez starb doch vor …“
„Mein Vater starb von sechzehn Jahren im Dezember in Lissabon. Gott habe ihn selig.“ Old Donegal bekreuzigte sich und blickte ernst drein.
„Dann – dann sind Sie – äh …“
Der Generalkapitän starrte Old O’Flynn mit offenem Mund an. Er wagte kaum noch, Luft zu holen.
„Natürlich. Mein seliger Vater hieß auch nicht Alonso Alvarez, sondern Fernando Alvarez, wenn Sie das gütigst zur Kenntnis nehmen wollen. Und nehmen Sie auch bitte weiterhin zur Kenntnis, daß ich mich innerhalb weniger Tage in Madrid einzufinden habe. Wo das ist, werden Sie sich vermutlich denken können.“
Old Donegal trat so selbstsicher und eindrucksvoll auf, daß Don Miguel an den Angaben nicht die geringsten Zweifel hegte. Er verneigte sich tief vor dem Alten.
Daß ihn Old Donegal auf den Arm nahm, wäre ihm nie eingefallen. Dazu sah Old Donegal viel zu distinguiert aus.
„Am – am Hof Seiner Allerkatholischsten Majestät?“ erkundigte er sich ehrfürchtig.
„Ja, und zwar reise ich in einer geheimen Mission, über die nichts verlautbar werden darf.“
Inzwischen saß sowohl Old O’Flynn als auch Hasard. Doch dem Seewolf schenkte der Generalkapitän nur einen flüchtigen Blick. Die Hauptrolle spielte Old Donegal Daniel O’Flynn. Und er spielte sie wirklich hervorragend.
„Dann tut es mir aufrichtig leid, daß wir Sie aufgebracht haben“, sagte Don Miguel entschuldigend. „Es befand sich allerdings ein Staatsfeind an Bord des Schiffes und …“
„Das verstehe ich ja“, sagte Old Donegal ungeduldig. Er zupfte ein wenig an seiner weißen Halskrause herum und sah Don Miguel durchdringend an. „Ich muß meinem Erstaunen aber bedauerlicherweise lebhaft Ausdruck geben“, sagte er gallig. „Pflegen Sie Ihren hochgestellten Gästen nie einen Schluck anzubieten, Don – äh – Don …“
„Miguel de Salamanca“, sagte der Spanier hastig. Er lief jetzt noch roter an als der Teniente. „Verzeihen Sie bitte, aber ich hatte nur selten eine derart höhergestellte Persönlichkeit an Bord meines Flaggschiffes. Es hat mich etwas überrascht. Ich werde das Versäumte natürlich gleich nachholen.“
„Gut, gut, mein Bester, ich hörte, Sie wollten mich sprechen. Würden Sie mir den Grund mitteilen?“
Der Generalkapitän wand sich. Die Frage war ihm offenbar ziemlich peinlich.
„Mein Erster Offizier, Don Pedro, wies mich auf Sie hin. Er war der Meinung, Sie seien ein Schwager Medina-Sidonias. Ich kenne ein paar Edle dieser Linie persönlich, und da dachte ich …“
„Verstehe“, sagte Donegal lächelnd. „Sozusagen ein kleiner Plausch unter Freunden, nicht wahr?“
„So ist es, Don Alonso. Ich darf Sie doch so anreden?“
„Aber selbstverständlich.“
Eine Ordonnanz war inzwischen erschienen und hatte funkelnde Gläser gebracht. Auf einem silbernen Tablett stand eine Flasche erlesener Wein, die Don Miguel persönlich in die Hand nahm.
Dabei warf der Generalkapitän einen fragenden Blick auf Hasard und Dan O’Flynn. Seiner Ansicht nach paßte der einfache Kapitän nicht ganz in die erlauchte Runde.
„Er hat wahrhaftig einen guten Schluck verdient“, sagte Donegal großzügig. „Ich kann diesen Kapitän nur loben, er ist ein recht brauchbarer Mensch, ein tüchtiger Mann.“
Der „recht brauchbare Mensch“ verschluckte sich fast, als die beiden sich zuprosteten. Hasard mußte tief Luft holen.
Na warte, du alter Halunke, dachte er. Darüber werden wir noch einmal miteinander reden.
„Darf man erfahren, was Sie jetzt vorhaben, Don Alonso?“ erkundigte sich der Generalkapitän freundlich. „Ich möchte einen Sohn des überaus ehrenwerten Herzogs von Alba nicht länger aufhalten. Ihr ehrenwerter Señor Vater war Oberbefehlshaber der Heere Kaiser Karls. Ich habe ihn immer sehr bewundert.“
„Sehr richtig. Er war auch im Schmalkaldischen Krieg dabei und wurde später Generalkapitän in den Niederlanden. Er hat der Inquisition zur vollen Blüte verholfen“, sagte Old Donegal stolz. „Noch zwei Jahre vor seinem Tod hat er unser Heer siegreich gegen Portugal geführt.“
Hasard wunderte sich nur, woher Old Donegal das alles wußte. Vielleicht hatte er sich mit dem Kutscher beraten.
Eine ganze Weile wurde über Herzog Alba geredet. Die beiden Kerle schienen in Erinnerungen zu schwelgen. Nur manchmal trug Donegal so dick auf, daß es Hasard grauste. Aber für seine Sprüche und Übertreibungen war der Alte ja hinlänglich bekannt.
Er soff Don Miguel auch ganz ungeniert den Wein weg, den er über alle Maßen lobte. Don Miguel entschloß sich zu einer spontanen Geste.
„Ich werde Ihnen ein Arrangement einiger köstlicher Weinsorten an Bord Ihres Schiffes bringen lassen, wenn Sie gestatten, Don Alonso.“
Don Alonso war so großmütig, das Geschenk anzunehmen, was den Generalkapitän sichtlich erfreute.
„Auch ich weiß einen guten Tropfen zu schätzen, Don Miguel“, sagte er, „und das hier ist ein wirklich erlesener Wein. Ich nehme ein paar Kisten daher dankend an.“
„Da ist noch etwas“, sagte Old Donegal, als ein paar Augenblicke Ruhe herrschte. „Ich nehme ja nicht an, daß Sie Capitán Senona einem Verhör unterziehen wollen, wie es offenbar beabsichtigt war. Ich kann mich guten Gewissens für ihn verbürgen, das Wort eines Edelmannes dürfte wohl Garantie genug sein.“
„Selbstverständlich, Don Alonso, von einem Verhör kann keine Rede sein. Es gab da nur ein paar Unstimmigkeiten.“
Old Donegal sah Don Miguel in die Augen. Er hüstelte dezent, nahm das Tüchlein aus seinem Wams und tupfte sich dann über den Mund.
„Die Unstimmigkeiten dürften wohl bei diesem – äh – Staatsfeind gelegen haben“, meinte er. „Dieser Mann hat sich unter einem falschen Namen eingeschlichen und uns alle getäuscht. Er war nicht der, für den er sich ausgegeben hat. Wir nahmen ihn in Frankreich an Bord.“
„Er hat aber behauptet …“
„Er lügt, um seine Haut zu retten“, unterbrach Old Donegal knapp. „Daß er die Unwahrheit spricht, liegt auf der Hand. Er gab seinen richtigen Namen auch erst dann preis, als er keinen Ausweg mehr wußte.“
„Sehr richtig, er hat sich bereits etliche Male in Widersprüche verwickelt.“
Old Donegal lehnte sich etwas zurück und legte die ringgeschmückten Hände auf den Tisch.
„Ich überlege ernsthaft, ob wir diesen Kerl nicht einfach mitnehmen sollten, um ihn dem Gericht zu überstellen“, sagte er nachdenklich. „Natürlich können Sie ihn in Eisen legen, Capitán Senona.“
So dämlich kann Don Miguel nicht sein, dachte Hasard. Das wäre der, Gipfel der Unverschämtheit und der Dummheit.
Don Miguel lächelte gequält. Er war von dieser Überlegung keinesfalls begeistert, denn die Lorbeeren gedachte er allein einzuheimsen.
„Dieser Mann ist zu gefährlich“, sagte er. „Ich möchte Ihnen diese Verantwortung keinesfalls aufbürden. Außerdem haben wir de Alcazar bereits in Eisen schließen lassen. Hier kann ihn niemand mehr befreien, das ist ausgeschlossen. Wir werden ihn an den spanischen Hof bringen.“
„Doch nicht jetzt etwa?“ fragte Old Donegal entsetzt. „Das wäre der unpassendste Augenblick, Don Miguel.“
„Ich verstehe Sie nicht, Don Alonso.“
„Ja, wissen Sie denn nicht, daß Seine Allerkatholischste Majestät schwer erkrankt ist? Der König hat von seinen Beratern gerade erfahren, daß die Krone eine Staatsverschuldung in Höhe von fast hundert Millionen Dukaten hat. Diese Nachricht hat Seine Majestät sehr erregt und seine Krankheit noch verschlimmert, fast beschleunigt.“
„Das wußte ich nicht“, sagte Don Miguel betroffen. „Der Gesundheitszustand Seiner Majestät ist nicht der Beste, das erfuhr ich, aber daß es so schlimm steht …“
„Und dann wird ihm dieser Staatsfeind präsentiert“, sagte Old Donegal. „Ein angeblicher oder wirklicher Kollaborateur, Renegat, Hochverräter. Das alles wird Seine Majestät erfahren, und es wird ganz sicher nicht zu seiner Gesundheit beitragen.“
„Aber ich muß ihn ausliefern, Don Alonso.“
„Mein seliger Vater hätte ihn vor ein Inquisitionsgericht gestellt und abgeurteilt“, sagte Old Donegal, und seine Augen funkelten dabei. „Aber vorher hätte er ihn noch in einem Verlies schmachten lassen, damit Kerle wie er über ihr ruchloses Leben nachdenken können. Sie sollten sich das gründlich überlegen, Don Miguel.“
Don Miguel nickte gedankenschwer. Er nahm einen Schluck Rotwein, spitzte die Lippen und schluckte ihn herunter.
„Es steht in meiner Macht, wohin ich ihn bringe“, sagte er schließlich. „Ich kann ihn nach Madrid ausliefern, ich kann ihn aber auch nach Sevilla oder Cádiz überstellen. Aber erst muß ich ihm noch ein paar Fragen stellen. Wenn Sie seine Anwesenheit nicht stört, können Sie gern dabei sein. Ich werde ihn vorführen lassen.“
„Es stört uns nicht“, sagte Old Donegal. „Schließlich haben wir mit dem Mann sozusagen zusammengelebt. Er hat sich uns gegenüber immer sehr anständig benommen, nicht wahr, Capitán Senona?“
„In der Tat“, sagte Hasard. „Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“
Der Generalkapitän rief nach der Ordonnanz.