Читать книгу Seewölfe Paket 30 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 39
7.
ОглавлениеZwei Tage später wurde sein Urteil verlesen. Der Prozeß fand in einem düsteren hohen Raum statt. Männer in dunklen Talaren saßen halbkreisförmig um eine Empore herum. Zwei Priester standen etwas abseits und hörten schweigend zu. Acht Gardisten befanden sich ebenfalls in dem Raum.
Den Vorsitz führte das unscheinbare Männchen mit dem Namen de Almedo, das noch erhöhter als die anderen saß.
„Im Namen Seiner Allerkatholischsten Majestät“, sagte de Almedo mit seiner tiefen Stimme, „ergeht das Urteil gegen Juan de Alcazar, ehemals Bevollmächtigter der spanischen Krone im Range eines Generalkapitäns, Sonderbeauftragter der Casa de la Contratación. Sie sind des Hochverrates, der Kollaboration, Verrates an der spanischen Krone, Renegatentum und Insubordination für schuldig befunden worden. Das Urteil ist beglaubigt und besiegelt. Es lautet: Tod durch die Garotte. Der Gefangene wird dem Henker überantwortet.“
Einer der Priester sprach ein heuchlerisches Gebet.
Don Juan stand hochaufgerichtet da. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. Die schiefergrauen Augen waren auf de Almedo gerichtet, der ein gesiegeltes Schreiben neben sich auf den Tisch legte.
„Darf ich etwas zu meiner Verteidigung sagen?“ fragte er kühl.
„Abgelehnt“, entschied de Almedo. „Ein Hochverräter, der mit englischen Piraten paktiert, hat nicht das Recht, sich zu verteidigen. Die Sitzung ist geschlossen. Das Inquisitionsgericht tritt in einer halben Stunde zusammen.“
Das war alles. Das nächste Urteil würde gegen einen Ketzer ergehen, der sich wahrscheinlich auch nicht verteidigen durfte.
Noch ehe Don Juan etwas sagen konnte, führten ihn die Gardisten wieder hinaus.
Der Spanier schluckte hart – in der Annahme, daß man ihn sofort dem Henker ausliefern würde. Das war jedoch noch nicht der Fall. Wann seine Hinrichtung stattfinden sollte, wurde ihm nicht mitgeteilt.
Sie brachten ihn wieder in das modrige Verlies zurück.
Als die Bohlentür hinter ihm zuschlug, war er mit seinen Gedanken allein.
„Ausgerechnet an einem Freitag“, sagte Old O’Flynn düster. „Das ist sicherlich kein gutes Zeichen. Wir hätten erst morgen Cádiz anliegen sollen.“
„Für Juan kann jeder Tag der letzte sein“, erwiderte Hasard. „Da soll man sich nicht mit Aberglauben befassen.“
„Das gefällt mir trotzdem nicht“, sagte der Alte. „Freitag war schon immer ein Unglückstag.“
Sie befanden sich mit der Schebecke auf der Höhe von Cádiz. Die Küste war nur ein feiner dunstiger Strich am östlichen Horizont. Der Hafen ließ sich bestenfalls erahnen.
Die Dünung war lang und gleichmäßig. Die Schebecke wurde sanft angehoben und in das nächste Wellental gesetzt. Der Himmel war von kühler, hellblauer Färbung, die Sonne blaß und kraftlos.
Die Jolle war abgefiert worden und dümpelte in der Dünung. In ihr befand sich alles, was Hasard und der Kutscher für ihren Landgang brauchten.
„Es bleibt alles wie besprochen“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. „Du hast während unserer Abwesenheit das Kommando. Ihr haltet euch nördlich von Rota auf und verschwindet sofort, wenn spanische Schiffe auftauchen. Laßt euch auf keine Scharmützel ein, lauft in einem solchen Fall sofort nach Westen ab.“
„Aye, Sir“, sagte Ben. „Ich werde jeden Kontakt mit den Dons vermeiden. Hast du eine ungefähre Vorstellung, wie lange ihr brauchen werdet?“
„Nicht die geringste Ahnung. Es wird kein Spaziergang werden, denn wir müssen uns nach den besonderen Umständen der jeweiligen Situation richten.“
„Ja, natürlich. Dann bleibt nur noch, euch Mast- und Schotbruch zu wünschen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.“
Es war eine sehr riskante Sache, die sie vorhatten, das wußte Hasard. Aber er sah keine andere Möglichkeit. Gewalt schied in jedem Falle aus, sie war in der gut bewachten Hafenstadt Cádiz nicht anwendbar. Sie hätten schon mit einer kleinen Flotte angreifen müssen.
Hasard und der Kutscher waren wie die spanischen Fischer gekleidet. Sie trugen grobe Leinenhemden und ebensolche Hosen. Später würden sie die Plünnen gegen die Kutten tauschen.
„Wir drücken euch die Daumen“, sagte Carberry. „Und wenn ihr in zwei bis drei Tagen nicht zurück seid, dann krempeln wir den lausigen Hafen um und stapeln die Rübenschweine übereinander.“
Hasard hob die Hand und grinste seinen Arwenacks verwegen zu.
„Wir werden den Dons schon was vorflunkern“, sagte er.
„Mundus vult decipi – ergo decipiatur“, verkündete der Kutscher, als er in die Jolle abenterte.
„Willst du das den Betbrüdern verklaren?“ fragte Carberry. „Was heißt das eigentlich?“
„Die Welt will getäuscht sein, also werde sie getäuscht“, erwiderte der Kutscher grinsend.
„Der Bursche hat immer was auf Lager“, murmelte der Profos. „Der bringt es sogar fertig, eine alte Nonne vom Nachttopf zu schubsen.“
Die Arwenacks grinsten bis an die Ohren. Der Profos hatte mitunter recht seltsame Vergleiche.
Der Kutscher heißte das Segel vor, während der Seewolf die Ruderpinne übernahm. Dann lösten sie die Leine.
Die Jolle legte ab und nahm Fahrt auf. Ein letztes Winken der Arwenacks. Hasard und der Kutscher segelten der fernen Küste entgegen.
Achteraus wurde die Schebecke schnell kleiner. Als Hasard einen Blick über die Schulter warf, sah er, daß die Segel wieder gesetzt wurden und das Schiff Fahrt aufnahm. Ben Brighton ging auf nördlichen Kurs.
„Zunächst werden wir uns im Fischereihafen ein paar kleine Netze zulegen“, sagte der Seewolf. „Damit unsere Identität als Fischer gewahrt bleibt. Dann sehen wir uns in Cádiz um und peilen die Lage. Später ziehen wir uns um und lustwandeln als fromme Betbrüder.“
„Wer von uns spielt den Padre espiritual?“ fragte der Kutscher.
„Den Beichtvater? Am besten du, Bruder Flavius. Dein Latein ist meisterhaft, da kann ich nicht mithalten.“
„Du siehst mit deinem Bart aber würdiger aus, Sir. Diese Silberfäden verleihen dir Seriosität und große Würde.“
„Dann sind wir eben zwei Beichtväter. In Cádiz laufen genügend herum, da bin ich ganz sicher.“
Hasard blickte zur Küste. Die große Kathedrale von Cádiz war bereits mit dem bloßen Auge zu erkennen.
Eine Meile vom Land entfernt sahen sie ein paar Fischerboote, die in der Dünung schaukelten. Hasard segelte in weitem Abstand an ihnen vorbei. Aber die Fischer schenkten ihnen keine Beachtung. Sie hievten gerade ein Netz an Bord, in dem sich zappelnde silbrige Fischleiber befanden.
„Sehr ruhig und beschaulich“, stellte der Kutscher fest. „Mit der Jolle werden wir ganz sicher kein Aufsehen erregen.“
Cádiz lag auf einem Kalkfelsen im gleichnamigen Golf und war durch eine schmale, aber sehr lange Landzunge mit dem Festland verbunden.
Im Hafen herrschte an diesem Vormittag ein unglaubliches Gewimmel. Die Fischerboote waren kaum zu zählen, aber auch Galeonen lagen dort, Schaluppen und eine größere Karavelle.
Über die Piers wurden Lasten geschleppt. Kleine Boote wurden beladen, die ihre Fracht hinüber nach Rota brachten. Hasard hörte leise Glockenschläge.
„Ein eigenartiges Gefühl, direkt in die Arme der Dons zu segeln“, sagte er leise.
„Wir waren zweimal in der Höhle des Löwen, und niemand hat uns gefressen“, meinte der Kutscher. „Aller guten Dinge sind drei.“
Bevor sie in den Hafen einliefen, warf Hasard einen langen Blick zurück. Von der Schebecke war nichts zu sehen, nicht einmal ein feiner Strich. Keiner ahnte, wer hier gerade in den Hafen einlief.
Mit der größten Selbstverständlichkeit segelte Hasard zu dem Fischerhafen hinüber. An den Piers waren genügend Plätze frei.
Sie fanden eine abgelegene Stelle, wo nur ein paar Boote lagen.
Dort vertäuten sie.
Hasard und der Kutscher gingen über die schmale Pier. Ihre Sachen hatten sie in der Achterducht der Jolle verborgen. Dort hatte Ferris Tucker ein „Geheimfach“ eingebaut, das sich getarnt hinter der kleinen Plicht befand.
Sie gingen zu zwei älteren Fischern hinüber. Einer hockte vor sich hindösend auf dem Dollbord, der andere, ein bärtiger Geselle, klaubte winzige Muscheltiere und Dreck aus einem Netz, in dem noch ein paar angetrocknete Seesterne hingen.
„Kann man euch ein Netz abkaufen?“ fragte Hasard. „Unseres hat sich so verfangen, daß wir es kappen mußten.“
„Ihr seid wohl nicht von hier?“ fragte der Bärtige.
„Drüben, von Rota“, log Hasard.
„Da vorn ist ein Schiffsausrüster“, sagte der Fischer und deutete mit dem Daumen zur anderen Seite hinüber. „Da könnt ihr neue Netze kaufen, aber neue Netze sind teuer.“
„Verkauf ihnen doch unser Netz“, sagte der andere, der vor sich hingedöst hatte, jetzt aber wieder munter wurde.
Man wurde schnell handelseinig, und es wurde nur wenig gefeilscht. Trotzdem war das Netz vermutlich teurer, als wenn sie ein neues gekauft hätten.
Die beiden Fischer grinsten sich an, als sie das Geld in Empfang genommen hatten.
„Darauf gehen wir einen trinken“, sagte der Bärtige zu dem anderen, und gleich darauf waren sie verschwunden.
„Für das Geld kriegen sie ein neues Netz und noch ein paar Buddeln Rotwein dazu“, meinte der Kutscher. „Aber was soll’s! Mit diesem alten Ding sehen wir glaubwürdiger aus.“
„Dann werden wir auch mal einen trinken gehen“, meinte der Seewolf. „Hier wird uns so schnell keiner behelligen.“
Die Fischer waren verschwunden und hockten jetzt vermutlich in einer Pinte, wo sie den Verkauf begossen.
Hasard und der Kutscher gingen in Richtung Festung hinüber. Das Kloster war nicht weit davon entfernt, und in den Straßen sahen sie viele Mönche.
„Hier fallen wir garantiert nicht auf“, raunte der Kutscher. „Sieh dir nur mal die vielen Brüder an.“
„Erstaunlich viele“, gab Hasard zu.
Sie gingen zur Festung hinüber und blickten sich unauffällig um.
„Hinter einer dieser Mauern sitzt Juan“, sagte Hasard leise. „Aber nur, wenn alles geklappt hat, so wie Donegal gesagt hat. Ich darf gar nicht daran denken, wenn etwas schiefgelaufen ist.“
Ein Leiterwagen rumpelte vorbei. An den Rungen waren zwei Strolche angebunden, unrasierte, abgerissene Gestalten mit ängstlichen Gesichtern. Vier Soldaten auf dem Leiterwagen traktierten sie mit Schlägen. Der Leiterwagen hielt vor dem offenen Tor der Festung.
Die beiden Kerle wurden losgebunden und an zwei Pfähle im Innenhof gekettet. Dort schlug ein Soldat mit einem Stock wahllos auf sie ein. Die beiden Kerle schrien sich die Kehlen heiser.
Hasard und der Kutscher gingen weiter und sahen sich alles an. Die Festung war so gut bewacht, daß es unmöglich war, ungehindert hineinzugelangen.
Vor der dicken Mauer stand eine neugierige Menschenschlange. Dort hing eine hölzerne Tafel an einem Haken.
„Das sehen wir uns mal an“, murmelte Hasard. Sie mischten sich unter die Neugierigen und blickten auf die Tafel.
„Der öffentlichen Schande preisgegeben und durch das Inquisitionstribunal hingerichtet“, stand dort. Dann folgten etliche Namen von denen, die man der Häresie und Ketzerei beschuldigt hatte und die jetzt nicht mehr am Leben waren.
Mit klopfendem Herzen ging Hasard die Namen durch. Aber Häresie und Ketzerei warf man Don Juan nicht vor. Sein Name war nicht darunter.
Ein weiterer Anschlag trug die Namen von Verurteilten, die noch in Haft waren, denen der Tod also erst bevorstand.
Zwei Kaufleute aus Huelva waren darunter, eine „Hexe“ aus Cádiz, ein Händler aus Cádiz, drei Plünderer, zwei Mörder aus Rota.
Hasard und der Kutscher studierten sorgfältig die Namen, und dann zuckten beide unmerklich zusammen.
Juan de Alcazar, stand dort, Hochverrat. Der Name war so unauffällig wie die anderen, denen man alles mögliche zur Last gelegt hatte.
Hasard schluckte den dicken Kloß in seinem Hals hinunter. Er suchte vergeblich nach dem Datum der Hinrichtung. Es war nicht angegeben.
„Also doch“, sagte er leise, als sie sich von den anderen etwas entfernt hatten. „Jetzt haben wir zumindest die Gewißheit, daß er hier ist und auch bereits verurteilt wurde. Wir müssen nur noch herausfinden, wann das der Fall sein wird.“
„Du meinst seine Hinrichtung?“
Hasard nickte nur und ging weiter. In seinem Innern wuchs die Angst, daß es zu spät sein könnte.
Sie fragten hier und dort unauffällig, aber niemand konnte ihnen etwas Genaues sagen. Die Termine würden nicht öffentlich bekanntgegeben, sagte ihnen ein älterer Mann, der durch die Inquisition einen Neffen verloren hatte.
„Die bringen ja die halbe Welt um“, murmelte der Kutscher. „Das ist ja noch schlimmer als bei uns, wo man auch nicht gerade zimperlich ist!“
„Viel schlimmer.“
Sie gingen in eine Pinte, tranken etwas und hörten sich weiter um. Aber viel war es nicht, was sie erfuhren.
„Wir gehen wieder zurück“, sagte Hasard, „und werden versuchen, mit den Mönchen Kontakt aufzunehmen. Das ist unsere einzige Möglichkeit. Auf der Jolle besprechen wir die näheren Einzelheiten.“
Dem Kutscher war sehr unbehaglich zumute, und das sagte er auch. „Die sind so verdammt schnell bei der Sache, daß es einen graust. Die können die Leute gar nicht schnell genug umbringen. Ich habe das erbärmliche Gefühl, als könnten wir nicht mehr viel für unseren Freund Juan tun.“
„Das Gefühl habe ich auch.“
Am späten Nachmittag desselben Tages gab es in Cádiz zwei fromme Betbrüder mehr.
Hasard und der Kutscher hatten sich umgezogen. Niemand hatte sie bei ihrem Tun beobachtet.
In einem Geschäft besorgten sie sich bei einem Händler ein sündhaft teures Geschenk. Es war die perfekte Nachbildung eines hölzernen Gnadenbildes der Nuestra Señora de la Esperanza, das reich verziert und geschmückt war. Das Original wurde in der Semana Santa, der heiligen Woche, in der Prozession von Sevilla mitgeführt.
Hasard und der Kutscher hatten sich einen glaubwürdig-frommen Blick zugelegt und führten Rosenkränze mit sich. Der Kutscher ließ den Rosenkranz ständig durch seine Finger gleiten und murmelte dabei lateinische Sprüche. Er schien ein sehr frommer Mann zu sein.
Das fand auch der Prior des Klosters, als die beiden Padres bei ihm untertänigst vorstellig wurden, und um ein Gespräch mit dem ehrwürdigen Vorsteher baten.
Der Prior war ein feister Mann mit Hängebacken und dem Gesicht eines zufriedenen Posaunenengels. Seine Augen blickten listig auf das Paket, das Hasard unter dem Arm trug.
„Pax est tranquillitas ordinis“, tönte der Kutscher, was so viel bedeutete, daß Friede die Ruhe der Ordnung sei.
Das fand der ehrwürdige Prior auch und schielte wieder recht neugierig auf das Paket.
„Der Herr hat zwei gottesfürchtige Brüder nach Cádiz gesandt“, erklärte der Kutscher, „damit sie Buße tun und als reuige Sünder heil nach Sevilla zurückkehren mögen.“
„Willkommen, Brüder im Herrn“, sagte der Prior, „ihr seid also aus Sevilla, wie ich vernehme.“
Hasard ließ den Kutscher reden, denn der konnte so herrlich überzeugend mit lateinischen Brocken herumwerfen, daß der Prior regelrecht entzückt war.
„Aus dem ehrwürdigen Kloster de le Merced“, sagte der Kutscher. „Der ehrwürdige Prior bittet um die Entgegennahme einer kleinen Aufmerksamkeit durch den ehrwürdigen Vorstand des hiesigen Klosters.“
Der Prior war begeistert und umarmte die beiden schnell.
Hasard überreichte ihm das Geschenk und hoffte inständig, daß dem ehrwürdigen Prior nichts auffiel.
„Sicher werdet ihr hungrig und durstig sein, Brüder. Ich werde euch sofort nach der anstrengenden Reise etwas herrichten lassen.“
So gelangten sie in das Kloster, und von dort aus weiter in das Heiligtum des gottesfürchtigen Priors, der auch weltliche Dinge nicht unbedingt verschmähte.
Bevor die Brüder im Herrn gespeist wurden, wickelte der Prior das Paket aus und blickte ungläubig auf den Pasos, die Heiligengestalt der Nuestra Señora de la Esperanza.
„Es möge einem guten Zweck dienen“, sagte der Kutscher doppeldeutig. Dann ließ er wieder seinen Rosenkranz murmelnd durch die Finger gleiten.
„Wie lange bleibt ihr in Cádiz?“ wollte der Posaunenengel wissen, nachdem er sich überschwenglich bedankt hatte.
„Wir sind vom ehrwürdigen Prior angehalten, etwa vierzehn Tage in Cádiz zu verbringen, die wir der Seelsorge widmen. Auch sollen wir uns um die Verurteilten kümmern, ihnen Trost spenden und die Beichte abnehmen, so haben wir es dem ehrwürdigen Vater versprochen.“
„Ja ja, es gibt viel zu tun.“ Der Dicke seufzte ergeben. „Ich werde euch den nötigen Zutritt verschaffen, damit ihr missionieren könnt. Selbstverständlich findet ihr im Kloster Aufnahme. Ich werde euch später ein Empfehlungsschreiben mitgeben. Habt ihr keines?“
Hasard hielt die Luft an, aber der Kutscher lächelte traurig und hatte die Lage fest im Griff.
„Wir hatten natürlich eines und auch ein wenig Zehrgeld, verehrter Vater“, sagte er traurig. „Aber in Dos Hermanas überfielen uns Räuber – der Herr möge ihren Frevel verzeihen – und plünderten uns aus. Bruder Pancrazius gelang es gerade noch, die Madonna zu verbergen. Alles andere haben sie uns abgenommen, das karge Zehrgeld, das Schreiben des ehrwürdigen Vaters und auch ein Bildnis der Heiligen Katerina. Nur der Pasos ist uns geblieben und unser bescheidenes Leben. O tempora, o mores“, fügte der Kutscher klagend hinzu.
Hasards Gesicht war so starr wie der Ausdruck der Madonnenstatue.
Er sagte auch „Amen“, als der Kutscher und der Prior es sagten, und auch er vergaß nicht, seinen Rosenkranz durch die Finger gleiten zu lassen, wie der Kutscher es eifrig und mit Hingabe tat.
Der Prior sprach ihnen nochmals seinen Dank aus und warf der Heiligen einen hingebungsvollen Blick zu.
„Dieses unersetzliche Kleinod“, sagte er andächtig, „der Herr ist grenzenlos in seiner Güte.“
„So ist es. Amen“, tönte der Kutscher.
Der Prior winkte einen Padre herbei und stellte die beiden vor. Dann zeigte er ihnen selbst das Kloster, das dicht an den Kalkfelsen gebaut war. Sie sahen die prunkvolle Kapelle, an die sich der Kreuzgang anschloß. Darum gruppierten sich die eigentlichen Klausuren. Überall waren Mönche zu sehen. Hasard schätzte ihre Zahl auf weit über hundert, aber wahrscheinlich waren es noch mehr.
„Das Dormitorium“, sagte der Prior und zeigte ihnen den riesigen Schlafsaal. „Dort werdet ihr nächtigen. Aber zunächst begeben wir uns ins Refektorium, denn ihr seid hungrig und durstig nach der langen Reise.“
Der Speisesaal war karg und nüchtern eingerichtet und mit Heiligenbildern geschmückt. An einem der endlos langen Tische nahmen sie Platz.
Zwei Mönche brachten verdünnten Rotwein, Brot, Käse und eine Schüssel voller Brei. Ein anderer brachte kalten gebratenen Fisch und dazu ein paar Oliven.
„Greift zu, Brüder. Es ist nur ein bescheidenes Mahl, aber es kommt von ganzem Herzen“, sagte der Prior müde.
Hasard hatte einen gesunden Appetit, denn allzuviel hatten sie heute noch nicht zu sich genommen. Er wollte zugreifen, doch der Kutscher räusperte sich sehr dezent und begann leise zu beten. Der Seewolf tat es ihm nach und bewunderte wieder mal den Einfallsreichtum des schmalen Mannes, der an alles dachte und nichts vergaß.
„Wenn es von der Kathedrale schlägt, lasse ich euch abholen“, versprach der Posaunenengel. „Ich habe noch ein wenig zu tun.“
„Vielen Dank, ehrwürdiger Vater.“
Die beiden waren allein, beendeten ihr Gebet ziemlich rasch und begannen zu essen.
„Hoffentlich hat er nichts gemerkt“, flüsterte der Seewolf. „Als er nach dem Empfehlungsschreiben fragte, hatte ich etwas Pudding in den Knien. Sag mal, Kutscher, gibt es dieses Kloster in Sevilla überhaupt? Oder existiert das nur in deiner Phantasie?“
„Ich bin immer fürs Authentische“, erwiderte der Kutscher und schob sich von dem kalten Fisch etwas in den Mund. „Natürlich gibt es dieses Kloster, das weiß ich genau. Aber jetzt scheinen wir endlich am Ziel zu sein. Diese Mönche hier haben einen großen Einfluß in geistiger und religiöser Hinsicht, und das nicht nur auf die Bevölkerung, sondern auch auf die Obrigkeit. Dieser freundliche Betbruder wird uns Tür und Tor öffnen. Bedenke nur einmal dieses ungemein wertvolle Geschenk.“
„Er hat sich sehr darüber gefreut“, murmelte Hasard. „Aber ich fühle mich in dieser Rolle absolut nicht wohl.“
„Aber Padre Pancrazius“, sagte der Kutscher mit leisem Vorwurf. „Was tun wir denn? Ist es nicht gottesgefällig, das Leben eines armen Sünders zu retten, unter all den Scheinheiligen? Wir tun ein gutes Werk, und der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.“
„Du bist ein verdammtes Schlitzohr“, sagte Hasard lächelnd.
„Zum Glück weißt nur du das, Bruder. Hast du dir schon mal Gedanken darüber bereitet, wie wir mit Juan verfahren, sobald wir in seiner Nähe sind? Damit, daß wir ihn sehen, ist es ja nicht getan.“
„Ich weiß, daß das Schlimmste und Schwerste noch vor uns liegt. Ich möchte eine Entscheidung jedoch noch hinauszögern, bis ich mir einen genauen Überblick verschafft habe.“
„Ich werde mit Juan die Rollen tauschen“, sagte der Kutscher. „Das dürfte vermutlich der einfachste Weg sein. Der Kerl schlägt mich nieder und türmt mit dir. Ich werde mich dann schon loseisen. Amen.“
„Du bist verrückt“, zischte der Seewolf. „Dann behalten sie dich an seiner Stelle, und wir stehen wieder am Anfang.“
„Ganz recht, Bruder, am Anfang schuf der Herr Himmel und Erde“, sagte der Kutscher salbungsvoll.
Hasard sah aus den Augenwinkeln, daß der Prior und drei weitere Mönche das Refektorium betraten. Deshalb fing der Kutscher auch gleich wieder mit seinem Rosenkranz an und wechselte sofort das heikle Thema.
„Ein vorzügliches Mahl nach all den Entbehrungen“, lobte Hasard, als die vier sich an dem Tisch niederließen.
Der Prior nickte wohlgefällig und sah in die eisblauen Augen des breitschultrigen Bruders Pancrazius.
„Ich möchte euch Padre Antonio vorstellen“, sagte er. „Er war hellauf entzückt, zu erfahren, daß ihr aus Sevilla stammt. Sein Bruder war früher lange Jahre im Kloster de la Merced. Er möchte ein wenig darüber mit euch plauschen, denn er hat es einmal besucht.“
Hasard verschluckte eine Qualle, aber das war schon eher eine portugiesische Riesengaleere, die ihm im Hals hing. Auch das noch! Er hatte ja geahnt, daß sie mit ihren frommen Sprüchen bald an der nächsten Wand landen würden.
Der Kutscher hingegen blieb die Ruhe in Person. Spontan streckte er dem dicklichen Padre Antonio die Hand hin.
„Es ist mir eine besondere Freude, mit dir darüber zu plaudern, Bruder Antonio“, sagte er herzlich.
Der Bruder Antonio kroch dem Kutscher genauso auf den Leim wie alle anderen auch. Dann begann er zu erzählen, von der Schönheit der gotischen Kathedrale, die man an der Stelle der maurischen Hauptmoschee errichtet hatte, vom Innern mit den Königsgräbern und dem Grabdenkmal des Christoph Columbus.
Sehr gebannt lauschten die frommen Männer den Ausführungen des Kutschers, der sich in Sevilla besser auszukeimen schien als in seiner englischen Heimat.
„Lebt denn Bruder Astasio noch?“ wollte der Padre wissen. „Er war schon sehr alt, müßt ihr wissen. Mein Bruder sprach viel von ihm.“
Dem Kutscher genügte ein einziger Blick, um zu erkennen, daß der Padre nichts im Schilde führte und sie vielleicht nur aushorchen wollte. Er war ein hervorragender Menschenkenner, und er war sich ganz sicher, daß sie nichts gemerkt hatten.
„Ich kannte ihn nicht persönlich“, sagte er bedauernd, „aber sie reden noch heute sehr viel über ihn und über das Gute, was er getan hat. Es existiert leider nur noch das schlichte Grab mit seinem Namen. Der Herr hat ihn zu sich gerufen in seinem unerfindlichen Ratschluß, obwohl Bruder Astasio noch viel Gutes hätte tun können und sicherlich auch getan hätte. Gott sei seiner armen Seele gnädig.“
Das Ableben des armen Bruders Astasio wurde lebhaft bedauert. Der Prior sprach ein Gebet für ihn, der nur Gutes getan hatte, dem sich die anderen anschlossen.
Mann, o Mann, dachte Hasard, als der Kutscher weiter von Sevilla und dem ehrwürdigen Kloster erzählte. Wenn das nur gutgeht!
Der Kutscher war hier eindeutig die dominierende Persönlichkeit, zumal er mit sein Latein brillierte, was die anderen sehr beeindruckte. Er geriet nie in Verlegenheit und benahm sich so, als sei er sein Leben lang in einem Kloster aufgewachsen.
„Übermorgen“, sagte der Prior, „werden wieder ein paar arme Sünder hingerichtet. Der Comandante gab mir eine Liste. Es sind etliche Sünder dabei, die eine Beichte ablegen möchten, und so werden wir ihnen auf ihrem schwersten Weg den christlichen Beistand auch nicht versagen und ihnen Absolution sowie die letzte Ölung erteilen. Ich werde euch morgen in aller Frühe hinführen, damit ihr gegenüber dem ehrwürdigen Vater von Sevilla euren Pflichten nachkommen könnt. Die Namen werden euch nichts sagen, denn ihr seid fremd hier. Aber ich werde euch einmal die Liste zeigen. Der Comandante bringt uns jede Woche eine neue Sünderliste.“
Die Liste wurde gebracht. Es war eine Abschrift in krakeliger Schrift auf Pergament. Sie enthielt die Namen jener, die auch an der Mauer der Festung aushingen.
Natürlich fiel ihnen sofort der Name Don Juans ins Auge, aber keiner der beiden ließ sich etwas anmerken.
Der Kutscher schien nur flüchtig auf den Namen zu blicken, und auch der Blick aus Hasards eisblauen Augen verriet kein Erkennen.
„Alle diese Leute werden übermorgen hingerichtet?“ fragte Hasard. „Was haben sie denn Schreckliches verbrochen?“
„Viele sind Ketzer, Bruder. Sie haben sich von der heiligen Institution der Kirche losgesagt oder Gott gelästert. Es sind aber auch Zauberer, Hexen und Schwerverbrecher dabei, die den Tod hundertfach verdient haben. Aber wir sind so gnädig, sie von ihren Sünden zu erlösen und ihre Seelen zu befreien. Etliche wird das Feuer läutern, sie werden verbrannt.“
Der Prior schien es ganz normal zu finden, daß Hexen und Zauberer, was immer er sich auch darunter vorstellen mochte – verbrannt wurden, um sie zu „läutern“.
Hasard hätte dem weltfremden Mönchlein einiges sagen können, doch das wäre auf keinen fruchtbaren Boden gefallen und hätte ihren Plan nur vereitelt. So enthielt er sich jeden Kommentars und nickte lediglich wie zustimmend.
Mittlerweile fanden sich im Kloster immer mehr Mönche ein und bald wimmelte es nur so von ihnen.
Die Abendandacht begann. In der großen Kapelle und der sich anschließenden Kirche wurde gebetet.
Über Cádiz senkte sich die Nacht. Glockengeläut von der großen Kathedrale drang herüber.
Auch für Don Juan begann die vorletzte Nacht. Daran mußte Hasard immer wieder denken.
„Wir stehen sehr früh auf“, ließ Padre Antonio sie wissen, „aber dafür geben wir uns auch früh dem Schlaf hin. Das erste Gebet beginnt bei uns morgen um sechs, es wird durch Glockenschläge angekündigt. Ich werde euch nun eure Schlafstätte zeigen.“
Der Prior verabschiedete sich von ihnen für den heutigen Tag. Er wolle sich noch ein paar Augenblicke in stiller Andacht dem mitgebrachten Geschenk widmen, verkündete er.
Hoffentlich fällt ihm nichts auf, dachte Hasard wieder.
Padre Antonio begleitete sie in das Dormitorium hinüber, wo sich einfache und schlichte Schlafstellen auf dem Boden befanden. Ein paar Fackeln in Eisenhalterungen an den Wänden erhellten den großen Saal nur spärlich.
Die Mönche waren recht schweigsam. Hasard und der Kutscher konnten sich ebenfalls nicht unterhalten. Der Seewolf hätte mit dem Kutscher gern noch ein paar Worte gewechselt, denn was der vorhatte, behagte ihm nicht so recht.
Doch daran war nicht zu denken. Im großen Schlafsaal wurden nach und nach die Fackeln gelöscht, und so war jeder mit seinen Gedanken allein in dieser Nacht.
Es dauerte jedoch sehr lange, bis Hasard endlich einschlief, und auch der Kutscher war noch lange wach. Er fieberte dem neuen Tag entgegen.