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5.

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Nathaniel Plymson hatte sich beruhigt, denn die Seewölfe und ihre Kameraden von dem Schwarzen Segler hielten sich an ihre Versprechungen. Alles blieb friedlich, es schien keine Gefahr für die Einrichtung der „Bloody Mary“ zu bestehen. Schon wollte der dicke Wirt erleichtert aufatmen und sich den Schweiß von der Stirn wischen, da trat gegen Mitternacht etwas ein, mit dem selbst er nicht gerechnet hatte.

Ganz unerwartet öffnete sich zu dieser späten Stunde die Kneipentür, und ein Kommando der Stadtwache erschien. Es bestand aus fünf Männern unter der Leitung eines Offiziers, der seiner Uniform nach den Rang eines Lieutenants bekleidete. Groß und wuchtig gebaut war dieser Mann, sein kantiges Gesicht drückte Strenge und Entschlossenheit aus.

„Wer ist denn das?“ fragte Ben Brighton den Seewolf. „Den habe ich hier in Plymouth noch nie gesehen.“

„Er muß neu sein“, entgegnete Hasard. „Vielleicht will er sich ein paar Lorbeeren verdienen. Wie er aussieht, scheint er nicht bereit zu sein, ein Auge zuzudrücken.“

Der Lieutenant war zur Theke gegangen und blickte Plymson kühl aus seinen grauen Augen an.

„Mister Plymson“, sagte er schroff. „Haben Sie das Schlagen der Kirchturmuhr nicht gehört? Brauchen Sie einen Trommler, der Sie gesondert darauf hinweist, wie spät es ist?“

„Ich – nun, ich wollte gerade schließen“, erwiderte der Dicke und warf einen beschwörenden Blick zu seinen Gästen hinüber. Die aber rührten sich von ihren Plätzen nicht fort.

Wiederholt hatte Plymson diesen Lieutenant, der tatsächlich erst seit zwei Wochen zur Stadtgarde von Plymouth gehörte, zu einem Umtrunk eingeladen und vorgehabt, ihn mit einem Fäßchen Wein oder Bier auf die übliche Weise zu bestechen. Aber darauf hatte der Mann sich nicht eingelassen. Er blieb stur und hielt am Reglement fest.

Jetzt umrundete er mit ein paar Schritten die Theke, zog seinen Degen und gebot durch einen Schlag der Klinge auf den Zapfen in einem gerade frisch angestochenen Bierfaß Feierabend. Dies war der Zapfenstreich, der gleichsam Gesetzeskraft hatte, niemand hatte dagegen aufzubegehren.

Mit einem Ruck drehte sich der Lieutenant zu den Zechern um und sagte: „Gehen Sie! Es wird nicht mehr getrunken. Soll ich das Lokal räumen lassen?“

„O nein, natürlich nicht“, beeilte sich Plymson zu sagen. „Meine Gäste zahlen sogleich die Zeche und kehren an Bord ihrer Schiffe zurück, nicht wahr?“ Der Blick, den er Hasard zuwarf, war flehend.

Thorfin Njal hatte sich von seinem Stuhl erhoben.

„Bei Geri und Freki, den Wölfen Odins“, brummte er. „Jetzt, da es gerade richtig gemütlich wird, will man uns rausschmeißen? Das soll wohl ein mieser Witz sein?“

„Thorfin“, sagte Hasard ruhig. „Feure bloß keine Breitseite ab, es lohnt sich nämlich nicht.“

„Ich will nur ein Wörtchen zu dem Mann dort sagen“, erklärte der Wikinger. Er trat mit drei langen Schritten auf den Lieutenant zu und tippte diesem mit seinem großen Zeigefinger so derb gegen die Brust, daß er unwillkürlich ein Stück zurückwich. „Meinen Feierabend“, sagte Thorfin unwirsch, „lasse ich mir von keinem vorschreiben. Und schon gar nicht von einem aufgeblasenen Kerl wie dir.“

Die Seewölfe und die Männer des Schwarzen Seglers hielten die Luft an. Plymsons Blick wurde flackernd, er suchte nach einem Loch, durch das er sich verkriechen konnte. Die Männer der Stadtgarde legten die Hände an die Griffe ihrer Waffen. Die Luft schien von einem Moment auf den anderen vor Spannung zu knistern.

Der Lieutenant sah den wilden, bärtigen Mann mit dem Kupferhelm auf dem Haupt wie ein Wesen aus einer fremden Welt an. Noch nie hatte er einen Menschen vor sich gehabt, der derart eigentümlich gekleidet war. Und er konnte sich weder seine Herkunft noch seine tolldreiste Art aufzutreten erklären.

Daß dieser Thorfin Njal der Kapitän des Viermasters war, davon wußte der Lieutenant auch nichts, denn die Belange des Hafens interessierten ihn nicht sonderlich, da dieser sonst nicht zu seinem unmittelbaren Dienstbereich gehörte. Nur in dieser Nacht war er als Ablösung für einen seiner Offizierskollegen tätig, und der Zufall wollte es, daß er ausgerechnet in der „Bloody Mary“ auf diese Meute von verwegenen Männern gestoßen war.

„Ich höre immer dann mit dem Saufen auf, wenn es mir paßt“, verkündete der Wikinger und sah den Lieutenant drohend an. „Außerdem ist das hier nicht üblich, um zwölf auf den Zapfen zu hauen.“

Der ist verrückt, dachte der Lieutenant, total übergeschnappt. Dennoch war er nicht bereit, dem Wikinger nachzugeben.

„Was üblich ist, bestimme ich“, sagte er zornig. „Treten Sie zur Seite, Sie ungehobelter Klotz.“

„Ungehobelter Klotz?“ echote der Stör, der bei Eike, Arne, Olig und drei anderen Männern von „Eiliger Drache“ an einem der Tische hockte. „Das hat aber noch keiner zu unserem Kapitän gesagt.“

Thorfin Njal wandte den Kopf und blickte ihn ärgerlich an. „Stör, du Plattfisch, was fällt dir denn ein? Wenn du schon was nachplapperst, dann aber nur das, was ich sage, verstanden?“

„Verstanden“, antwortete der Stör, aber er war doch verwirrt. Sonst pflegte Thorfin ihm immer in den Allerwertesten zu treten, wenn er seine letzten Worte nachsprach.

„Verlassen Sie augenblicklich das Lokal!“ fuhr der Lieutenant den Wikinger an. „Verschwinden Sie! Nehmen Sie Ihre Leute mit!“

„Ich wünschte, Hugin und Munin würden dir die Augen auspicken“, sagte Thorfin, der jetzt langsam vor Wut zu kochen begann.

„Hugin und Munin?“ fragte der Lieutenant verdutzt. „Wer sind denn das?“

„Odins Raben. Aber warum äffst du alles nach wie der Stör?“

Der Lieutenant lief um eine Nuance dunkler im Gesicht an, seine Schläfenadern traten leicht hervor. „Wer in aller Welt ist Odin – und wer der Stör?“

„Odin ist der Herr aller Götter“, erklärte Thorfin Njal und hob würdig den Kopf. „Ein Narr, wer das nicht weiß.“

„Der Stör sitzt dort drüben!“ stieß Nathaniel Plymson fast schluchzend hervor und rang dabei verzweifelt die Hände. „Der lange Kerl mit dem Schnauzbart. Aber, bitte, Gentlemen, können Sie Ihre Diskussionen nicht woanders austragen?“

Der Wikinger hieb mit der Faust auf die Theke, daß die darauf stehenden Humpen ein Stück hochsprangen. „Von dir lasse ich mir auch nichts vorschreiben, Plymson! Ich rede hier, soviel und solange ich will!“

„Sie sind verhaftet!“ schrie der Lieutenant. „Sie haben sich der Ordnungsmacht widersetzt und sie obendrein beleidigt! Sie stehen unter Arrest und folgen mir!“

„Ich bleibe hier!“ brüllte der Wikinger ihm ins Gesicht.

„Nehmt diesen Kerl fest!“ schrie der Lieutenant seinen Begleitern zu.

Angesichts der Überzahl der Männer, die sich jetzt von ihren Stühlen erhoben, zögerten die Soldaten jedoch.

Der Seewolf stand gleichfalls auf und ging zu den Streithähnen hinüber. Er fand, daß das Spielchen schon viel zu lange gedauert hatte, und wollte versuchen, die Angelegenheit zu einer gütlichen Einigung zu führen.

„Lieutenant“, sagte er. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Ich bitte Sie, nehmen Sie es meinem Freund Thorfin Njal nicht übel, daß er so rauhbeinig auftritt. Es ist nicht so gemeint.“

„Sie können mir viel erzählen!“ rief der wütende Mann. „Der Kerl wandert für den Rest der Nacht in eine Zelle, das ist sicher!“

„Mies, ganz mies“, brummte Mac Pellew, der beim Kutscher, bei Batuti, Shane und den Zwillingen stand. Er selbst hatte ja üble Erfahrungen mit dem Kerker von Plymouth, und er hätte noch jetzt dort festgesessen, wenn die Seewölfe ihn nicht herausgeholt hätten. „Ich kann’s keinem empfehlen, sich da einbuchten zu lassen“, fügte er murmelnd hinzu. „Schon nach ein paar Stunden würde man am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen.“

„Bitte“, sagte Hasard noch einmal. „Verzeihen Sie meinem Freund. Üben Sie Nachsicht, Lieutenant. Ich bürge für Thorfin Njal und für alle anderen, die Sie hier vor sich sehen. Es sind alles anständige, unbescholtene Männer. Wir trinken noch ein Bier, und dann gehen wir, einverstanden?“

„Nein!“ schrie der Lieutenant. „Zum letzten Male: Hauen Sie ab! Dies ist die letzte Aufforderung!“

Hasard trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Na, dann fangen Sie mal mit dem großen Aufräumen an, Sir. Wir werden ja sehen, was daraus wird.“ Die barsche, bevormundende Art des Mannes reizte nun auch ihn.

Thorfin Njal hatte ein hartes Grinsen aufgesetzt.

„Wie war das, Kameraden?“ sagte er zu den Soldaten. „Wolltet ihr mich nicht verhaften? Nur zu.“

„Abführen, den Kerl!“ schrie der Lieutenant seinen Männern zu, doch als er sie wieder zaudern sah, schien auch er wankelmütig zu werden. Im übrigen rückten jetzt die Männer der „Isabella IX.“ und des Schwarzen Seglers bedrohlich nahe heran, und auch dieser Umstand steigerte seine Bedenken gegen eine sofortige Aktion erheblich.

Deshalb wählte er drei Soldaten aus und sagte: „Sie bleiben hier und passen auf, daß diese Strolche nicht das Weite suchen. Ich hole Verstärkung.“

„Ja, Sir“, sagten die Soldaten, aber untereinander tauschten sie furchtsame Blicke.

Erbost verließ der Lieutenant mit den beiden anderen Soldaten die „Bloody Mary“ und rammte die Tür hinter sich zu. Die Seewölfe und ihre Freunde vom Schwarzen Segler lachten, dann ließen sie sich wieder an den Tischen nieder.

„Die nächste Runde, Plymmie!“ rief der Seewolf. „Und gib auch den drei Burschen etwas zu trinken, bevor der Tanz richtig losgeht!“ Er wies auf die Soldaten.

Plymson hatte heftig zu keuchen begonnen, er sah seine schöne Einrichtung im Geist schon in tausend Trümmer zerspringen.

„O bitte, geht doch“, jammerte er. „Ich zahle die gesamte Zeche, ich gebe euch den ganzen Abend aus, aber verschwindet bitte.“

Wieder hieb der Wikinger mit der Faust zu, diesmal knallte sie auf einen der Tische, daß die Becher und Humpen tanzten. „Wohl verrückt geworden? Wir lassen uns hier nicht rumkommandieren! Was, Hasard?“

„Genau. Wo bleibt denn da das Prestige?“ Der Seewolf grinste. Ihn stach jetzt der Hafer, die bekannten tausend Teufel tanzten wieder einmal in seinen eisblauen Augen.

„Das was?“ fragte der Profos.

„Hasard spielt auf unsere Ehre und unser Ansehen an“, setzte Dan O’Flynn ihm auseinander. „Mit anderen Worten, wir bleiben hier hübsch sitzen und warten auf die Verstärkung.“

„Sir“, sagte der Kutscher. „Wäre es nicht doch besser, einen Kompromiß zu schließen? Ich meine – es wäre doch wohl nicht der richtige Beginn für unsere Reise, wenn wir mit blauen Augen und zerschrammten Gesichtern an Bord der ‚Isabella‘ zurückkehren würden.“

„Nein, keinen Kompromiß!“ rief Philip junior. „Dad, laß uns bleiben! Das gibt eine schöne Keilerei!“

Arwenack, der Affe, der neben ihm auf einem Hocker saß, klatschte begeistert in die Vorderpfoten und entblößte sein Gebiß, so daß es wirkte, als lache er.

Hasard richtete sich auf und blickte in die Runde. „Wer lieber an Bord gehen will, der soll es jetzt tun! Wir anderen zeigen dem bornierten Lieutenant, daß wir es nicht gern haben, wenn in der ‚Bloody Mary‘ neue Sitten einreißen!“

Alle blieben sitzen, keiner traf auch nur Anstalten, aufzustehen und fortzugehen. Die Zwillinge bangten nur, daß ihr Vater sie fortschicken würde, aber zu ihrem Glück tat er das nicht. Sie atmeten auf und grinsten sich in Vorfreude dessen, was nun gleich geschehen würde zu.

„Plymmie, roll mit dem Bier an!“ schrie Ferris Tucker dem Dicken zu, der inzwischen leichenblaß geworden war. „Oder müssen wir es uns selber holen?“

„Nein, nein, ich komme ja schon“, stammelte Plymson, dann füllte er die Humpen. Drei davon knallte er auf die Theke, und die Soldaten griffen danach. Plymson glaubte sich nicht zu täuschen: Ihre Hände bebten ein wenig, und auch ihren Mienen konnte man die Angst ablesen, die sie verspürten.

Kein Wunder – er selbst zitterte ja auch schon! Ogottogott, dachte er, wie soll das bloß enden?

Die Antwort auf diese Frage erhielt Nathaniel Plymson etwa eine Viertelstunde später. Der Lieutenant kehrte zurück, stieß die Kneipentür auf und marschierte sofort auf Hasard und den Wikinger zu. In seinem Gefolge befanden sich zwanzig Soldaten der Stadtgarde.

„Alle festnehmen!“ brüllte der Lieutenant und winkte auch den drei Soldaten zu, die nach wie vor an der Theke standen und ihre Humpen soeben geleert hatten. „Ab hinter Gitter!“ schrie er. „Mal sehen, wer hier den längeren Arm hat!“

„Ja, mal sehen!“ rief der Boston-Mann und sprang im selben Augenblick auf, in dem sich auch Hasard, Thorfin Njal, Ben, Roger, Jean Ribault, die O’Flynns, Shane, Ferris Tucker, Carberry und alle anderen erhoben.

„Sir“, sagte der Seewolf zu dem Lieutenant, der nun beinah feuerrot im Gesicht war. „Ich appelliere noch einmal an Ihre Vernunft. Wir haben nichts verbrochen und nur ganz harmlos gezecht. Sie haben nicht das Recht, uns deswegen festzunehmen.“

„Ich vertrete das Recht!“ brüllte der Lieutenant. „Und ich ersuche Sie dringend, keinen Widerstand zu leisten!“

Carberry platzte der Kragen, er schrie zurück, daß der ausgestopfte Stör über der Theke zu wackeln begann und Plymsons Perückenhaare zu Berge standen: „Mach hier keinen Stunk, du gepökelte Kanalratte! Ich kann das nicht leiden! Verzieh dich, oder es setzt Hiebe!“

„Gepökelte Kanalratte?“ wiederholte der Lieutenant verdutzt. „Meint der damit etwa mich?“

„Sir, das war bestimmt auf uns gemünzt“, sagte einer der Soldaten beschwichtigend. Er hoffte wie seine Kameraden immer noch, daß sich das drohende Unheil verhindern ließ, aber er ahnte nicht, wie sehr er sich täuschte.

„Verhaftet die Bande!“ schrie der Lieutenant mit überkippender Stimme. „Ich werde sie einsperren, auspeitschen und vor den Richter stellen!“

„Heiliger Bimbam, laßt mir doch die Bude heil“, jammerte Plymson.

Dann ging es los. Der Stör eilte zur Theke und riß seinen Außenbordkameraden, der immer noch leicht in Bewegung war, vom Haken. Plymson wollte ihn daran hindern, doch der Stör versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß der Dicke rücklings gegen eins der Fässer prallte. Dabei verrutschte seine Perücke und hing ihm schief vor der Stirn. Er konnte nur noch mit einem Auge verfolgen, was passierte, doch auch das war noch viel zuviel für ihn.

Der Stör sprang mit seinem ausgestopften Namensvetter auf den Lieutenant zu und hieb ihm das Ding einfach quer über den Kopf, ehe der Mann auch nur abwehrend die Hände heben konnte. Es staubte ganz gewaltig, eine richtige kleine Wolke umgab den Lieutenant.

„Galgenstricke!“ brüllte er. „Mörder! Ihr endet alle am Galgen!“

Nun begann der Stunk erst richtig. Die Soldaten marschierten vor und griffen an, Hasard und die Männer der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers leisteten massiven Widerstand. Hasard rammte dem Lieutenant sogleich die Faust unters Kinn, als dieser ihn greifen wollte, und der Mann gab vorerst das Schreien auf und sank zusammen.

Thorfin, Jean Ribault, Carberry, Shane, Ferris und der Boston-Mann gingen auf die Soldaten los, es wurde geboxt, geflucht und getreten, und im Nu war die schönste Keilerei im Gang.

Plymson war hinter der Theke in Deckung gegangen und versuchte, seinen Kummer im Alkohol zu ersäufen. Er hatte sich gerade großzügig einen Humpen mit Wein vollgeschenkt – selbstverständlich von dem guten, ungepanschten –, da rollte etwas über die Theke und landete direkt zu seinen Füßen. Ein Arm fiel schlaff auf seinen Humpen, der Humpen entglitt seiner Hand, und der schöne Rotwein ergoß sich auf das Gesicht des Störenfriedes, den Plymson als einen ohnmächtigen Soldaten identifizierte, auf dessen Kopf eine hübsche Beule heranwuchs.

„Schrubbt das Deck!“ brüllte Carberry der „Isabella“-Crew zu. „Klart auf, Leute! Weg mit diesen Kakerlaken und Bilgenläusen! Ich will hier keinen dieser Kerle mehr sehen, kapiert?“

„Aye, Sir!“ schrien die Männer zurück und gingen wieder mit den blanken Fäusten auf die Garde los.

Einer der Soldaten versuchte, die Flucht zu ergreifen, um noch mehr Verstärkung zu holen, doch als er glücklich bei der Tür angelangt war, wuchs urplötzlich die mächtige Gestalt Batutis neben ihm auf.

„Wohin denn so eilig, Mister?“ erkundigte sich der schwarze Herkules interessiert.

Der Soldat schluckte und hustete verlegen, dann erwiderte er: „Oh, nur ein bißchen frische Luft schnappen. Das ist doch nicht verboten, oder?“

Batuti entblößte seine weißen, untadelig gewachsenen Zähne. „Natürlich nicht, Mister. Es ist eine kalte Nacht, aber es regnet nicht. Nur ein wenig Nebel verschlechtert die Sicht. Komm, ich zeige dir den Weg.“

„Das ist aber nett“, stammelte der Soldat, dann stolperte er ins Freie, weil Batuti ihm einen Stoß gegen die Schulter gegeben hatte.

Der Gambia-Mann schritt selbst nach draußen, und im nächsten Moment waren ein paar eigentümliche Laute zu vernehmen – ein dumpfes Klatschen, dann ein Scharren, schließlich ein Poltern, gemischt mit einem Stöhnen und einem geseufzten „Ach“. Danach herrschte Stille, zumindest vor der Kneipe. Batuti kehrte ins Innere zurück, staubte sich ein wenig die Hände ab und gesellte sich wieder zu seinen Kameraden, um beim großen Aufklaren tüchtig mitzuhelfen.

Gegen zwei Uhr morgens hatte dann endlich alles seine Ordnung – die Männer der Stadtgarde lagen sauber aufgestapelt neben den Trümmern der „Bloody Mary“. Der Lieutenant hob zwar noch einmal den Kopf und blinzelte in die Runde, aber das war auch alles, was er für seine Männer tun konnte, denn er sank gleich wieder in sich zusammen.

„So“, sagte der Profos und schüttelte dem Wikinger grinsend die Hand. „Das hätten wir. Damit wäre der Tradition mal wieder Genüge getan. Aber wir gehen am besten gleich in See. Was, wie, Sir?“

„Sehr richtig.“ Der Seewolf schritt zur Theke und beugte sich ein Stück darüber. „Plymmie, wo steckst du denn? Kommst du freiwillig raus, oder müssen wir dich holen?“

Nathaniel Plymson, dem es nun doch gelungen war, sich insgesamt eine Gallone Rotwein einzuverleiben, kroch unter der Theke hervor, richtete sich langsam auf und sah den Seewolf aus geröteten, traurigen Augen an.

„Mußte das sein?“ fragte er weinerlich.

Er wagte erst gar nicht, seinen Blick wandern zu lassen. Die Kneipe glich einem Schlachtfeld, auf dem sich zweihundert Mann gebalgt hatten.

„Es mußte sein“, antwortete Hasard ernst, dann ließ er eine Perle über die Theke rollen, die er wie die Goldstücke, die er nun fein säuberlich aneinanderreihte, aus einem Lederbeutel fischte. „Das ist für die Renovierung, wie üblich.“

„Danke.“ Plymson seufzte. „So will es die Tradition, nicht wahr?“

„Ja.“ Hasard sah ihn über die Theke hinweg an und stellte amüsiert fest, daß sein Gesichtsausdruck sich jetzt verändert hatte. Gierig streckte der dicke Kerl seine fleischigen Finger nach der Perle und dem Gold aus. „Du kannst jetzt schließen, Plymmie“, sagte er noch, dann wandte er sich ab und winkte seinen Männern zu.

Es war tatsächlich besser, Plymouth sofort den Rücken zu kehren, die Schlägerei war im Ort nicht ungehört geblieben. Also begaben sich die Männer an Bord ihrer Schiffe und warfen die Leinen los. Auch Thorfin Njal legte mit „Eiliger Drache über den Wassern“ ab.

Wie richtig ihr Handeln war, konnten die Männer nur ahnen. Denn sie sahen die gut vierzig Soldaten der Stadtgarde nicht mehr, die kurz darauf am Kai zusammenliefen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Schiffe bereits die Reede erreicht, und Plymouth blieb in der Dunkelheit hinter ihnen zurück.

Die vierzig Männer der Garde konnten gerade noch die prächtigen, majestätischen Silhouetten der Galeone und des Viermasters bewundern, die sich im Mondschein auf einer sanften Dünung wiegten, dann legten sich die Schleier des Nebels über die Umrisse, und die „Isabella IX.“ und der Schwarze Segler waren verschwunden.

Seewölfe Paket 16

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