Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 8
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ОглавлениеBereits am späten Nachmittag begann es zu schneien, anfangs nur leicht, aber gegen Abend fielen schon dichte Flocken, die der jaulende Sturm über das Schiff trieb. Die wachegehenden Soldaten nahmen langsam die Gestalten von Weihnachtsmännern an.
An diesem Abend hatte Doc Freemont eine letzte Unterredung mit dem Seewolf gehabt und verabschiedete sich jetzt. Er und Ramsgate durften das Schiff verlassen, die anderen hingegen nicht.
„Setzen Sie sich vorerst nicht zur Wehr, Hasard“, riet er. „Die Männer haben Schießbefehl und werden ihn auch ausführen. Sie warten nur auf eine Gelegenheit. Ich reise morgen in aller Frühe nach London und werde versuchen, diese leidige Angelegenheit zu klären. Zumindest werde ich Lord Cliveden erreichen, den Sonderbeauftragten der Königin. Daß der sich für Sie einsetzt, ist selbstverständlich, Sie haben schließlich einen guten Ruf bei Hofe. Aber was immer Sie auch tun, Hasard, entfernen Sie um Himmels willen nicht das königliche Siegel, und beschädigen Sie es nicht! Denn dann kann der hochnäsige Marquess gegen Sie vorgehen, und darauf scheint er zu warten“, setzte der Doc leise hinzu.
„Wir werden keine Schießereien veranstalten, und das Siegel beschädigen wir erst recht nicht, um diesem Kerl keine Handhabe zu geben. Ich danke Ihnen, Doc, und wünsche Ihnen ein gute Reise. Hoffentlich bessert sich das Wetter bald, sonst wird es eine unbequeme Fahrt.“
„Das bin ich gewöhnt“, sagte der Doc lächelnd, dem Hasard so unendlich viel zu verdanken hatte.
Dann verließ er das Schiff, und keiner der Soldaten hielt ihn auf, als Hasard laut ankündigte, wer da das Schiff verließ. Der Seewolf sah der schlanken Gestalt nach, bis sie im Schneetreiben zerfloß.
Als er nach unten in die Messe gehen wollte, sah er, daß auf dem Schwarzen Segler die kaum sichtbar herüberschimmernden Lichter fast schlagartig erloschen, als hätte der Wind sie ausgeblasen.
Das war das untrügliche Zeichen dafür, daß von drüben mit Besuch zu rechnen war, denn Thorfin und seinen Mannen war nicht entgangen, was sich auf dem Kai abgespielt hatte. Dieses Zeichen war vereinbart worden. Thorfin kam also mit dem Boot, unsichtbar für die Soldaten, und jetzt, bei dem Schneetreiben, sah ihn erst recht niemand.
Die Bordwache hatten Jeff Bowie und Jack Finnegan, und die beiden hatten das Erlöschen der Lichter ebenfalls sofort bemerkt.
„Paßt gut auf“, raunte Hasard den Männern zu. „Offenbar werden Thorfin und Ribault gleich da sein. Laßt sie leise durch die Stückpforte unter das Quarterdeck herein. Ich schicke Bill nach unten.“
„Aye, aye, Sir“, raunte Jack. „Wir passen auf, die Kerle werden bestimmt nichts merken.“
Bill wurde nach unten geschickt und wartete auf das Boot, das etwas später auch fast unhörbar heranglitt. Er sah es erst, als es ganz dicht vor der Bordwand war. Es war mit Taufendern behangen, die das Geräusch dämpften, falls das Boot an die Bordwand stieß.
Jetzt bewährten sich die außen fest angebrachten Stufen, und man brauchte nicht mehr über ausgehängte Jakobsleitern aufzuentern. Die Stufen führten bis dicht unter den Handlauf des Schanzkleides zur Kuhl, dicht neben dem Niedergang zum Quarterdeck.
Diesen Weg nahmen die schweigenden Gestalten jedoch nicht einmal zur Hälfte, denn beim Aufentern hätte sie vielleicht ein scharfes Auge der Soldaten sehen können. Ihre Köpfe tauchten über dem Handlauf des Schanzkleides überhaupt nicht auf. Sie glitten geschmeidig von der Treppe auf die große Rüste, eine riesige Planke, über die die Wanten liefen, und krochen von dort aus durch die hochgezogene Stückpforte. Dahinter stand eine der mattschimmernden Fünfundzwanzig-Pfünder Kanonen, nagelneu, die noch nie eine Eisenkugel ausgespien hatte.
Von dort aus war es nur noch ein Sprung bis zur Messe, wo sich der Großteil der Seewölfe versammelt hatte.
Vier Mann waren erschienen. Thorfin Njal, Jean Ribault und die beiden Söhne des Seewolfs, Hasard und Philip.
„Donner und Doria“, sagte Thorfin, als er an der Back Platz nahm. „Die Kerle haben euch aber ganz schön eingeheizt. Wir haben jeden einzelnen Vorgang genau beobachtet.“
„Ja, das haben sie“, gab Hasard zu.
Die Zwillinge sahen ihren Vater von der Seite her an, tauschten einen Blick miteinander und nickten.
Dann fragte Hasard seinen Vater: „Warum hast du dir das alles gefallen lassen, Sir? Dieser erbärmliche Kerl hat euch regelrecht erniedrigt. Wir glaubten, jeden Augenblick würden die Fäuste fliegen und die Rohre Eisen spucken.“
„Es gibt immer zwei Seiten“, sagte der Seewolf. „Angenommen, wir hätten das getan. Dann würden jetzt in irgendeinem Raum des Schiffes ein paar tote Männer liegen. Vielleicht der Profos, Ferris, Stenmark, Bill oder Will Thorne, vielleicht auch ich und vielleicht auch wir alle zusammen. Auf dem Kai hätten natürlich auch ein paar tote Seesoldaten gelegen. Danach wären vielleicht hundert andere erschienen und hätten den Rest der Mannschaft ebenfalls niedergemacht. Wir drücken uns vor keinem Kampf, im Gegenteil, oft genug fordern wir ihn heraus. Aber jeder muß in gewissen Situationen seine Grenzen kennen. Wir haben unsere gerade abgesteckt. Bisher ist nichts passiert, außer, daß wir an einer Eisenkette liegen und davon kriegt man keine sichtbaren Wunden. Niemand ist verletzt worden, alle leben und grinsen sogar, wie ich sehe, und nun überlegen wir, was wir tun werden. Zufrieden mit der Antwort, Söhnchen?“
„Ja, Dad“, sagte Hasard heiser. „Sehr zufrieden sogar.“
„Und du, Philip?“
„Du bist der Klügere, Sir. Du handelst nicht übereilt.“
„Ihr beide seid noch ein bißchen zu explosiv“, meinte Jean Ribault. „In eurem Alter handelt man spontan, später überlegt man genauer.“
Auch der alte Baumeister Hesekiel Ramsgate nickte verstehend und gab den Seewölfen zu ihrem Verhalten recht. Ein paar Hitzköpfe hätten hier gar nichts ausgerichtet, es hätte nur Schaden gegeben.
„Ich wollte noch mit Ihnen reden, Mister Ramsgate“, sagte der schlanke sehnige Franzose. „Wir haben noch nicht weiter über den Bau der Schiffe gesprochen, die ich in Auftrag geben wollte, weil einfach keine Zeit dazu war.“
„Ich bin froh über jeden Auftrag“, sagte der Baumeister. „Die wirtschaftliche Lage ist nicht gut, und meine Werft wird gemieden. Ich war glücklich, daß ich die ‚Isabella‘ bauen durfte.“
„Ja, da haben Sie Ihre ganze Kunst hineingesteckt“, meinte der Franzose aufrichtig. „Das Schiff ist einmalig konstruiert, ich könnte neidisch darauf werden. In gewisser Weise verstehe ich jetzt, warum der Marquess ein Auge darauf geworfen hat. Weshalb kriegen Sie denn kaum noch Aufträge, Mister Ramsgate?“ fragte Ribault dann.
„Die alte Geschichte, mein Herr. Ich pflege einen eigenen Baustil, und ich kann und will nicht so bauen, wie man mir das zwingend vorschreibt, weil die Konstruktion dann nichts taugt. So baue ich nach meinen Gesichtspunkten und Ansichten weiter und bleibe auf dem Schiff sitzen. Nun, ich muß die Leute bezahlen, die Werft unterhalten, das Holz kaufen und was der Dinge mehr sind, und so jagt eine Pleite die andere. Erst der Bau der ‚Isabella‘ hat mich wieder herausgerissen aus der Misere. Wenn ich Ihre Aufträge kriege, geht es mir eine Weile wieder gut. Danach werde ich die Werft wohl verkaufen oder schließen müssen.“
Alle blickten Ramsgate an, diesen genialen Schiffsbaumeister, der mit seinen hervorragenden Ideen immer wieder auf taube Ohren stieß. Sein Schicksal war ungewiß, und das rührte sie alle, denn gerade seiner Kunst hatten sie viel zu verdanken.
„Wenn Sie hier nichts mehr zu verlieren haben“, sagte Ribault in die entstandene Stille hinein, „dann verlassen Sie England doch, folgen uns in die Karibische See und bauen dort auf der Schlangen-Insel eine neue Werft. Dann hätten wir unseren Baumeister sozusagen im Hause.“
Hasard starrte Ribault an und schüttelte fassungslos den Kopf. Auch die anderen wurden sehr hellhörig.
„Das ist eine Jahrhundertidee, Jean“, sagte der Seewolf begeistert, „das ist das Tollste, was ich seit langem gehört habe. Was halten Sie davon, Mister Ramsgate?“ wandte er sich an den Baumeister.
In Ramsgates Augen glomm ein kurzes Licht auf und seine Rechte fuhr langsam über den sauber gestutzten Bart.
„Schlangen-Insel?“ fragte er lachend. „Ist das jene legendäre Insel, von der Sie mal berichtet haben? Jenes geheimnisvolle Eiland, zu dem Sie öfter segeln?“
„Ja, das ist die Schlangen-Insel“, sagte Hasard.
Ramsgate lächelte noch immer. Der Vorschlag des Franzosen erstaunte ihn, doch dann wurde er immer nachdenklicher.
„Eigentlich“, sagte er leise, „habe ich hier nichts mehr zu verlieren. Meine Frau ist tot, ich bin fast ein alter Mann, und so, wie es aussieht, werde ich mir eines Tages mein Brot als Werftarbeiter verdienen müssen. Oder ich lande im Armenhaus.“
Die anderen heizten gleich die Stimmung kräftig an, denn eine Werft auf der Schlangen-Insel, das wäre schon eine Sache. Ramsgate konnte ihnen eine ganze Flotte aufbauen, eine uneinnehmbare Festung würde sie dann werden, und Ramsgate konnte bauen, wie er wollte, ganz nach Lust und Belieben.
„Armenhaus ist schlimm“, malte der Profos ihm eine düstere Zukunft. „Man hat keinen Menschen mehr auf der Welt, muß hungern und im Winter frieren, verlaust und verdreckt, und wird schließlich krank, ehe man sich zum Sterben niederlegt. Aber auf so einem Inselchen, Mister Ramsgate, unter netten lustigen Menschen, hübschen jungen Frauen, da läßt es sich weit besser leben. Dazu scheint Tag und Nacht die Sonne …“
„Mister Carberry“, sagte Ben Brighton vorwurfsvoll.
„Na ja, eben nur am Tag, aber das langt doch auch“, erzählte Ed ungerührt weiter. „Und da kann man Schiffchen bauen, wie man will, und von wegen keine Aufträge! Und niemand ist da, der ständig über die Konstruktionen meckert und nicht zahlen will. Vielleicht“, meinte der Profos träumerisch, „könnten Sie mir dort ein kleines stabiles Boot bauen, dann kann ich auf meine alten Tage immer zum Fischen rausfahren.“
Jetzt begann auch Ramsgate laut zu lachen, denn den alten narbigen und gebeugt im Boot sitzenden Fischer Edwin Carberry konnte er sich in seiner Phantasie lebhaft vorstellen.
Ramsgate schien schlagartig zwanzig Jahre jünger zu werden. Sein Gesicht nahm eine lebhafte Färbung an, in den Augen blitzte es, etwas wie ein ferner Traum lag darin, der sich nie erfüllt hatte, jetzt aber Wirklichkeit zu werden versprach.
Und dann schlug er plötzlich mit der Faust auf die Back.
„Verdammt!“ rief er begeistert, „Und ob ich das tue! Der Teufel soll mich holen, wenn ich hier in Plymouth wie ein alter Fisch vertrocknen will. Ihr habt mein Wort, Männer, wenn ihr alle einverstanden seid.“
Natürlich waren alle einverstanden, denn Ramsgate genoß das Vertrauen aller Seewölfe. Und so stand der Profos auf und brüllte Mac Pellew an, er solle gefälligst Brandy oder Rum holen, sie alle hätten einen Baumeister zu begießen.
„Warum wollt ihr ihn denn begießen?“ fragte Mac grämlich und mit besorgt zerfurchtem Gesicht. „Gebt ihm doch lieber was zu trinken.“
„Oh, du aufgegeiter Hering“, stöhnte der Profos. „Natürlich wollen wir ihn nicht direkt begießen.“
„Hast du aber gesagt“, beharrte MacPellew.
„Manchmal sagt man schon mal was!“ schrie Ed. „Werd’ jetzt bloß nicht so spitzfindig wie der Kutscher, du quergeriggte Bilgenlaus.“
„Solche Viecher gibt’s gar nicht“, maulte Mac und verschwand, um Nachschub zu holen.
Anschließend, aus Jean Ribaults Vorschlag war jetzt ein fester Entschluß des Baumeisters geworden, begann man seinen „Einstand“ zu feiern, und der Profos verlieh ihm den Titel eines Schiffbaumeisters der Karibischen See, obwohl bis dahin noch gut eine Weile vergehen würde.
„Was wollt ihr jetzt unternehmen?“ fragte der Wikinger. „Wollt ihr euch von diesem Specht aushungern lassen, oder was? Da kommt ein Lausekerl daher und nimmt euch einfach die Freiheit. Und bis dieser Lord Dingsbums hier ist, kann eine Weile vergehen, wenn er überhaupt erscheint. Und wenn eurem Arzt etwas zustößt, was dann?“
„Das Maß ist voll“, sagte Hasard zur Überraschung der anderen ganz ruhig. „Ich denke nicht daran, hier liegenzubleiben und auf die Ewigkeit zu warten. Wir waren immer freie Männer, und wir bestimmen auch weiterhin, wann, wie und wohin wir segeln. Wir haben das Blutvergießen vermieden, das war wichtig. Jetzt lassen wir uns nicht länger auf der Nase herumtanzen, ich bin von diesen Machenschaften restlos bedient.“
„Wir wollen wirklich abhauen, Sir?“ fragte Ben. „Und das Siegel? Und die Bewacher da oben?“
„Das amtliche und damit königliche Siegel ist ein Problem“, gab der Seewolf zu, „auch wenn es unrechtens erfolgt ist. Die Bewacher dagegen sind kein Problem, das kriegen wir schon hin.“
„Verdammt noch mal!“ rief Ferris Tucker begeistert und sprang auf. „Jetzt müssen wir uns nur noch einen Trick einfallen lassen.“
Carberry hatte schon einiges intus. Die Aussicht auf einen Durchbruch beflügelte seinen Geist, und damit der noch stärkere Flügel erhielt, kippte er sich vorsichtshalber gleich noch ein paar Brandy rein.
Dann überlegte er angestrengt. Es gab scheinbar keinen Weg, sich um das amtliche Siegel herumzumogeln.
„Brüllt nicht so laut vor Begeisterung“, warnte der Seewolf, „oben am Kai lauschen viele Ohren, und es darf nichts durchsickern.“
Vorschläge wurden unterbreitet, wieder verworfen. Hasard hatte zwar einen, doch das war auch so eine Sache mit Haken und Ösen, und das Siegel oder zumindest eines davon wurde sicher beschädigt.
„Wir haben vierundzwanzig bewaffnete Männer gegen uns“, sagte er in die jetzt wieder ruhiger gewordene Runde. „Die müssen in einem blitzartigen Angriff ausgeschaltet werden. Dabei wollen wir nach Möglichkeit keine Toten hinterlassen. Wir sind fast gleich stark, wenn man davon absieht, daß die Soldaten Musketen haben.“
„Dabei helfen wir natürlich“, sagte Thorfin, der für jede Art Hauerei immer gleich zu begeistern war. „Wir rudern bei Nacht und Nebel mit ein paar Leuten an Land und rollen die Burschen von der anderen Seite her auf. Das geht zackzack“, versprach er.
„Gut, das sprechen wir später noch genauer durch. Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als die Kette mit ein paar gewaltigen Hieben zu zerschlagen. Doch was ist mit dem Siegel?“
„Dabei wird das Siegel doch gar nicht beschädigt“, meinte Ed. „Wir hauen die Kette in der Mitte durch. Ein Siegel bleibt am Poller, das andere haben wir an Bord. Ist doch prächtig, was, wie?“
Die Begeisterung war kaum noch zu bremsen, doch Hasard wollte auch keinen Übereifer wecken. Es mußte alles genau durchdacht werden. Immerhin mußten sie ja auch noch an der Flotte des Marquess vorbeisegeln, um die offene See zu gewinnen.
„Das zurückgelassene Siegel wird ganz sicher beschädigt oder entfernt werden, sobald wir flüchten“, prophezeite der Seewolf, „dafür wird schon der Marquess oder ein anderer sorgen. Dann können sie uns den Siegelbruch vorwerfen und anhängen.“
Der Profos sah Hasard an und zeigte jenes schlitzohrige Grinsen, das alle so gut an ihm kannten. Entweder spielte er dann den frommen unschuldigen Pilger, oder er hatte etwas in petto.
„Der ehrenwerte durchlauchte Lümmel wird gar keine Gelegenheit haben, das Siegel zu beschädigen“, erklärte er grinsend. „Wir schlagen die Kette durch, dazu haben wir einen kräftigen Schmied. Väterchen wird das …“
„Nenn mich noch einmal Väterchen wie dieser Lümmel“, drohte Shane, „dann wirst du was erleben. Du bist wohl auch scharf auf eine Cornwallsche Kopfnuß, he?“
„Streitet euch nicht, ihr Hammel“, sagte Ferris Tucker. „Erzähl mal weiter, Ed. Wie stellst du dir das vor?“
„Ganz einfach. Shane und ich oder ein anderer zerdeppern die Kette. Und Ferris wird dann ein bißchen sägen.“
„An der Kette?“ fragte der Schiffszimmermann ungläubig.
„Quatsch.“ Der Profos hatte schon fast einen zuviel. „An dem Poller natürlich, an dem die Kette hängt.“
„Und dann?“
„Dann sägst du noch ein bißchen an der Holzpier rum und wir nehmen den ganzen Krempel mit. Dann haben wir beide Siegel unbeschädigt an Bord, und was können wir dafür, daß die Kette kaputtging?“
„Toll“, sagte Hasard anerkennend, „wirklich toll, Ed. Den Schaden bezahlen wir später aus eigener Tasche, der ist gering.“
„Noch was“, sagte der Profos etwas mühsam. „Wir müssen die Siegel natürlich sehr gut aufbewahren, denn ihnen darf nichts geschehen. Deshalb ernennen wir Old O’Flynn zum Siegelbewahrer. Na, ist das ein Titel, du altes Rauhbein? Königlicher Siegelbewahrer, darauf kannst du dir aber mächtig was einbilden.“
„Auf was warten wir noch?“ schrie Luke Morgan angriffslustig. „Nichts wie nach oben und die Kerle zur Brust genommen. Und dann ab!“
„Sehr gute Idee“, sagte Hasard. „Aber die führen wir erst in der nächsten Nacht durch, gegen Morgen, wenn die Kerle müde und dösig werden. Heute geben wir den armen Soldaten eine Runde heißen Rum aus, als Entschädigung für die Beulen, die sie morgen haben werden. Und wir werden sie auch nicht zusammengeschlagen auf dem Kai liegen lassen, wir verfrachten sie auf die ‚Hornet‘, damit sie nicht erfrieren.“
„Ist das dein Ernst mit dem heißen Rum, Sir?“ fragte der Kutscher.
„Natürlich. Die Soldaten selbst sind doch arme Hunde, die vom Marquess gezwungen werden. Frage den Hauptmann, ob er und seine Kerle einen heißen Rum haben möchten.“
Der Kutscher tat, wie ihm geheißen und erkundigte sich an Deck mit freundlichen Worten, wie Hasard ihm aufgetragen hatte.
Doch der Hauptmann war ein ausgesprochener Rüpel und brüllte ihn an: „Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich, he? Euer heißer Rum ist nichts anderes als Gift, und danach sind wir alle tot. Wag nicht noch einmal, so dämliche Fragen zu stellen, du Halunke.“
Dem Kutscher stieg die Galle hoch. Er hatte mit wohlgesetzten Worten und freundlich gefragt und erhielt diese Antwort.
„Leck mich doch, du abgewrackter Hampelmann!“ fluchte er zurück.
„Der Kutscher kann ja auch fluchen“, sagte Ed staunend, „und wie! Aber du hast ganz recht, das ist eine miese Bilgenratte, und es wäre ein Jammer, dem Kerl auch noch heißen Rum zu geben.“
„Dafür kriegt er zwei Ohrfeigen mehr“, versprach Hasard. „Und zwar von mir persönlich, allein wegen dieser Unterstellung, wir würden heimtückisch jemanden vergiften. Es bleibt also dabei, wir besprechen jetzt die näheren Einzelheiten und brechen in der nächsten Nacht durch.“
Thorfin Njal rieb sich in der Vorfreude darauf seine mächtigen Hände und steuerte eine weitere Idee bei.
„Ich bin um die verabredete Zeit da, und zwar mit zehn Mann. Sobald wir die Kerle zusammengedroschen haben – deine Königin wird dir das verzeihen, schließlich ist sie durch dich reicher geworden –, pullen wir sofort wieder an Bord zurück und gehen augenblicklich ankerauf. Das heißt, das können die anderen inzwischen erledigen, und wir pullen dem Schiff nach. Wir müssen eher auf See sein als ihr, das ist vor allem wichtig.“
„Das verstehe ich nicht ganz“, sagte Hasard.
„Das ist so“, erklärte der Wikinger. „Ich möchte gern draußen vor der Bucht ein wenig rumkrebsen, denn wenn deine Flucht bemerkt wird, folgt dir das ganze Geschwader von Torfkähnen. Sollen sie ruhig von mir denken, ich wäre ein seemännischer Trottel, aber dieses Späßchen will ich auskosten. Ich krebse vor denen so hilflos und dämlich herum, daß sie alle Mühe haben, dir zu folgen. Bei Odin, was werden diese lausigen Tranköpfe mich verfluchen! Und ich werde mich in mein Sesselchen setzen und mich krank lachen. Und ich wette mit dir, Hasard, daß ein oder zwei dieser lausigen Nachttopfsegler mit meinem Schiffchen kollidieren, und das wird ihnen verflucht gar nicht gut tun. Einverstanden?“
Eine riesige Pratze ergriff Hasards Hand und schüttelte sie. Und noch bevor der Seewolf sein „Einverstanden“ sagen konnte, da begann der bärtige Riese so schaurig zu lachen, daß selbst Ramsgate um die Stabilität des Schiffes zitterte.
Aber sein Gelächter wirkte anstekkend, und weil sie alle für derbe Späße dieser Art zu haben waren, lachte bald die ganze Mannschaft immer wilder und unbändiger.
Und je mehr und lauter sie lachten, desto saurer wurden die Gesichter der Soldaten, ganz besonders das des Hauptmanns, der sich ernsthaft fragte, ob diese Kerle noch normal waren. Durften nicht an Land, wurden hier sozusagen unter Hausarrest gehalten und hatten nichts anderes zu tun, als an Bord wilde Feste zu feiern. Und trotz ihrer hoffnungslosen Lage waren sie fröhlich und guter Dinge.
Der Teufel sollte aus diesen Kerlen schlau werden.
Durch das dichte Schneetreiben sah auch keiner der Soldaten, wie ein paar Stunden später wieder zwei Gestalten heimlich das Schiff verließen und davonpullten.
Gleich darauf wurden sie vom Schneetreiben und der Finsternis verschluckt.