Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 7

3.

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Am anderen Morgen bewegte sich eine reichlich merkwürdige Prozession über den Ausrüstungskai, an dem die „Isabella“ lag.

Für die Seewölfe war es keine Überraschung, sie hatten mit etwas Ähnlichem gerechnet, jedoch nicht mit diesem großkotzigen Aufwand, den der Marquess ihretwegen trieb.

Er hatte es sich in seinen verbohrten Schädel gesetzt, dieses Schiff in seine Gewalt zu bringen, und davon hielt ihn nichts mehr ab.

Hintereinander rollten drei Kutschen über das holprige Pflaster. Den Kutschen folgten zwei Fuhrwerke und den Fuhrwerken weitere Seesoldaten des Marquess Henry of Battingham.

Der ersten Kutsche entstiegen der noch etwas lädiert und blaß wirkende Marquess, das Gesicht voller Schönheitspflästerchen, weil ihn da Hasards eisenharte Faust erbarmungslos getroffen hatte. Dem Marquess folgten der Stadtvogt, der Hafenkommandant, der Friedensrichter, dem man offenbar eine Vermittlerrolle zugedacht hatte, und etliche andere Vertreter des Gesetzes, die teils finster, teils verlegen zu Boden blickten. Aus der letzten Kutsche stiegen die Kapitäne der Galeonen, die zum Geschwader des Marquess gehörten.

Was auf den Fuhrwerken allerdings lag, vermochte der Seewolf nicht zu erkennen, sie hielten gebührenden Abstand. Die Soldaten nahmen neben den Fuhrwerken Aufstellung, als bewachten sie einen Goldschatz.

Etwas geziert gehend ließ sich der Marquess dazu herab, bis dicht vor dié „Isabella“ zu treten. Zu seiner Rechten und Linken gesellten sich der Stadtvogt und der Friedensrichter.

Hasard und seine Männer blickten der Abordnung eisig entgegen, obwohl sich die anderen um allergrößte Liebenswürdigkeit bemühten. Es würde das übliche werden, dachte der Seewolf, anfangs waren sie katzenfreundlich, dann wurden sie ruppig, und schließlich drohten sie mit allerei Repressalien, wenn Sir Hasard sich nicht fügen würde.

„Ähmm – es ist unangenehm kalt hier“, sagte der Marquess hüstelnd und nickte dem Seewolf zu.

„In der Tat“, gab Hasard zu, „der Wind ist recht eisig. Ich hätte die ehrenwerten Herren ja auch liebend gern in meine Kammer gebeten, aber sie ist leider noch nicht fertig. Der Grund ist der Mangel an gewissen Dingen, die man uns leider vorenthält.“

Den Marquess verdroß das sehr, daß der Seewolf sie eiskalt „draußen“ stehen ließ. Im übrigen hatte er aber noch nicht einmal für nötig befunden, den Grund seines Besuches anzudeuten, der den Seewölfen ja ohnehin längst bekannt war. Also schalteten sie anfangs auf freundliches und ablehnendes Bedauern zugleich.

„Verehrter Sir Hasard“, sagte der Marquess so freundlich, daß es die Seewölfe bis in die Sohlen ihrer Stiefel erschütterte. Er sagte tatsächlich „Verehrter Sir Hasard“, niemand hatte sich verhört. „Es gab ein paar unredliche Worte zwischen uns, die, so hoffe ich, sich inzwischen erledigt haben. Man muß auf beiden Seiten nachsichtig sein.“

Paddy Rogers, der neben Smoky stand und seinen Gehirnkasten anstrengte, um das Gehörte zu verdauen, stieß den Decksältesten fragend an und flüsterte leise: „Waren das denn unredliche Worte, Smoky? Ich dachte, der verehrte Sir Hasard hat diesem Schelm die Faust auf die Nase gesetzt und ihn halbtot geprügelt. Und das nennt der unredliche Worte.“

„Das ist sozusagen ein Gespräch auf höherer Ebene“, erwiderte Smoky, „da gibt man nicht einfach zu, daß man sauer aufeinander ist und der eine dem anderen was in die Schnauze geschlagen hat. Da drückt man sich eben vornehmer aus.“

„Dann hat er ihm also unredlich was aufs Maul gegeben?“

„Genau so war es, Paddy. Aber jetzt halt mal deinen Schnabel, sonst muß ich auch unredlich werden.“

Hasard blieb abwartend, kühl und überlegen stehen, ein riesiger schwarzhaariger Kerl, gegen den der Marquess verkümmert und mickrig wirkte. Der Seewolf gab auch vorerst keine Antwort, er hörte sich den ganzen Sermon gelassen an. Noch war es nicht die Zeit, um explosiv zu werden und aus der Haut zu fahren.

„Tja, ähmm, es ist nun an der Zeit, eine gütliche Einigung zwischen uns zu treffen. Ich will Ihnen auch nicht verhehlen, daß ich in geheimer und eiliger Mission hier bin. Ein dringlicher Auftrag Ihrer Majestät sozusagen.“

„Dafür habe ich Verständnis“, sagte Hasard. „Wenn diese Mission aber so eilig ist, verehrter Marquess, warum zögern Sie dann so lange? Sie hätten längst auslaufen müssen. Ihre Majestät schätzt Verzögerungen bei eiligen Missionen nicht sonderlich.“

Der Hieb traf den Marquess zwar hart, aber er hatte eine Antwort.

„Im Grunde genommen sind Sie daran schuld“, sagte er und drohte Hasard ein wenig vorwurfsvoll mit dem behandschuhten Zeigefinger. „Sie wollten Ihr Schiff ja nicht ausliefern. Durch ein Unglück ist eine meiner Galeonen leider verbrannt.“

„Auch dafür haben Sie mein volles Verständnis“, sagte Hasard, „und aus eben jenem Grund bot ich Ihnen die ‚Hornet‘ an, eine seetüchtige Galeone, die da drüben liegt. Was hätten Sie denn getan, wenn ich jetzt zufällig kein Schiff gebaut hätte, verehrter Marquess? Dann wäre vermutlich Ihre ganze Mission gescheitert.“

Der Marquess blies die Wangen auf und schluckte. Es schien für ihn sehr schwierig zu sein, darauf eine Antwort zu finden, und so begann der erste Teil seiner Beherrschung langsam abzublättern wie alte Farbe.

„Spitzfindigkeiten, Spitzfindigkeiten sind das. Darum geht es doch gar nicht. Es geht um …“

Sein Mund blieb offen, als er Arwenack sah, den Bordschimpansen, der wegen der Kälte dickes Leinenzeug trug und aus der Ferne verblüffend einem Schiffsjungen ähnelte. Arwenack lief gerade aus der Kombüse und trug mit schaukelndem Seemannsgang eine Kokosnußhälfte in den Händen. Damit wollte er wahrscheinlich zur Messe. Als er jedoch die Abordnung an Land sah, blieb er stehen, und jeder der Seewölfe verwettete das Schiff darauf, daß Arwenack diese Abordnung ebenso unsympathisch fand. Er spürte deutlicher als Menschen Zuneigung oder Abneigung. Übertraf die Abneigung einen gewissen Punkt, dann feuerte er mit dem, was er gerade in die Hände kriegte.

Carberry verhinderte das Unglück gerade noch.

„Um Himmels willen“, stöhnte er unterdrückt, „du wirst doch dem Kerl die Nuß nicht an die durchlauchte Hirnschale feuern!“

Das daraufhin einsetzende Grinsen über Eds sonderbare Ausdrücke vermochte sich der Marquess nicht zu erklären, aber zum Glück bezog er es nicht auf sich persönlich.

Carberry brachte den Schimpansen schnell zur Messe, wo auch der Aracanga Sir John hockte und bei Eds Eintreten einen ellenlangen, obszönen Fluch vom Stapel ließ. Gelernt war eben gelernt, und der Lehrmeister sauste sofort wieder an Deck zurück.

„Ich brauche das Schiff“, erklärte der Marquess jetzt drastischer. „Und ich kann meine kostbare Zeit nicht länger verplempern. Trotzdem werden wir versuchen, uns gütlich zu einigen.“

Hasards Augen wurden langsam schmal. Er sah den frierenden Marquess und all die anderen ehrenwerten Herren, deren Gesichter vor Kälte langsam bläulich anliefen. Sie wollten das Verfahren abkürzen, denn vor der Kälte schützte auch eine durchlauchte Haut nicht.

„Und ich verwies Sie bereits ein paarmal auf die ‚Hornet‘, die sich in einwandfreiem Zustand befindet. Wir wollen auch nicht weiter hin und her reden, verehrter Marquess, denn das führt zu nichts. Ich gebe das Schiff nicht her, trotz aller schönen Worte nicht. Das ist, wie ich schon einmal erwähnte, meine letzte und endgültige Entscheidung in diesem Fall, und ich fühle mich nicht verpflichtet, Ihnen die Gründe darüber klarzulegen.“

„Ich requiriere hiermit aber das Schiff!“ schrie der Marquess. „Hier und auf der Stelle! Im Namen der Königin!“

„Sie haben nichts Schriftliches“, sagte Hasard kalt. „Auch ich kann mich auf die Königin berufen. Wir haben unseren Anteil der Krone immer abgeliefert, und aus dem uns zustehenden Rest haben wir dieses Schiff alle zusammen finanziert. Jetzt ist das Schiff fertig, und wir werden damit in See gehen. Sollten Sie mir jedoch ein Pergament mit dem königlichen Siegel zeigen können, das Sie ermächtigt, dieses Schiff in Ihre Flotte einzureihen, dann werde ich mich selbstverständlich dem Wunsch Ihrer Majestät beugen und gehorchen.“

Die Männer auf dem Kai wurden immer unruhiger. Die Kapitäne der Galeonen sahen verbiestert vor sich hin, während der Friedensrichter die Hände rang und voller Leid stöhnte.

„Sir Hasard!“ rief er. „So einigen Sie sich doch. Vielleicht erhalten Sie Ihr Schiff nach der Mission des Marquess wieder zurück. Wir versuchen, einen gütlichen Weg zu finden, der beiden Teilen gerecht werden kann.“

„Sprechen Sie nicht mehr von Gerechtigkeit, Friedensrichter“, sagte Hasard schroff. „Die ist längst aus Plymouth geweht, seit der edle Herr ein Auge auf die ‚Isabella‘ geworfen hat.“

„Aber bedenken Sie seine Reputation bei Hofe“, sagte der Friedensrichter,

„der Marquess gehört Kreisen an …

„Die sich alles herausnehmen können oder das jedenfalls glauben. Und bei aller Reputation haben Sie noch nicht einmal eine königliche Schriftrolle vorzuweisen. Sehen Sie das, wie Sie wollen, Friedensrichter. Ich sehe es von der Seite, daß sich der Marquess mit aller Gewalt in dieses Schiff verbissen hat wie ein störrisches Kind.“

„Wie wagen Sie den durchlauchten Marquess zu benennen!“ schrie nun der Stadtvogt. „Reden Sie ihn gefälligst mit den Titeln an, die ihm auch zustehen.“

„Aber gewiß doch“, sagte Hasard höhnisch. Und nun erlebten die Seewölfe ihren Kapitän einmal anders, allerdings so hohnvoll, daß die anderen rot anliefen.

„Verzeihen Euer Gnaden untertänigst“, sagte Hasard, „aber ich beliebe keinesfalls dem ehrenwerten vortrefflichen Herrn mein Schiff auszuliefern. Halten zu Gnaden, Sir. Mein Allervortrefflichster wird sich nun wohl hinwegbemühen müssen und seinen durchlauchten Leib in die Kutsche schwingen, denn es gibt nichts mehr zu besprechen. Halten zu Gnaden, Sir, auch wenn Euch nicht der Schalk im Auge sitzt.“

Der Marquess, der sich verhohnepiepelt fühlte, lief knallrot an.

„Das ist ja nur ein Haufen aufrührerischer und pöbelnder Halunken!“ schrie er voller Wut. „Das Maß ist jetzt voll! Voll, sage ich!“

„Voll sagt er“, wiederholte Smoky grinsend.

„Ganz voll!“ bestätigte auch Blakky und grinste genauso wie all die anderen.

„Wir werden Ihren Willen brechen, Killigrew!“ brüllte und tobte der Marquess weiter. „Und zwar mit Gewalt!“

„Halten zu Gnaden, Sir“, sagte Hasard höhnisch. „Das Schiff kriegen Sie aber nur über zwei Dutzend tote Männer der ‚Isabella‘, ganz zu schweigen von den mindestens drei Dutzend auf Ihrer Seite, durchlauchter ehrenwerter Herr.“

Oben riefen die Kapitäne empört durcheinander, der Stadtvogt schrie sich die Kehle heiser, der Friedensrichter brüllte herum, und dem eitlen Marquess stand die Wut so im Gesicht, daß er einem Ohnmachtsanfall verdächtig nahe war.

„Soldaten verteilen!“ brüllte er mit überkippender Stimme. „Haltet die Kerle in Schach! Nehmt Aufstellung, bringt die Wagen herüber!“

Hasard drehte sich zu seinen Männern um.

„Weg von der Drehbasse, Stenmark!“ befahl er leise. „Keine Gewalt vorerst, sie werden nicht schießen, sie wollen uns nur einschüchtern, mehr steckt nicht dahinter.“

„Wie soll das enden, Sir?“ fragte Stenmark erbittert.

„Das werden wir gleich sehen, ich habe da eine Vermutung.“

Als die beiden Fuhrwerke über den Kai rumpelten, besprachen sich der Vogt, ein paar Gesetzesobere und der Marquess miteinander, und alle nickten gewichtig mit den Köpfen.

Dann trat der Vogt vor und warf sich in die Brust.

„Es wird hiermit verfügt“, schrie er so laut, daß man es bis in den letzten Winkel des Schiffes hören konnte, „daß dieses Schiff unter verschärfte Bewachung gestellt wird! Aufgrund der besonderen Vollmachten des ehrenwerten Marquess of Battingham und damit im Namen Ihrer Majestät, der Königin von England, wird weiter verfügt, daß dieses auf den Namen ‚Isabella‘ benannte Schiff an die Kette gelegt wird. Das ist ein amtlicher Erlaß. Es wird weiter eine Ausgangssperre verhängt. Die Mannschaft einschließlich ihres Kapitäns darf das Schiff nicht mehr verlassen. Es ist ihm auch verboten, auszulaufen!“

„Aber auf dem Wasser schwimmen, das darf es doch?“ fragte Matt Davies unschuldig. „Oder ist das auch verboten?“

„Was? Zum Teufel, stören Sie hier keine Amtshandlung mit Ihren dummen Fragen! Und Ihnen, mein lieber Killigrew, möchte ich eins besonders klar sagen: Dieser Vorgang hat nicht etwa symbolische Bedeutung. Ihr Schiff wird wirklich an eine Kette gelegt, verbolzt und versiegelt. So lange, wie der Marquess es anordnet. Notfalls wird man Sie aushungern.“

Hasard hatte keine Lust mehr, sich mit diesen Einfaltspinseln und Wichtigtuern herumzustreiten. Aber er wirkte nur scheinbar resigniert, in Wahrheit war er das nicht.

Er sah spöttisch auf die Musketenläufe, die auf die Mannschaft gerichtet waren, dann sah er den Vogt an.

„Die Angelegenheit geht früher oder später in die Hose, mein lieber Vogt“, sagte er fast gemütlich. „Vielleicht haben Sie sich ein wenig übernommen und werden sich dabei die Hosen bekleckern.“

„Ich – ich bin eine Amtsperson“, murmelte der Vogt kläglich, „und ich muß Befehlen gehorchen.“

„Auch Amtspersonen haben sich schon in die Hosen geschissen“, sagte Carberry, der es wieder einmal nicht lassen konnte. „Und dann waren sie voll und keiner hat sie gewaschen.“

Der Vogt drehte sich kleinlaut um und verschwand. Aber nach einem Blick auf den zornigen, vor Wut fast berstenden Marquess brüllte er sogleich wieder Befehle.

„Bringt die Ketten ans Schiff!“ befahl er.

„Also hat dieser Halunke das schon vorher gewußt“, meinte Hasard. „Die Kette hat er gleich mitgebracht. Es ist nicht zu fassen.“

„Ich verstehe nicht, wie du noch so ruhig bleiben kannst, Sir“, meinte der Profos mit halberstickter Stimme. „Wenn wir auf die Pier springen und es diesen Lümmeln mal so richtig besorgen, dann …“

„Dann haben wir ein paar Tote an Bord, und bei den anderen fallen auch einige um. Was willst du eigentlich, Mister Carberry – bist du nervös, oder hast du keine Zeit mehr? Kannst du nicht abwarten? Es geschieht doch nichts weiter, als daß man unser Schiffchen an eine Kette legt. Das reibt unsere eigenen Leinen nicht durch und spart Geld.“

Der Profos sah den Seewolf total verblüfft an.

„Aber, Sir – äh – auf diese lausige Tour haben wir noch nie Geld gespart, so nötig haben wir es gar nicht.“

„Haben wir genug Proviant, Mister Carberry?“

„Reichlich, jede Menge, Sir.“

Eds ratloses Gesicht belustigte den Seewolf immer mehr.

„Und Wasser, Mister Carberry?“

„Auch jede Menge.“

„Wie steht es mit Rum?“

„Alles da.“

„Dann ist doch alles in Ordnung. Dann können wir hier doch tagelang Bordfeste feiern und uns vergnügen. Zwischendurch bringen wir die Kleinigkeiten in Ordnung, zimmern hier und da noch ein bißchen, holen unauffällig meine Söhne, und dann …“

„Und dann?“ fragte Ed gespannt.

„Ganz einfach“, sagte Hasard verschmitzt lachend, „eines Tages rostet die Kette durch, und wir schwimmen weg.“

„Eines Tages, Sir?“ wiederholte der Profos fassungslos, „so eine Kette hält jahrelang, das weiß ich. Sieh dir das Ding mal an, da schleppen ja mehr als zwanzig Männer dran.“

Hasard klopfte seinem immer noch fassungslos stierenden Profos freundschaftlich auf die Schulter und wandte sich interessiert den Dingen zu, die auf dem Kai vor sich gingen.

Die einzigen, die nicht froren, waren die Knechte und Soldaten, die ein Monstrum von Kette aus den Fuhrwerken holten und es jetzt keuchend über die Katzenköpfe schleiften.

Allen anderen klapperten die Zähne, liefen die Gesichter blau an, denn der Wind pfiff jetzt heulend heran und wurde immer eisiger.

„Der Kutscher soll eine Kanne heißen Rum an Deck bringen“, sagte Hasard zu Bill, der gleich losflitzte.

Etwas später hielten sie die heißen dampfenden Mucks in den Händen und tranken verdünnten Rum mit Rohzucker und Gewürznelken, während den bewachenden Seesoldaten die Zunge zum Hals heraushing.

Die Kette wurde weitergeschleift und geschleppt, und dann folgte der Gipfel der Frechheit.

„Sir“, sagte der Vogt fast unterwürfig, „könnten Sie nicht für eine kurze Zeit eine der Kammern zur Verfügung stellen, damit die Herrschaften sich wärmen können?“

Diesmal war Hasard so verblüfft, daß er erst einmal tief Luft holen mußte. Das war doch nun wirklich der Gipfel.

Ben Brighton stand zähneknirschend daneben.

„Sollen wir für die ehrenwerten Herren auch ein warmes Essen bereiten lassen?“ erkundigte er sich ernst. „Vorab heiße Brühe vielleicht, anschließend dann heißen Rum mit Rohzucker.“

„Das – das wäre fast zuviel verlangt, Sir“, meinte der Vogt.

Carberry hörte ebenfalls belustigt zu.

„Dieser Rohzucker ist faustgroß“, sagte er honigsüß, „wir könnten ihn dem ehrenwerten Marquess nach dem Essen vielleicht in den erlauchten Achtersteven blasen, was, wie? Du Rübenschwein!“ brüllte er dann plötzlich, daß sogar Hasard zusammenzuckte vor der lauten Wildheit. „Diesem feinen Affenarsch ist wohl das Licht in seiner erlauchten Birne ausgeblasen worden, was, wie? Und du schämst dich nicht und trittst hier als Bittsteller für die Kaltärsche auf, du Kanalrattenvogt, du?“

Diesen Titel hatte der Stadtvogt von Plymouth zwar noch nicht vernommen, aber der Profos war im Erfinden solcher Titel äußerst großzügig und verlieh sie frei Schnauze.

Der neuernannte „Kanalrattenvogt“ raste vor der aufgebrachten Wildheit des Narbenmannes mit einem Schrei des Entsetzens davon und blieb erst nach ein paar Yards stehen.

Hasard schüttelte den Kopf über soviel Unverfrorenheit. Die Kerle waren ja schlimmer als die lausigsten Bastarde!

„Ihr könnt das Schiff ruhig an die Kette legen“, sagte er, „aber wagt euch nicht an Bord, denn da hört eure Befehlsgewalt auf, da bin ich der Herr. Und von so ehrenwerten Lumpen lasse ich mir nicht die sauberen Planken versauen.“

Matt Davies, Batuti, Smoky und Gary Andrews sahen interessiert zu, wie die Männer die schwere Kette keuchend schleppten. Ein paar der Seewölfe, die sich über die Gelassenheit ihres Kapitäns wunderten und darüber, daß er das alles so einfach hinnahm, waren nach unten gegangen und hielten sich in der Messe, der Kombüse oder den anderen Räumen auf, denn niemand konnte sich so richtig sattsehen an der neuen „Isabella“ mit ihren zahlreichen Einrichtungen.

Oben gingen die Arbeiten weiter. Die Kette wurde um den Eichenpoller gelegt und verbolzt.

„Wo ist der Schmied?“ brüllten die Soldaten.

Der Schmied war nicht zu finden, wahrscheinlich hatte er sich bei der Kälte wieder auf den Heimweg gemacht oder sich in einem der Schuppen verkrochen.

Ein Schmied war allerdings da, nämlich der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack, Big Old Shane, der die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt hatte und dem Treiben mit stoischer Gelassenheit zusah.

„Ihr habt doch sicher Holzkohle für Schmiedefeuer an Bord“, fuhr ihn einer der Soldaten barsch an. „Los, Kerl, setzt dich in Trab. Und wenn ihr einen Amboß habt, kannst du den auch gleich mitbringen.“

„Einen Hammer auch?“ fragte der graubärtige Riese gähnend.

„Alles, was man braucht, um eine Kette zusammenzuschmieden. Aber schnell, Väterchen, das kannst du selbst tun, du siehst kräftig genug aus.“

Das „Väterchen“ ging dem bärtigen Riesen runter wie traniges Öl von vergammelten Walen.

„Man sagt mir jedenfalls nach, daß ich kräftig sei“, erklärte Shane gelassen. „Ich zeig’s dir gern mal!“

„Na, dann fang mal an, Väterchen!“

„Väterchen“ Shane holte nur einmal kurz aus. Aber hinter seinem Schlag saß immer noch die alte Kraft von früher. Und „Väterchen“ hatte nicht nur Waffen geschmiedet, der war auch für die Gäule und deren Hufeisen zuständig gewesen, und man sagte ihm nach, daß er einen störrischen Gaul mit einigem Kraftaufwand umgeworfen hätte.

Der Soldat wog viel weniger als ein Gaul, dafür flog er aber auch um so weiter, als die Riesenfaust ihn traf.

„Väterchen“ Shane verschränkte wieder lässig die Arme über seinem riesigen Brustkasten und sah dem Kerl nach, der sich wie ein Artist pausenlos überschlug, über die Katzenköpfe fegte und schließlich unter dem Fuhrwerk liegenblieb.

„Jaja“, sagte Old O’Flynn grinsend. „da weht eine Bö, und schon fliegt so ein Rotzlöffelchen einfach davon. Diese jungen Windelpisser glauben anscheinend, wir gehören zum alten Eisen, was?“

„Ja, das scheinen sie zu glauben“, sagte Shane sinnend. „Aber altes Eisen muß nicht unbedingt brüchig sein, das verändert manchmal nur die Farbe, aber im Kern bleibt es hart. Hat das einer von den anderen Kerlen gesehen?“

„Bestimmt nicht“, versicherte Donegal. „Die sind doch alle so sehr beschäftigt.“

Anscheinend hatte wirklich niemand diesen Zwischenfall bemerkt, denn die feinen Herren hatten sich frierend in ihre Kutschen zurückgezogen und genossen von dort aus schnatternd ihren Triumph, dem Seewolf Killigrew eins ausgewischt zu haben.

Dort spann auch der Marquess seinen Faden vom Staatsfeind weiter, als den er den Seewolf verdächtigte, und erkundigte sich, ob man den Kapitän nicht aufgrund dieser Tatsache in den Kerker stecken könne.

Wieder hatten die Stadtoberen alle Mühe, ihm diesen Spleen auszureden, denn mittlerweile war ja landesweit bekannt, daß Killigrew und seine Männer eben keine Staatsfeinde waren.

An diesem Tag in der Kutsche zog auch ein etwas unruhiges Flackern in das Herz des Marquess ein, und er fragte sich insgeheim beklommen, ob es da später nicht doch noch Schwierigkeiten geben mochte.

Ach was, er war der Sohn eines Duke, es konnte gar nichts passieren, denn hinter ihm stand ein mächtiger Name, und wer würde schon wagen, einen Marquess anzuklagen?

Daraufhin beruhigte er sich wieder.

Eine halbe Stunde später erschien verärgert der Schmied, der für einen äußerst kargen Lohn die Kettenglieder zusammenschmieden mußte und deshalb seine wärmende Hütte verlassen hatte.

Er tat seine Arbeit nur widerwillig und mißmutig und beschwerte sich lautstark bei dem Corporal, dem schließlich der Gaul durchging.

„Was meckerst du hier dauernd?“ fluchte der erbost.

„Eure Kerle pennen!“ schrie der Schmied. „Unsereins muß arbeiten. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?“

„Wer pennt? Wo pennt einer?“

„Da, unter dem Wagen!“ brüllte der Schmied zurück.

Die Seewölfe grinsten belustigt. Es ging eigentlich ganz heiter zu, fanden sie, trotz der Schikanen. Fast konnte man es als einen lustigen Tag bezeichnen, denn die Laune des Seewolfs war nicht schlecht, und das übertrug sich auf die anderen. Und natürlich hatte jeder den Vorfall mit „Väterchen“ mitgekriegt.

Der Corporal sah erbost unter den Wagen und drückte das Kreuz durch. Da lag doch tatsächlich einer seiner Soldaten und machte klar bei allen Klüsen!

Er zog den total benommenen und noch halb bewußtlosen Kerl unter dem Fuhrwerk hervor und rieb ihm den vermeintlichen Schlaf aus den Augen, indem er ihn mit Backpfeifen an Backbord und Steuerbord traktierte, ihn anbrüllte und mit Fußtritten wieder an die Arbeit scheuchte.

„Der Arme hat noch einen ganz glasigen Blick drauf“, sagte Stenmark mitfühlend, „der weiß gar nicht, wo er zur Zeit ist.“

Auch als die glasigen Augen einmal in „Väterchens“ Richtung schweiften, lag kein Erkennen in dem trüben Blick, „Väterchens“ Schläge lösten – so hatte jedenfalls der Kutscher versichert – bei den Betroffenen einen sogenannten temporären Gedächtnisschwund aus, einen zeitweiligen also.

Vielleicht fiel dem Kerl übermorgen wieder ein, daß er einen in Ehren ergrauten Schmied doch etwas zu ruppig angefahren hatte.

Das Ungetüm von Kette wurde nun durch die Lippklampe am Bug geführt und um den Festmacher gelegt.

Jetzt war die „Isabella“ durch die Kette mit dem Land verbunden, zwar nicht unlösbar, aber eben auch nicht rein symbolisch, denn kaum war diese Arbeit getan, erschienen der Vogt, der Friedensrichter und der Marquess, und der Vogt fühlte sich verpflichtet, noch eine kleine Ansprache zu halten, als er ein Siegel um die Kette wand und sie zusätzlich mit einem schmiedeeisernen Schloß sicherte.

„Das ist ein königliches Siegel“, sagte er steif. „Wer es erbricht oder beschädigt oder sonstwie entfernt, macht sich strafbar und wird ohne Gerichtsurteil öffentlich gehängt. Ich betone das ausdrücklich.“

„Er betont das ausdrücklich“, sagte Dan O’Flynn ernst.

„Ja, er betont das sehr ausdrücklich“, sagte Sam Roskill.

„Der Spott wird Ihnen noch vergehen. Das Siegel wird jeden Tag genau kontrolliert. Das wäre alles. Haben Sie sich noch zu äußern?“ fragte der Vogt den Seewolf dann.

„Weshalb sollte ich?“ fragte Hasard zurück. „Es ist doch alles klar. Oder nicht?“

Der Vogt wandte sich wieder an den Marquess.

„Sollen wir auch Wachen auf dem Schiff aufstellen lassen?“

„Das würde ich nicht empfehlen“, sagte Hasard mit einer Stimme, die an klirrendes Eis erinnerte. „Dann nämlich kann ich die Verantwortung für diese Soldaten nicht übernehmen.“

Der Marquess wandte sich schlukkend ab.

„Sorgen Sie dafür, daß dieser rotgesichtige Corporal abgelöst wird. Der ist mir zu lasch“, bellte er, „und auch zu einfältig! Nehmen Sie statt dessen den Hauptmann da drüben. Jeder Kerl hat zu jeder Zeit und bei jedem Wetter auf seinem Posten zu bleiben. Wer das Schiff verläßt, ist augenblicklich vogelfrei und kann erschossen werden.“

Hasard sagte immer noch nichts, er lächelte nur spöttisch. Dieses Lächeln irritierte auch den Vogt, der sich noch einmal räusperte und vor Kälte schon ganz klamm war.

„Führen Sie nichts im Schilde, Sir“, warnte er. „Den Augen der Soldaten wird nichts entgehen, aber Sie werden mit den härtesten Konsequenzen rechnen müssen.“

„Wir rechnen sogar damit, daß es heute noch schneit“, sagte der Seewolf, „man riecht den Schnee schon. Und sorgen Sie sich nicht um das königliche Siegel, wir werden es ganz sicher nicht beschädigen. Wir wissen doch, was wir unserer Königin schuldig sind.“

Dem Vogt waren diese Worte nicht geheuer, und er spürte ein sehr unangenehmes Kribbeln im Kreuz. Ähnlich erging es auch dem Marquess, dessen Genick wie gelähmt war. Es gefiel ihm nicht, daß die Kerle nicht protestierten, brüllten oder schlugen, sondern daß sie sich so lammfromm benahmen, daß einem angst und bange werden konnte. Jedenfalls blieb bei allen ein Gefühl der Bedrückung und, Unsicherheit zurück, als sie endlich wieder abzogen und nur die Soldaten zurückblieben.

Zwei Dutzend waren es jetzt, unter dem Befehl eines kaltschnäuzigen und scharfäugigen Hauptmanns, der jede Bewegung an Deck belauerte.

Nur kannte er die kleinen Feinheiten des Schiffes noch nicht, und so halfen ihm auch seine scharfen Augen nicht weiter.

Seewölfe Paket 16

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