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7.

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Die „Isabella IX.“ segelte mit vollem Preß durch die Nordsee und näherte sich den Ostfriesischen Inseln. Schon seit einiger Zeit hatten Hasard und seine Männer den „Eiligen Drachen“ Thorfin Njals aus den Augen verloren, der nach wie vor auf demselben Kurs lag wie sie, an Geschwindigkeit dem neuen Schiff der Seewölfe jedoch unterlegen war.

Während die Galeone durch die bewegte See jagte, saß Hasard oft in seiner Kammer und sah auf das versiegelte Kuvert, das er immer wieder aus der Schublade seines Pultes hervorholte.

Welche Order mochte es wohl enthalten?

Wieder stellte er die abwegigsten Überlegungen an, gelangte aber nie zu einem logischen Schluß. Groß war der Fächer der Möglichkeiten, vielfältig konnten die Beweggründe sein, die die Königin von England zu diesem Auftrag veranlaßt hatten. Kaperfahrt? Entdeckung? Ein schnelles, radikales Vorgehen gegen Feinde der Nation, die englische Schiffe behinderten? Spionage? All das mochte zutreffen, aber es hatte keinen Zweck, Mutmaßungen darüber anzustellen. Es führte ihn ja doch nicht weiter.

Einmal war er sogar versucht, das Siegel vor der Zeit aufzubrechen, doch rasch legte er das Kuvert wieder weg und schalt sich einen Narren, daß er überhaupt daran dachte.

Er kehrte auf das Achterdeck zurück, kontrollierte die Stellung der Segel und sprach mit Ben Brighton, um sich abzulenken.

„Eine verdammte Situation“, sagte auch Ben. „Wir haben einen Kurs, aber wir haben nicht die geringste Ahnung, wo unser Ziel liegt. Hat der Mensch so was schon erlebt?“

„Das hat er nicht“, erwiderte der Seewolf. „Es ist das erste Mal, daß wir uns in einer solchen Lage befinden. Aber du stimmst ja wohl mit mir überein, daß wir Lord Gerald nicht enttäuschen durften.“

„Natürlich. Er hat viel für uns getan und hält große Stücke auf uns. Beißen wir uns also durch.“

„Ja!“ schrie Big Old Shane zu ihnen herüber. „Was anderes bleibt uns wohl auch nicht übrig, oder?“

Hasard zuckte mit den Schultern und betrat das Ruderhaus, über das auch die neue „Isabella“ verfügte, um den Rudergänger vor den überkommenden Seen zu schützen. Rauh war das Meer, schlecht und diesig die Sicht, aber noch bewährte sich die „Isabella“ hervorragend.

Hasard warf einen Blick auf die Karte, die an der Innenseite der Rückwand festgenagelt war, und berechnete die Position.

„Borkum und Juist liegen bald vor uns“, sagte er. „Wir müssen aufpassen, daß wir bei dem verfluchten Nordwind nicht zu sehr nach Legerwall gedrückt werden.“

„Aye, Sir“, sagte Pete, der am Ruder stand. „Aber so, wie ich die Lady bislang kennengelernt habe, hält sie prächtig stand. Sie liegt gut auf dem Ruder.“

Die Zuversicht verließ die Männer trotz der miserablen Wetterverhältnisse und der grimmigen Kälte nicht. Der Kutscher und Mac Pellew hatten eine kräftige Mahlzeit zubereitet, die mit heißem Wasser und Whisky zusammen eingenommen wurde. Es wurde so mancher Witz an Bord gerissen, und man schloß neue Wetten über das ab, was vor ihnen lag.

Dann aber, Stunden darauf, entwickelte sich der Sturm zu seiner vollen Härte, packte die „Isabella“ und beutelte sie heftig durch. Harte Grundseen erschütterten das Schiff, die Sicht war gleich Null, der Wind heulte eisig von Norden heran und versetzte sie nun doch in die bedrohliche Nähe der Inseln.

Der Seewolf fluchte. Das, was er befürchtet hatte, trat ein: Sie gerieten immer mehr auf Legerwall. Er versuchte, den Kurs zu korrigieren, scheuchte die Männer immer wieder an die Brassen und Schoten, und Pete Ballie kämpfte verbissen mit dem Ruderrad. Aber unaufhaltsam näherte sich die „Isabella“ Norderney und Baltrum, hier versagte das seemännische Geschick der Crew.

Bill, der Ausguck, hatte auf Hasards Befehl hin den Großmars geräumt, aber mit Dan O’Flynn zusammen die Back geentert, um von dort aus vorauszuspähen. Der Kutscher hatte den Rauchabzug der Kombüse abgenommen, die Manntaue waren gespannt worden, die Luken und Schotts waren verschalkt, die Kanonen durch zusätzliche Zurrings gesichert, die Beiboote durch gefettetes Segeltuch wasserdicht zugedeckt worden. Wild hob und senkte sich der Schiffsleib, die Brecher rollten brüllend gegen die „Isabella“ an. Die Dunkelheit senkte sich über sie. Hasard und seine Männer befanden sich in einem tosenden Inferno der Finsternis.

Bill und Dan O’Flynn hatten sich auf der Back an der Nagelbank des Fockmastes festgebunden, um nicht außenbords zu gehen. Die Brecher überspülten die Decks. Ihre Kleidung war durchnäßt, doch sie hielten dem Wüten der Urgewalten tapfer stand und hörten nicht auf, ihre Blikke vorauszuschicken, als könne es irgendwo dort vorn etwas geben, das ihnen Orientierung und Sicherheit versprach.

Plötzlich stieß Dan Bill an.

„Siehst du, was ich sehe?“ schrie er. „Da vorn – das sind doch Lichter!“

„Ich kann nur ganz schwach was erkennen!“ rief Bill zurück. „Das muß die Küste sein!“

„Aber welche Küste, zur Hölle? Die von Norderney oder die von Baltrum?“

Bill kniff die Augen eng zusammen. „Mehrere Lichter – an zwei verschiedenen Punkten!“ brüllte er. „Die scheinen doch was zu kennzeichnen!“

„Sir!“ schrie Dan. „Achterdeck! Da gibt jemand Zeichen! Wir haben Leuchtfeuer Steuerbord voraus!“

Der Seewolf hangelte vom Quarterdeck zur Kuhl hinunter, arbeitete sich an den Manntauen weiter, langte bei Carberry an und schrie: „Was sollen wir davon halten, Ed?“

„Man will uns wohl helfen!“ brüllte der Profos. „Beim Henker, die Lady ist wie aus Eisen gebaut, aber wenn der Sturm weiterhin so dick anhält, haut er uns doch die ganze Takelage kaputt! Wir müssen was unternehmen, Sir! Was wir brauchen, ist eine geschützte Bucht, in der wir vor Anker gehen!“

Ja, eine Bucht wäre jetzt der ideale Zufluchtsort für sie gewesen, das wußte natürlich auch der Seewolf. Er enterte die Back und arbeitete sich geduckt bis zu Bill und Dan vor, dann nahm er Dans Spektiv entgegen und warf einen Blick hindurch. Es war keine leichte Sache, das Rohr bei diesem Wetter einigermaßen ruhig zu halten, aber er konnte damit zumindest etwas mehr von den Feuern erkennen, die in der Ferne flakkerten.

„Kaum zu fassen!“ rief er. „Das müssen freundliche Leute sein, sie weisen uns den Weg zwischen den Sandbänken hindurch!“

„Wer lebt denn auf den Inseln?“ fragte Bill.

„Die Ostfriesen natürlich!“ sagte Dan. „Die sollen ein ganz eigenartiger Schlag von Menschen sein, aber daß sie anständig und hilfsbereit sind, könnte ja durchaus angehen!“

Old O’Flynn war unvermittelt hinter ihnen aufgetaucht und schrie: „Es ist eine Falle! Das merkt doch jeder vernünftige Mensch! Wir haben es mit Piraten zu tun!“

Hasard, Dan und Bill fuhren zu ihm herum. Der Alte stand wie ein Geist vor ihnen und hob beschwörend die Hände. Dann donnerte ein neuer Brecher über die „Isabella“ hinweg, überflutete ihre Decks und nahm die Gestalt Old O’Flynns mit. Schwer krängte das Schiff nach Steuerbord. Der Alte war verschwunden.

Der Seewolf erschrak, Dan stieß einen entsetzten Laut aus. Bill verlor fast das Spektiv aus den Händen, das er inzwischen wieder auf die Leuchtfeuer hatte richten wollen.

Hasard schrie: „Mann über Bord!“

Da war auch die Crew alarmiert. Carberry, Blacky, Smoky und Stenmark waren die ersten, die an den Manntauen nach Steuerbord hangelten. Auf dem Achterdeck und auf dem Quarterdeck wurden Ben, Shane, Ferris, Pete und Jan Ranse – der sich auch gerade im Ruderhaus aufhielt – mobil. Sie alle reckten die Köpfe und hielten nach dem offensichtlich außenbords gestürzten Old O’Flynn Ausschau.

Hasard gab seinen Halt auf, rutschte quer über die Back nach Steuerbord und packte erst hier wieder nach den Traljen der Balustrade. Ein Ruck lief durch seinen Körper, er klammerte sich fest. Für einen Moment schienen seine Beine aber frei in der Luft zu schweben.

Er wollte Dan zurufen, daß er ein Tau brauche, um sich festzubinden und dann selbst in die See zu springen, die unter seinen Füßen brodelte. Doch plötzlich sah er Old Donegal Daniel O’Flynn wie einen Spuk wieder vor sich auftauchen. Mit verzerrter Miene kletterte der Alte an den Fockwanten hoch und kehrte an Deck zurück.

Was geschehen war, ließ sich leicht rekonstruieren: Er war tatsächlich außenbords geflogen, hatte sich jedoch im letzten Augenblick an den Wanten festhalten können. Eine Weile hatte er auf den Fockrüsten gekauert, aber jetzt, als das Schiff sich wieder aus der Schräglage aufrichtete, kletterte er wie ein Affe in den Webeleinen hoch.

„Ich hab’ meine Krücke verloren!“ schimpfte er. „Zum Teufel mit der Nordsee! Zur Hölle mit dem verfluchten Geheimauftrag!“

Hasard und die Crew atmeten aber doch erleichtert auf.

Carberry brüllte: „Hast du wenigstens dein Holzbein behalten, Donegal?“

„Ja, verdammt!“

„Dann sei doch froh! Ferris wird dir schon eine neue Krücke zimmern!“

Immer noch fluchend verließ der Alte die Wanten und kroch zu Hasard, Dan und Bill zurück.

„Verdammt“, sagte der Seewolf. „Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt.“

„Ein salzgewässerter Knochen wie ich geht nicht unter!“ rief der Alte. „Paßt lieber auf euch selbst auf, ihr Knilche! Das mit dem Feuer ist ein elender Trick, um uns reinzulegen!“

Wieder wurde er unterbrochen. Die Brecher stiegen wie Felswände neben dem Schiff hoch, es krachte und donnerte, und die „Isabella“ schien unter der Belastung zu ächzen. Wild rollte sie in den schwarzen Fluten, bedrohlich neigten sich die Rahnocken erneut der See entgegen.

„Du sollst mit dem Unken aufhören, Dad!“ schrie Dan seinem Vater zu. „Das hilft uns auch nicht weiter!“

Carberry hatte ebenfalls die Back geentert, seine wuchtige Gestalt wuchs aus einem Schwall von Wasser und sprühendem Gischt hervor.

„Die Lady ist nicht völlig wasserdicht!“ brüllte er. „Ferris hat eben gemeldet, daß sie im Laderaum ein bißchen Wasser zieht! Wenn das ein richtiges Leck gibt, sollen wir es dann mit deinem Achtersteven verdübeln, Donegal? Was? Wie?“

„Macht doch, was ihr wollt!“ schrie der Alte gereizt. „Auf mich hört ja doch keiner! Aber wenn wir erst richtig in Not geraten, dann beschwert euch nicht bei mir!“

„Donegal!“ rief Hasard. „Halt die Luft an! Wir nehmen Kurs auf die Inseln, vielleicht will man uns dort den Weg durch eine Passage zeigen, die in ruhigeres Wasser führt! Wir passen aber trotzdem auf!“

„Wie denn?“ Old O’Flynn schien jetzt richtig in Fahrt zu geraten. „Wenn wir erst im Watt aufsitzen, wie willst du dich dann noch gegen Marodeure und Schlagetots schützen?“

„Mit den bloßen Händen!“ schrie Hasard. „Wir haben ja schließlich keine Kanonen an Bord, oder?“

Jetzt schwieg der Alte beleidigt. Er kehrte auf das Quarterdeck zurück und rührte sich von dort vorläufig nicht mehr fort. Hasard nahm sich seine Warnung aber trotzdem zu Herzen. Immerhin – es konnte etwas Wahres daran sein, denn letzten Endes war wohl niemand so selbstlos, daß er in Sturm und Eis stundenlang Lichtzeichen gab, damit die armen, verirrten Seefahrer nicht ihrem Untergang ausgeliefert waren.

Auch der Seewolf war nicht so unbedarft, blindlings in eine mögliche Falle zu tappen. Bei nüchterner Überlegung gelangte er nur zu dem Schluß, daß er keine andere Wahl hatte, als die Inseln anzulaufen. Tatsächlich würde die „Isabella“ dieser Sturmstärke auf die Dauer kaum standhalten, und ein Nachlassen des Wetters kündigte sich vorläufig nicht an.

Darum ließ er zwar Kurs auf die Feuer nehmen, blieb vorläufig aber auf der Hut. Die ganze Zeit über hielt er sich bei Dan und Bill auf der Back auf und ließ die Lichter nicht aus den Augen.

Allmählich rückten sie näher, und wahrhaftig schienen sie auf eine Passage hinzuweisen, in die man auf der Suche nach Schutz vor dem Sturm verholen konnte. Die „Isabella IX.“ steuerte die Durchfahrt zwischen den Inseln Norderney und Baltrum an – dies hatten Hasards zwischenzeitliche Berechnungen deutlich ergeben –, und nach und nach schien der Seegang tatsächlich ein wenig nachzulassen.

Dann aber trat die Überraschung ein, auf die Old O’Flynn mit all seinen Flüchen und Rufen hatte hinweisen wollen. Urplötzlich verloschen die Feuer, die an den Ufern der Inseln flackerten, und auch die Lampen, die von eifrigen Händen hin und her geschwenkt wurden, sandten auf einmal kein Licht mehr aus.

Schlagartig herrschte tintenschwarze Finsternis.

Die Groot-Jehans und die Lütt-Jehans, die auf ihren Uferposten auf der Lauer lagen, hatten sich zu ihrem heimtückischen Spielchen eine neue Variante einfallen lassen. Größer noch mußte die Verwirrung an Bord des in die Passage segelnden Schiffes sein, wenn jählings kein Licht mehr zu sehen war. Diese Galeone würde ein noch leichteres Angriffsziel für sie sein als die holländische „Eendracht“ – so dachten sie.

Als sich für Augenblicke jetzt jedoch der Mond durch eine Wolkenbank schob, erkannte Dan O’Flynn ganz dicht voraus etwas, das aus dem Wasser aufragte.

„Hölle!“ stieß er hervor. „Bill – das ist ein Schiffsgerippe!“

„Ja“, sagte auch Bill entsetzt. „Von dem Kahn sind nur noch die Spanten übrig.“

Dan hatte sich inzwischen bereits umgedreht und schrie der Crew eine Warnung zu. Hasard richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sprang an die nach achtern weisende Balustrade der Back und rief: „Weg mit den Segeln! Fallen beide Buganker! In den Wind mit dem Kahn, Pete! Ben, kümmere dich um die Segel!“

„Aye, Sir!“ schrie Ben Brighton, und dann stand er auch schon selbst an den Fallen des Besams und brüllte seine Befehle.

Hasard, Dan und Bill sprangen sofort in das Spill auf der Back, unterstützt von vier Männern. Der eine Buganker rauschte aus und klatschte ins Wasser. Die Trossen flogen ihnen fast um die Ohren. Dann folgte der andere Anker. Als die Anker griffen, lief durch die „Isabella“ ein heftiger Ruck, der sie bis in die letzten Verbände erbeben ließ.

Schleunigst wurden bereits die Sturmsegel geborgen. Die „Isabella“ wiegte sich auf den Wogen, vollführte im Wind einen schlingernden Tanz und schwojte im Bogen an ihren beiden Ankertrossen. Hasard beobachtete die Umgebung, konnte im letzten Streifen Mondlicht, der sich noch durch die Wolken stahl, das Steifkommen der Trossen verfolgen und atmete auf, als die Anker hielten.

Die Wolkenbänke schlossen sich wieder, es herrschte Finsternis.

„Klarschiff zum Gefecht!“ rief der Seewolf.

Seine Männer stürzten an die Geschütze, rissen das gewachste Segeltuch herunter und lösten die Zurrings.

Jan Ranse verließ die Back, sprang den Niedergang zur Kuhl hinunter und lief zu Piet Straaten und Nils Larsen, die mit Blacky, Batuti und einigen anderen bereits an den Geschützen arbeiteten. Big Old Shane und Al Conroy kümmerten sich um die achteren Drehbassen.

Jetzt stand es fest: Sie waren in eine ganz üble Falle geraten, in die anscheinend schon andere Schiffe gelaufen waren.

Die „Isabella“ aber, so schwor sich der Seewolf grimmig, würde hier nicht ihren Geist aufgeben.

Seewölfe Paket 16

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