Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 9
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ОглавлениеIn der Frühe des nächsten Morgens wurden die Bewacher durch zwei Dutzend andere abgelöst, und gegen Abend vollzog sich der Rhythmus wieder in umgekehrter Form. Der üble Hauptmann mit seinen Gesellen war wieder da.
Ihm selbst stank die Bewachung gewaltig, aber Befehl war Befehl, und so fror er sich fast die Knochen ab. Ihren Unmut ließen die Kerle dann an den Seewölfen aus, wenn sie sich an Deck zeigten. Sie pöbelten sie an und mekkerten, daß sie hier draußen frieren mußten, während die anderen faul herumhockten und soffen.
Der Profos wollte sich mit einem der Kerle anlegen, doch Hasard hielt ihn zurück.
„Keinen Ärger jetzt, Ed“, sagte er. „Wir warten nur noch den höchsten Punkt der Flut ab und darauf, daß bei Thorfin die Lampen verlöschen. Wenn das der Fall ist, geht es eine Viertelstunde später los.“
Vom fernen Kirchenturm in Plymouth verkündeten drei dünne Tönchen, daß es nachts drei Uhr war.
Hasard ging mit dem Profos noch einmal durch das Schiff und kontrollierte alles. Die Männer waren warm angezogen und bereit.
Im Vordeck, in unmittelbarer Nähe des Mannschaftslogis, gab es neben der Werkstatt des Zimmermannes auch eine kleine Schmiede. Das eine war Shanes Reich, in dem anderen herrschte Ferris Tucker. Etwas weiter nach achtern hatte der alte Segelmacher Will Thorne sein Revier. Dort befanden sich die Segellast und eine größere Kammer, in der Segel zugeschnitten und genäht werden konnten. Dort befanden sich auch Ersatzhölzer, Spieren und Planken, und was alles so auf See gebraucht wurde, falls es mal eine Reparatur gab. Dort lag nebenan auch das Zeug, für das Roger Brighton verantwortlich war: Taue, Takel, Fallen, Schoten und der Bedarf für laufendes und stehendes Gut.
Shane hatte einen gewaltigen Amboß und einen mächtigen Hammer bereit. Auch Meißel zum Sprengen der Kette hatte er zur Hand, aber er versicherte, daß er die gar nicht brauchen werde. Hammer und Amboß würden völlig genügen.
Hasard ging weiter zu Ferris, der sein Werkzeug ebenfalls geordnet hatte und nur noch auf seinen Einsatz wartete.
„Smoky sägt von der einen, ich von der anderen Seite“, sagte Ferris. „Dann haben wir den Poller einschließlich des Stückchens Piers gleich an Bord.“
Hasard nickte. „Es geht gleich los. Kümmert euch nicht weiter um die Kerle da oben, sondern tut eure Arbeit. Wir verfrachten sie schon allein auf die ‚Hornet‘, das kostet nicht viel Zeit.“
„Aber Sir“, sagte Ferris vorwurfsvoll, „du wirst von uns doch nicht verlangen, daß wir dabei däumchendrehend zusehen.“
„Nein, das kann ich wirklich nicht verlangen“, sagte Hasard grinsend. „Hat noch jemand Fragen, oder ist alles klar?“
„Alles durchgesprochen, Sir“, sagte der Waffen- und Stückmeister Al Conroy, „keine Fragen mehr. Sollen wir nach oben?“
„Ja, aber unauffällig. Und keinen Mucks. Die vier Wachen gehen wie sonst auch immer ihre Runden, die anderen verbergen sich.“
Der Gambianeger Batuti rollte schon mit den Augen. Er sagte nichts, er zeigte nur auf seinen Morgenstern, mit dem er den Kerlen das neue Royal-Navy-Tänzchen beibringen wollte.
Sie gingen auf ihre Stationen, jeder wußte, was er zu tun hatte, und jeder nahm lautlos und unsichtbar seinen Platz hinter dem Schanzkleid ein, wo er sich verbarg.
Carberry war dazu ausersehen worden, ein bißchen herumzustänkern, eine Rolle, in der er sich absolut wohl fühlte.
Er ging über Deck, blieb auf der Kuhl stehen und musterte durch das schwache Licht an einem Schuppen die Gestalten, die frierend und eng an Holzwände gedrückt herumstanden. Der Hauptmann selbst ging immer wieder auf und ab, gefolgt von zwei Kerlen, die von achtern nach vorn liefen und wiederum zweien begegneten, die den umgekehrten Weg hatten.
Es schneite noch, jedoch nur wenig, und nach einiger Mühe waren auch die letzten Gestalten ganz gut zu sehen. Weiter hinten, wo die Pier endete, war alles ruhig, obwohl da jetzt der Wikinger mit zehn Männern lauern mußte.
Zwei der Posten schleppten Sturmlaternen mit sich. Ihre Musketen hatten sie umgehängt. Die Männer froren erbärmlich, und den Profos sahen sie nur als undeutlichen Schatten.
„Euch würde ein bißchen Aufwärmen auch nicht schaden“, sagte Carberry, als sich der Hauptmann mit zwei Soldaten auf gleicher Höhe mit ihm befand.
Der Hauptmann reagierte sauer.
„Mit den Posten wird nicht gequatscht, klar? Und quassel nicht immer vom Aufwärmen, Kerl. Das ist Provokation, ist das.“
„Was für’n Ding?“ fragte Ed.
„Provokation, Aufwieglung. Ihr tut das ganz bewußt. Und eure Wachen gehen auch nur auf und ab, um meine Leute zu ärgern, denn ihr löst euch ständig ab. Wozu überhaupt?“
„Damit ihr uns nicht die Masten klaut“, sagte Ed treuherzig. „Wir kennen soviel korrupte Hampel … äh – Hauptmänner. Aber keine Feindschaft deshalb, mein Guter. Wärmt euch doch ein bißchen auf!“
Das Gesicht des Hauptmannes verzerrte sich vor Wut. Er trat noch näher an das Schiff heran und sah Ed hart in die Augen.
„Sieh dich vor, du Lümmel“, sagte er drohend. „Wenn ich dich über den Haufen knalle, kriege ich nicht mal einen Verweis.“
„Aber mein Kapitän hat das nicht gern“, sagte Ed grinsend.
Durch die Worte lösten sich jetzt auch andere Schatten aus der Dunkelheit, die sich frierend und neugierig näherten, denn sicher war es wieder dieser narbige Kerl, der da herumstänkerte.
Etwas ratlos umstanden sie ihren Hauptmann und blickten ihn an. Vierzehn Leute waren das ingesamt, zählte Ed, also standen noch zehn weitere irgendwo herum.
Das Tänzchen konnte beginnen.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst nicht immer …“
Was der Profos nicht sollte, lag klar auf der Hand, der Hauptmann brachte es nur nicht mehr heraus, denn in diesem Augenblick wurde es auf dem Kai auf geheimnisvolle Weise plötzlich lebendig.
Über die Schanzkleider sprangen Gestalten, immer mehr waren es, die geschmeidig und fast lautlos plötzlich auftauchten.
Der Hauptmann wich entsetzt zurück. Ein paar schlaftrunkene Kerle reagierten nicht schnell genug.
Dann stand plötzlich der Seewolf vor ihm, der Carberry blitzschnell zur Seite drängte, als der auf den Hauptmann losgehen wollte.
Noch während der Hauptmann nach seiner Muskete griff, krachte ihm ein Faustschlag auf die Brust, der ihn zurückwarf und taumeln ließ. Die Muskete glitt ihm aus den Händen und flog auf die Pier. Hasard beförderte sie mit einem Fußtritt ins Hafenbecken. Dann verpaßte er dem torkelnden Hauptmann zwei saftige Ohrfeigen, wie er es versprochen hatte, und schickte ihn mit einem weiteren Hieb zu Boden.
Das Überraschungsmoment lag auf seiten der Seewölfe, und für die Soldaten wurde die Überraschung noch größer, als buchstäblich aus dem Nichts weitere Gestalten vor ihnen auftauchten. Allen voran ein Monstrum von Kerl mit einem gewaltigen Helm auf dem Schädel, der wie eine Geißel Gottes unter die zurückweichenden Kerle fuhr.
Batuti wirbelte sich den Weg durch die Meute der Soldaten frei, indem er seinen Morgenstern schwang. Vor dieser Waffe, einem antiken, aber fürchterlichen Ding, hatten sie alle Respekt, und jeder beeilte sich, um aus der Nähe des wütenden Schwarzen zu gelangen. Wen dieses Monstrum von Morgenstern mit den vielen Zacken einmal traf, der brauchte keinen zweiten Hieb mehr und konnte – wenn überhaupt – nur noch gebückt und jaulend davonschleichen.
Batuti hatte es auf die Musketen abgesehen. Die Soldaten sollten nicht davon Gebrauch machen können, kein Schuß sollte fallen, wenn es möglich war, und so hieb er nach den Läufen oder Schäften. Einer zersplitterte krachend unter dem gewaltigen Hieb, die Muskete flog davon. Batuti überließ den waffenlosen Kerl einem anderen und ging sofort den nächsten an.
Es gab Püffe, Knüffe, Geschrei und blaue Augen.
Der Boston-Mann vom Schwarzen Segler tauchte plötzlich auf, dann erkannten sie ihre alten Kampfgefährten Nils Larsen, Piet Straaten, Jan Ranse und all die anderen.
Jetzt waren sie Soldaten hellwach. Nicht mal die Andeutung von Müdigkeit steckte ihnen noch in den Knochen, denn die Seewölfe prügelten sie windelweich.
Eine Horde tobender, brüllender und wild um sich schlagender Kerle ließ den Kai erzittern.
Plötzlich hatte der Profos einen dickleibigen Kerl am Kragen. Er zog ihn zu sich heran und trat ihm mit beiden Stiefeln und seinem ganzen Gewicht auf die Füße, um dem Kerl mehr Standhaftigkeit zu verleihen. Dann zog er ihn noch dichter zu sich heran.
„Ar-we-nack!“ flüsterte er.
„Was – was soll das?“ jammerte der Dicke.
„Unser Schlachtruf, du dickwanstiger Stint“, erklärte Ed. „Aber wir dürfen den nicht laut brüllen, sonst wachen die anderen auf. Kapierst du das, du Heringstonne?“
Statt das gefälligst zu kapieren, drosch der Dicke dem Profos aus nächster Nähe die Faust in den Leib und schlug gleich noch einmal nach. Aber die Schläge zeigten keine Wirkung, denn sie waren zu nahe abgefeuert, und außerdem stand der Narbenmann mit seinem beachtlichen Gewicht immer noch auf seinen Stiefeln.
„Du frierst ja“, stellte Ed fest, weil der Dicke hin und her schlotterte. „Ein Satz warmer Ohren wäre jetzt richtig, was, wie?“
Der Druck von seinen Stiefeln ließ nach, und der Dicke nutzte die Gelegenheit nach dem Profos zu treten. Er hatte das Bein noch nicht ganz gestreckt, da knallten ihm zwei eisenharte Dinger haargenau auf die fast abgefrorenen Ohren. Diese beiden Schläge wärmten ihn so schmerzhaft, daß er ruckartig mit beiden Händen nach seinen Ohren griff, denn ein harter Schlag auf eiskalte Ohren war eine unangenehme Erfahrung.
„Du lernst es nie“, sagte Ed mißbilligend.
Während der Dicke mit verzerrtem Gesicht seine Ohren hielt, knallte ihm ein Brocken in den Magen, daß er glaubte, von einer Culverine abgefeuert zu werden. Die gleichzeitige tiefe Verbeugung nach vorn und der gewaltige Schlag verliehen ihm ein seltsames Aussehen. Noch während des tiefen Kotaus flog er rückwärts davon und krachte gegen die Bretterwand eines Schuppens, die er durchraste und in der er einen Schattenriß hinterließ, der präzise auf seine Körperform zugeschnitten war.
Matt Davies ging bei den Soldaten in die vollen. Er hielt ihnen drohend den gefährlichen Eisenhaken vor die Gesichter, und wenn sie erschreckt zurückwichen, dann schlug er mit der anderen Faust zu. Und sie waren beileibe nicht zimperlich, sie droschen zu, daß die Fetzen nur so flogen.
Auf Dan O’Flynn torkelte einer zu, der anscheinend überhaupt nicht mehr wußte, wo er sich befand. Stenmark hatte ihm eine gefeuert, die den Kerl ständig um seine Achse rotieren ließ.
Dan setzte ihm die harte Faust so genau auf den Punkt, daß der Soldat steif wie ein Ladestock stehenblieb. Der Schlag kam von unten und war ein absoluter Knockout. Man hatte lediglich den Eindruck, daß der Hals des Soldaten immer länger aus seinen Schultern wuchs, als wolle er weit hinter die Kimm blicken. Doch da gab’s für ihn nichts mehr zu sehen.
Sein starrer Blick bemerkte auch nicht, daß auf dem unheimlichen Schwarzen Schiff gerade die ersten Segel gesetzt wurden. Sein Körper war hart wie Glas, er stand immer noch für ein paar Lidschläge, dann sank er saft- und kraftlos in sich zusammen.
„Mann, war das ein Hammer“, sagte Smoky bewundernd. „Ich dachte, der wollte aus seinem eigenen Körper steigen.“
„Kam mir auch so vor“, sagte Dan verwundert.
Auf dem Kai und der anschließend hölzernen Pier lagen mittlerweile mehr als ein Dutzend Soldaten herum. Manche erweckten den Eindruck, als horchten sie angestrengt den Boden ab. Einer lag lang, hatte nur den Achtersteven hochgereckt und versuchte, auf den Ellenbogen kriechend; wieder Höhe zu kneifen. Es blieb bei dem verzweifelten Versuch, denn Bill riß den Soldaten am Kragen hoch, verpaßte ihm eine krachende Rechte und schickte ihn bewußtlos wieder zurück.
Bisher war immer noch kein einziger Schuß gefallen, weil sich alles auf die Musketen konzentrierte. Außerdem war die Überraschung gelungen, und die Musketen waren nicht blitzschnell abzufeuern. Das brauchte etwas Vorbereitung, und die Zeit gab es nicht mehr. Mehr als die Hälfte der Gegner war jetzt ausgeschaltet. Der Rest der Soldaten wehrte sich verzweifelt, aber sie hatten schon keine Aussicht, etwas zu erreichen, wenn sie in der Überzahl waren. Und diesmal waren Seewölfe und andere in der Überzahl.
Das bedeutete den totalen Abgesang, und deshalb entschloß sich auch Thorfin Njal, das Kampffeld den Seewölfen zu überlassen und in See zu gehen, um vor der Bucht ein wenig „herumzukrebsen“.
Er walzte mitten durch die Schar prügelnder und um sich schlagender Männer auf Hasard zu.
„Laß dein Schiffchen laufen, Freund“, sagte er. „Wir sehen uns wahrscheinlich bald wieder. Kümmere dich nicht um mich, falls wir uns aus den Augen verlieren. Es war mir ein Vergnügen. Hoppla“, sagte er ärgerlich, als ihn ein Mann anrempelte, der gerade Blacky vor die Fäuste gelaufen war.
„Wie gesagt, wir sehen uns bald“, sagte er, während sein mächtiger Arm so ganz nebenbei nach dem Kerlchen griff, den Hals umklammerte, ihn etwas anhob und ihm dabei gleichzeitig die Luft abquetschte. Mit der rechten Hand drosch er dem zappelnden Burschen dann einmal die Faust auf den Schädel. Das Kerlchen blieb danach reglos zwischen den beiden Männern liegen, die sich ungerührt die Hand gaben.
Viel zu prügeln gab es nicht mehr, aber der Wikinger nahm noch alles mit, was auf seinem Kurs lag, und er scheute sich auch nicht, Gary Andrews von einem Kerl zu trennen, nur aus dem Grund, um ihm selbst noch einmal kräftig eine ballern zu können.
Gary sah enttäuscht zu, wie der Soldat an ihm vorbeiflog, der Wikinger noch einmal nickte und mit seinen Mannen in der Dunkelheit verschwand.
Eine der Sturmlaternen brannte immer noch, die andere war ausgegangen, und in ihrem Schein sah Hasard die schwitzenden Gesichter von drei Uniformierten, die hilflos die Hände hoben.
„Hört auf, ihr Teufel“, sagte der eine heiser. „Wir wissen ja, wann wir verloren haben. Hört auf, wir ergeben uns.“
„Paß auf sie auf, Smoky“, sagte Hasard nur. Er nahm die Laterne und ließ die Seesoldaten nachzählen. Vierundzwanzig mußten es insgesamt sein, fünf hatten sich ergeben, achtzehn fanden sich, einer fehlte.
„Verdammt“, sagte Hasard, „der ist uns entwischt. Seht nach, ob er nicht irgendwo zwischen den Schuppen lauert. Vielleicht hat er eine Muskete und benutzt uns als Zielscheiben.“
Sie suchten den Mann, aber das klärte sich erst, als Carberry auf den Seewolf traf.
„Ah, das ist mein Freund“, sagte Ed. „der schnarcht bestimmt noch hinter dem Schuppen. Den hat der Wind durch die Wand gedrückt.“
Als sie nachsahen, fand sich auch der Dicke, der dem Profos zwischen die Fäuste geraten war. Einen Stiefel hatte er verloren, die Zunge sah zwischen seinen Lippen hervor, und seine Ohren waren so rot und dick wie zwei reife Tomaten.
„Was geschieht mit uns?“ fragte einer der gefangenen Soldaten. „Und was habt ihr selbst vor?“
„Was wir vorhaben, das braucht euch nicht mehr zu stören“, sagte Hasard. „Euch geschieht gar nichts, ihr habt ehrlich gekämpft und verloren. Wir bringen euch in die Laderäume des anderen Schiffes dort drüben, und da werdet ihr vorerst eingesperrt.“
„Ich weigere mich“, sagte der Soldat verzweifelt.
„Tu das lieber nicht, Junge“, warnte der Profos und schob dem Soldaten seine mächtige Faust unter die Nase. „Wir wollen keine Zeit mit euch vertrödeln, und wenn einer von euch noch herummeckert, dann fliegt er in die Hafenbrühe, und da wird’s lausig werden. Los, lade dir irgendeinen der Kumpane aufs Kreuz, ihr anderen ebenfalls, und dann gehen wir gemeinsam zu dem Schiff hinüber.“
Smoky war schon wieder verschwunden, kehrte aber sofort mit dem rothaarigen Zimmermann Ferris Tucker zurück. Beide trugen Sägen, einen Hammer und Äxte in der Hand.
Hasard überwachte mit scharfen Augen den Abtransport der teils bewußtlosen, teils noch benommenen Soldaten. Batuti, Ben Brighton, Paddy, Rogers, Finnegan, Roger Brighton und Blacky luden sich bereits die ersten Kerle auf den Rücken.
In der Zwischenzeit erschienen Big Old Shane, Al Conroy und der alte O’Flynn mit dem Amboß, Hammer und Meißel auf dem Kai. Der schwere Amboß wurde unter die Kette geschoben. Al Conroy hatte ein paar dicke Bretter dabei.
„Noch eins unterschieben“, sagte Shane. „Die Kette muß hart gespannt darunter liegen, sonst federt sie zurück und donnert uns gegen die Schädel.“
„Übereilt und überhastet nichts“, sagte Hasard, „bisher hat niemand etwas bemerkt, und bis der ehrenwerte Marquess aus seinem Schlummer erwacht, sind wir schon auf und davon.“
Tuckers Säge fraß sich bereits in das Holz um den Poller. Smoky setzte an und begann auf der anderen Seite zu sägen. Kreischend fuhren die Zähne in das dicke Holz der Pier.
„Noch nicht durchsägen!“ rief Shane.
„Weiß ich, wir leisten nur Vorarbeit!“ rief Ferris zurück.
Der Schneefall hatte weiter nachgelassen, nur vereinzelte Flocken fielen noch von einem Himmel, der nicht mehr ganz so finster war wie zuvor. Die Zeit war rasch vergangen.
Die anderen enterten inzwischen die „Hornet“, die verlassen am Kai lag und längst ausgeräumt war. Einer der Bewußtlosen erwachte und begann, um sich zu schlagen.
„Ruhig, Freundchen“, sagte Ed, der sich den Burschen wie einen Mehlsack aufs Kreuz geladen hatte, ihn absetzte und dann festhielt. „Wenn du hier rumbrüllst, gibt’s was auf die Klüsen. Sei froh, daß du jetzt im Trocknen sitzt und keine Wache mehr zu schieben brauchst. Da unten fällt auch kein Schnee, du hast allen Grund zur Dankbarkeit, Söhnchen, sonst bleue ich sie dir mit den Fäusten ein.“
Der Mann schwieg entsetzt, als er nach unten klettern mußte. Einer der Kerle, die sich freiwillig ergeben hatten, wollte ebenfalls über die Leiter abentern, doch Ed pfiff ihn zurück.
„Du gehst wieder mit zurück, Nachschub holen. Das könnte dir so passen, einfach zu verschwinden, was, wie?“
Der Hauptmann, von Hasard recht übel zugerichtet, hatte auch wieder das Bewußtsein erlangt und protestierte.
„Das kostet euch die Köpfe“, nuschelte er, denn da, wo ihn Hasards Faust getroffen hatte, befanden sich die Lippen, und die waren gebläht wie die Nüstern eines Pferdes, deshalb sprach er auch so merkwürdig.
„Hör auf zu knurren“, sagte Ben Brighton hart. „Sei froh, daß es keine Toten gegeben hat.“
„Ich stehe im Rang eines Hauptmannes der königlichen …“
„Du stehst im Laderaum eines Dreimasters“, berichtigte Ben trokken. „Und wenn ich noch ein Wort höre, dann stehst du bis zum Hals im Wasser, du Hauptmann.“
„Der ist nur noch Nebenmann – von den anderen“, meinte Ed.
Dann ging er, um die nächste Ladung gefallener Helden zu holen. Ben blieb solange auf der „Hornet“ zurück und gab acht, daß sich keiner der Kerle im Aufentern versuchte und sie auch kein großes Geschrei veranstalteten.
„Ihr seid morgen wieder frei“, sagte er, „in ein paar Stunden also. Wir lassen eine Wache an Bord zurück, und wenn ihr plärrt, werden euch diese Leute ein paar Pützen eiskaltes Wasser auf die Rüben gießen.“
„Bluff ist das, Bluff“, nuschelte der Hauptmann von unten herauf. „Ihr werdet gerade Wachen zurücklassen, wenn ihr mit dem Schiff abhauen wollt. Das könnt ihr eurer Großmutter erzählen.“
„Ich habe nicht gesagt, daß das unsere Männer sind, du Hauptmann“, wurde er von Ben belehrt. „In Plymouth gibt es genug Schnapphähne, die eine so leichte Arbeit unerkannt übernehmen. Versucht es nur, und ihr werdet euer Wunder erleben.“
Daraufhin wurde der Hauptmann sehr zurückhaltend, denn diese Möglichkeit hatte er nicht in Erwägung gezogen. Dann war es mit dem großen Gebrüll und Spektakel also nichts, das er nach Abzug der Seewölfe zu seiner Befreiung veranstalten wollte.
Er ging von der Voraussetzung aus, daß sie eine Weile brauchen würden, um die Segel zu setzen und auszulaufen. Veranstalteten sie in dieser Zeit aber genügend Geschrei, würde man es bis über den Hafen hören und wäre gewarnt. Vielleicht gelang es dann dem Marquess, die Kerle noch abzufangen.
Bens Bluff hatte Erfolg, denn es muckte niemand mehr auf.
Nach kurzer Zeit erschien der nächste Transport und wurde nach unten verfrachtet. Achtzehn Mann waren jetzt im Laderaum, gleich darauf erschienen die restlichen ebenfalls. Einige konnten noch ganz gut laufen. Als sie ebenfalls unten in der Finsternis herumstanden, wiederholte Ben seine Warnung noch einmal. Es kam keine Antwort mehr.
Ed, Ben, Finnegan, Paddy und Roger legten anstelle der Gräting nur die Luken auf, einzelne dicke Bohlen, während Batuti grinsend zwei Pützen Wasser hievte und an Deck stellte, so daß alles deutlich zu hören war.
Eine dritte Pütz hängte er etwas weiter an den Tampen einer Nagelbank. Der Wind bewegte die Pütz hin und wieder und ließ sie als undefinierbares Geräusch erklingen, es konnte auch ein Mann sein, der dieses Geräusch verursachte, wenn er auftrat.
„Und einen schönen Gruß noch an den durchlauchten Edelmann“, sagte Carberry. „Erklärt ihm, ihr seid bei der Glätte ausgerutscht und in den Raum gefallen. Oder sagt ihm, daß er ein Rübenschwein ist. Gehen wir jetzt?“
„Ja, nichts wie weg“, erwiderte Ben. Dann wandte er sich an zwei imaginäre Gestalten.
„Hier ist euer Geld“, sagte er so laut, daß man es auch im Raum darunter verstehen konnte. „Wenn es hell wird, verschwindet ihr. Und wenn die Kerle brüllen, dann wißt ihr ja, was ihr zu tun habt.“
„Die lassen wir absaufen, Mister“, sagte Paddy Rogers. „Wasser ist ja genug da. Wird uns ein Vergnügen sein.“
„Gut, dann stellt euch da hinten in den Windschatten.“
„Tun wir, Mister.“
Die Seewölfe verließen grinsend die „Hornet“. Als sie wieder auf dem Kai standen, drang aus dem Laderaum kein Ton. Die Kerle hatten Angst, daß sie zu Eiszapfen wurden, sobald man von oben Wasser durch die Ritzen goß.
Den Profos freute dieser Bluff mächtig, und er grinste richtig niederträchtig und hinterhältig, als sie zurückkehrten.
Dort bot sich ihnen jetzt im Licht der Sturmlaterne und beim ersten Grau des beginnenden Tages ein eindrucksvolles Bild.
Der ehemalige Schmied von Arwenack stand da, einen mächtigen Hammer in den Fäusten, die mit aller Kraft ausholten. Sie schlugen in einem rasenden Wirbel wie die Fäuste eines Zyklopen, der alles kurz und klein hämmerte, als befände er sich in wilder Raserei. Die Geräusche von Eisen auf Eisen waren dabei nicht zu vermeiden und weithin zu hören.
Die schweren Glieder der Kette wurden platt und platter. Dann drehte Big Old Shane den Hammer mit seiner scharfkantigen Seite um und setzte einen weiteren harten Schlag drauf. Ein zweiter folgte, dann zersprang die schwere Kette. Wenn ein paar Männer sie nicht von der einen Seite gehalten hätten, wäre sie mit voller Wucht an die Bordwand der „Isabella“ geknallt.
Den anderen Teil hielten ebenfalls kräftige Fäuste fest. Ein paar gingen an Bord und holten das Ungetüm ein. Der Amboß wurde zurückgebracht, und dazwischen sägten Tucker und Smoky verbissen und kraftvoll das Stück Poller mit der Pier heraus.
„Gut festhalten“, sagte Ferris, als das Holz nachgab, „sonst geht ihr mitsamt der Kette in den Bach.“
„Den Scheiß bezahlen wir später mit links“, versicherte der Profos.
„Das kostet nicht mal soviel wie eine Sauferei bei Plymson. Laßt mich jetzt mal ran. Wollen mal das Kielschwein rausrupfen!“
Etliche Männer hielten die Kette. Während sie in ihren Fäusten hing, riskierte jeder einen Blick auf den Hafen.
„Thorfin ist gleich draußen“, sagte Hasard, der den Schwarzen Segler „Eiliger Drache über den Wassern“ wie ein unheimliches Totenschiff aus dem Hafen geistern sah. Keine einzige Lampe brannte an Bord, alles spielte sich geisterhaft still und dunkel ab.
In einigen Häusern auf der anderen Seite wurden die ersten Lichter entzündet. Die Knechte und Mägde standen auf und gingen an ihre Arbeit, die im Dunkel begann und im Dunkel endete.
Carberry stürzte sich zusammen mit Ferris auf den Poller, an dem die Bohlenreste der Pier hingen.
„Hiev auf!“ rief er. „Hiev auf!“
Als Hasard sich noch mit aller Kraft in die Kette legte, gab das Holz einen kreischenden Ton von sich. Dann krachte es, als würde ein Baum stürzen und zerschmettert, und dann war der kranke Zahn gezogen.
In aller Eile wurde die Kette an Deck geschleppt. Auf dem Kai blieb nur ein Loch zurück, ein recht großes und zerfetztes, das so aussah, als hätte hier ein Riese mit wütenden Zähnen ein Stück aus einem alten Kuchen gebissen.
„Seine Lordschaft wird sich wundern“, sagte Hasard trocken. „Sehr wundern sogar“, fügte er leise hinzu.
Dann ging er an Bord und nahm seinen Platz auf dem Achterdeck ein, auf dem Achterdeck eines neuen Schiffes, das bisher noch kein Salzwasser geleckt hatte. Es war ein herrliches Gefühl, und er war auf die Eigenschaften gespannt, die jedes Schiff hatte.
„Jetzt sind wir frei“, sagte Ben, „frei wie der Albatros auf dem Meer, und wir haben ein prächtiges Schiff unter den Beinen. Und der Marquess kann uns gestohlen bleiben.“
Ja, sie waren wieder frei, Männer, die ihre eigene Entscheidung trafen und die kein hochfahrender und eitler Geck mehr bevormundete.
Diese Freiheit würde allerdings noch ein Nachspiel haben, aber das war allen egal, daran dachte jetzt niemand. Verzweifelte Situationen erforderten eben verzweifelte Maßnahmen.
Auf der Kuhl rannte der Profos vor lauter Eifer fast den Kutscher über den Haufen, der aufentern wollte, um die Segel zu setzen. Carberry hielt ihn gerade noch fest.
„Tut mir leid“, sagte er leise, „aber es ist noch ein bißchen dunkel.“
„Ja, ich weiß“, sagte der Kutscher ungerührt. „Aber die Finsternis ist hauptsächlich auf einen Mangel an Licht zurückzuführen.“
Daraufhin kratzte sich Ed erst einmal den Schädel, fand dann aber, daß der Kutscher doch verdammt recht hatte. Der war eben ein schlaues Kerlchen und gebildet und blickte immer voll durch.
Das war überhaupt der Weisheit letzter Schluß, fand der Profos. Das mußte er später unbedingt als seinen eigenen geistigen Erguß weitergeben, den geistigen Diebstahl verzieh ihm der Kutscher. Vielleicht hatte er ihn auch längst wieder vergessen.
Die ersten Segel wurden gesetzt. Zu Carberrys Bedauern ging das alles ohne Gebrüll ab, er konnte keine Affenärsche lautstark nach oben scheuchen, keine Kanalratten hin und her jagen und keine quergeriggten Heringe anbrüllen. Das war auch so ein Ding. Da ging das schöne Schiff erstmals in See, unbefleckt wie eine Jungfrau und war noch nicht einmal durch saftige Flüche eingeweiht. Na, das würde er aber bald nachholen, und zwar in aller Gründlichkeit.
Die Leinen waren los. Am Ruder stand Pete Ballie und probierte es so vorsichtig aus, als könne gleich etwas zerbrechen.
Ganz langsam schob sich der Bug vom Kai weg und drückte weiter. Ein Windstoß wehte herüber und blähte die Segel. Mit dem Windstoß blies ein wenig Schnee über die Decks.
Hesekiel Ramsgate stand ebenfalls auf dem Achterdeck neben dem Seewolf und sah stolz auf sein Werk, das weich wie Butter in sein Element ging, das sich durch das Wasser schob und die erste Welle vor den Bug zauberte. Ein leichtes Rauschen erklang, und an den Bordwänden begann es zu gurgeln.
„Hast du Al Conroy gesagt, daß er die Drehbassen vorn und achtern laden soll, Ben?“ fragte Hasard.
„Hat er vorhin getan, als wir die Kerle wegbrachten. Sie sind alle geladen.
Aber glaubst du …“
„Kann sein“, murmelte Hasard, „die haben ja schließlich auch Wachen auf ihren Schiffen. Und wir segeln ziemlich dicht daran vorbei. Thorfin müssen sie jedenfalls bald bemerken.“
„Sollen wir dann feuern, falls sie …“
„So schnell werden sie nicht sein, und ich hoffe, es geht auch ohne zu feuern. Aber aufhalten lasse ich mich jetzt nicht mehr. Zuerst geben wir natürlich nur ein paar Warnschüsse ab.“
Während die „Isabella“ schneller wurde, standen einige Seewölfe in der Kuhl zusammen und beobachteten den Hafen. Noch war alles ruhig, nur ein paar Laternen brannten. Die Galeonen des Marquess, der angeblich den eiligen Geheimauftrag so schnell zu erledigen hatte, waren von hier aus noch nicht zu sehen, doch sie mußten jeden Moment ins Blickfeld geraten, denn nun wurde aus der Dunkelheit diesiges Grau mit einem Himmel voller dunkler Schlieren.
Während sie abwarteten und angestrengt vorausblickten, entspann sich zwischen dem Profos und Paddy Rogers, der etwas lahm im Denken war, ein kleines Gespräch. Ed hatte sich diesen Satz eingehämmert, er fand ihn prächtig und mußte ihn unbedingt weitergeben.
„Weißt du eigentlich, weshalb es nachts so dunkel ist, Paddy?“ fragte er den bulligen untersetzten Mann, der seine Verletzung wieder gut ausgeheilt hatte.
Naturgemäß dachte Paddy eine Weile nach, um nicht die falsche Antwort zu geben, denn vielleicht wollte ihn der Profos auch nur mal wieder aufs Glatteis führen.
„Na, weil die Sonne dann eben weg ist.“
„Hm“, knurrte Ed, dem diese Antwort nicht so richtig gefiel. „Das natürlich auch, das ist mit ein Grund. Aber hauptsächlich ist es dunkel, weil der Lichtmangel – äh – sozusagen auf einen Haufen Finsternis zurückzuführen ist.“
Au, verdammt, dachte er, jetzt hatte er sich diesen Satz hundertmal eingehämmert und prompt brachte er ihn durcheinander.
„Ja, das stimmt“, sagte Paddy, „da muß ich dir unbedingt recht geben. Ein Haufen Finsternis kann ohne weiteres das Licht verdrängen, da ist was Wahres dran.“
„Man kann es auch so ausdrücken“, meinte Ed und suchte krampfhaft nach dem verlorengegangenen Satz, „daß eine gewisse Dunkelheit einen Haufen Licht in Finsternis verwandelt. Oder umgekehrt“, fügte er etwas lahm hinzu.
Das ging nun schon mal gar nicht in Paddys Hirnkasten. Das erste hatte er ja so gerade noch mit Mühe und Not kapiert, aber jetzt begriff er gar nichts mehr, und so dachte er krampfhaft nach. Aber weil der Profos auf eine Antwort wartete, mußte er sie ja auch geben, nahm sich aber vor, seinen Freund Jack noch mal ausführlich zu befragen.
„Ja, so isses“, sagte er, „genau so und nicht anders. Nicht nur weil einfach die Sonne weg ist, da hängt auch noch der Haufen Dings mit drin, das ist ganz sicher.“
„So, jetzt weißt du es“, sagte Ed und ließ einen total verwirrten Mann zurück, der überhaupt nichts mehr wußte, den Profos aber als hochgebildeten Mann schätzte. Wer mit solchen Worten umgeht, der muß ja was auf dem Kasten haben, dachte er.
Der Wind blies immer noch stetig, und zum ersten Male begann sich die „Isabella“ vor dem Herrn der See sanft und fröhlich zu verneigen, als wollte sie um seine Gunst bitten. Und in gewisser Weise war das ja auch so. Die Galionsfigur in der Gestalt der „Isabella von Kastilien“ verneigte sich und näßte ihr Haar. Gleich darauf tauchte sie tief ihren herrlichen Körper ins Wasser.
Danach waren die Ruhe und das sanfte Dahingleiten vorbei, denn weit voraus war Gebrüll zu hören. Kein Zweifel, daß man jetzt den Schwarzen Segler entdeckt hatte und eine Lumperei vermutete.
Das Gebrüll wurde lauter. Vermutlich hatte man jetzt auch die „Isabella“ aus dem Ausguck bemerkt, die wie ein Schatten über das Wasser glitt.
Hasards Lippen wurden ganz schmal. Seine blauen Augen blickten starr geradeaus. Dann trat er an die achtere Schmuckbalustrade und stützte beide Hände darauf.
„Jeden Fetzen hoch!“ rief er laut. „Alle Mann auf Stationen!“
„Aye, aye, Sir!“ rief der Profos, und dann scheuchte er seine Kanalratten, Affenärsche und Pfeffersäcke wie die Affen nach oben.
Die Arwenacks gaben ihr Bestes, und das waren tausendmal geübte Handgriffe, schnelles und sicheres Zupacken, denn jetzt ging es anscheinend ums Ganze.
Das Schiff nahm Fahrt auf, immer schneller. Sie hofften nur, daß der Durchbruch gelang und die Seesoldaten nicht ihre Breitseiten abfeuerten.
Die erste Bewährungsprobe stand bevor.