Читать книгу Seewölfe Paket 18 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 27
8.
ОглавлениеDie Schlangeninsel glich einer Kriegsgaleone, hinter deren Stückpforten die Kanoniere auf den Feind lauerten. Die ganze Insel hatte sich in eine Festung verwandelt, die fest entschlossen war, jedem Gegner zu trotzen.
Auch des Boston-Mannes hatte sich diese Stimmung bemächtigt. Er konnte nicht einmal sagen warum, und er hatte auch mit dem alten Ramsgate und Arne von Manteuffel darüber gesprochen.
„Ich weiß nicht recht“, hatte Hesekiel Ramsgate gesagt, „aber seit dieses Unwetter sich ausgetobt hat und seit wieder Ruhe in der Karibik eingekehrt ist, kommt mir das alles vor wie die Ruhe vor dem Sturm.“
Er hatte den Boston-Mann angesehen und war sich dann mit der rechten Hand durch den schlohweißen Bart gefahren.
„Irgend etwas braut sich zusammen“, fuhr er fort. „Was es ist, weiß ich nicht, aber mir ist das Ganze nicht geheuer. Dieser Auftrag, den Arkana vom Schlangengott erhielt“, wieder wanderten seine Blicke etwas ratlos in Richtung Schlangentempel, dessen Zugang wieder fest verschlossen war, „diese unglückselige Reise der ‚Mocha‘ der Umstand, daß der Seewolf, der Wikinger, die Rote Korsarin, Jean Ribault und auch Jerry Reves sich irgendwo weit entfernt von der Schlangeninsel befinden, das alles beunruhigt mich merkwürdigerweise von Stunde zu Stunde mehr.“
Der Boston-Mann nickte. Er warf einen Blick zur „Wappen von Kolberg“ hinüber, deren Überholung man sowohl wegen des Unwetters, das eine Menge Schäden auf der Insel hinterlassen hatte, als auch deswegen verschoben hatte, weil sie praktisch das einzige mit Kanonen bestückte Schiff darstellte, das zur Zeit überhaupt noch zur Verfügung stand. Die „Wappen von Kolberg“ in dieser Situation aufzuslippen, das konnte man sich nicht leisten. Vielleicht brauchte man sie noch dringend.
Wieder nickte der Boston-Mann, der ja selten ein Wort mehr von sich gab als unbedingt erforderlich war.
„Ich werde jetzt auf den Felsendom steigen. Die Rote Korsarin muß in Kürze irgendwo an der Kimm auftauchen. Sie kennt unsere Situation, und sie wird so schnell wie möglich hierher zurückkehren.“
Der Boston-Mann nickte Hesekiel Ramsgate und einigen seiner Männer zu, die sich um ihn geschart hatten, dann ging er davon. Und noch im Gehen war ihm klar, daß der Alte gar nicht so unrecht hatte: Nie durfte die Schlangeninsel ohne ausreichenden Schutz bleiben. Die Befestigungsanlagen waren dank Siri-Tongs Initiative ja wirklich als außerordentlich wirksam und kampfstark zu bezeichnen, aber sie ersetzten keineswegs die Schiffe, die einem Angreifer entgegensegeln und ihn auf Distanz halten konnten.
Mit solchen und ähnlichen Gedanken erreichte der Boston-Mann schließlich den Felsendom, und er wollte gerade den Aufstieg zur Beobachtungsplattform beginnen, als ihm eine Schlangenkriegerin der Tempelwache entgegeneilte. Sie sah den Boston-Mann und blieb stehen.
„Eine große Galeone nähert sich der Schlangeninsel“, sagte sie. „Aber es ist nicht ‚Roter Drache‘ von Siri-Tong. Es ist ein großer Dreimaster, den keiner von uns je in der Karibik gesehen hat. Ein düsteres Schiff, Boston-Mann, mit zwei übereinanderliegenden Geschützdecks. Häuptling Tomota wartet auf dich, ich sollte dich verständigen!“
Der Boston-Mann unterdrückte eine Verwünschung. Aber er bewegte den Kopf so heftig, daß sein großer goldener Ohrring heftig zu schaukeln begann.
„Ich werde sofort zur Plattform hinaufsteigen“, sagte er, und dann begann er zu laufen. Er hatte eine Kondition, um die ihn sogar der Wikinger beneiden konnte, und das wollte etwas heißen.
Er schaffte den Aufstieg in Rekordzeit. Tomota stand mit vor der Brust gekreuzten Armen auf der Plattform. Er bewegte sich nicht, ein großer, sehniger Mann mit langen schwarzen Haaren und scharfgeschnittenem Gesicht. Stumm wies er nach Südwesten, aber das wäre nicht nötig gewesen, denn der Boston-Mann entdeckte die heransegelnde Galeone sofort. Seine scharfen Augen vermochten mühelos Details zu erkennen.
Es stimmte, dieses Schiff wirkte düster und drohend, darin glich es dem Schwarzen Segler des Wikingers. Außerdem wirkte es durch die hohen Bordwände massig, die hohen Masten mit den breiten Rahen und den dunkelbraunen Segeln vervollständigten das Bild.
Diesmal stieß der Boston-Mann eine Verwünschung aus, und wieder begann sein goldener Ohrring zu schaukeln.
„Die meinen uns“, sagte er knapp. „Die segeln hierher, und es wird Ärger geben. Tomota, bleib du hier und kümmere du dich um die Insel. Schick einen deiner Läufer zu Arne von Manteuffel. Ich werde mir ein paar Männer besorgen und diesem Schiff entgegensegeln. Vor dem Felsendom in der Schlangenbucht liegt eine kleine Schaluppe, gerade richtig für diesen Zweck, denn sie rutscht auch beim augenblicklichen Wasserstand noch übers Höllenriff. Übrigens – wir sollten bald einmal im Felsendom ein Fallgatter anbringen, das auch vor ungebetenen Besuchern, die sich mit einem kleinen Boot einschleichen wollen, schützt. Du solltest mit Arkana darüber reden, sobald sie wieder auf der Insel ist …“
Der Häuptling des Araukanerdorfes sah den Boston-Mann aus seinen schwarzen, unergründlichen Augen an. Dann nickte er kaum merklich und wandte sich sofort wieder der Galeone zu.
Der Boston-Mann rannte den steilen Pfad, den er gerade erst hinaufgestiegen war, wieder hinab. Und jetzt saß auch ihm das Gefühl nahenden Unheils im Nacken.
Die Black Queen starrte zur Schlangeninsel herüber, die sich höher und höher aus der Karibik erhob, je näher sie mit ihrer Galeone heransegelte. Wilder Triumph brannte in ihren Augen, aber ihr entgingen auch nicht die Blicke, die die Rote Korsarin ihr zuwarf. Denn Siri-Tong kochte. Es war ihr auch keineswegs ein Trost, daß der Seewolf ebenso wie sie von der Queen dereinst von Don Bosco gezwungen worden war, diesen Halunken zur Schlangeninsel zu segeln. Nein, die Rote Korsarin empfand das als eine Demütigung, die nach Rache schrie. Aber sie wußte auch, daß sie im Moment gegen die Black Queen und diesen verfluchten Caligula, der sie immer wieder mit höhnischen Blicken bedachte, nichts auszurichten vermochte. Das aber steigerte ihren Zorn nur noch mehr.
Die Schlangeninsel war schon deutlich in allen Details zu erkennen: der hohe Felsendom, das dunkle Tor, groß genug um einen Segler hindurchzulassen. Es wirkte wie der Schlund der Hölle, in dem der Satan schon lauerte, um den Unvorsichtigen, der die Einfahrt wagte, sofort in sein Höllenreich zu zerren.
Diese und ähnliche Gedanken schossen der Black Queen durch den Kopf, als sie staunend den gigantischen Felsendom betrachtete, der den Eingang zu einem geheimnisvollen Paradies für den Eingeweihten, den sicheren Tod und Untergang für den ungebetenen Eindringling bedeutete.
Ja – das war die Insel, die sie haben mußte, von der aus sie die ganze Karibik beherrschen würde!
Die Black Queen gab sich keinen Illusionen hin – diese Insel war befestigt. Es würde nicht ratsam sein, zu dicht heranzusegeln. Sie winkte Caligula zu sich heran, nachdem sie einen letzten Blick auf das tintenschwarze Wasser vor dem unheimlichen Felsendom geworfen hatte.
„Segel bergen lassen, Caligula“, sagte sie. „Ankertiefe ausloten lassen. Hier dürften wir noch Ankergrund finden, dort vorne aber, wo das Wasser dunkel ist wie die Nacht, mit Sicherheit nicht. Beeil dich, Caligula, und vergewissere dich, daß der Anker gut faßt, denn es soll merkwürdige Strömungen vor dieser Insel geben. Merkwürdig und gefährlich!“
Caligula nickte. Er gab umgehend die notwendigen Befehle, und die Piraten enterten sofort auf, während eine andere Gruppe ans Ankerspill stürzte.
Dann aber wandte sich Caligula an die Rote Korsarin. Höhnisch blickte er sie an.
„Du hast wohl geglaubt, wir wären so dumm wie dieser Don Bosco, was? Sicher, eines Tages segeln wir durch diesen Dom dort hindurch, aber dann sind wir die Herren auf eurer Insel. Heute haben wir etwas anderes vor. Mal sehen, wie das Spielchen läuft, oder ob du am Ende dort oben an der Großrah baumelst, wenn ich nicht noch eine ganz andere, bessere Verwendung für dich habe!“
Caligula lachte dröhnend, aber die Rote Korsarin ignorierte ihn zu seinem Ärger völlig. Nur einmal, bei seiner letzten Bemerkung, blitzten ihn ihre dunklen Augen an. Es war ein Blick, unter dem er zusammenzuckte, wie unter einem Peitschenhieb, und der ihn ahnen ließ, wie unversöhnlich der Haß war, den er bei Siri-Tong geschürt hatte.
Der Anker rauschte aus – und die Black Queen hatte Glück. Sie erwischte noch festen Ankergrund, bevor sich der Meeresboden rings um die Schlangeninsel in unauslotbare Tiefen absenkte.
Das war der Moment, in dem die Schaluppe mit dem Boston-Mann im gähnenden Schlund des Felsendoms erschien. Wie eine Nußschale wirkte sie – aber trotzdem reagierte die Black Queen sofort. Sie gab Caligula ein Zeichen, und der verstand sie sofort und enterte zum Hauptdeck ab. Dort verschwand er in einem der Niedergänge, die zum unteren Geschützdeck hinabführten.
Siri-Tong preßte die Lippen zusammen, und Araua, die zwar gefesselt war, jedoch einige Bewegungsfreiheit besaß, tauschte mit ihr einen raschen Blick. Arkana, ihre Mutter, lag wie die anderen auf dem Hauptdeck, an Händen und Füßen gebunden.
Der Boston-Mann segelte näher heran. Siri-Tong, die vom Achterdeck der Galeone alles genau erkennen konnte, sah, wie er zusammenzuckte, denn er hatte sie erkannt. Ihre schlanke Gestalt mit der roten Bluse und den blauen Leinenhosen hob sich deutlich genug dazu vom Besanmast der „Caribian Queen“ ab.
Doch dann zuckte auch die Rote Korsarin zusammen. Sie hörte, wie die Geschützpforten des unteren Geschützdecks aufflogen und die schweren Kanonen ausgerannt wurden. Gleich darauf rollte der Donner einer Breitseite über die See. Lange Mündungsfeuer fuhren aus den Schlünden der 20-Pfünder hervor und dichter Pulverqualm wölkte auf.
Die Kugeln trafen nicht, denn die Schaluppe des Boston-Mannes befand sich außerhalb der Reichweite der Kanonen der „Caribian Queen“. Aber trotzdem schossen die Fontänen der einschlagenden neun 20-Pfünder doch schon bedenklich nahe an der Schaluppe aus der See.
Der Boston-Mann stieß einen ellenlangen Fluch aus, bei ihm eine Seltenheit: Aber er drehte nicht um und segelte nicht zurück. Er starrte zu der fremden Galeone hinüber und immer wieder zu jener Gestalt, die man auf diesem Schiff an den Besanmast gefesselt hatte, und von der er wußte, daß es die Rote Korsarin war.
„Da ist eine ganz verdammte Menge schiefgegangen, Arne“, sagte er zum Vetter des Seewolfs, der dem Seewolf fast wie ein Zwillingsbruder im Äußeren glich. „Aber warum verschwendet man eine ganze Breitseite auf uns, ganz abgesehen davon, daß man uns doch nicht für so dumm halten sollte, daß wir bis auf Schußentfernung heransegeln!“
Der Boston-Mann war wütend – und Arne von Manteuffel packte auch der Zorn.
„Wir müssen Siri-Tong da rausholen!“ sagte er. „Aber ich fürchte, sie haben Siri-Tong nicht allein. Du hast recht, Boston-Mann, da muß wirklich der Satan seine Hand im Spiel gehabt haben!“
Wieder blickten sie zur „Caribian Queen“ hinüber – und in diesem Augenblick zeigte sich die Black Queen am Schanzkleid ihrer Galeone.
Auch sie war zornig, daß ihre Breitseite auf diese Kerle da offenbar nicht den geringsten Eindruck gemacht hatte, und deshalb griff sie zu einem anderen Mittel.
„Die sollen das Winseln schon noch lernen, Caligula. Los, hoch mit den Gefangenen. Stellt sie auf das Schanzkleid, damit sie zu sehen sind. Aber laßt mir keinen entwischen, haltet sie fest und sichert vor allem diese Hohepriesterin der Araukaner mit einem Tau. Der traue ich alles zu. Auch diesen Riesen da, das ist ein gefährlicher Bursche!“ Sie zeigte auf Barba.
Die Männer führten ihren Befehl prompt aus, und wenige Augenblicke später standen alle Gefangenen in langer Reihe auf dem Schanzkleid des Haupt- und Achterdecks.
Und diesmal verfehlte die Aktion der Black Queen ihre Wirkung nicht. Denn Arne von Manteuffel und sogar der Boston-Mann erbleichten bis unter die Haarwurzeln. Eine Weile verschlug ihnen der Anblick, der sich ihren Augen bot, glatt die Sprache. Dann begann der Boston-Mann erbittert zu fluchen, und die Rote Korsarin hörte seine Flüche noch am Besanmast.
„Bei allen Teufeln der Hölle“, sagte Arne von Manteuffel und kniff die Augen ungläubig zusammen, „sie haben die Rote Korsarin, Arkana, Araua, die Schlangenkriegerinnen und einen großen Teil der Crew von ‚Roter Drache‘ als Gefangene! Da muß sich ein Drama abgespielt haben, denn weder Arkana, noch Siri-Tong noch Barba lassen sich so mir nichts dir nichts fangen …“
Der Boston-Mann nickte düster.
„Sie haben sie, und sie werden sie als Geiseln benützen. Das ist sicher, und keiner ist hier, der uns gegen diese verfluchte Piratin helfen kann. Wir haben es mit der ‚Black Queen‘ zu tun, Arne. Man hat mir dieses pechschwarze Satansweib auf Tortuga beschrieben. Und der da, der Riese neben ihr, das muß Caligula sein, ihr Unterführer!“
Der Boston-Mann kniff ebenfalls die Augen zusammen, um gegen die blendende Sonne besser sehen zu können.
„Verdammt, der Kerl sieht aus, als wäre Caligu persönlich aus seinem nassen Grab in der Windward Passage gestiegen …“, tobte der Boston-Mann, doch dann verstummte er. Denn in diesem Moment vernahmen sie die Stimme Caligulas.
„Sagt euren Freunden auf der Schlangeninsel, daß jeder der Gefangenen gegen Gold und Edelsteine aufgewogen werden muß. Die Rote Korsarin und Arkana, die Hohepriesterin der Araukaner, und der da“, er zeigte auf Barba, „ums Dreifache ihres eigenen Gewichts. Das fordern wir als Lösegeld. Ihr habt Zeit bis Sonnenuntergang. Sind dann die Schätze nicht an Bord, dann töten wir alle Gefangenen vor euren Augen.“
Caligula gab ein Zeichen – und wie ein Spuk verschwanden die Gefangenen wieder von der Bildfläche.
Erneut begann der Boston-Mann ganz gegen seine Gewohnheit lauthals zu fluchen.
Doch Caligula erschien noch einmal am Schanzkleid des Achterdecks.
„Sie sterben auch, wenn ihr irgendeine List versucht oder wenn ihr uns zu betrügen versucht. Daß wir die Wahrheit sprechen, beweise ich euch jetzt. Fragt diesen Mann!“
Caligula hob einen Mann der Besatzung von „Roter Drache“ empor und warf ihn kurzerhand über das Schanzkleid ins Meer.
„Holt ihn euch, wir erlauben es such!“ brüllte er und lachte dann dröhnend. „Aber bringt ihn wieder mit, wenn wir die Schätze auswiegen, denn dieser Mann gehört zu den Geiseln, die ihr auslösen müßt!“
Arne von Manteuffel und der Boston-Mann spürten den namenlosen Grimm, der sie wie eine rote Woge zu überschwemmen drohte. Aber dann ließen sie die Schaluppe anluven und segelten dem Mann entgegen, der, so schnell er konnte, auf sie zuschwamm.
Wenige Augenblicke später zogen sie ihn an Bord. Es war Mister Boyd, der Erste Offizier Siri-Tongs.
Sie erfuhren von dem Drama, das sich in der Bucht jener Caicos-Insel zugetragen hatte – und sie spürten, daß dort drüben eine Gegnerin mit ihrer Galeone lag, die gefährlicher, entschlossener und gerissener war, als jeder Gegner, der zuvor die Schlangeninsel bedroht hatte.
Als Mister Boyd mit seinem Bericht fertig war, starrte der Boston-Mann eine Weile schweigend vor sich hin.
„Es hilft nichts, wir müssen zur Insel zurück“, sagte er dann. „Die Sonne hat längst ihren höchsten Punkt am Himmel überschritten. Ich bin überzeugt, daß diese verfluchte Black Queen und dieser Caligula ihre Drohung wahrmachen werden. Aber was wir tun sollen, um dieser Schwarzen Bestie da drüben die Gefangenen wieder zu entreißen, ohne auf ihre Forderungen einzugehen, das weiß ich noch nicht. Und ich fürchte, wir haben auch nicht die geringste Chance …“
Die donnernde Breitseite war nicht ungehört verhallt. Schwach, sehr schwach und fern nahm sie der Wikinger auf seinem Schwarzen Segler wahr. Und auch Karl von Hutten, der sich bei ihm an Bord befand, hörte sie.
„Das war Kanonendonner!“ konstatierte der Wikinger und kratzte sich einer alten Gewohnheit folgend verblüfft am Helm.
„Kanonendonner“, echote der Stör, der sich in seiner unmittelbaren Nähe befand, und handelte sich damit sofort einen wütenden Blick des Wikingers ein. Denn der konnte es nicht ausstehen, daß der Stör oft bruchstückweise wiederholte, was er sagte.
„Ich habe es auch gehört, Thorfin“, stimmte Karl von Hutten ihm zu. „Und er kam genau von dort, wo die Schlangeninsel liegt …“
„Schlangeninsel liegt, jawohl …“, echote der Stör, brachte sich aber schleunigst in Sicherheit, als der Wikinger wütend herumfuhr und ihn packen wollte.
Aber dann lenkte ihn die „Le Vengeur III.“ Jean Ribaults ab, die von Luv herangesegelt und dann auf Rufweite verblieb.
„Da hat jemand eine Breitseite abgefeuert!“ schrie der schlanke und für seine Wildheit berüchtigte Franzose. „Verdammt, wenn mich, nicht alles täuscht, Wikinger, dann ist bei der Schlangeninsel der Teufel los! Setz jeden Lappen, den du hast, ich laufe voraus. Wenn das die Queen sein sollte, dann wird sie der Teufel lotweise holen!“
Jean Ribault brüllte ein paar Befehle, und die „Le Vengeur III.“, ranker und schneller als der mächtige Schwarze Segler, ging noch höher an den Wind und zog davon. Jerry Reves, der alles verstanden hatte, folgte ihr mit der „Tortuga“, die nahezu baugleich und ein Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“ war.
Der Wikinger fluchte, daß sogar Karl von Hutten und die vier Wikinger, die sich ebenfalls auf dem Achterdeck befanden, erbleichten.
„Ramsgate wird das ändern!“ brüllte er voller Wut, und weckte damit seine junge Frau Gotlinde auf, die sich in ihre gemeinsame Kammer zurückgezogen hatte. Sie fuhr aus der breiten Koje empor, und eine steile Falte erschien über ihrer Nasenwurzel. „Das wäre ja gelacht“, hörte sie ihren Thorfin brüllen, „wenn mir in Zukunft jede lausige Nußschale auf und davon segeln würde. Beim großen Chan und bei allen seinen verdammten Zopfmännern, ich werde mit Ramsgate ein ernstes Wörtchen darüber reden!“
Doch dann fuhr er herum.
„Verdammt, was steht ihr da herum?“ fuhr er seine Wikinger an. „Sorgt dafür, daß jeder verdammte Lappen, den die Masten und Rahen tragen, gesetzt wird. Oder glaubt ihr, ich will erst bei der Schlangeninsel auftauchen, wenn die ‚Le Vengeur III.‘ und die ‚Tortuga‘ alles kurz und klein geschossen haben!“
Die Wikinger sausten los. Es war nicht gut, dem Wikinger bei einer solchen Laune zu widersprechen.
„Kurz und klein …“, wiederholte der Stör, und sprang kurzerhand über die Schmuckbalustrade aufs Hauptdeck hinab.
Langsam beruhigte Thorfin sich wieder, und als seine Gotlinde endlich an Deck erschien, verzog er sein bärtiges Gesicht sogar zu einem freundlichen Lächeln. Aber das gelang ihm nicht so recht, denn die Sorge um die Schlangeninsel plagte ihn weit mehr, als er zuzugeben bereit war. Denn was er auf Tortuga alles erfahren hatte, das war keineswegs dazu angetan, ihn zu beruhigen.
Auch der Schwarze Segler ging hoch an den Wind, und er schob eine gischtende, gewaltige Bugwelle vor sich her.
Unterdessen wartete die Black Queen. Und sie wurde immer ungeduldiger, denn auf der Schlangeninsel rührte sich nichts.
Eine Stunde nach der anderen verging – und schließlich kochte sie über.
Mit einem Satz war sie auf dem Hauptdeck. Sie sprang genau wie der Stör einfach über die Schmuckbalustrade.
„Packt sie!“ brüllte sie unbeherrscht, denn tief im Innern spürte sie, daß irgend etwas nicht mehr stimmte, daß man versuchte, sie hereinzulegen. Sie zeigte auf Arkana, und sofort waren zwei ihrer finsteren Gesellen da und rissen die Schlangenpriesterin von den Decksplanken hoch.
„Bindet sie ans Großwant, aber so, daß man es auf der Schlangeninsel sieht. Nein – halt, legt ihr eine Schlinge um die Füße und zieht sie an der Großrah hoch. Und dann peitscht sie solange aus, bis sich da drüben etwas rührt. Das wollen wir doch mal sehen, ob die nicht zu Kreuze kriechen!“
Caligula stand plötzlich neben der Queen.
„Nein, Queen, nicht sie. Die Rote Korsarin, nimm die Rote Korsarin, diese Araukanerin …“
Die Black Queen fuhr herum.
„Ich gebe hier an Bord die Befehle, Caligula. Und wenn ich sage, zieht diese da hoch, dann wird sie hochgezogen. Sie und keine andere, verstanden …“
Die Piraten hatten Arkana schon die Schlinge um die Füße gelegt. Aber einer der Kerle konnte es nicht lassen. Er packte den Lendenschurz und wollte ihn Arkana vom Körper reißen.
Er kam nicht mehr dazu. Mitten in der Bewegung erstarrte er. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, sein Herz begann zu jagen, und dann brach er plötzlich, wie vom Blitz gefällt zusammen.
Gleich darauf packte dieselbe unheimliche Kraft die Black Queen. Sie spürte, wie ihr Herz sich im Brustkorb plötzlich zusammenkrampfte, wie ihr der Schweiß ausbrach und wie ihr die Augen aus den Höhlen quollen.
Ächzend sank sie auf die Planken des Hauptdecks, und ihr Körper verfiel in wilde Zuckungen.
Die Piraten brüllten, wichen zurück. Einer behinderte den anderen, sie fielen zum Teil übereinander.
Caligula traute seinen Augen nicht. Und als er endlich begriff, was sich da vor seinen Augen abspielte, war es für ihn zu spät. Araua war heran. Mit dem Belegnagel schlug sie zu, ihre Fesseln hatte sie wie durch ein Wunder plötzlich abgestreift.
In Caligulas Schädel explodierte etwas – und er dachte plötzlich wieder an den grellen Blitz, der die „Mocha“ zerrissen hatte, nachdem er mit seinen Brandpfeilen die Pulverfässer gezündet hatte, zu denen die breite, ausgestreute Pulverspur gelegt worden war. Dann wußte er nichts mehr – ganz im Gegensatz zur Black Queen.
Sie sah die böse glühenden grünen Augen des Schlangengottes, und sie hörte seine Stimme, die schrecklicher war als jeder Donner, als jedes Unwetter und jede Seeschlacht, die sie erlebt hatte.
„Ich verfluche dich, Black Queen. Mein Fluch wird dir überallhin folgen! Du hast es gewagt, dich an meiner Hohepriesterin zu vergreifen, dafür wirst du sterben … sterben … sterben …“
Wie ein schauriges Echo klang dieses letzte Wort in ihr nach, und die Queen sackte ächzend zusammen. Wieder wand sich ihr Körper auf den Planken in wilden Krämpfen. Schaum trat ihr auf die Lippen.
Immer noch brüllten und schrien die Piraten wild durcheinander, und das Gebrüll steigerte sich zum infernalischen Geheul, als Araua jetzt mit ein paar Schnitten ihrer Mutter die Fesseln durchtrennte. Aber das brachte die Piraten auch wieder zu sich, und sie stürmten vor, Schiffshauer, Entermesser und Belegnägel in den Fäusten.
Araua und Arkana hatten keine Wahl – sie jagten über das Hauptdeck und hechteten über das Steuerbordschanzkleid ins Meer.
Als ob alle tausend Teufel der Hölle losgelassen worden seien, so brüllten die Piraten vor Wut auf; Sie stürzten ans Schanzkleid, einige von ihnen hielten Musketen in den Fäusten und knackend spannten sie die Hähne.
Aber Araua und Arkana tauchten nicht wieder auf, sie waren verschwunden, als habe das Meer sie verschluckt.
Die Black Queen erhob sich taumelnd. Sie war kaum imstande, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Dann sah sie Caligula an Deck wie tot liegen und begriff, daß Arkana und Araua verschwunden waren. Sie sah auch den anderen Mann, der ebenfalls bewußtlos auf den Planken lag.
Da erlitt die Black Queen einen Wutanfall, wie ihn noch kein Mann ihrer Besatzung erlebt hatte – und schon glaubten alle, sie werde jetzt jeden der Gefangenen eigenhändig umbringen. Aber in diesem Augenblick erblickte sie die Segel der „Le Vengeur III.“ und die der „Tortuga“. Und noch weiter hinten wuchsen erst gewaltige Masten über der Kimm empor, die pechschwarze Segel trugen, und ihnen folgte ein ebenso gewaltiger pechschwarzer Rumpf.
Die Black Queen hielt vor Schreck den Atem an. Denn wenn sie jetzt auch nur den geringsten Fehler beging, dann nahte dort hinten bereits der Tod, der ihr prophezeit worden war.
Caligula rappelte sich ebenfalls fluchend auf. Auch er erkannte die Segel und dann auch den Schwarzen Segler.
„Thorfin Njal, der Wikinger!“ stieß er betroffen hervor – und er hatte recht.
Es war alles zu spät für die Black Queen. Weder würde es ihnen gelingen, noch rechtzeitig Segel zu setzen, noch konnten sie es schaffen, diesen schnell segelnden Gegnern zu entkommen. Selbst dann nicht, wenn sie die Ankertrosse kappten.
„Die Geiseln – paßt auf die Geiseln auf, nur sie sind jetzt unsere Rettung!“ brüllte die Black Queen, und gleichzeitig flog ihr Blick zur Roten Korsarin hinüber, die jetzt ihr kostbarstes Faustpfand war. Aber die stand immer noch gefesselt am Besan. Doch jetzt blickte sie die Black Queen höhnisch an.
„Es ist aus mit dir, Black Queen. Früher oder später, denn wir alle werden dich jagen, wie wir einst Caligu jagten. Und am Ende der Jagd war Caligu tot.“
Siri-Tong wandte sich ab. Sie blickte den drei Schiffen entgegen, die jetzt dabei waren, die „Caribian Queen“ einzukreisen und ihr jeden Fluchtweg abzuschneiden.
Als Thorfin plötzlich Arkana und Araua vor sich triefend naß auf dem Achterdeck erscheinen sah, glaubte er an Halluzinationen. Er griff sich völlig verstört an den Helm, kratzte sich dann ausgiebig und schüttelte den Kopf. Aber als er dann erfuhr, was sich ereignet hatte, und wen alles die Black Queen immer noch als Geiseln an Bord hatte, da bekam er fast einen Tobsuchtsanfall, den Gotlinde dann aber energisch zu stoppen versuchte. Doch diesmal hatte sie keinen Erfolg, denn Thorfin Njal, der Wikinger, blitzte sie an.
„Das ist eine so verdammte Sache“, brüllte er, „daß sie beflucht werden muß, und da lasse ich mir nicht dreinreden. Zum Donner, bei Odin und Thor, dem Gott des Blitzes – bin ich noch Herr auf meinem Schiff oder nicht?“ brüllte er dickköpfig.
Diesmal kroch sogar Gotlinde in sich zusammen und schwieg, denn das war im Moment der bessere Teil der Klugheit. So gut kannte sie ihren Thorfin inzwischen doch.
Aber Thorfin Njal hielt sich mit alledem nicht auf. Der Schwarze Segler drehte in den Wind, und der Wikinger sprang ans Schanzkleid. Er sah die Black Queen, und sie sah ihn.
„Black Queen“, brüllte er, daß es bis zur Schlangeninsel hinüberdröhnte. „Gib die Geiseln frei. Du hast keine Wahl, ich verhandle nicht. Ich zähle bis zwanzig, dann sind alle frei, oder wir schießen dich zusammen. Eins, zwei, drei …“
Die Black Queen spürte, wie ihr eiskalte Schauer über den Körper jagten.
„Du hast freien Abzug, Black Queen“, brüllte der Wikinger, „mehr biete ich dir nicht an, und das ist mein letztes Wort!“ Eiskalt zählte er weiter. Bei sieben flogen die Geschützpforten hoch. Bei zehn stieg zischend ein Brandsatz in die Höhe, und unweit der „Caribian Queen“ regnete Feuer in roter, grüner und blauer Farbe vom Himmel, das auf dem Wasser weiterbrannte, ohne je zu verlöschen.
Da begriff die Queen.
„Ich gebe auf, Wikinger“, brüllte sie zurück und bebte vor Wut. „Die Geiseln gegen freien Abzug!“
Der Wikinger atmete insgeheim auf, und er hörte auf zu zählen. Es dauerte nicht lange, bis sich alle einstigen Geiseln unversehrt bei ihm an Bord befanden.
Die Black Queen lichtete den Anker, die dunkelbraunen Segel bauschten sich im Wind. Sie passierte den schwarzen Segler in einer Kabellänge Abstand.
Die Black Queen starrte ihn an, und Thorfin Njal packte abermals die Wut.
„Wir werden um Tortuga miteinander kämpfen, Black Queen!“ brüllte er, und sogar sein Helm dröhnte dabei. „Dann werden wir sehen, wer der Herr der Karibik ist!“
„Ja, Wikinger“, schallte es zurück. „Wir werden miteinander kämpfen, du Ausgeburt der Hölle. Aber nicht um Tortuga, sondern um die Schlangeninsel. Und um alles, was sich auf ihr an Schätzen befindet. Ihr werdet sterben, alle. Heute war der Satan mit euch im Bunde, aber nächstesmal wird auch er nicht helfen können. Mir wird die Schlangeninsel gehören, Wikinger, ganz allein mir, der Black Queen, das schwöre ich!“
Der Schwarze Segler verlor keine Zeit. Nachdem die „Tortuga“ eine Reihe von Verletzten übernommen hatte, segelte der Wikinger sofort zu jener Bucht auf der Caicos-Insel, wo Siri-Tongs „Roter Drache“ sein Grab gefunden hatte. Thorfin Njal nahm die Überlebenden, die sich noch auf der Insel befanden, an Bord und segelte anschließend sofort zur Schlangeninsel zurück.
Aber an Bord des Schwarzen Seglers herrschte gedrückte Stimmung, der sich niemand zu entziehen vermochte, vor allem die Rote Korsarin nicht. Denn es hatte Tote gegeben. Fünf Männer ihrer Besatzung hatte „Roter Drache“ mit sich in die Tiefe genommen.
Der Wikinger legte der Roten Korsarin den Arm um die Schulter, und nicht einmal seine Frau Gotlinde erhob Einspruch.
„Uns steht ein schwerer Kampf bevor, Siri-Tong“, sagte er. „Diese Black Queen und dieser Caligula sind gefährlicher als alle, mit denen wir vorher gekämpft haben. Ich wünschte, der Seewolf käme bald zurück.“
Damit hatte er ausgesprochen, was in diesem Moment alle dachten.
„Aber jetzt, Rote Korsarin“, fuhr er fort, „spendiere ich ein Faß Rum, das wird uns allen guttun. Und ich will, bei Odin, von niemandem auch nur ein einziges Wort dagegen hören!“
Ihm entging, daß sich in Gotlindes Gesicht ein Lächeln stahl. So war er, ihr dickschädeliger Thorfin, dieser Bär von Mann. Aber genauso wollte sie ihn auch …
ENDE
Dieser Roman findet seine Fortsetzung in Seewölfe Band 361 von Fred McMason
DER KAMPF UM TORTUGA