Читать книгу Seewölfe Paket 18 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 33
4.
ОглавлениеHasard starrte skeptisch auf die Seekarte, die ihm für die Westküste Floridas zur Verfügung stand. Ein Ort namens Sarasota war dort nicht eingezeichnet. Seine Schätzung, sie würden Sarasota gegen Mittag passieren, beruhte lediglich auf der Aussage von Little Ross, der Ort liege südlich der Tampa Bay. Diese Bucht mit dem gleichnamigen Hafen war auf der Karte eingetragen. Nach seinen Berechnungen, die er am Morgen angestellt hatte, würden sie die Bucht von Tampa am frühen Nachmittag erreichen – insofern hatte er schlicht über den Daumen gepeilt und behauptet, gegen Mittag am Ziel zu sein.
„Möchte wissen, wo dieses verdammte Kaff liegt“, sagte er verärgert zu Dan O’Flynn, der sich mit ihm im Ruderhaus der „Isabella“ über die ausgebreitete Karte beugte. „Oder der Kerl hat uns mal wieder einen Bären aufgebunden.“
„Die Ponce-de-León-Bucht mit der Quelle hatte er aber lagemäßig exakt angegeben“, sagte Dan O’Flynn.
„Erinnere mich bloß nicht an diese elende Quelle“, murmelte Hasard.
Dan O’Flynn grinste. „Daß Mardengo ein Versteck auf einer der Inseln unten an der Südspitze Floridas hatte, stimmte auch. Insofern kannst du also Little Ross nichts vorwerfen. Ich schlage vor, wir zeigen ihm die Karte. Dann kann er uns ja sagen, wo der Ort liegt.“
Hasard nickte. „Gut, ruf ihn. Und sag ihm gleich, daß ich ihm den Hals umdrehe, wenn er uns was vorgesponnen hat. Was hältst du von ihm?“
„Ein komischer Kauz“, erwiderte Dan.
„Komischer Kauz ist noch gelinde ausgedrückt“, sagte Hasard grimmig. „Der hat es faustdick hinter den Ohren – dieser Bruder von sechs Schwestern!“
Dan O’Flynn lachte und verließ das Ruderhaus, um Little Ross zu holen. Minuten später erschien er mit ihm. Little Ross war auf der Kuhl bereits dabei gewesen, das Werkzeug, das ihm Ferris Tucker zugeteilt hatte, in der Jolle zu verstauen. Drei Weinfässer waren ebenfalls schon an Deck gehievt worden.
Hasard musterte den klotzigen Kerl mit einem vernichtenden Blick, deutete auf die Karte und sagte: „Wo liegt die Schnapsdestille, Freundchen? Zeig’s mir mal. Und wenn du uns was vorgeflunkert hast …“
„… drehst du mir den Hals um, Sir“, sagte Little Ross. „Mister O’Flynn hat mir’s verkündet, und es betrübt mich zutiefst, Sir, daß du so mißtrauisch bist und mir nicht glaubst. Dabei bin ich ein durch und durch ehrlicher Mensch …“
„Red nicht so viel!“ knurrte Hasard. „Wo ist der Ort?“
Little Ross beugte sich über die Karte, nahm den Zirkel, der darauf lag, fuhr mit der Spitze von Tampa aus südwärts und tippte mit ihr auf eine kleinere Bucht, die etwa fünfzehn Meilen unter der Tampa Bay lag.
„Hier, Sir“, sagte er, schränkte das aber gleich ein und fügte hinzu: „Das weiß ich von Kapitän Fogg, der von der Bucht geschwärmt hat. Darum hab ich mir das so genau gemerkt. Dort würde er seinen Lebensabend beschließen, hat er gesagt. Nur dort. Und er hat mir auch von Joseph Jelly und seinem Schnaps erzählt – das schwöre ich beim Leben meiner sechs Schwestern!“
Hasard stieß einen Zischlaut aus. Jetzt kam der wieder mit seinen sechs Schwestern daher, dieser Hundesohn!
„Wenn wir nicht auf diesen Schnapskerl stoßen“, sagte Hasard grollend, „bist du dran, Mister Ross!“
„Und wenn er nicht mehr unter den Lebenden weilt, Sir?“ fragte Little Ross vorsichtig.
„Dann bist du auch dran“, sagte Hasard. „Es sei denn, wir finden noch Schnaps oder die Gerätschaften, die er zum Brennen braucht – oder seine Leiche. Mal sehen. War der Ort namentlich auf Kapitän Foggs Karte verzeichnet?“
„Aye, Sir. Seine Karte war besser als deine. Vor der Sarasota Bay waren, dem Küstenverlauf folgend, lange Sandbänke eingezeichnet …“
Hasard fuhr hoch. „Sandbänke? Und das sagst du erst jetzt, Himmel, Arsch und sonst was! Wie sollen wir uns da in diese verdammte Bucht mogeln? Etwa stundenlang loten, oder was?“
Little Ross grinste. „Sir, du bist unnötig erregt!“
„Aha! Und weiter?“ blaffte Hasard. Er sah die „Isabella“ bereits wieder auf Dreck sitzen – wie vor Pirates’ Cove. Und das reichte ihm allmählich.
„Sir“, sagte Little Ross und feixte weiter. „Kapitän Fogg erzählte mir, Joseph Jelly habe die Einfahrt zwischen zwei Sandbänken markiert, damit auch jeder zu ihm fände, der bei ihm ein Schnäpschen trinken wolle. So einfach ist das.“
„Mit was markiert?“ fauchte Hasard.
„Mit zwei leeren Schnapsfässern, Sir“, sagte Little Ross. „Von See kommend steht auf der nördlichen Sandbank eine rote Tonne, die man an Backbord lassen muß. Und auf der südlichen Sandbank steht eine grüne Tonne, die dementsprechend an Steuerbord bleibt, wenn man in die Bucht segelt. Kannst du mir folgen, Sir?“ Und wieder war der Kerl impertinent am Grinsen. „Ich finde die Idee mit den Schnapsfässern genial, Sir. Du auch?“
„Äußerst genial“, ächzte Hasard. „Und so sinnig. Wenn ihr euch dort angesiedelt habt, können sich für die vorbeisegelnden Schiffe ja immer zwei Ladys als Toppzeichen auf die beiden Tonnen setzen, damit jeder gleich weiß, was in Sarasota anliegt!“
Dan O’Flynn prustete los.
Little Ross sagte gemessen: „Sir, du bist sehr frivol. Ich möchte diesen Vorschlag auch überhört haben, obwohl er sehr bedenkenswert ist. Auf keinen Fall aber werde ich zulassen, daß sich Dolores als Toppzeichen anbietet. Das geht nun wirklich zu weit.“
„Sie würde sich dazu gut eignen“, sagte Hasard.
„Brauchst du mich noch, Sir?“ fragte Little Ross sehr kühl.
„Moment!“ Hasard tippte auf die Bucht auf der Karte. „Wie sieht’s dort mit der Wassertiefe aus? Wie ist der Ankergrund? Hat Kapitän Fogg darüber etwas verlauten lassen?“
„Für Galeonen von der Größe der ‚Isabella‘ völlig ausreichend“, erwiderte Little Ross. „Der Ankergrund ist ideal, nämlich Sand. Das sind ebenfalls Angaben von Kapitän Fogg, und ich habe keinen Grund, sie zu bezweifeln, da er ein äußerst gewissenhafter Mann war.“
„In Ordnung“, sagte Hasard versöhnlich. „Das mit den Toppzeichen ist mir so rausgerutscht. Ich glaube, ich bin ziemlich kribbelig heute. Offen gestanden bin ich froh, daß wir diese Lösung mit den sechs Ladys so schnell gefunden haben. Habt ihr die beiden Schwarzen schon gefragt, ob sie bei euch bleiben wollen?“
„Aye, Sir. Sie waren sofort einverstanden.“
„Gut, dann seid ihr mit Jelly vier Männer am Ort. Al Conroy soll euch entsprechend mit Waffen und Munition ausrüsten. Was werdet ihr noch brauchen?“
Little Ross wurde verlegen und scharrte unschlüssig mit den Füßen über die Planken.
„Heraus damit“, sagte Hasard.
„Äh – Sir, Dolores fragte mich, ob ich ihr nicht ein paar Nadeln besorgen könnte.“
„Nadeln?“ Hasard schaute ihn etwas perplex an. „Wozu das denn?“
„Nadeln und Garn oder so, Sir“, sagte Little Ross. „Sie meint, das brauche man, um sich was nähen zu können.“
„Natürlich braucht man das – logisch! Mann, war das eine dämliche Frage von mir. Klar, sollt ihr haben. Will Thorne wird von seinem Bestand was abzweigen. Folgt weiterhin, daß ihr auch Stoffe braucht. Ich glaube, damit könnte er auch aushelfen. Will Dolores für euch die Kleider nähen?“
„Ja.“ Little Ross wurde etwas rot. „Ah – sie hat das gelernt, bevor sie – na, du weißt schon.“ Little Ross starrte auf seine Stiefelspitzen.
„Ah – ja.“ Hasard ermahnte mit einem Blick Dan O’Flynn, nicht so unverschämt zu grinsen. Sich selbst mußte er auch ermahnen. Hier entwickelten sich ständig neue Perspektiven – kein Wunder bei diesem verrückten Unternehmen. Allein diese Fahrwassermarkierung mit zwei verschieden farbigen Schnapsfässern war total irre, aber nichtsdestoweniger von schlichter Einfachheit. Und jetzt wollte das vollbusige Flaggschiff also den Beruf der Näherin ergreifen, den sie erlernt hatte, bevor sie – na, du weißt schon!
„Kinder – Kinder“, murmelte Hasard, „da macht man was mit.“
„Stimmt was nicht, Sir?“ fragte Little Ross besorgt.
„Nein, nein, alles klar“, sagte Hasard. „Ich hab nur so vor mich hin gedacht. Braucht ihr sonst noch irgend etwas?“
„Leder, wenn ihr habt“, sagte Little Ross.
„Leder“, sagte Hasard, „Leder, hm, müßten wir haben, weil wir die Riemen an den Rudergabelstellen damit bekleiden.“ Und vorsichtig fragte er: „Was hat’s damit auf sich, Mister Ross?“
„Ilaria will sich um unser Schuhzeug kümmern, Sir“, sagte Little Ross. „Ihr Vater in Spanien war Schuhmacher. Und als sie noch jung war, hat sie ihm dabei geholfen, bevor sie – na, du weißt schon, Sir.“
Na, du weißt schon, Sir!
Hasard holte tief Luft und atmete sanft aus. Du meine Güte! Nein so was! Da sollte mal einer sagen, er kenne die Frauen!
Hasard starrte Dan O’Flynn in die Augen, und der starrte zurück, genauso verdattert wie sein Kapitän.
Und hinter ihnen, am Ruder, sagte Nils Larsen: „Ja, ja!“ Als hätte er Augen im Hinterkopf, sagte er das. Mitgehört hatte er sowieso. „Fehlt nur noch, daß wir jetzt so eine Art Mamsell bestücken müssen, die Töpfe, Kannen, Geschirr und solchen Kram braucht. Und natürlich ist sie die Tochter eines Schankwirts, die bei ihrem Alten in die Lehre ging, bevor sie – na, ihr wißt schon!“
„Genau!“ sagte Little Ross geradezu glücklich. „Um diese Dinge hatte mich Juanita gebeten …“ Plötzlich fuhr er zu Nils Larsen herum. „Woher wußtest du das?“
„War nicht schwer zu erraten, Junge“, sagte Nils Larsen trocken. „Wir haben die Näherin, die Flickschusterin – da fehlte eigentlich die Mamsell. Wie wär’s denn noch mit der Tochter eines Bäckers? Habt ihr die auch?“
„Haben wir“, sagte Little Ross und war jetzt selbst etwas verwirrt. „Aber sie bat mich nur um einige Pfunde Mehl und ein großes Brett, um Teig auswalzen zu können.“
„Wie heißt denn das Schätzchen?“ fragte Nils Larsen über die Schulter.
„Isabella“, sagte Little Ross verschämt.
Hasard, Dan O’Flynn und Nils Larsen brüllten auf, als sei unter ihnen was explodiert.
Little Ross zog den Kopf zwischen die massigen Schultern und verdammte sich, das ausgeplaudert zu haben. Jetzt war wahrscheinlich alles aus. Diese Kerle mit ihrem Kapitän, die als die „Seewölfe“ bekannt waren, mußten ja allergisch reagieren, wenn die Tochter eines spanischen Bäckers, die es dann vorgezogen hatte, einem anderen Gewerbe zu frönen, genauso hieß wie das herrliche Schiff dieser Kerle. Herr hilf! betete Little Ross. Die schmeißen mich gleich außenbords! Und verzeih mir, daß ich von diesen wirklich feinen Burschen schon so viel erbeten habe! Dabei wollte ich doch nur um die Nadeln für Dolores bitten – das andere ergab sich so, o Herr! Ich bin doch kein Geier …
An diesem Punkt seiner zutiefst betrüblichen Gedankenkette empfing er einen krachenden Schlag auf die rechte Schulter, und der Kapitän brüllte ihm ins Ohr: „Isabella, sagtest du? Los, zeig sie mir! Ich will wissen, wer sie ist!“
Und schon hievte ihn eine eiserne Faust hoch, zerrte ihn aus dem Ruderhaus, schleifte ihn zur Querbalustrade des Achterdecks.
„Welche ist es?“ brüllte Hasard.
„D-d d-da“, stotterte Little Ross und deutete mit einem zittrigen Finger auf ein schlankes, rankes Frauenzimmer mit blauschwarzen langen Haaren, die ein nahezu madonnenhaftes Gesicht umrahmten, das keineswegs so aussah, als sei es sehr viel und sehr häufig mit den Sünden dieser Welt konfrontiert worden. Diese Madonna namens Isabella hievte gerade vier gebündelte Musketen in die Jolle.
Hasard setzte mit einer Flanke über die Querbalustrade, landete geschmeidig, fegte an seinen verdutzten Mannen vorbei, umfing die Lady Isabella und walzte mit ihr tanzend über das Kuhldeck.
Verrückter ging’s nicht.
„Juchhu!“ brüllte er. „Das ist der Isabella-Tanz! Und links herum und rechts herum! Die Isabella tanzt auf der ‚Isabella‘! Vorwärts, Männer der ‚Isabella‘! Es wird getanzt! Juchhu – und hoch das Bein! Es lebe die ‚Isabella‘!“
Jawohl, sie gerieten alle in Bewegung. Und wer gerade eine der restlichen fünf Ladys zu fassen kriegte, walzte los. Wer leer ausging – die Überzahl – packte sich bei den Schultern, bei den Händen und schob mit dem anderen los.
„Isabella – Isabella – Isabella!“ tönte der Chor der Arwenacks.
Und die Planken dröhnten unter den stampfenden Schritten der Männer. Arwenack raste zeternd zum Großmars hoch, Plymmie, die Bordhündin drängte sich zwischen die beiden Jungen, die mit offenen Mündern dastanden, und Sir John kreischte unter der Back, aus der er sich noch nicht wieder hervorgewagt hatte. Die herumgeschwenkten Ladys kreischten auch, aber nicht, weil sie Angst hatten. Nein, sie fanden das einfach toll. Wirklich, auf diesem Schiff war was los. Eitel Freude und Jubilieren war das.
Nur Little Ross oben an der Querbalustrade sah das anders. Denn seine Dolores wurde von Luke Morgan herumgeschwenkt – der kleine Luke Morgan und das stattliche, große Flaggschiff! Darum betete Little Ross wieder, und Dan O’Flynn, der neben ihn getreten war, klopfte ihm tröstend auf die Schulter.
Old O’Flynn tauchte neben ihnen auf, sehr erschüttert über das, was sich seinen Blicken auf der Kuhl darbot.
„Was ist da denn los?“ brüllte er seinem Sohn ins Ohr – er mußte brüllen, denn der Lärm war ohrenbetäubend.
„Ringelpietz mit Anfassen!“ brüllte Dan zurück. „Jupp-heidie und jupp-heida! Wir feiern die ‚Isabella‘!“
„Habt ihr was getrunken?“ schrie der Alte giftig.
„Keinen Schluck!“
„Dann seid ihr alle übergeschnappt!“
„Na und? Ist doch mal fein!“ schrie Dan O’Flynn lachend. Und er brüllte seinem Alten ins Ohr, jetzt hätten sie eine leibhaftige Isabella auf der „Isabella“, nämlich jene hübsche Lady, mit der Hasard auf der Kuhl herumtanze.
Da krakeelte auch Old O’Flynn los. Viel fehlte nicht, und er hätte sich in das Getümmel auf der Kuhl gestürzt. Dan erwischte ihn gerade noch am Kragen und hielt ihn zurück.
„Isabella von Kastilien“ hieß eine spanische 200-Tonnen-Galeone, die von Hasard und seiner damaligen Stammcrew – das war 1576 gewesen – auf der Reede von Cadiz in einem verwegenen Raid gekapert und mit einer Ladung von dreißig Tonnen Silberbarren nach England gesegelt worden war. Seitdem hatten die Seewölfe aus Tradition ihre Schiffe „Isabella“ genannt – unter Verzicht auf die Landschaftsbezeichnung, die ja für ein englisches Schiff reichlich absurd gewesen wäre. „Isabella“ – das ging noch an. Ganz abgesehen davon hatten sie die Dons mit diesem Namen oft genug auf den Leim führen können.
Als sich jetzt, während einer Atempause, Hasard bei der Lady Isabella erkundigte, woher sie in Spanien stamme, da war’s doch tatsächlich Kastilien, was die Seewölfe erneut in eine Toberei ausbrechen ließ.
Natürlich empfing die Lady Isabella aus Kastilien die gewünschten Dinge: zwei Mehlfässer, ein Hartholzbrett zum Teig auswalzen und sogar ein Nudelholz.
Die fröhliche Stimmung an Bord hielt an. Tatsächlich meldete gegen Mittag der Ausguck im Großmars – Jack Finnegan hatte ihn übernommen – Steuerbord voraus die beiden Schnapstonnen – die nördliche rot, die südliche grün angestrichen. Die Heiterkeit nahm kein Ende.
Hasard ließ anluven, um genügend Abstand zum Ansteuern der Zufahrt zur Bucht zu haben. Als die beiden Tonnen querab an Steuerbord der „Isabella“ lagen, ließ Hasard halsen, und sie segelten über Backbordbug raumschots auf die Einfahrt zwischen den beiden Tonnen zu. Focksegel und Großsegel wurden geborgen. Der Besan genügte und erleichterte in der Bucht dann das Aufdrehen in den Wind, wenn der Anker fallen sollte.
Die beiden Tonnen auf den Spitzen der nördlichen und der südlichen Sandbank waren mit Steinen gefüllt, so daß sie auch von Sturm und Seegang nicht umgeworfen werden konnten. Zusätzlich waren sie von einem Steinring umgeben. Da hatte sich Joseph Jelly offenbar mächtig abgeplagt.
Die „Isabella“ glitt in eine idyllische Bucht, drehte in den Wind, und der Anker fiel. Er faßte sofort. Bisher stimmte alles, was Little Ross über die Sarasota Bay berichtet und angegeben hatte.
Den letzten Beweis erbrachte Joseph Jelly selbst.
„Er ist es“, sagte Little Ross zufrieden. „Kapitän Fogg hat ihn mir so beschrieben.“
Hasard wunderte sich über nichts mehr, zumal der Gnom, der aus der Hütte inmitten einer Lichtung des Stranddickichts getreten war, eine Schnapsflasche schwenkte und zur „Isabella“ etwas hinüberschrie, was als Aufforderung zu deuten war.
„Französisch“, sagte Little Ross neben Hasard. „Aber er spricht auch Spanisch.“
Der Gnom trug ziemlich große Schnallenschuhe, Strümpfe und Kniehose von undefinierbarer Farbe, eine verblichene Uniformjacke, deren linker Ärmel ausgerissen war, und eine Art Dreispitz auf dem verfilzten Kopf. Offenbar hatte er es mit der Gicht zu tun, denn er war krummrückig und ging am Stock, das heißt, jetzt hüpfte er zum Strand und ähnelte eher einem Kobold. Jedenfalls schien er sich mächtig zu freuen, Besuch zu haben. Und als er die Ladys entdeckte, die mal wieder am Kichern waren, stellte er die Schnapsflasche in den Sand, zog den Dreispitz mit Grandezza und zelebrierte Kratzfüße. Dabei grinste er zum Gotterbarmen.
„Na denn“, sagte Hasard ein bißchen erschüttert, „da habt ihr wirklich einen feinen Kavalier zum Compadre!“
Little Ross strahlte. „Nicht wahr? Und dann mit so guten Manieren. Über den fehlenden Ärmel mußt du hinwegsehen, Sir.“
„Hm. Den kann ihm ja Dolores wieder annähen“, meinte Hasard. „Und die Haare müßt ihr ihm auch mal waschen und schneiden.“ Er hob beide Hände an den Mund und rief zum Strand hinüber: „Ist es gestattet, an Land zu kommen, Mister Jelly?“ Er rief es auf französisch, und statt „Mister“ sagte er natürlich „Monsieur“, was der Gnom entzückt registrierte.
Und er rief zurück, daß er sich freuen würde, „mon capitaine“ einen „schnick“ – ein Schnäpschen – kredenzen zu dürfen.
Wenn’s sein muß, dachte Hasard, rief aber zu dem Gnom hinüber, daß er sich sehr geehrt fühle. Insgeheim beschloß er, Carberry diesen „Schnick“ zuerst trinken zu lassen. Der Profos hatte einen eisernen Magen und eine ausgepichte Kehle, und er hatte oft genug bewiesen, über was für ein Stehvermögen er verfügte, wenn die anderen bereits unter dem Tisch lagen und schnarchten.
Hasard wandte sich zu Ben Brighton um und sagte grinsend: „Dann wollen wir mal, Ben. Was meinst du, sollen wir beide Jollen aussetzen?“
Ben Brighton, bedächtig wie eh und je, ließ den Blick über die Kuhl wandern und nickte.
„Hat sich ’ne ganze Menge angesammelt, was an Land geschafft werden muß“, sagte er sachlich. „Da geht’s schneller, wenn wir beide Jollen nehmen.“
„In Ordnung, Ben. Verrückte Geschichte, wie?“
„Total verrückt“, brummte Ben Brighton und nickte mit dem Kopf zu der Lady Isabella hin, die zwischen den anderen Ladys bei den beiden Booten stand. „Ein feines Frauenzimmer, Sir. Richtig knackig überall – und unschuldiger als die anderen.“
„Ben!“ sagte Hasard mahnend und drohte mit dem Finger.
„Ich mein ja nur“, murmelte Ben Brighton und sagte noch leiser: „Wär was für die Schlangen-Insel.“
Hasard horchte auf. „Für dich, wie?“
„Aye, Sir.“ Ben seufzte ein zweites Mal. „Aber ich weiß schon, daß ein solcher Wunsch unmöglich ist. Entweder übernehmen wir alle – oder keine. Wenn einer von uns dieses Recht für sich in Anspruch nimmt, dann gilt das auch für die anderen. Nur ist das ein unlösbares Problem, weil wir Männer in der Überzahl sind. Aber irgendwann werden wir dieses Problem lösen müssen – auf der Schlangen-Insel. Da sind zu wenige Frauen für zu viele Männer. Und um die wenigen Frauen – könnte ich mir vorstellen – gibt’s irgendwann Krach zwischen den Männern. Hast du das schon mal bedacht, Sir?“
„Ja“, sagte Hasard verbissen.
„Und?“ fragte Ben Brighton.
„Nichts ‚und‘.“ Hasard blickte dem Mann, der ihm in all den Jahren zum Freund geworden war, fast hilflos in die Augen. „Was soll ich tun, Ben? Nach England segeln und an die fünfzig oder hundert Jungfrauen fragen, ob sie bereit wären, in die Neue Welt zu segeln, wo entsprechende Männer, die für sie unbekannt sind, nur auf sie warteten? Wie stellst du dir das vor?“
„Etwa so, wie du sagtest“, erwiderte Ben Brighton in seiner ruhigen Art. „Warum nicht?“ Er lächelte ein bißchen. „Wir können Falmouth anlaufen und Umschau halten. Oder Plymouth! Da würde uns sicher unser guter alter Nathaniel Plymson weiterhelfen können …“
„Mit Jungfrauen, wie?“ unterbrach ihn Hasard.
Ben Brighton schüttelte den Kopf und blickte wieder zu der Lady Isabella. „Das muß nicht sein. Wir sind ja auch keine Jungmänner mehr, nicht? Ich würde das nicht so eng sehen. Vielleicht wäre mir eine Frau, die kein Blümchen-rühr-mich-nicht-an mehr ist, sogar lieber, kein Flittchen, bewahre! Aber ein Frauenzimmer, das die Männer kennengelernt hat und auch zu unterscheiden weiß, ob ihr jetzt ein richtiger Kerl begegnet ist – oder ein Hallodri. Ja, so ungefähr stelle ich mir das vor.“
Hasard nickte nachdenklich. „Fragt sich, wieviel Zeit uns dafür noch bleibt.“ Er hob den Kopf. „Die Zeit, Ben! Sie läuft uns unter den Fingern weg! Schau dir meine beiden Jungen an! Und wenn wir die Ladys an Land gesetzt haben, karren wir weiter, um nach dem Stamm Tamaos zu suchen, der sich vielleicht – vielleicht! – dazu überreden läßt, bei der Schlangen-Insel eine andere Insel zu besiedeln, urbar zu machen und zu beackern, damit wir alle davon leben können – in Freiheit! Aber die Zeit läuft uns dabei weg.“
„Da sind deine Söhne, die das fortsetzen können“, sagte Ben Brighton gelassen. „Und vielleicht die Söhne und Töchter der Arwenacks. Da spielt Zeit keine Rolle. Nur müssen wir’s schaffen, unsere Aufgabe an unsere Kinder weiterzugeben – sonst ist unser Haus auf Sand gebaut.“
„Danke, Ben.“ Hasard hatte sich aufgereckt, und sein Gesicht war kantiger geworden. Er wandte sich zur Kuhl um, und seine Stimme schnitt scharf zwischen das Gemurmel dort: „Ed, laß die beiden Jollen aussetzen! Willig-willig! Wir haben noch eine andere Aufgabe, wenn ich daran erinnern darf. Bitte die Ladys in die kleine Jolle. Alles andere in die große!“
„Aye, Sir!“
Und der Profos zeigte mal wieder, aus welcher Ecke bei ihm der Wind wehte – nämlich von allen Seiten.