Читать книгу Seewölfe Paket 28 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 19

5.

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Er enterte an Steuerbord auf – über die Jakobsleiter, die Smoky auch sofort einholte, als der Profos triefnaß auf die Kuhl sprang, aber gleich zwei Schritte zurücktrat, weil der Kapitän vor ihm auftauchte wie ein Gespenst der Verdammnis.

Doch es war ein freundliches Gespenst, das auch keine Zähne einschlug. Allerdings knurrte es.

Es knurrte: „Da, sauf, damit die Partie mit Will wieder gleichsteht, du verrückter Affenarsch!“ Und damit drückte das Gespenst dem Profos eine Buddel Rum in die Hand und war gleich darauf wieder verschwunden, denn dieser mitternächtliche Überfall auf die „Santa Barbara“ war noch längst nicht beendet. Er wurde fast zu einem Alptraum, denn diese Kerle, welche die Wüste ausgespuckt zu haben schien, steckten nicht auf.

Sie hatten überraschen wollen – und waren selbst überrascht worden, und das insbesondere von der merkwürdigen Kampfesweise eines einzelnen Mannes, der wie ein Berserker gewütet hatte. Doch das hielt sie nicht davon ab, ihre Angriffe fortzusetzen, und zwar noch wütender und fanatischer als zuvor. Außerdem wußten sie sich in der Überzahl.

Sie kannten das Wattengebiet von Abu Dhabi so genau wie das Innere ihrer Zelte, die im Schutze der Dünen aufgebaut waren. Sie wußten, welche „Khawrs“ mit genügender Wassertiefe durch die „Sabkhas“ führten – und in welche Richtungen sie abzweigten.

„Khawrs“, das waren die Priele, „Sabkhas“ die weiten Salztonflächen des Watts, die mitunter von dem auflaufenden Wasser überflutet wurden.

Die Sandbänke vor der Küste waren ihnen ebenso vertraut wie die vielen verschwiegenen Naturhäfen am Uferrand oder bei den Inseln und Inselchen. Und sie wußten exakt, wo die Korallenbänke lagen.

Sie waren nomadisierende Wüstenbewohner und benutzten „das Schiff der Wüste“ – das Kamel. Es ermöglichte ihnen bei Gefahr im Verzuge die schnelle Flucht in die Wüste – oder den schnellen Ortswechsel entlang der Küste, wenn es galt, ein Schiff im Auge zu behalten, das zu plündern sich lohnte, sobald die Gelegenheit günstig war.

Dann wandelten sie sich zu Fischen im Wasser, zu Raubfischen, wobei sie sich flinker kleiner Boote oder Dhauen bedienten, die sie exzellent beherrschten.

In der Praxis ihres Gewerbes der Piraterie hatte es immer wieder Fälle gegeben, daß Schiffe auf den tückischen Sandbänken oder Korallenriffs aufliefen. Im Bild ähnelte das der Situation einer Fliege, die ins Netz einer Spinne geraten ist. Je heftiger sie zappelte, desto mehr verstrickte und verausgabte sie sich.

Es hatte sich alles so abgespielt, wie das die Kerle gewohnt waren. Und sie hatten schon vorher gewußt, daß es die Christenhunde nicht schaffen würden, ihr Schiff mittels des ausgebrachten Ankers und des Gangspills von der Sandbank zu ziehen.

Der Grund lag auf der Hand: Die Galeone war zum Ende des Hochwassers auf die Sandbank geraten, das Wasser begann bereits wieder abzulaufen, als der Anker ausgebracht wurde. Das heißt, jetzt verminderte sich der Wasserstand von Minute zu Minute, zwar langsam, doch stetig. Je weniger die Galeone aufschwamm, desto fester saß sie auf dem Sand. Da reichten die Kräfte der gesamten Mannschaft nicht mehr aus, die Position ihres festgefahrenen Schiffes auch nur um Haaresbreite zu verändern.

Die Fliege klebte im Netz.

Die Späher der Piraten von Abu Dhabi frohlockten, als sie am Abend entdeckten, wie die Christenhunde ihr Schiff verließen und anfingen, den Muschelbewuchs vom Rumpf zu entfernen. Dazu brauchten sie Licht – natürlich. Aber daß sie sich damit ihren Henkern blind darboten, das ahnten diese weißen Tölpel nicht. Sie konnten nicht vom Hellen ins Dunkle schauen, sie waren zudem durch die Arbeit an den Muscheln abgelenkt, und um Mitternacht würde die Müdigkeit einsetzen.

Das war der Zeitpunkt zum Angriff, wie er günstiger nicht sein konnte, zumal sie auch noch zu Fuß ans Schiff herankamen und die Boote nicht zu überlasten brauchten. Bei dem Angriff zu Fuß über das Watt hatten sie den weiteren Vorteil, in völlig loser Kampfordnung vordringen zu können. Es gab keine Zusammenballungen. Der Gegner mußte jeden Angreifer einzeln aufs Korn nehmen.

Aber der Überraschungsangriff war geplatzt, alles hatte sich anders entwickelt als sonst, ja, sie hatten bereits Tote zu verzeichnen, was selten passierte. Und sie hatten zwei Boote verloren. Das dritte trieb noch kieloben auf dem Priel.

Sie schwärmten aus und griffen jetzt die „Santa Barbara“ von allen Seiten an, deren Mannen damit zur Rundumverteidigung gezwungen wurden.

Hasard begriff das sehr schnell und postierte seine Arwenacks längs der Schanzkleider. Sie hatten sich inzwischen mit Pistolen, Tromblons, Musketen und Blankwaffen ausgerüstet. Jack Finnegan war abgeentert, Batuti hatte den Hauptmars bezogen – abgeteilt von Hasard für den Pfeilbeschuß auf die Boote: Wenn die Brandpfeile in den Booten steckten, boten die Kerle darin genauere Ziele für die Musketen der Arwenacks, ganz abgesehen davon, daß Batuti auch Pulverpfeile einsetzte, deren explodierende Wirkung die Kerle von Bord jagte.

Ein Boot brannte bereits wie eine Fackel und beleuchtete den Umkreis, wo die Kerle schleunigst wegtauchten, als die ersten Kugeln um sie herum ins Wasser klatschten.

Die „Santa Barbara“ wurde zur Festung, gegen die der Gegner Sturm rannte. Jetzt arbeitete die Zeit gegen ihn, denn das Wasser stieg ja und würde ein schnelles Heranwaten immer schwieriger gestalten.

Sie wußten das und griffen an wie die Teufel. Natürlich waren alle Jakobsleitern und Taue, die außenbords gehangen hatten, eingeholt worden. An dem Muschelbewuchs – jetzt erwies er sich paradoxerweise als Verteidigungsmittel – zerschnitten sie sich die nackten Füße, aber sie kletterten an den schräg gegen den Rumpf gestellten Pallhölzern hoch, und sie versuchten es vorn und achtern.

Es war einer der Unterführer Hassan al-Karabs, des Scheichs dieses Raubstammes der Joasmäer, dem es gelang, über ein Pallholz das Steuerbordschanzkleid in Höhe der achteren Kuhl zu erreichen.

Allerdings war der Kerl bemerkt worden, und zwar von Mac Pellew, der dort Posten bezogen hatte. Auch Mac hatte eine eigene Kampfesweise in derlei Situationen, und sie war von ihm weiß Gott in unzähligen Fällen erprobt worden.

Er kämpfte nicht mit der Blankwaffe, wenn es an Bord des eigenen Schiffes zur Sache ging, sondern er bevorzugte die Bratpfanne, mit der er erstens nicht danebenhauen und zweitens seinen Körper abschirmen konnte. Mit der Bratpfanne hatte er schon viele Messer abgefangen.

Als der Kopf des Kerls am Schanzkleid auftauchte, wuchs auch Mac vor ihm hoch und drosch ihm die Bratpfanne, die er mit beiden Händen wie eine Axt führte, auf den Schädel. Es war jene Pfanne, in der er die Spiegeleier für die Mannen gebraten hatte.

Nein, nein, sie war nicht kalt. Sie war prächtig aufgeheizt und noch nicht abgekühlt, denn er hatte sie vor knapp einer Minute von einem der Becken genommen, in denen die Holzkohle für die Drehbassen glühte.

Booiiingg!

Es klang, als habe jemand mit einem Hartknüppel auf einen Haremsgong gehauen.

Dem Kerl rutschte der Kopf in den Hals. Er sauste mit abgespreizten Beinen in den Grätschsitz und rasselte in dieser Haltung wie ein Reiter den schrägen Balken wieder hinunter ins Wasser, was ihm guttat. Denn eine Sause über Holz mit dem Hintern erzeugt mächtige Hitze infolge der Reibung. Der Hintern qualmte sozusagen.

In das fürchterliche Gebrüll des Kerls mischte sich das Ziegenbockgemecker Mac Pellews, eine Art Höllengelächter. Es ließ die Kerle, die an Steuerbord aufentern wollten, buchstäblich erstarren. Und sie sahen mit Entsetzen, wie ihr Unterführer – einer der Tapfersten und Wildesten im Stamm – im Wasser auf und nieder hüpfte und sich dabei den Hintern festhielt, obwohl auch seine Hände versengt waren, mit denen er versucht hatte, sich am Holz noch festzuklammern.

Schlimm genug – der große Kämpfer des Stammes hatte bei der Abwärtssause das Messer verloren, das er quer im Mund gehabt hatte. Es steckte mit dem Griff im Sand. Und der Hüpfer sprang drauf – mit dem rechten Fuß. Er konnte es ja nicht sehen, weil das Wasser darüberstand und die Klinge verbarg.

Der große Kämpfer stieg mit einem schrillen Jaulen in den Nachthimmel, als wolle er dort die Sterne besuchen. Als er rücklings ins Wasser klatschte, sahen die Kerle mit Schaudern das Messer im rechten Fuß ihres Unterführers – aus dem Rist ragte die Klinge, aus der Sohle der Griff.

Man sieht, was eine Bratpfanne alles anrichten kann.

Der Angriff an Steuerbord geriet ins Stocken. Sie zerrten ihren Unterführer in die Dunkelheit, wo er vermutlich in eins der Boote übernommen wurde.

Aber sie setzten ihre Angriffe fort. Eine Gruppe hatte sich unter dem Überhang unter dem Heck versammelt. Das Achterkastell überragte sie. Sie befanden sich in einem toten Winkel. Offenbar verfielen sie nicht auf die naheliegende Idee, das Ruder zu zerstören. Vielmehr bemühten sie sich, Seile mit Enterhaken nach oben zu schleudern, um beim Festkrallen der Haken an den Seilen auf entern zu können.

Hier, ganz achtern, geisterte Old Donegal herum. Sobald ein Haken hochflog und sich festsetzte, kappte er das Tau. Er hatte bereits acht Haken aufgesammelt. Allmählich wurde er das leid. Er verständigte sich mit Hasard junior, der sofort Feuer und Flamme war.

Dieses Söhnchen des Seewolfs sollte auf dem Achterdeck für Munitionsnachschub sorgen und die leergeschossenen Waffen – Pistolen und Arkebusen sowie Tromblons – nachladen. Gleiches besorgte Philip junior vorn auf der Back.

So geschah es.

Als wieder ein Enterhaken festsaß – ganz achtern am Schanzkleid – wurde das Tau nicht gekappt, sondern Old Donegal wartete lauernd ab. In beiden Händen hatte er das zum laufenden Palstek geknüpfte Ende des Besanfalls – also eine Schlinge.

Von unten enterte einer der Kerle auf – es spielte sich ab wie bei Mac Pellew. Als der Kopf auftauchte, begegnete ihm aber keine Pfanne, sondern die Schlinge, die ihm Old Donegal blitzschnell überstülpte. Ein Zuruf zu Hasard junior genügte.

Der stand am Fall und holte durch. Die Schlinge zog sich zusammen. Old Donegal humpelte zu ihm, griff mit ins Fall, und gemeinsam hievten Enkel und Großvater den Kerl in die Höhe, bis er zappelnd an den Besanmast schwang, wo ihn Old Donegal abfing – an den Füßen –, mit ihm nach Steuerbord lief, Schwung gab und nach Backbord sausen ließ.

Das Fall war lang genug. Der Kerl segelte, am Halse langgezogen, mit Fahrt übers Schanzkleid. Am Endpunkt seiner Luftreise ließ Hasard junior das Fall los. Querab an Backbord raste der Kerl senkrecht hinunter ins Wasser, stauchte sich Fußknöchel und Knie auf dem Grund – das Wasser stand etwa yardhoch – und kippte vornüber, wobei ihm der Palstek über den Kopf rutschte. Hasard junior holte sofort das Fall hoch.

Jetzt war es Old Donegal, der ein Ziegengemecker ausstieß. Außerdem band er eine Flaschenbombe an eine Leine, entzündete die Lunte und fierte die Flasche übers Heck nach unten ab. Jemand da unten schien sie an sich zu reißen, denn es gab einen plötzlichen Ruck.

Und dann krachte es. Und es wurde wieder gebrüllt.

Von da ab flogen keine Enterhaken mehr hoch. Der tote Winkel unter dem Achterkastell hatte seine Schutzfunktion eingebüßt.

Auf der Back stieß einer der aufenternden Kerle auf den Schimpansen Arwenack, der ihn ansprang und ins Ohr biß. Dieser Mann behauptete später beim Verhör des Scheichs, er sei dem Scheitan begegnet, einem behaarten Scheitan mit langen Armen, krummen Beinen und aufgestülpten Lippen. Und nackt sei er auch gewesen, genauso nackt wie der Schädel eines Mannes, der hinter dem Scheitan aufgetaucht sei.

Na ja, Smoky hatte sich nicht extra vorgestellt, weil der Kerl freiwillig über Bord gesprungen war.

Die Miene Scheich Hassan al-Karabs wurde von Mal zu Mal finsterer und bedrohlicher, als sich die Hiobsbotschaften mehrten. Er war ein schlanker, breitschultriger Mann mit einem braungetönten Raubvogelgesicht, in dem Augen von der Härte und Farbe des Obsidians funkelten.

Er hockte auf einem Kamelsitz, als der Unterführer ins Zelt getragen wurde – auf einer Decke, die vier Mann an den Zipfeln festhielten und vor ihm niederließen. Mustafa Mulla sah gar nicht gut aus. Sein Kopf wirkte wie eingedrückt, und er schien etwas zu schielen. Zudem trug er eine gequälte Miene zur Schau und bemühte sich in merkwürdiger Weise, sein Gesäß zu heben, indem er sich auf den Ellbogen abstützte, statt die seltsam gespreizten Hände zu benutzen.

„Was ist los?“ fuhr ihn Hassan al-Karab an. „Wo ist die Beute? Wo sind die gefangenen Giaurs? Ich will sie sofort sehen! Führt sie vor!“

Es gab keine Beute und keine gefangenen Giaurs. Statt dessen lüftete Mustafa Mulla, der große Kämpfer, seinen Hintern noch höher und sagte gequält: „Sie – sie kämpfen nicht wie Männer, erhabener Sidi. Sie kämpfen mit den Geräten der Küche wie Weiber, denen die Zähne ausfielen und der Leib unfruchtbar wurde.“

Mac Pellew wäre unter die Decke gegangen, hätte er diese Abwertung gehört. Hassan al-Karab hatte auch nicht viel übrig für diese blumige Umschreibung einer offenbaren Niederlage, noch dazu hervorgerufen von zahnlosen und unfruchtbaren Weibern. Er hakte sich an „den Geräten der Küche“ fest.

„Mit was haben sie gekämpft?“ fauchte er.

Mustafa Mulla zog den Kopf ein, als drohe der zweite Schlag des beschämenden Geräts der Küche.

„Mit – mit einer Bratpfanne, o Sidi!“ stammelte er.

Hassan al-Karab sprang senkrecht hoch und stieß sich den Kopf am Zeltgestänge. Das ganze Zelt wackelte.

„Willst du mich verhöhnen, du Sohn einer Kamellaus?“ schrie er. „Bist du noch bei Sinnen? Kein Mann kämpft mit einer Bratpfanne, auch kein Giaur! Sie stechen und fechten und schießen, diese Hunde!“ Er rieb sich den Kopf, ließ sich wieder auf dem Kamelsitz nieder und fragte lauernd: „Wo traf dich dieses Gerät?“

„Auf den Kopf, erhabener Sidi.“

„Und was ist mit deinem Hintern?“

Mustafa Mulla wand sich und ächzte.

„Was ist mit ihm?“ schrie Hassan al-Karab. „Hattest du ihn den Weibern zugekehrt?“

„Nein, o Sidi! Ich rutschte auf ihm den Balken hinunter, der mit anderen das Schiff abstützt. Dabei verbrannte ich mir auch die Hände.“ Mustafa zeigte die Handflächen, sackte dabei aber wieder auf seinen schmerzerfüllten Allerwertesten und schrie auf.

Hassan al-Karab versetzte ihm zornbebend einen Tritt und brüllte: „Steh auf, du Schakal!“

„Mein Fuß wurde von einem Messer durchbohrt, erhabener Sidi!“ jammerte Mustafa Mulla.

„Hinaus mit ihm!“ schrie der Scheich. „Ich will diesen winselnden Wurm nicht mehr sehen!“

Die vier Kerle taten nichts lieber als das. Der Erhabene war unberechenbar, wenn die Wut in ihm tobte. Hastig packten sie die Deckenzipfel und schleppten Mustafa Mulla aus dem Zelt.

Hassan al-Karab tobte hinterher, ließ ein Kamel satteln und trieb es auf eine der höherstehenden Dünen, von wo er einen guten Überblick hatte.

Da sah er die Bescherung.

Die Galeone lag als dunkler trotziger Schatten auf der See, nichts bewegte sich dort, was auf Kampf hätte deuten können. Aber Gestalten bewegten sich durchs Watt aufs Ufer zu. Auch Boote wurden herangestakt. Sie griffen nicht mehr an, diese feigen Hunde, nein, sie hatten den Schwanz eingezogen und gaben Fersengeld.

Hassan al-Karab knirschte mit den Zähnen, trieb das Kamel den Dünenhang hinunter und ritt den an Land watenden Kerlen entgegen. Zwei stolperten bereits in Richtung des Lagers. Zwischen sich hatten sie einen dritten, dessen Kopf seltsam hin und her pendelte und verdreht wirkte.

War der auch unter eine Bratpfanne geraten?

Er konnte nicht antworten, sondern nur röcheln. Aber einer der beiden, die ihn stützten, berichtete schaudernd, Salim Hamid sei an einem Tau achtern aufs Schiff gezogen worden.

„Am Halse, o Sidi!“ sagte der Mann keuchend. „Fast bis in die Höhe des hinteren Mastes. Und wie ein großes Pendel wurde er von der einen zur anderen Schiffsseite geschwenkt, und als er über dem Wasser schwebte, ließ man das Tau los, und er stürzte abwärts.“

„Krrggs-krrggs“, bestätigte Salim Hamid und schielte mit tief gebeugtem und verdrehtem Kopf zum Erhabenen hoch.

Waren die Kerle allesamt verrückt geworden, oder schwindelten sie ihm was vor? Aber der Hals von Salim Hamid wies deutliche Strangulationsmerkmale auf. Es war ein Wunder zu nennen, daß er das überlebt hatte.

Das Wunder oder das Überleben nun interessierte Hassan al-Karab nicht im geringsten – so wenig, wie ihn der Tod einer Laus erschütterte. Vielmehr fragte sich der Erhabene, was das für abenteuerliche Giaurs seien, die mit Bratpfannen und Henkerschlingen kämpften.

Hinzu kam die sehr merkwürdige Begebenheit, die von den Spähern gegen Mittag berichtet worden war. Sie hatten beobachtet, wie einem Mann auf dem Schiff der Kopf kahl geschoren worden war. Diese Maßnahme wurde – unter anderem! – bei Eunuchen vorgenommen.

Sie führte bei Hassan al-Karab zu dem Schluß – einem fatalen Trugschluß –, daß die Galeone eine Ladung Frauen an Bord habe. Und der Glatzkopf, war ihr Wächter – natürlich. Hatte die erste Sichtmeldung vom Auftauchen der Galeone in der Straße von Hormus schon ein Glitzern in den Obsidianaugen Hassan al-Karabs ausgelöst, so war das nichts gegen die Erregung, die ihn bei der Mittagsmeldung packte und sein Blut wallen ließ.

Es konnte sich bei den Frauen nur um weiße Christenweiber handeln! Um Blond- und Rothaarige! Scheich Hassan al-Karab sah ungeahnten Freuden entgegen. Er verrannte sich in die Idee von der Frauenladung wie ein Stier, der zwecks Erhaltung der Art auf die Kuh losgeht – oder drauflosstürmt.

Da Salim Hamid – wenn auch unter sehr sonderbaren Umständen – kurzweilig über dem Achterdeck geschwebt hatte, wollte nun Hassan al-Karab von ihm wissen, ob er die Christenweiber gesehen habe, denn bisher hatten sie sich noch nicht gezeigt.

Aber da konnte Salim Hamid nur gequält mit dem Kopf schütteln. Zum Dank für diese Auskunft zog ihm der Erhabene einen Hieb mit der Nilpferdpeitsche über – einem Beutestück mit ziseliertem, silbernem Griff.

Dann stieß Hassan al-Karab auf Sulman, dem die Hälfte vom rechten Ohr fehlte, aber eben nicht vom Hieb einer Blankwaffe, was noch eine ehrenhafte Verletzung gewesen wäre – und es hätte auch nach einem glatten Schnitt ausgesehen, nicht so zerfranst –, sondern vom Biß des „Scheitans“ mit dem haarigen nackten Körper, den langen Armen und krummen Beinen.

Aber Sulman hatte zumindest auch den Glatzkopf gesehen – den Eunuchen! –, nur leider keins der Christenweiber. Daraus folgerte Hassan al-Karab, daß sich die Weiber unter dem Vordeck aufhielten, weil der Glatzkopf die Back verteidigt hatte. Mit der Beschreibung des „Scheitans“, der halbe Ohren abbiß, konnte er nichts anfangen. Zudem hatte es niemand der Späher für nötig gehalten, dem Erhabenen zu melden, daß sich an Bord der Galeone ein Affe, ein Hund und ein Papagei befänden. Das Rätsel des „Scheitans“ wäre dann sehr schnell gelöst worden.

Auch Sulman wurde die Ehre zuteil, die Schärfe der Nilpferdpeitsche spüren zu dürfen. Im Unterschied zu dem halsverdrehten Salim Hamid konnte er seiner Freude über die Hiebe durch Jaulen Ausdruck verleihen.

Bratpfanne, Henkerschlinge, ohrfressender Scheitan – es paßte rein gar nichts zusammen und wurde immer abstruser.

Die Krone war indessen der verworrene Bericht des Ali Jassir, eines ähnlich furchtlosen Kämpfers wie Mustafa Mulla. Auch ihm war es gelungen, über ein Pallholz das Schanzkleid zu erreichen, und zwar an Backbord.

Kaum sei er an Deck gesprungen, da habe ihn ein vierbeiniges Ungeheuer mit fletschenden Zähnen und glühenden Augen angefallen. Und Ali Jassir zeigte – abgesehen von seinem zerfetzten Gewand – die Bißwunden an Armen, Oberschenkel und – na ja – Hintern. Aber damit nicht genug. Es war ihm gelungen, sich von dem Ungeheuer zu befreien und in das Hauptwant zu fliehen, wo ihn das Ungeheuer nicht mehr erreichen konnte.

„Und dort, o Sidi“, sagte Ali Jassir, „wurde ich von einem Falken attackiert, der mit dem Schnabel nach mir hackte und Haare ausriß!“

Es stimmte. Seine Kopfpracht sah nach Mottenfraß aus, auf seinen Wangen und der Stirn klafften Wunden und hingen Hautfetzen.

„Er konnte sprechen, der Falke“, sagte Ali Jassir verstört. „Aber ich verstand seine Sprache nicht, nur ein Wort stieß er häufiger aus. Es klang so!“ Und Ali Jassir ahmte in der Papageiensprache das Wort „Affenarsch“ nach. Es hörte sich ziemlich merkwürdig an.

„Affenarsch?“ wiederholte Hassan al-Karab gereizt. „Was heißt das?“

Ali Jassir wußte es nicht. Er hatte auch niemanden fragen können, weil er bei den Attacken Sir Johns von dem Want gestürzt und ins Wasser gestürzt war.

„Hast du die Weiber gesehen?“ schrie ihn Hassan al-Karab an.

Ali Jassir verneinte. Hätte er die Frage einfach bejaht, dann wäre ihm die Nilpferdpeitsche möglicherweise erspart geblieben. So konnte er nur weiter leiden und ebenfalls jaulen, und die Peitsche biß genauso scharf wie das vierbeinige Ungeheuer. Der Erhabene prügelte ihn quer durch die Dünen.

Am Prielhafen schließlich, wo die Dhauen und Boote lagen, vernahm Hassan al-Karab die Kunde von dem „Meermann“, der mit ungeheuerlichen Kräften zwei Boote ausgehoben und umgestürzt hatte. Er habe ein zernarbtes, häßliches Gesicht und ein felsiges Kinn gehabt und mit einem Hammer gekämpft.

Alles in allem: Das waren äußerst beunruhigende Meldungen – nicht wegen der Verluste an Toten und Verletzten, denn der Scheich gebot immer noch über an die hundert und mehr Kämpfer. Nein, beunruhigender war die absonderliche Kampfesweise dieser Christenhunde, die in kein Schema paßte. Das hatte es noch nicht gegeben in der langen Geschichte des Raubstammes der Joasmäer. Wer mit Bratpfannen, Henkerschlingen, ohrfressenden Teufeln, vierbeinigen Ungeheuern, sprechenden Falken und monströsen Meermännern einen Kampf bestritt, der konnte nicht normal sein.

Vielleicht waren auch die Frauen verhext?

Dennoch, Hassan al-Karab war nicht gewillt, die Beute fahrenzulassen, die er, wie er meinte, schon so gut wie sicher in den Klauen hatte. Daran änderte auch die Schlappe nichts, die er erstmals hatte einstecken müssen.

Er würde die Angriffe von nun an selbst führen.

Seewölfe Paket 28

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