Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 22
Samstag, 15.06., um 9:45 Uhr. In Janas Wohnung
ОглавлениеDas Licht der Sonne strahlte durch die offene Balkontür ins Wohnzimmer und Staubkörnchen tänzelten verspielt im Lichtstrahl. Jetzt, im Schein des Tageslichts, konnte Jana sehen, wie erfolgreich das Putzen gewesen war. Der lackierte Parkettfußboden, die Möbel, alles glänzte und die Wohnung duftete, wie von der Werbung versprochen, nach blumigem Frühling.
Für die Wochenendeinkäufe hatte sie die frühen Morgenstunden genutzt. Sie liebte es, frühzeitig aufzustehen und im fast leeren Supermarkt ohne Gerempel und lautem Geschrei einzukaufen. Kein Anstehen an der Kasse und die Regale gut gefüllt, so dass sie das fand, was sie brauchte. Beim Bäcker bekam sie, weil noch zeitig dran war, ihr doppelt gebackenes Lieblingsbrot mit der extra dicken Kruste.
Barfüßig schlenderte sie durchs Wohnzimmer, biss herzhaft in einen Apfel und strich zärtlich mit den Fingerspitzen über die Biedermeierkommode. Diese Kommode war ein Fundstück von einem Flohmarkt, und mit viel Geduld und Liebe hatte sie im letzten Winter das alte Stück restauriert. Aus der Stadtbücherei hatte sie Bücher über das Aufbereiten von Möbeln ausgeliehen. So war es ihr im letzten Winter möglich gewesen, dieses Juwel aus der Biedermeierzeit liebevoll zu restaurieren. Es war ihr ganzer Stolz!
Vor zwei Jahren, als sie die Probezeit als Fremdsprachenkorrespondentin in der Schokoladenfabrik bestanden hatte, war sie in diese Altbauwohnung in der Nähe des Englischen Gartens gezogen. Der Traum von einer Wohnung in der Stadt, in der Nähe ihres Lieblingsparks, hatte sich erfüllt. Schrecklich Teuer die Miete, aber mit den ihrem Gehalt bei der „Henning Manufaktur“ und den bezahlten Überstunden konnte sie sich die Wohnung sehr gut leisten.
Jana setzte sich aufs Sofa und schaute hinaus auf den wolkenlosen Himmel über München. Im Hintergrund spielte der CD-Player leise die Liebeslieder von Lobo. Schwalben segelten geschickt durch die Lüfte. Die Spatzen zwitscherten und es klang wie das Getratsche der Weiber auf dem Viktualienmarkt. Jana musste lächeln. Nur leise war der Verkehr von der Straße her zu hören.
Ein sonniger Vormittag und doch war es wieder ein Wochenende, an dem Jana nicht so recht wusste, was sie mit sich anfangen sollte.
Ralf Rössler begleitete sie schon die ganzen Stunden der ersten Tageshälfte. Die Gedanken an ihn hielt sie fast nicht aus. Sein Lächeln, die braunen Augen und sein Haar, in das sie so gerne mit ihrer Hand hinein gegriffen hätte.
Das Gefühl des Stillstandes, der Untätigkeit, brannte in ihrem Bauch. Wenn sie doch heute, am Samstag arbeiten dürfte! Im Fluge würden die Stunden vergehen und sich nicht wie ein sich endlos dehnender Kaugummi in die Länge ziehen.
„Ach, wie gut, dass die Kathi zu mir kommt“, murmelte sie.
Die Wochenenden waren seit Matthis Tod ein riesen Problem. Sich selbst zu beschäftigen fiel ihr immer noch schwer.
Mit Matthias war es damals anders. Da konnte die freie Zeit nicht lang genug dauern. Immer waren sie unterwegs. Aber das gehörte schon lange der Vergangenheit an. Drei Jahre war es her.
Kathi hatte im letzten Herbst die Idee mit dem Tanzen. Die Tanzkurse im Tanzclub am Stachus brachten Abwechslung in ihr Leben. Auch die Clique, die sich in den Kursen gebildet hatten und in denen sie gut aufgenommen worden war, gefiel ihr. Das Gefühl, Matthi zu vermissen, verschwand mehr und mehr. Seine Berührungen in den Träumen ließen nach. Die Trauer wurde schwächer, und plötzlich war der Schmerz in der Brust nicht mehr spürbar. Immer mehr Tage vergingen, ohne dass sie an ihn gedacht hatte, und dann begannen die Bilder und die Erinnerungen an Matthi immer mehr zu verblassen. Das Leben konnte weiter gehen.
An manchen Wochenenden fiel es Jana trotzdem schwer, allein zu sein. Dieser schöne Sommertag war so ein Tag. Aber weniger, weil sie um Matthias trauerte. Nein, vielmehr brauchte sie jemanden, mit dem sie reden konnte, um nicht zu zerplatzen.
Es klingelte an der Tür. Sie sah kurz auf die Uhr. Zwölf, auf die Minute genau. Pünktlich wie immer, die Kathi. Jana ging zur Wohnungstür, schaute auf den kleinen Bildschirm am Türöffner. Als sie ihre Freundin sah, drückte Jana auf den Knopf. Kathi kam die Treppe hochgerannt und stellte sich schnaubend vor Jana hin.
„Kannst nicht den Aufzug nehmen?“, fragt Jana ihre heftig atmende Freundin amüsiert.
„Kannst nicht im Erdgeschoss wohnen?“, äffte sie Kathi nach.
„Weißt du doch. Dann fehlt mir das Gefühl der Freiheit und die Aussicht.“
“Und außerdem, wenn man 39 ist, dann ist die Bewegung wichtig. Ich fahr mit keinem Aufzug mehr. Zu gefährlich und macht fett.“
Beide lächelten. Kathi weil sie ihren Witz gut fand. Seit ihrer Scheidung tat die sportliche Kathi, gut zehn Jahre älter als Jana, alles, um körperlich fit zu bleiben. Jana grinste, weil sie gleich von ihrem Erlebnis im Aufzug erzählen würde und es kaum noch aushalten konnte, mit Kathi, über Ralf Rössler zu plaudern.
„Servus“, sagte Jana. „Schön, dass du da bist.“
„Servus, ich hab uns was mitgebracht.“ Kathi griff in den Beutel und kramte ein Päckchen mit Kuchen hervor, von einer der edelsten Konditoreien Münchens. Stolz überreichte sie die Schleckerei Jana. „Man gönnt sich ja sonst nichts.“
„Oh, danke, das ist ja ein feines Gebäck. Ich koch uns dazu einen göttlichen Kaffee.“
„Das wär ja super!“
„Komm lass uns rein gehen“, sagte sie laut, damit es auch wirklich jeder hinter der jeweiligen Tür hören konnte, „hier draußen im Treppenhaus wachsen mit jedem Wort Ohren zu Elefantenohren aus.“
Jana lächelte und blinzelte ihrer Freundin zu. Sie ging voran in die Wohnung. Kathi folgte der Freundin und schloss die Tür hinter sich.
„Wie geht’s dir?“, fragte sie, während sie Jana in die Küche folgte.
„Geht mir gut. Aber bin froh das du heut vorbei schaust.“ Aus dem Küchenschrank holte sie zwei Kuchenteller. „In der Arbeit ist alles wie immer grandios. Hätte mir nie gedacht, dass eine Arbeit so viel Spaß machen kann. Die letzten Tage bin ich fast jeden Tag bis neun, manchmal auch bis zehn im Betrieb gewesen. Ist halt viel zu tun. Bis auf gestern. Da bin ich bereits um vier nach Haus gegangen.“
Jana öffnete den eingepackten Kuchen. „Oh Kathi, mein Lieblingskuchen von meiner Lieblingskonditorei. Du bist ein Schatz.“ Sie schenkte Kathi ein hinreißendes Lächeln.
Mit dem Kuchenheber teilte Jana den Bienenstich und den Butterkuchen in je zwei gleichmäßige Teile und verteilte die Köstlichkeiten gerecht auf zwei Teller. Aus der Besteckschublade holte sie Kuchengabeln und legte sie neben den Gebäck auf die Teller.
„Bist scho´ irre, oder?“, versuchte Kathi das Gespräch wieder in die vorherige Bahn zu leiten. „Was machst du den bis zehn in der Firma? Da müsstest du ja die Letzte sein in der riesigen Fabrik.“ Die Freundin stand im Türrahmen hinter Jana und schüttelte den Kopf.
„Kaum, dass ich noch jemanden antreffe um die Zeit“, stimmte sie ihrer Freundin zu. „Vorgestern bin ich mit dem Chef, mit dem Henning persönlich mit dem Aufzug nach unten gefahren. Der ist ja supernett.“
„Bedenke, meine Liebe, das Leben ist wirklich sehr kurz. Lass dir das von jemanden sagen, der in einem Alter ist, in dem die Zeit beginnt, dahin zu rasen.“
Jana dreht sich zur Freundin und musterte sie von oben bis unten, und lächelte. „Na, für dein Alter siehst du aber verdammt sexy aus, liebe Kathi.“
Erfreut über das Kompliment der Freundin hob sie das Kinn und grinste. „Weiß ich und die Männer kommen ins Straucheln wenn sie mich sehen“, sagte sie gespielt schnippisch. „Ja, aber Janilein, ganz im Ernst. Was machst denn so lange im Büro?“
„Telefonieren und alles erledigen, was ich tagsüber nicht schaffe. Weißt ja: Die meisten Geschäftspartner in den Staaten erreicht man erst spät am Abend.“
„Und wer zahlt dir das? Und wer gibt dir deine Gesundheit wieder, wenn es zuviel wird?“
„Ach, Kathi“, Jana lächelte, „das wird schon nicht zuviel, wenn die Arbeit Spaß macht. Außerdem, zu Haus fällt mir nur die Decke auf den Kopf. Aber Kathi, ich muss dir was erzählen.“ Strahlend schaute sie ihre Freundin Kathi an.
„Gott, Janilein, ein Baby kannst du ja nicht bekommen, so Single, wie du bist.“
Jana errötete und drehte sich zum Kaffeeautomaten um.
„Oder doch?“, fragte Kathi erstaunt.
„Willst du einen Latte oder lieber einen Cappuccino?“, fragte Jana ihre Freundin, um die Spannung noch etwas zu erhöhen.
„Egal, wenn es nur kein Pulvergesöff aus der Tüte ist.“
„Weißt du doch, Schätzchen! Mach ich alles mit meinem schicken Kaffeeautomaten.“
Jana goss Wasser in die Kaffeemaschine und schaute in das Behältnis mit den Kaffeebohnen. Sie ging zum Kühlschrank und holte Milch und die Gläser aus dem Küchenschrank für die Latte macchiatos. Dann sah sie Kathi an.
„Und? Erzähl schon. Worum geht´s?“ Einen Moment lang sah Kathi Jana an. Plötzlich, als sie dieses winzige Blitzen in Janas Augen sah, kam ihr der entscheidende Gedanke.
„Wer ist es? Jemand, den ich kenne?“
„Nein, du kennst ihn nicht. Kenn ja ich ihn nicht mal.“
Mit weit aufgerissenen Augen, erstaunt sah Kathi die Freundin an. „Ach, hast dich ihn ein Phantom verliebt? Geschickt!“
„Ja, so ungefähr.“ Verzweifelt hebt Jana die Hände und lässt sie wieder fallen.
„Ach, du Arme.“
Kratzig, dampfig, schäumte die Maschine die Vollmilch auf. Bis zur Hälfte füllte Jana die Gläser mit der heißen Milch und verteilte mit einem Esslöffel den Milchschaum gerecht auf. Die Gläser stellte sie auf die vorgesehene Ablage der Maschine und Gurgelnd, dickflüssig drängte sich der schwarze Kaffee durch den Schaum in die Kaffeegläser. Wunderbare drei Schichten waren durch das Glas der Kaffeegläser zu sehen.
„Gehen wir ins Wohnzimmer. Ich muss es dir erzählen, denn mich zerreißt es fast.“
Nachdem sie alles auf dem Couchtisch am Sofa hergerichtet und sie sich bequem auf das Sofa gesetzt hatte, schaute Kathi Jana fragend an. Jana errötete.
„Jetzt erzähl schon!“, drängte Kathi.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vor zwei Tagen hab ich ihn zum ersten Mal gesehen. Ich war spät dran und hab mich eben noch so in den Aufzug zwängen können, bevor die Tür zugegangen ist. Da steht er vor mir und schaut mich mit einem Grinsen an, dass mir die Knie weich geworden sind. Sein Lächeln war so warm, so herzlich. Wie eine Umarmung, so zärtlich. Ich hab´ in seine braunen Augen geschaut und mir war, als würd ich in einen sommerlichen See eintauchen. Kathi, ich hab ihn einfach nur angeschaut, bis der Aufzug langsamer wurde und von weit weg hab ich den Klingelton vom Lift gehört. Da hat er zu mir gesagt: ‚Dritter Stock‘, und hat gelächelt.“
Jana nahm ihr Glas, rührte vorsichtig das Getränk um und beobachtete, wie sich die Milch und der Schwarze Kaffee vermischten. Schließlich trank sie einen Schluck.
„Und?“, fragte Kathi und schaute ihre Freundin erwartungsvoll an.
„Ich bin rückwärts aus dem Aufzug gegangen und hab ihn weiter angeschaut. Ich konnte einfach nicht den Blick von ihm lassen. Die Aufzugstür schloss sich langsam und er hat mit seiner männlichen Stimme ‚Auf Wiedersehen‘ gesagt. Kathi, diese Stimme ist mir durch und durch gegangen und ich hab ihm wie ein kleines Gör´ einfach zugewinkt, schau, so“, und sie zeigt Kathi, wie sie ihm zugewinkt hatte. „So albern.“ Etwas geknickt saß sie auf dem Sofa. Ihre Wangen waren vor Scham ein wenig gerötet und sie sah auf ihre Hände in ihrem Schoß. Mit ihren Fingernägeln malträtierte sie den Saum des T-Shirts unterhalb des Bauches.
„Jana, komm zur Sache, Schätzchen! Wie heißt er? Habt ihr euch wieder getroffen?“
Jana nahm den Teller und stach mit der Kuchengabel ein Stück Bienenstich ab und steckte es sich in den Mund.
„Bin einfach nur dagestanden und hab geschaut“, sprach sie mit vollem Mund, „wie die Anzeige des Aufzugs auf die Vier sprang. Mir war so wohlig heiß in meinem Bauch.“
Enttäuscht schaute Kathi ihre Freundin an. „Und jetzt?“, fragte sie. „Wie soll es weiter gehen?“
„Ja, ich dacht´ noch, offenbar fängt er heute hier in der Manufaktur an oder er muss nach oben zum Chef in den vierten Stock und wird gekündigt. Dann hab´ ich aber im Internet auf der Homepage der Firma nachgeschaut.“
„Und er ist der Sohn vom Chef!“, jubilierte Kathi triumphierend.
Jana winkte ab. „Ach, was. Er ist für den weltweiten Vertrieb verantwortlich. Auf der Firmenseite steht, dass er Ralf Rössler heißt, viel in Amerika und Asien unterwegs ist. Ach, und das Foto von ihm! Die halblangen dunklen Haare und diese feurigen Augen! 32 Jahre ist er alt. Kathi, ich sag dir: wirklich ein Traum von einem Mann.“
Jana legte den Teller mit dem Kuchen auf den Couchtisch, sprang auf holte den Laptop. Ungeduldig starrte sie auf den Bildschirm während der Computer hochfuhr und die Homepage sich aufbaute. Kathi schaute der Freundin erwartungsvoll zu. Als sie das Bild von Ralf angezeigt bekam, stellte Jana den Laptop vor Kathi auf den Tisch. „Das ist er.“
Kathi schaute fasziniert auf das Bild des Mannes. „Was für ein Prachtkerl!“, sagte sie staunend. „Keine Angst“, sie lächelte ihre Freundin an. „Der Jungspund ist nichts für mich. Ich steh mehr auf die älteren Modelle.“ Zufrieden sah sie Jana an. „Das klingt mir aber sehr gut“, fuhr Kathi fort. „Ist ja gar nicht so ein Phantom der Ralf Rössler. Du weißt wo er arbeitet, weißt wie er heißt. Du gehst einfach in den vierten Stock, stellst dich vor und fragst ob er nicht Lust hat, mit dir auf ein Glas Wein auszugehen.“
Entsetzt sah Jana ihre Freundin an. „Kathi, bist närrisch. Das trau ich mich nicht. Das ist es ja, was mich so verzweifeln lässt. Ich würd mich nicht trauen, auf ihn zu zugehen.“
Eine Zeitlang beobachtete die Freundin die liebestrunkene Jana. Mitleidig schaute sie Jana an, die gedankenversunken an ihrem Glas nippte. „Bist verliebt?“, fragte sie.
Jana nickte und hob die Schultern, als würde sie fragen: „Und was soll ich machen?“
Beide schwiegen, und aßen den köstlichen Kuchen und tranken den Kaffee.
„Und wie soll es jetzt weitergehen?“
„Keine Ahnung, mich hat´s ganz schön erwischt. Immer, wenn ich den Fahrstuhl in der Firma benutzt hab´, war die Hoffnung da, dass Ralf Rössler drin ist und ich war enttäuscht, wenn der Aufzug leer war. Obwohl ich genau wusste, und das ist wirklich zu bescheuert, dass er bis gestern Abend in London war. Wie ein Teenie, Kathi, wie ein unreifer Teenager.“
Jana stand auf und ging zum Fenster. Sie schaute hinaus auf den Englischen Garten.
„Vielleicht ist er da draußen irgendwo, ganz in der Nähe. Kathi, mir ist so, als wäre er ganz in meiner Nähe und ich kann ihn nicht sehen.“
Kathi ging zur Freundin und legte ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Lange schauten sie hinüber in Münchens schönsten Park und schwiegen.
Jana mochte Kathi sehr. Mit ihr konnte sie immer alles besprechen. Wie gut, dass sie eine Freundin gefunden hatte, die älter war als sie selbst. Ganz zufällig war ihr Kathi auf einer Party begegnet. Für Jana war die Freundin in der Zeit nach Matthis Tod ein riesiger Glücksfall gewesen und mehr und mehr wurde sie der wichtigste Mensch in ihrem Leben.
„Jana, vertrau drauf. Wenn er der Richtige ist, dann wird es die Liebe schon richten“, sagte Kathi leise, um das Schweigen zu brechen. „Wollen wir spazieren gehen?“
„Gern.“
Jana drehte sich um und Kathi nahm sie in den Arm.