Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 21
Samstag, 15.06. um 05:10 Uhr. Morgendliches Joggen
ОглавлениеRalf Rössler genoss den frühen Morgen. Still war´s jetzt, um dieser Zeit in der Stadt und in seiner Straße, direkt am Englischen Garten. Im Osten stieg die Sonne als knallroter Feuerball auf. Wieder konnte München einen sommerlichen Tag erleben.
Auf dem Balkon trank er in kleinen Schlucken ein Glas warmes Wasser. Wann würde er die Frau mit den smaragdgrünen Augen wiedersehen? Auch in dieser Nacht war er in seinen Träumen mit ihr vereint. Wo, wusste er nicht. Von den Traumbildern flogen nur noch vernebelte Bilder durch seine Erinnerung.
Er Verließ seine Wohnung und joggte die Mandelstraße entlang, bis er in den Englischen Garten einbiegen konnte. Vögel zwitscherten. Es roch nach taufeuchtem Gras. Enten watschelten gemächlich über den Weg, hin zum See.
Ralf sah auf seine Puls-Uhr. Alles lief perfekt. Er war heute so fit, dass es ihm leicht fiel, das Tempo zu erhöhen, ohne gleich über den gewünschten Bereich zu flutschen und angepiept zu werden.
Einen Radiospot sollte er machen. Eigentlich fand er die Idee witzig und Lisa hatte Recht. Keiner, der ihn kannte, hörte den Münchner Sender Schickeria. Und wenn auch, war doch egal. Ein Spaß würde es auf jeden Fall werden.
Er musste heute unbedingt Paul wegen des Aufenthalts in London anrufen. Gestern war sein Chef nicht mehr zu erreichen. Wahrscheinlich probte er mit dem Kirchenchor. Ralf freute sich sehr darauf, Paul den Verlauf des Gesprächs zu schildern. Der alte Henning würde Augen machen. Hatte er ihm doch vor der Abfahrt gesagt, dass er an das Geschäft nicht so recht glaube. Dass der Engländer ein knallharter Brocken sei. Nett, aber unerbittlich!
Ralf lief bis zum Monument des Monopteros vor und genoss die dunstige Skyline Münchens. Immer mehr Jogger begegneten ihm und rannten grüßend und grinsend an ihm vorbei, als stünden sie alle unter Drogen. Er lief bis zum Hofgarten und wieder zurück. Die Sonne sog den Dunst auf, der wie ein Schleier über den Wiesen des Englischen Gartens lag. Der Himmel hatte dieses einmalige Blau, wie Ralf es nur von seiner Heimatstadt München kannte.
In der Bäckerei in der Mandelstraße kaufte er sich die Tageszeitung und zwei Croissants.
Nach den üblichen Dehnübungen auf dem Balkon seiner Wohnung duschte er und bereitete einen starken Kaffee zu. Er goss einen Schuss Sahne hinein und genoss das Gebäck zum Latte Macchiato, draußen am Balkontisch mit Blick über den Park.
Gegen acht rief er Paul an.
Mit einem trockenen „Henning“, meldete sich Paul Henning.
„Guten Morgen, Paul.“
„Ah, mein Lieblingsvertriebsmanager. Hab bereits gestern mit einem Anruf von dir gerechnet. Wie schaut es aus?“ Ein wohlwollendes Lächeln lag in Pauls Stimme. Er konnte aber auch die Neugierde und die Spannung in den Worten des alten Hennings heraushören.
„Paul, halt dich fest: Wir haben den Auftrag und sollen für die kommende Woche einen Vertrag vorbereiten.“
„Ralf, bist narrisch!“, jauchzte Paul durchs Telefon. „Das ist ja fantastisch. Sehr gut, Ralf.“ Triumphierend stieß Henning noch ein kurzes „Ja“ aus. „War´s schwer?“ Die Frage Pauls sollte wirklich nur rhetorischer Natur sein.
„Einfach ist etwas anderes. Ich hätt es fast vermasselt, aber es war dann alles perfekt.“
„Was meinst du, ‚du hättest es fast vermasselt?‘“ Es endstand eine kurze Pause. Ralf räusperte sich.
„Oh, das ist delikat“, fuhr er etwas unsicher fort. „Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen soll.“
„Wie du möchtest, Ralf. Wunderbar, dass du das Geschäft unter Dach und Fach gebracht hast. Jetzt erzähl ich dir was. Vor 12 Jahren bin ich selber am Gerald Owen gescheitert. Der hatte so eine Art zu verhandeln, die mich völlig überfordert hat.“
Ralf lachte. „Das kann ich dir sagen! Ich dachte, den Owen knack ich nie.“
„Und? Können wir mit den Konditionen leben?“
„Mehr als das. Ein richtig gutes Geschäft ist draus geworden. Ich musste bei Weitem nicht bis zu dem Limit gehen, das du mir erlaubt hattest. Gerald hat mir den Zuschlag gegeben, ohne am Preis herum zu feilschen. Wirklich ein netter Mann, der Gerald.“
„Gerald? Meinst du, dass du mit Owen bereits per du bist?“
„Ja, warum net?“
„Weil er dafür berühmt ist, immer Geschäftliches und Privates strickt zu trennen. Jetzt interessiert mich aber schon, wie du diese Verhandlung so hingekriegt hast.“
Rössler errötete. Wie sollte er Paul erzählen, dass er sich in eine Frau verliebt hatte, obwohl der festgesetzte Termin erst Mitte Juli stattfand. Aber war es doch genau dieses Verliebt sein, das ihm den Vertrag doch noch ermöglichte. Durch Ralfs Bekenntnis seiner Liebe zu der unbekannten Frau hatte sich Gerald Owen vom knallharten Verhandler wieder in den Mister Owen verwandelt, den er am Anfang kennengelernt hatte.
„Soll ich es dir wirklich erzählen?“
„Natürlich. Interessiert mich so sehr, dass ich am liebsten gleich zu dir kommen würde. Aber leider kann ich nicht. Hab mich mit meinem Spezi zum Golfen verabredet und bin schon spät dran. Aber am Montag wäre es schön, wenn du mir alles schildern könntest. Wie sieht es aus, bist im Büro oder irgendwo in der Welt verplant?“
„Ja, bin so um neun Uhr da.“
„Sehr gut. Ich lad dich zu einem Gourmet-Frühstück ein.“
„Is ja perfekt, Paul. Ich freu mich. Dann kann ich dir alle Zahlen und die Rahmenbedingungen zeigen, die Gerald Owen in den Vertrag festgesetzt haben möchte. Der Vertragsabteilung schick ich gleich noch die Bedingungen per Mail zu.“
„Sakradi, bist ja ein kolossaler Kerl, Ralf! Respekt!“
Ralf Rössler grinste und freute sich über das überschwängliche Lob.
„Na dann, Paul. Schönes Wochenende und bis Montag um neun.“
„Ja, schönes Wochenende und genieße deinen großen Erfolg. Servus, mein Lieber.“
„Servus, Paul.“
Nachdem sie aufgelegt hatten, lehnte sich Ralf zufrieden zurück. Perfekter konnte ein Wochenende nicht eingeläutet werden. Bis auf den Umstand, dass er gerne wüsste, wer die Schöne, mit den grünen Augen war.
Schnell setzte er eine E-Mail auf und nannte der Vertragsabteilung die Bedingungen und die relevanten Daten für den Vertrag. Gleichzeitig schickte er Paul Henning, wie immer, eine Kopie der Mail.
Mit der Tasse Kaffee, saß er in seinem Balkonsessel, die Augen geschlossen, und genoss die Sonne, die ihm ins Gesicht schien.
Wenn er statistisch alle Chancen zusammenrechnete, dann brachte es voraussichtlich wenig, eine Annonce zu schalten und wahrscheinlich war der Radiospot ein Gag, mehr aber auch nicht. Er, Ralf, war einer der Menschen, der sämtliche Möglichkeiten berechnen, durchdenken, selbst steuern wollte, um niemals auf Zufälligkeiten angewiesen zu sein. Möglicherweise traf er nie mehr auf die Schönheit im Fahrstuhl, vor allem wenn sie nicht in der Henning-Manufaktur arbeitete. Aber was, wenn sie, die Wundersame aus dem Aufzug, die Einzige war, die diese Annonce las? Dann hätte plötzlich die gesamte Statistik keine Relevanz mehr.
Im dritten Stock war sie ausgestiegen. Nach acht war es, das war das Einzige was er wusste. Vielleicht war es halb neun. Am Montag war er mit Paul um neun verabredet. Wie wäre es, wenn er um halb neun den Aufzug nahm, eine Etage früher ausstieg und durch die Flure schleichen würde, von Tür zu Tür ging, jede einzeln aufriss, um nachzuschauen, in welchem der Büros, die unbekannte Fee saß, die ihn so heftig mit ihrem Blick zu verzaubern verstand?
In der Mittagspause dann würden sicherlich alle in der Kantine über ihn tratschen, den Liebestollen aus der vierten Etage. Egal! Es war höchstwahrscheinlich die einzige realistische Möglichkeit, um sie wiederzusehen - und Ralf wollte sie wieder sehen.
Er dachte an den Moment zurück, in dem er die Unbekannte zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war in den Aufzug gesprungen und Ralf war das Herz stehen geblieben, als er sie angesehen hatte. Diese smaragdgrünen Augen und das Lächeln. Immer, wenn er an sie dachte, stand sie im grünen Kleid vor ihm. Er erinnerte sich, wie der Stoff des Kleidchens straff über den Brüsten spannte, wie sich die Hüftknochen der schlanken Frau unter der Wildseide abzeichneten. Immer wieder strich er im Gedanken mit der Hand über die makellose Kurve ihrer Taille und meinte, durch den glatten Stoff die Wärme ihrer Haut zu spüren. Seit er sie gesehen hatte, flimmerte etwas unaufhörlich in ihm.
Eigentlich hatte er keine Lust, diesen schönen Platz auf dem Balkon zu verlassen. Ralf sah auf die Uhr.
„Herrgott Sakrament“, rief er, „jetzt aber los!“
Ralf sprang auf, zog seine Boss-Jeans an und das azurfarbene Polohemd mit dem kleinen grünen Krokodil. Ralf stürzte wagemutig die Treppe hinunter. Spät war er dran.