Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 6
Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Auf dem Weg zum Flughafen München.
ОглавлениеNachdem er alles mit Paul besprochen und geklärt hatte, verabschiedete sich Ralf und machte sich mit besten Wünschen seines Chefs auf den Weg.
Ab jetzt konnte er seine Gedanken den gesamten übrigen Tag lang der Frau im Fahrstuhl widmen. An sie denken und von ihr träumen.
Ralf sah auf die Armbanduhr. Fast halb zwei. Zeit blieb ihm genug. Sein Flieger würde erst am frühen Abend Richtung London abheben.
Das Einzige, was er noch am Nachmittag zu tun hatte, bevor er am Abend zum Flughafen fuhr, war nach Hause zu fahren und das Nötigste für die nächsten zwei Tage zu packen. Bis dahin konnte er seinen Gedanken nachhängen und den Tag gennießen.
Morgen war es endlich soweit. Ralf hatte den langersehnten Termin in London, um sich mit dem größten Pralinenfabrikanten Großbritanniens über eine Kooperation zu unterhalten. Mister Gerald Owen hatte ihm signalisiert, dass er sich gegebenenfalls, wenn das Angebot stimmte, für die Henningsche Kuvertüre entscheiden würde. Die Chancen standen verdammt gut, endlich mit Mister Owen von „Lizzy & Sweets“ ins Geschäft zu kommen.
Ein Bombengeschäft wäre es für Ralf Rössler, wenn er diesen Deal zum Abschluss bringen würde. Er war überzeugt, dass er den Engländer von einer Zusammenarbeit und der hohen Qualität des Produktes überzeugen konnte. Ralf war absolut sicher, mit der Kuvertüre aus München Mister Owen den besten Überzug für seine Pralinen zu liefern. Trotzdem war es prickelnd, ein solch großes Geschäft anzubahnen, und er war nervös.
Am Fahrstuhl meinte er, den Duft der Frau im olivgrünen Kleid zu riechen. Was, wenn die Aufzugtüren aufgingen und sie im Aufzug stünde? Er würde mit der schönsten aller Frauen von der dritten Etage bis ins Erdgeschoss fahren dürfen. Noch einmal ihr nahestehen, den zitronigen Duft mit diesem Hauch von Muskat einatmen, der ihn so sehr betörte! Das wäre die Krönung an diesem ausgezeichneten Sommertag.
Ein sonderbares Gefühl beschlich ihn. Eine Ahnung drängte ihn geradezu, die Frau im olivgrünen Kleid zu suchen und sie nochmals zu treffen. Er musste unbedingt erfahren, wer dieses feenhafte Wesen war. In den letzten Stunden, in denen er bei Paul saß, hatte er es genossen, dem Duft und der Schönheit dieser Frau in Gedanken nachzuhängen und beiden ausgeliefert zu sein.
Aber wenn sich die Türen öffneten und sie wirklich vor ihm stand, was sollte er zu ihr sagen?
„Hallo, ich bin Ralf Rössler und mit der „Henning Manufaktur“ sozusagen verheiratet. Ich hab zwar niemals Zeit, aber vielleicht findet sich noch ein kleines Zeitfenster, um miteinander auszugehen!“
Blöder konnte eine Anmache nicht klingen. In etwas weniger als vier Wochen wäre es aber soweit. Dann könnte er sich mit ihr treffen. Wie hatte seine Mutter immer gesagt: ‚Zuerst muss man eine Sache erledigen, bevor man eine neue beginnt.’ Wieder sah er die smaragdgrünen Augen vor sich. So strahlend, so erotisch. Die Lippen so sinnlich. Die ganze Gestalt. Die Form ihres Körpers unter dem engen Kleid. Formvollendet, ein Kunstwerk - nur noch schöner, weil lebendig. Und dieses Lächeln an ihr.
Ralf vernahm, wie der Aufzug nach oben kam. Im dritten Stock blieb er stehen. Blechern öffneten sich die Türen des Fahrstuhls. Sein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus, sein Atem stockte. Nach einer kurzen Zeit schlossen sich die Schiebetüren gemächlich und der Fahrstuhl fuhr weiter zu ihm hoch. Mit einem Seufzer, als wäre es der Ausdruck aller Mühsal, blieb der Aufzug stehen. Ralf stand wie gelähmt vor dem Aufzug und hielt den Atem an. Die Türen öffneten sich und erst als er sah, dass die Kabine des Aufzugs leer war, nahm sein Herz seine Tätigkeit wieder auf und schlug weiter. Tief atmete Ralf ein und bei diesem Atemholen kroch ihm das Molekül eines Zitronenhains in die Nase, blumige Wiesen, zärtlich wurde der Duft von einer Prise von Muskat umwoben. Während er einstieg, schnupperte er nach dem Parfüm und der Duft beschwor das Bild von der Frau im olivgrünen Kleid herauf. Sie musste vor kurzem hier im Aufzug gestanden haben. Er dachte kurz nach. Überlegte den Knopf mit der Drei zu drücken. Es war seine Chance zu erfahren, wer die Frau war, die ihn so beeindruckt hatte. Er musste nur auf den Knopf für die dritte Etage drücken, aussteigen und nach der Schönen mit den smaragdgrünen Augen Ausschau halten. Die Fingerkuppe des Zeigefingers berührte bereits die Taste mit der Drei.
Aber plötzlich hielt Ralf inne. Was würden die Leute denken, denen er auf dem Flur begegnete? Was sollte er der Frau im grünen Kleid sagen, wenn sie plötzlich, ganz zufällig auf dem Flur vor ihm stand? Ein unnötiges Getratsche konnte er sich im Moment nicht leisten! Halb totlachen würden sich die Damen und Herren im dritten Stock über den liebestrunkenen Rössler. Schnell zog er seine Hand zurück. Er konnte es nicht. Er hatte nicht den Mut und er fühlte seinen Pulsschlag bis zum Hals. Der Zeigefinger zitterte, als er auf den Knopf für das Erdgeschoss drückte. Mit geschlossenen Augen fuhr er hinunter. Jede kleinste Ahnung ihres Duftes nahm er in sich auf und irgendwo, ganz hinten in seinem Kopf, tobte ein kleines Männchen und ärgerte sich über seine Mutlosigkeit.
Es war der dezente Klingelton des Aufzugs, der ihn unsanft aus seinen Gedanken riss und ihn wieder ins Jetzt katapultierte.
Aufrecht schritt er mit seinem Aktenkoffer unterm Arm durch die Eingangshalle und spürte, wie sich ein Empfinden in ihm ausbreitete. Aber so recht konnte dieses Empfinden noch nicht begreifen. Ralf Rössler ging am Pförtner vorbei, der gerade dabei war, einem Besucher den Weg zu irgendjemandem in der Firma aufzuzeigen. Obwohl Ralf Rössler viel in der Welt unterwegs war, wusste man im Unternehmen, dass er der Vertriebsmanager war. Aber so richtig kannte ihn niemand.
So wäre es doch auch in einer Partnerschaft, überlegte er. Seine Arbeit war auch für eine Partnerschaft nicht besonders förderlich. Das Beste wäre - ach, es wäre ein Traum -, wenn er mit der Frau, die er liebte, gemeinsam seinen Beruf ausüben könnte. Aber welche Frau wollte schon wochenlang unterwegs sein und von einem Hotelzimmer zum nächsten ziehen und bis spät in die Nacht mit ihrem Mann arbeiten? Ein Traum, sonst nichts. Unvorstellbar.
Rössler verließ die Firmenzentrale und fuhr mit der U-Bahn nach Schwabing, bummelte durch die Leopoldstraße auf der Suche nach einem Café. Er hatte noch gute drei Stunden Zeit, bis er sich auf den Weg zum Flughafen machen musste.