Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 4
Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im 4. Stockwerk der Firma Henning Manufaktur Co. KG
ОглавлениеIn der vierten Etage stieg Ralf Rössler aus dem Aufzug. Noch nie hatte er ein solches Maß an Sinnlichkeit einer Frau wahrgenommen. Jede Faser ihres Körpers strahlte Schönheit aus: Das Grün der Augen, das schulterlange, kastanienbraune Haar. Fein wie Seide! Die Haut ihrer nackten Arme schimmerte wie blankpolierte Bronze. Eine perfekt schlanke Figur und die wohlgeformten Brüste unter dem olivgrünen Kleid. Ihr Lächeln hatte sich federleicht, tief in sein Herz gelegt. Die leicht rot geschminkten Lippen hatten ihn betört. Ralf brauchte einen Augenblick, um sich von dieser Erscheinung zu erholen.
Im dritten Stock war sie ausgestiegen. Bestimmt arbeitete sie in einem der Büros der Firma, die für den Kundenkontakt zuständig sind. „Puh.“ Er stieß die Luft aus der Lunge oder vielmehr versuchte er das Erstaunen loszuwerden, das sich in ihm ausgebreitet hatte. Das Lächeln dieser betörend reizvollen Frau und die smaragdgrünen Augen…
Erst die Stimme von Paul Henning vermochte ihn aus seinen Gedanken zu reißen.
„Na, Ralf, wie sieht es aus?“ Ralf errötete, als er sich erschrocken zu seinem Chef umdrehte.
„Guten Morgen, Paul. Gut schaut es aus“, antwortete er. „Hast du jetzt Zeit für mich?“, fragte er Paul Henning, um etwas zu sagen und ein wenig Zeit zu gewinnen.
„Ja, ja, komm mit in mein Büro. Gretchen soll uns einen Kaffee kochen. Hast du bereits gefrühstückt?“
„Bin seit fünf Uhr früh wach. Bei diesem herrlichen Tag hab ich mir es nicht nehmen lassen durch den Englischen Garten zu joggen.“
„Sehr gut, sehr gut. Halt dich fit, Ralf. Die Gesundheit ist das wichtigste Gut, mit dem wir gütig umgehen sollten. Ich muss noch ein Telefonat führen mit Hamburg. Dort scheint es Probleme mit einem unserer Container zu geben.“
„Kann ich helfen?“
„Nein, lass nur. Ich will ja auch noch was zu tun haben“, sagte Henning und klopfte Ralf freundschaftlich auf die Schulter.
Zusammen schritten sie durch das Vorzimmer in Hennings Büro. An der Tür hing ein Schild, auf dem in stilvollen Lettern der Name ‚Paul Henning’ geschrieben stand und etwas kleiner darunter, in kursiver Schrift ‚Direktor‘ zu lesen war.
Ralf grüßte kurz angebunden Frau Mayerhase. Er mochte Gretchen, die Chefsekretärin, nicht sonderlich. Sie war ihm zu heuchlerisch, zu geschwätzig und sicher arrogant zu jedem, der unter ihr stand. Eine alte, verbitterte Schachtel eben. Aber für Paul Henning war sie genau die Richtige, vor allem seit der Krankheit und dem Tod seiner Frau. Damals, wohl vor jetzt beinahe fünf Jahren, war Grete Mayerhase es, die sich ständig um ihn kümmerte, für ihn das Nötigste besorgte und ihm schließlich auch in vielen Bereichen seines privaten Haushalts aushalf. Dafür war Paul Henning ihr sehr verbunden. Gretchen war außerdem seit über dreißig Jahren seine Chefsekretärin und täglich, von Montag bis Freitag, an seiner Seite. Auf irgendeine Weise gehörte sie zum Inventar der Firma, wie Paul Henning zu sagen pflegte. Genauso wie die alte, schon mit etwas Patina überzogene Büroeinrichtung. Paul liebte es, sich von Grete Mayerhase umsorgen zu lassen und sie tat alles, um für ihren Chef unentbehrlich zu sein.
„Gretchen, bringen sie uns Kaffee und ein paar Kekse. Aber von den wirklich guten, Sie wissen schon“, rief Henning im Gehen seiner Sekretärin zu.
„Steht längst alles bereit“, gab sie selbstbewusst zurück, ohne sich weiter um Henning zu kümmern.
„Perfekt wie immer, mein Gretchen.“ Sie errötete und lächelte zufrieden.
Während Paul Henning telefonierte, saß Ralf Rössler am Konferenztisch. Wie stets regelte Henning die Angelegenheit mit dem Hamburger Hafen auf seine bedachte Art. Mit den Fragen, die er stellte, schaffte er es, seinem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, mit ihm gemeinsam eine Lösung zu suchen - ihm schließlich dankend seinen Arbeitsauftrag zu erteilen, der für den Anderen kein Auftrag war, sondern die Umsetzung der eigenen Idee. Dabei vergaß Henning niemals, geduldig zu zuhören, seinen Humor spielen zu lassen und immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, auch wenn er telefonierte. Dieses Geschick und dieses Können bewunderte Ralf an Paul Henning, dem „alten Hasen“.
Auf der Granitplatte des Konferenztisches stand Ralfs offener Aktenkoffer. Die Unterlagen säuberlich vor sich ausgebreitet, ging er die Planung für die Reise nach London noch einmal Punkt für Punkt durch. Vor allem die Zahlen, die bei der Verhandlung eine bedeutende Rolle spielen würden, wollte er noch einmal mit seinem Chef abstimmen. Denn jetzt konnte er Paul Henning noch fragen, eventuell Details noch korrigieren, gegebenenfalls besprechen, wie er den nächsten Schritt planen konnte.
An diesem Morgen fiel es ihm allerdings nicht leicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Immer wieder tauchte zwischen den Zahlen die Frau mit der erotisch-bronzenen Haut in seinen Gedanken auf. Ihr Lächeln, ihr strahlender Blick. Er war in dieses Grün der Augen eingetaucht, bis in die Tiefe ihrer Seele. Wie konnte er die Frau wieder treffen? Wer war diese Schönheit, die im dritten Stock ausstiegen war und die er vorher noch nie gesehen hatte? War er in den letzten Jahren so blind durch dieses Gebäude gegangen?