Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 17
Freitag, 14.06., 17:00 Uhr. Auf der Fahrt zum Flughafen Heathrow.
ОглавлениеWas für ein erfolgreicher Tag lag hinter ihm und was für ein Mann, dieser Owen! Ralf saß zum ersten Mal in einem Rolls-Royce Phantom. Gerald hatte darauf bestanden, dass Ralf von seinem Chauffeur zum Flughafen gefahren, wurde. Um ihn herum nur Walnussholz und feinstes Leder. Sogar der Himmel des Wagens war mit hellem Ziegenleder ausgeschlagen. Gerne wäre er mit diesem Auto bis nach München gefahren. Denn das Fliegen konnte niemals den entspannten Sitzkomfort, die Aussicht aus diesem wunderschönen Auto und vor allem die gut bestückte Minibar ersetzen.
Jetzt war er auf den Weg nach Hause. Das Gesicht seiner grünen Fee tauchte in der Erinnerung auf. Er sah auf die Uhr. 17:05 Uhr. Um 18:20 startete sein Flugzeug und landete um 18:25 Uhr, wegen der Zeitumstellung am Münchner Flughafen. Er war sehr gut in der Zeit.
Was für ein Tag! Gerald Owen war beeindruckend in allem, was er tat. Obwohl Ralf ein sehr gutes Business-Englisch sprach, war er froh, dass Gerald Owen fließend und verhandlungssicher Deutsch sprach. Geralds ersten Berührungen mit der deutschen Sprache, so erzählte er ihm, machte er bereits in jungen Jahren an der Universität und hatte sie dann weiterhin gepflegt. Seine Sprechweise bei Besuchen in Deutschland verfeinert und durch das Lesen der Klassiker weiter verbessert. Oftmals hatte er sich mit einer der erstklassigen Erzählungen vor den Kamin gesetzt und sich von der harten Arbeit erholt. Gerald, stellte sich heraus, war ein großer Anhänger der Romantiker und der deutschen Nachkriegsliteratur. Vor allem aber liebte er Büchner und Böll.
Nachdem Owen seinen Gast durch die Pralinenfabrik geführt und ihm die gesamte Palette an Pralinen erklärt hatte, die bei „Lizzy & Sweet“ hergestellte wurden, kamen sie zum eigentlichen Teil ihres Treffens: zur Verhandlung über den Preis der Kuvertüre, die Owen von den Münchnern abnehmen wollte. Zuerst wurden die Themen nur gestreift und Ralf befürchtete schon, dass es ein sehr langer Arbeitstag werden würde oder dass das Ergebnis gar auf einen weiteren Tag in der darauffolgenden Woche vertagt wurde.
Aber nach dem Mittagessen, als sie wieder zusammensaßen, veränderte Gerald Owen seine Gesprächsführung. Plötzlich saß Ralf ein eiskalter, hochkonzentrierter Geschäftsmann gegenüber. Kein Lächeln war mehr in den Gesichtszügen des Engländers zu sehen. Die Haltung verdeutlichte seine Sachlichkeit und messerscharf brachte Owen seine Argumentationen vor. Der englische Fabrikant berührte mit seiner Verhandlungsstrategie immer wieder die Grenzen des Machbaren, touchierte wie ein Fechtmeister seinen Gegner und reizte diesen zu Eingeständnissen, die ihm, Gerald Owen, den größtmöglichen Profit brachten. Wie ein Raubtier bewegte er sich sprachlich um seine Beute. Umkreiste sie und zog die Kreise immer enger um seinen Kontrahenten immer Enger.
Das Hemd am Rücken war nach kürzester Zeit schweißnass. Ralf beobachtete den geschickten alten Mann und er wusste, dass er vor seinem Lehrmeister saß. All sein rhetorisches Geschick, sein gesamtes Wissen über den strategischen Verkauf musste er in die Waagschale werfen, um vor diesem hochkonzentrierten Mann zu bestehen. Körpersprache, Gedanken und Worte waren zum Äußersten gespannt. In den kurzen Momenten, in denen nicht gesprochen wurde, war es totenstill im großräumigen Büro des Gerald Owen. Vermutlich wäre in den winzigen Gesprächspausen das Fallen einer Daunenfeder auf dem Steinfußboden wie das herabkrachen eines Felsbrockens wahrgenommen worden.
Als Owen einen langen Monolog über das Machbare in der Pralinenfabrikation hielt, drifteten Ralfs Gedanken immer mehr ab.
Er stand im Aufzug und schaute auf die gebräunte Haut der Wunderschönen, die perfekt mit dem Grün des Kleides harmonierte. Das weiche Haar und der Glanz der smaragdgrünen Augen …
„Sind sie auch der Meinung, Mister Rossler, dass dieser Schritt wohlüberlegt sein muss?“ Mit dieser Frage holte der Engländer Ralf in die Realität zurück und somit an den Verhandlungstisch.
„Oh, absolut, sicherlich, völlig ihrer Meinung“, sagte der Vertriebsmanager und tat alles Mögliche, um den Anschein zu erwecken, als hätte er Owen folgen können. Dieser Owen, verdammt, er hatte ihn wie einen Jungstier bei den Hörnern gepackt und ihn lächelnd zu Boden gedrückt. Peinlich war es Ralf. Hitze schlug ihm wie eine Feuerwalze ins Gesicht und sein Kopf ähnelte wahrscheinlich eher einem Kürbis.
„Wir wollen eine kleine Pause einlegen. Kaffee oder Tee?“, fragte Gerald Owen und erlöste seinen Gesprächspartner mit einem süffisanten Lächeln aus der unangenehmen Situation.
„Gerne Tee, Mister Owen“, antwortete Ralf und fühlte sich, als wäre er in seine Schulzeit zurückversetzt worden. „Wenn ich schon Mal die Chance habe, guten englischen Tee zu bekommen, gerne Tee.“
„Wonderful, Mister Rossler“, hörte Gerald Owen sagen und Ralf vernahm wieder das heitere Lächeln auf Owens Gesicht.
Als der Engländer den Raum verlassen hatte, schüttelte Ralf den Kopf über sich. Er hatte das ganze Geschäft durch seine Unkonzentriertheit torpediert, versenkt, zunichte gemacht.
„Mist“, flüsterte er und ihm wurde bewusst, wie unprofessionell seine Geistesabwesenheit gewesen war.
Nach einiger Zeit öffneten sich die schweren Türflügel des Büros und ein Mann in einer Livree rollte den Teewagen in das edle Büro, in dem Ralf auf sein Todesurteil wartete. Hinter dem livrierten Diener erschien auch wieder Gerald Owen mit einem leichten Lächeln um den Mund.
Der Butler bereitete gekonnt und mit ernster Miene den Tee zu. Dann drehte er sich wortlos um und verließ den Raum.
„Ralf Rossler, bedienen sie sich und lassen sie uns den Tee und die Biscuits genießen.“
„Ich danke ihnen sehr“, erwiderte Ralf und er fühlte sich so klein.
So saßen sie sich schweigend eine Weile lang gegenüber. Tranken den wunderbar duftenden Tee und knabberten an den englischen Keksen.
„Wie heißt die Glückliche?“ Gerald Owen traf Ralf mit dieser Frage völlig unvorbereitet.
„Bitte?“ Verunsichert schluckte Ralf Rössler die Reste des Kekses herunter, um ein wenig Zeit zu gewinnen, um sich wieder zu fangen.
„Ich habe sie beobachtet, Mister Rossler. Wie mir scheint, sind sie verliebt. Ein solch entzückendes Lächeln bekommt nur jemand ins Gesicht gezaubert, der von Amors Liebespfeil berührt wird.“ Gerald Owen schmunzelte und das strahlende Gesicht Owen´s sah Ralf fragend an. Im Blick des Engländers lag die Entschlossenheit, den Namen der Glücklichen um jeden Preis zu erfahren.
Ralf sah vor sich auf die halbleere Teetasse und zuckte mit den Schultern.
„Mister Owen -“
„Verzeihen Sie, es geht mich nichts an -“ Owen sah amüsiert in seine Tasse Tee.
Ralf hob die Hand und spülte mit einem Schluck Tee die restlichen Krümel des Kekses durch die Speiseröhre in den Magen.
„Nein, Mister Owen“, bemerkte Ralf sogleich, „das ist mitnichten das Problem. Ich bin überrascht, wie sie es erkennen konnten und die Wahrheit ist: Ich weiß den Namen der Frau nicht.“
Gerald sah ihn an und ein Grinsen breitete sich von einem Ohr zum anderen. „Soll das heißen, Sie haben sich in eine Frau verliebt, einfach so und kennen sie nicht? Fantastisch!“
Und so erzählte Ralf Mister Owen vom Zusammentreffen am Tag zuvor im Aufzug mit der jungen Dame.
Nachdem Owen die Geschichte angehört, sah er Ralf ernsthaft an.
„Und wie wollen Sie das Mädchen finden, Mister Rossler?“
„Keine Ahnung“, antwortete Ralf und mehr als ein bedrücktes Lächeln brachte er nicht zustande.
„Na schön, aber halten sie mich auf dem Laufenden, und wenn es eine Hochzeit geben sollte, Mister Rossler, dann will ich dabei sein.“ Owen lächelte. Er stellte die Tasse ab, als Zeichen, dass für ihn die Pause beendet war.
„Nun zurück zum Geschäft.“ Bei diesen Worten erstarrte Ralf vor Schrecken. „Die Kuvertüre von Henning“, begann Owen, „ist mit das Beste, was es auf der Welt gibt. Ich will es mal so sagen: Belgische Schokolade ist Spitzenklasse, die Schweizer haben eine hervorragende Qualität. Henning genauso.
Aber ich verließ mich schon immer nicht nur auf die Qualität, sondern vor allem auf den Menschen, der hinter dem Anspruch der Güte eines Produktes steckt, der hinter diesem Niveau steht.
Paul kenne ich sehr, sehr lange. Leider sind wir bisher niemals ins Geschäft gekommen. Warum? Kann ich nicht sagen. Herr Rossler, fliegen Sie nach München zurück und lassen sie die Verträge vorbereiten. Ich werde dem Kontrakt zustimmen in der Größenordnung, wie wir es vor dem Tee besprochen haben. Und wegen des Preises: wir werden den von Ihnen genannten Vorschlag akzeptieren.“
Ralf sah Gerald Owen völlig verdattert an. Er nickte, komplett verwundert. Sagenhaft! Niemals hätte er sich träumen lassen, dass er den Deal zustande kriegen würde und schon gar nicht nach dem Fauxpas vor der Teepause. Ralf war es gelungen, diesen außergewöhnlichen Mann an der Themse für die „Henning Manufaktur & Co.KG“ zu gewinnen.
„So: Trinken sie mit mir auf unsere gemeinsame Zukunft! Whisky oder doch lieber was anderes?“
„Einen ordentlichen Whisky würde ich jetzt nicht ablehnen und ganz ehrlich, Herr Owen: Den brauche ich auch dringend!“ Ein breites Grinsen breitete sich über Ralfs Gesicht aus.
„Darf der Whisky torfig sein- ich meine peaty?“
„Sehr gern. Umso peatier, umso besser.“
Gerald Owen hob die rechte Augenbraue, sah ihn anerkennend an und nickte zustimmend. Er ging zu einem Schrank aus dem zwölften Jahrhundert, wie Owen erzählte, und der jetzt für ihn als Bar umgebaut worden war.
„Ich habe hier einen edlen Tropfen mit einem langen, warmen Abgang. Schmeckt nach dem Salz des Meeres, dem Eichenfass, in dem einst ein Sherry gereift ist, und nach Mandeln. Kaum je was Besseres getrunken. Ein wenig Wasser mildert die Schärfe und stellt den Geschmack perfekt dar.“
Er reichte Ralf das Glas und hob sein eigenes.
„Auf eine spannende, gemeinsame Zukunft, junger Mann.“
Sie tranken einen Schluck. Ralf ließ den edlen Trunk genüsslich über die Zunge rollen. Der volle Geschmack breitete sich im Mund aus. Ein Kunstwerk, ein Gemälde an Sinnesfreude.
„Großartig!“, sagte Ralf und hing dem Genuss eine Weile nach.
„Nicht wahr! Ein Juwel!“, rief Owen.
„Mister Owen, noch nie habe ich einen göttlicheren Whisky getrunken.“
„Wie wäre es, wenn wir endlich mit dem Per-Sie-Getue aufhören würden. Nennen sie mich Gerald.“
„Gerne, Gerald. Ralf.“ Er reichte dem Älteren erfreut die Hand.
„Besser als immer Rossler zu sagen und zu wissen, dass es nicht korrekt ausgesprochen ist. Auf den Vertrag, Ralf. Sehr gut haben Sie für den alten Henning gekämpft. Sie gefallen mir sehr.“
Was für ein Tag und was für eine Begegnung! Jetzt konnte das Wochenende beginnen.
Nachdem er aus dem Luxusschlitten ausgestiegen war, ging Ralf gemächlich durch die Hallen des Flughafens, checkte ein und begab sich an das Gate, von dem aus er an Bord gehen konnte.