Читать книгу ... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - Страница 15

Freitag, 14.06., um 7:30 Uhr. Auf dem Weg zu Mister Gerald Owen

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Nachdem Ralf im geschmackvoll eingerichteten Frühstücksraum, umgeben von gestressten und müden Geschäftsleuten, mit reichlich Speck, Rührei, Toast und Tee gefrühstückt hatte, machte er sich auf den Weg.

Vor dem Hotel wartete bereits eines der typischen englischen Taxis auf ihn. Ralf stieg hinten in das Fahrzeug ein und lächelte dem Taxifahrer zu. Ohne das Lächeln zu erwidern, legte der breitschultrige Taxichauffeur die Sportzeitung neben sich auf den Beifahrersitz. Wortlos schaute er durch den Rückspiegel zum Fahrgast nach hinten.

„Good Morning“, grüßte Ralf und nannte dem Taxifahrer die Straße, in der er gefahren werden wollte.

„Yes, Sir“, erwidert der Fahrer mit einem vibrierenden Bass, der den Wagen zum Schwingen brachte. Auf der Windschutzscheibe setzten sich die feinen Tropfen des Nieselregens und wurden vom monoton hin und her wischenden Scheibenwischer weggewischt. Ralf spürte immer noch den Körper der feenhaften Frau in seinen Armen.

Heute konnte es von ihm aus den gesamten Tag lang regnen. Was machte es schon! Was wäre London ohne die Tristesse des Regens? Leicht und so beschwingt fühlte sich Ralf. So erhaben. Außerdem war es sowieso wahrscheinlich, dass er den ganzen Tag mit Mister Owen in dessen Büroräumen sitzen würde.

Das Taxi fuhr durch das lebendige London. Ihm fiel ein, wie er zum ersten Mal in dieser Stadt gewesen war. Ein Wochenendtrip war es gewesen. Damals, in seiner Studentenzeit musste er sich das Geld monatelang vom Munde absparen, um sich ein Wochenende in der britischen Hauptstadt leisten zu können.

Mit so viel Freude war er los gefahren. Wochenlang war London sein hauptsächliches Thema. Jede Stunde war liebevoll geplant und in der Nacht, bevor er losgeflogen war, konnte Ralf keinen Schlaf finden, so aufgeregt war er wegen der Vorfreude.

Aber als er dann in London angekommen war, hatte es nur Streit zwischen ihm und ihr gegeben. Bereits am Flughafen hatte sie gemault, denn die Gepäckausgabe hatte ihrer Ansicht nach unzumutbar lange gedauert. Mit dem ewigen Rumgezicke hatte sie ihm damals jeden Enthusiasmus verdorben. Anstatt sich über das zu freuen, was sie erleben würden, hatte sie an der winzigsten Kleinigkeit herumgemäkelt. Für ihn war die Reise nach England, egal wie kurz sie war, etwas Großes gewesen, da er noch nie außerhalb von Deutschland verreist gewesen war.

Sie war dagegen mit ihrem Vater schon häufig in dieser Metropole gewesen, von der Ralf so lange nur träumen durfte. Ihr Streit war so weit gegangen, dass sie auf dem Rückflug auf keinen Fall mehr nebeneinander hatten sitzen wollen.

Damals hätte Ralf verstehen müssen, dass die Welt dieser verwöhnten Göre in keinster Weise die seinige sein konnte. Wochenlang war kein Gespräch mehr zwischen ihnen möglich gewesen. Erst als sie sich nach den Semesterferien an der Uni wieder getroffen hatten, sprachen sich aus.

Weshalb er sich auf diese Frau eingelassen hatte und warum er es so weit hat gekommen lassen, blieb wohl ein ewiges Rätsel. Ralf sah zum Fenster des Taxis hinaus. Er schüttelte den Kopf. Was hatte er sich von einer Ehe mit ihr erwartet.

Das Taxi fuhr am Piccadilly Circus vorbei. Er schloss die Augen und dachte an das Gesicht der Fremden im Fahrstuhl. Ihr Lächeln brachte ihn selbst zum Schmunzeln. Sie war im dritten Stock rückwärts aus dem Aufzug ausgestiegen. Hatte ihre Hand gehoben und hatte ihm zugewinkt. Wie gerne hätte er jetzt, in diesem Moment, die Hand der Frau berührt, genommen und sie fest an seine Wange gedrückt. Die Fee im grünen, wildseidenen Kleid arbeitete sicherlich in der dritten Etage.

Warum war er nicht nach dem Gespräch mit Paul im dritten Stock ausgestiegen? Er hätte die Zeit gehabt, um von einer Tür zur anderen zu gehen, höflich zu klopfen, um nach der Frau, die ihn so betört hatte, zu suchen.

Aber was, wenn Ralf plötzlich vor ihrem Schreibtisch gestanden hätte - was hätte er dann tun sollen? In seiner Fantasie sah er, wie ihn die Frau mit den smaragdgrünen Augen fragend ansah. Er musste erst abwarten, bis in seinem Leben alles wieder geregelt war. Zuerst musste er diese verdammte Fußfessel loswerden, denn so kam es ihm vor. Dann erst durfte er sich dieser anziehenden Frau vorstellen. Alles andere würde sie nur verschrecken. Und was, wenn sie, die allerschönste Frau, bereits vergeben, bereits glücklich verheiratet war?

Tief atmete Ralf Rössler durch und öffnete dabei die Augenlider. Er bemerkte, dass ihn der Fahrer im Rückspiegel beobachtete. Als sich ihre Blicke trafen, wendete der Taxifahrer wendete den Blick gleichgültig ab. Verschämt sah Ralf vor sich hin, auf die gefalteten Hände auf dem Schoß, als wäre er bei etwas Unartigem erwischt worden. Bleierne Schwere breitete sich in Ralfs Kopf aus.

Er musste sich auf das Gespräch mit seinem Geschäftspartner konzentrieren. Mit Paul zusammen war er alle Eckdaten durchgegangen und ein genaues Vorgehen war besprochen worden.

Hatte er tatsächlich letzte Nacht die Anzeige in der Zeitung geschaltet? Wie ein Teenie, so führte er sich auf. Ralf schmunzelte. Das Jungsein so zu spüren tat ihm gut.

Ralf‘, ermahnte er sich nochmals, ‚bleib konzentriert! Jetzt geht es ums Geschäft! ‘

Henning war der Deal mit dem Engländer wichtig. Aber verschenken wollte er die Kuvertüre nicht. Ralf sollte versuchen, das bestmögliche Resultat zu erzielen. Für Paul Henning war es immer ein Traum gewesen, mit Mister Gerald Owen ins Geschäft zu kommen, und wie bedeutend dieser Schritt für die Henning Manufaktur war, musste niemand Ralf erklären. Denn sollten die Pralinen von „Lizzy & Sweets“ mit der Schokolade aus München überzogen werden, würden bald auch andere aus der Süßwarenindustrie aus Großbritannien auf die Henningsche Kuvertüre zurückgreifen.

Das Taxi fuhr auf das Gelände der Pralinenfabrik von „Lizzy & Sweets“. Ralf zahlte, ließ sich vom mürrischen Taxifahrer eine Quittung geben, verabschiedete sich und stieg aus.

Während das Taxi wendete und davonfuhr, stand er auf dem kopfsteingepflasterten Innenhof. Weiterhin nieselte leichter Regen vom Himmel; die Luft roch schokoladig und nach Vanille. Ralf sah sich einen Moment lang um. Die alten Mauern des Gebäudes schienen ihn zu beobachten. Der Eingang zum Werk war ein stilvoll angebauter Vorbau, völlig aus Glas. Dieses moderne Element am Fabrikgebäude machte klar, dass der Besitzer der Firma der modernen Zeit aufgeschlossen gegenüberstand. Die gläserne Drehtür schien den Besucher einzuladen, in das Haus einzutreten. Ralf spürte beim Anblick des roten Backsteingebäudes die lange und liebevoll gepflegte Tradition und gleichzeitig den unvermeidlichen Aufbruch in die Zukunft.

Im Internet war Ralf in den vergangenen Tagen auf der Internetseite der „Lizzy & Sweets Company“ gewesen. Dort hatte er gestöbert und die Geschichte der Firma von Gerald Owen gelesen. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Vater von Owen, William, die Fabrik erbaut. Irgendwo in Soho hatte Billy Owen, wie er von den Freunden genannt wurde, mit einer kleinen Konditorei angefangen und rasch begriffen, dass er nur eine Leidenschaft hatte: Er wollte sich ausschließlich mit der feinsten Patisserie auseinandersetzen. Billy ahnte, dass es in London genug Menschen gab, die begeisterte Abnehmer sein würden. Er war nicht auf diese Welt gekommen, um Gebäck aus einfachen Teigen und Massen herzustellen. Das konnte all die Konditoren machen, deren Hände zu plump für die noble Konditorei waren!

Owen nahm sich also ein Herz und richtete in der Nähe des Buckingham-Palasts eine Confiserie ein. Seine Pralinen, die er liebevoll seine „Poemes“ nannte, mit feinster Schokolade überzogen, waren sprichwörtlich bald in aller Munde. Und als auch noch der König zu den Owenschen Kunden zählte, war die Firma „Lizzy & Sweets“, benannt nach Gerald Owens Mutter Lizzy, bald der Inbegriff der feinen Confiserie in England.

Ralf sah nach oben in den Nieselregen. Auf dem Dach war der Firmennamen in riesigen Lettern, wie eine aufgesetzte Krone, zu sehen. Er war nervös, wie jedes Mal, wenn er vor einem wichtigen Gespräch stand. Nur eine Unachtsamkeit, eine winzige Kleinigkeit konnte ein Geschäftsgespräch kippen und alle Strategien zunichtemachen.

Die Drehtür drehte sich und heraus kam ein kleiner, dicklicher Mann mit einem aufgespannten Schirm. Er war mit einem dunklen Anzug und schwarzem Hemd gekleidet. Sein Kopf war kahl geschoren. Der Mann kam, aufrecht und mit gemäßigtem Schritt, auf ihn zu. Als er bei Ralf angekommen war, stellte er sich nah genug zu seinem Gast, so dass dieser unter den Schirm passte.

„Mister Rossler.“ Seine Stimme klang selbstbewusst und angenehmen. „Mister Rossler! Mein Name ist Gerald Owen“ sagte er auf Deutsch. „Ich freue mich, dass sie mich besuchen.“ Dabei reichte er Ralf die rechte Hand und sah ihm fest in die Augen. „Kommen Sie, Mister Rossler“, fügte Mister Owen drängend hinzu. „Kommen Sie. Das Wetter in London ist wahrlich nicht gastfreundlich.“

Ralf ließ sich von Mister Owen über den Platz und durch die Drehtür führen. So lernte er den Mann kennen, der aus der feinen Confiserie seines Vaters ein Pralinenimperium aufgebaut hatte.

Im Eingangsbereich der Firma reichte Gerald Owen den Schirm einem Portier weiter und strich sich dabei mit der Hand die paar Regentropfen vom kahlen Schädel, die ihn trotz Schirm getroffen hatten.

Ralf hatte sich an der Seite dieses Impresarios gleich wohlgefühlt. All seine Nervosität war nach dem Eintritt durch die Drehtür wie verflogen.

... und dann für immer!

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