Читать книгу Fisch oder stirb - Rudi Kost - Страница 10
Argusaugen
ОглавлениеIch begann meine Überwachung mit Madame Eulert, und dafür gab es nur einen einzigen, allerdings triftigen Grund: mein Gefühl. Außerdem war ihr Mann nicht greifbar, weil er noch bis Sonntag zum Golfspielen auf Mallorca weilte.
»Spielen Sie auch Golf?«, hatte sie mich gefragt.
Ich hatte den Kopf geschüttelt. »Ich halte es für einen bekloppten Zeitvertreib, einen kleinen Ball kilometerweit über eine Wiese zu dreschen, nur um ihn dann in einem kleinen Loch zu versenken.«
»Ums Golfspielen geht’s ja gar nicht. Das ist doch nur ein Vorwand, um in aller Ruhe Kontakte zu knüpfen und Geschäfte zu machen. Deshalb sind bei diesem Mallorcatrip Begleiterinnen nicht erwünscht.«
Das hatte vielleicht auch einen anderen Hintergedanken: Die Herren wollten ungestört einen draufmachen, man weiß ja, was auf Mallorca so abgeht.
»Schade«, hatte sie gesagt, »vielleicht hätte ich Sie einschleusen können.«
Dumm gelaufen. Ich hätte sie anlügen sollen, dann wäre ein kostenloser Kurzurlaub herausgesprungen. Malle im März: das hörte sich gut an. Fangfrischer Fisch in der warmen Sonne, im Hintergrund das Meeresrauschen, die Mädels, die sich am Strand entblättern …
Manchmal ist Ehrlichkeit ganz schön bescheuert und wird umgehend bestraft. Zum Beispiel damit, dass man an einem grässlich kalten deutschen Märzmorgen in einer Esslinger Straße darauf wartet, dass irgend etwas passiert.
Der Unternehmer Helmut Eulert residierte standesgemäß in bevorzugter Wohnlage, Halbhöhe, mit bemerkenswertem Blick ins Neckartal und bis hinüber zur Schwäbischen Alb, unterhalb eines hässlichen Betonklotzes, der irgendwelche Hochschulen beherbergte, wie ich im Vorüberfahren gesehen hatte.
Es gab keinen Menschen in Esslingen, der mich kannte, außer Madame. Und gerade die durfte mich nicht sehen. Deshalb hatte ich mich getarnt, eine Mütze in die Stirn gezogen und mir einen mächtigen Schnauzer auf die Oberlippe geklebt. Außerdem trug ich eine schwarze Hornbrille, eines dieser Klugscheißergeräte, die als Nerd-Brillen gerade wieder schwer angesagt waren, wie ich einer Frauenzeitschrift entnommen hatte. Es dauerte offensichtlich einige Zeit, bis die Mode von der Provinz in die Weltstädte gelangte. Meine Nele trug so was schon lange.
Der Verkäufer hatte skeptisch geschaut, als ich das Ding mit Fensterglas wollte. »Ich finde, die Brille macht mich intellektueller«, hatte ich das begründet. Er war so klug, darauf nicht einzugehen.
Ich sah vielleicht doof aus, und der Bart juckte, aber Susanne Eulert würde mich wenigstens nicht auf Anhieb erkennen, sollte sich eine Begegnung nicht vermeiden lassen.
Es war kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Die Schwierigkeit war eher, dass zu wenige Autos am Straßenrand standen. In dieser Gegend brachte man die zweifellos edlen Gefährte in Doppel- oder Dreifachgaragen unter. Ich konnte mir schon mal eine halbwegs glaubwürdige Erklärung ausdenken, falls mich jemand schräg anquatschte. Und das würde sicherlich geschehen, wenn ich länger hier ausharren musste. Ich war ungefähr so unauffällig wie ein Eisbär in der Wüste.
Mein Timing war gut. Kaum hatte ich es mir in Sonjas Sardinenbüchse etwas gemütlich gemacht, hielt ein Auto mit der Aufschrift eines Fitnessstudios. Ihm entstieg ein widerlich gut gebauter Typ im Sportanzug und verschwand im Hause Eulert. Auf sein Klingeln hin war ihm sofort aufgemacht worden, als sei er erwartet worden. Wenn er nicht Energiedrinks ausfuhr, wonach es nicht aussah, war er wohl Madames Personal Trainer, schloss ich messerscharf.
Es war neun Uhr. Ich hatte nicht gedacht, dass man in solchen Kreisen zu dieser frühen Stunde überhaupt schon aus den Federn war.
Wenn meine Mutmaßung stimmte, woran ich nicht zweifelte, hatte ich jetzt eine Weile Zeit und konnte mir die Beine vertreten. Ich nahm einen Schluck heißen Tee aus der Thermoskanne, die ich vorsorglich eingepackt hatte, wand mich aus Sonjas Blechgefängnis und nahm das Eulertsche Anwesen näher in Augenschein.
Viel war nicht zu sehen. Eine breite Garage, in der mindestens drei Autos Platz fanden, daneben das pompöse Eingangsportal. Büsche und Bäume verdeckten Haus und Grundstück, konnten allerdings nicht verbergen, dass beide von beträchtlicher Größe waren. Zwei Überwachungskameras, warnend überm Garagentor angebracht, deckten den gesamten Eingangsbereich ab.
Wer fällt in einer solchen Gegend mehr auf? Ein Mann, der unmotiviert im Auto sitzt und ein Buch liest, oder einer, der ziellos lustwandelt und die Häuser intensiv beäugt? Das sollte ich gleich erfahren.
Sie waren ein ungleiches Paar und passten deswegen hervorragend zusammen. Den Hund hatten sie auf die Größe einer Ratte heruntergezüchtet, damit er besser ins Prada-Handtäschchen passte. Bei seinem Frauchen war die gegenteilige Entwicklung geschehen. Zu viel gutes Leben hatte sie aufgeplustert wie eine gekochte Bratwurst kurz vorm Platzen. Wenigstens musste sie sich keine Gedanken darüber machen, ob sie sich mit Botox aufspritzen sollte. Sie war so gut gepolstert, dass nirgendwo Falten entstehen konnten.
Sie watschelte mir entgegen, mühelos Schritt haltend mit der Missgeburt von Hund, und zeigte unverhohlenes Misstrauen. Da war einer, den sie nicht kannte und der deshalb nicht hierher gehörte. Ich nickte ihr höflich, aber distanziert zu, murmelte ein »Grüß Gott« und schlenderte weiter. Das Hündchen knurrte mich böse an und zerrte an der Leine.
Nach ein paar Schritten drehte ich mich um. Die Frau stand fest wie eine Tonne und starrte mir nach. Ich widerstand der Versuchung, ihr zuzuwinken. Die Teppichratte an der Leine hatte sich zu etwas aufgerafft, das mit viel gutem Willen als ein Kläffen zu interpretieren war. Himmel, ging mir die Muffe!
So schlägt man ungebetene Eindringlinge in die Flucht: ein herrischer Blick im Verein mit einem blutgierigen Löwen, den man im Notfall auch von der Leine lassen konnte.
Einige Schritte weiter wiederholte sich das Spiel. Ich drehte mich um, sie stand immer noch an derselben Stelle. Sollte das jetzt so weitergehen? Aber der Löwe kackte ihr jetzt beherzt vor die Füße. Damit war der Grund für den morgendlichen Spaziergang eigentlich hinfällig.
Glücklicherweise machte die Straße eine sanfte Biegung, und ich war bald aus dem Blickfeld der beiden verschwunden. Allerdings das Haus Eulert auch aus meinem. Das war nicht Sinn der Aktion gewesen.
Ich schaute auf die Uhr. Zehn Minuten waren vergangen. Also musste ich mir keine Sorgen machen, Madame war sicher erst beim Aufwärmen. Ich wartete noch eine Weile und machte dann kehrt. Die beiden Straßenkämpfer waren nicht mehr zu sehen. Ich ging zum Auto zurück.
Kurz nach zehn Uhr verließ der Sportler das Haus wieder, mit einem dümmlichen Grinsen auf dem Gesicht und ziemlich erhitzt. Hatte der Trainer etwa selber mitgemacht? Meine Turnlehrer in der Schule standen immer nur daneben und motzten herum. Nun ja, hier war die Bezahlung garantiert besser.
Oder hatte Madame etwa ein Verhältnis mit ihrem Trainer? Das wäre das Oberklischee. Etwas mehr Klasse traute ich ihr doch zu.
Und jetzt? Musste Madame sich duschen und aufbrezeln, und das konnte dauern.
Es dauerte noch länger. Detektiv spielen war blöd, entschied ich. Und wenn, sollte man es wenigstens zu einer freundlicheren Jahreszeit machen. Die Frühjahrskälte kroch mir langsam die langen Unterhosen hoch. Meine Thermoskanne Tee war fast leer, und ich musste dringend pinkeln, aber alle erreichbaren Bäume standen hinter Gartenzäunen.
Es gibt nichts Langweiligeres, als in einem Auto zu hocken und auf etwas zu warten, wovon man nicht einmal weiß, was es sein wird. Wenn du nicht gerade damit beschäftigt bist, krampfhaft die Augen aufzuhalten, kommen unweigerlich die Gedanken.
Was tat ich eigentlich hier?
Ich war ein klein wenig sauer. Den Scheck hatte sie schon vorbereitet gehabt, einschließlich Unterschrift, sie hatte genau gewusst, dass sie mich rumkriegen würde. Und das ärgerte mich. Sie hatte an meine niederen Instinkte appelliert. Offenbar hatte ich welche.
Eigentlich ärgerte ich mich vor allem über mich selbst. War ich so leicht zu durchschauen?
Irgend etwas stimmte hier nicht. Diese Show mit dem sexy Blondchen war kalkuliert, dessen war ich mir sicher, aber etwas zu dick aufgetragen. Was womöglich auch beabsichtigt war. Hätte nur noch gefehlt, dass sie die »Basic Instinct«-Nummer abzog. Obwohl das seinen Reiz auch verloren hatte, seitdem sich jedes halbwegs prominente Dummchen beim Aussteigen aus dem Auto untern Rock fotografieren ließ.
Es gab ungefähr dreiundsechzig Gründe, die dagegen sprachen, mich mit diesem Fall zu betrauen (sofern es überhaupt ein solcher war). Und nur einen Grund dafür: Weil ich ein gut aussehender, intelligente Mann im besten Alter war.
Die Frau war nicht echt gewesen, sie hatte mir nur eine schöne Fassade gezeigt. Jetzt wollte ich wissen, was dahintersteckte. Ihr Visier hochklappen. Vielleicht hatte es auch nur mit meinen eigenen Erinnerungen zu tun.
Was wollte Frau Eulert wirklich?
Vorerst schwang um sechs Minuten nach elf Uhr, wie ich akribisch notierte, das Garagentor auf, und heraus kam ein knallroter, hochglanzpolierter Z3 mit Madame am Steuer.
Natürlich stand ich in der falschen Richtung. Als sie an mir vorbeifuhr, rutschte ich in meinem Sitz nach unten, soweit das in diesem Hühnerkäfig überhaupt ging, und wendete dann schnell, damit ich den Anschluss halten konnte.
Es ging hinab ins Neckartal. Jetzt kam der schwierigere Teil. Für mich war Esslingen unbekannte Ödnis, und wenn ich sie aus den Augen verlor, hatte ich keine Chance. Andererseits durfte ich nicht an ihrer Stoßstange kleben, um sie nicht auf mich aufmerksam zu machen. Lass dich zurückfallen, lautete die Regel aus dem Handbuch für Privatdetektive, bring zwei, drei Autos zwischen euch, notfalls kannst du sie überholen, um wieder näher heranzukommen.
Das Handbuch musste aus der Frühzeit des Automobilverkehrs stammen oder auf einem breiten amerikanischen Highway ausgedacht worden sein, ganz bestimmt nicht bei dichtem innerstädtischen Verkehr auf einer Fahrspur.
Ich hatte Glück. Die Fügungen des Straßenverkehrs brachten, bis ich einbiegen konnte, die geforderten zwei Autos zwischen uns, ich kam mit ihr über alle Ampeln, wenn auch einmal ganz knapp erst bei Dunkelgelb, und als sie in ein Parkhaus fuhr, fand auch ich ein Plätzchen, weit genug entfernt, dass sie nicht über mich stolperte, nah genug, damit ich ihr auf den Fersen bleiben konnte.
Ein großer Platz mit ein paar Kirchen und schönen Gebäuden: In unseren Breiten kann es sich dabei nur um den Marktplatz handeln, den man dann gern als »historisch« bezeichnet. An altem Gemäuer war ich im Moment nicht im mindesten interessiert, nur an der Frau, die über den Platz stöckelte.
Madame war heute, soweit das zu erkennen war, nicht als Femme fatale verkleidet, sondern ganz seriös als reiche Unternehmersgattin. Und offensichtlich unterwegs zu einem Shoppingbummel. Sie studierte intensiv die Auslage eines Dessousgeschäfts, streifte kurz durch eine kleine Boutique, während ich mich vor dem Schaufenster herumtrieb wie ein wartender Ehemann, probierte anderswo drei Paar Schuhe an, ohne sich für eins zu entscheiden. Und so weiter.
Ich hatte schon längst die Orientierung verloren in dem Gewirr der Gassen. Webergasse, Heugasse, Strohstraße, Milchstraße, Franziskanergasse: Das klang alles ganz schnuckelig und sah auch so aus. Kein Vergleich mit meiner Heimatstadt Schwäbisch Hall, klar, aber als romantische Mittelalterstadt konnte es gerade noch so durchgehen.
Zum Schauen blieb nicht viel Zeit. Es waren wenig Leute unterwegs, und ich hatte einige Mühe, nicht als ständiger Begleiter aufzufallen und gleichwohl den Anschluss nicht zu verlieren.
Ich hätte ihr jetzt erst einmal zu einem Kaffee geraten, denn mein dringendes Bedürfnis wuchs sich allmählich zu einem Problem aus. Ich konnte den vielen Tee ja nicht durch die Rippen schwitzen. Stattdessen ging es zurück in eine Fußgängerzone, die so fade und austauschbar war wie in jeder anderen Stadt und einen leicht schäbigen Eindruck machte. Schließlich schleifte sie mich in ein Modekaufhaus und steuerte schnurstracks auf die Dessousabteilung zu.
Super! Zwischen knappen Slips und verführerischen BHs kann sich ein Mann alleine bestens herumtreiben, ohne aufzufallen.
Ich drückte mich herum und versuchte, Madame im Auge zu behalten, nahm mal hier ein Stück in die Hand und dort ein anderes, begutachtete es kritisch und hängte es wieder zurück, ganz der treusorgende Ehemann, der ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau sucht. Oder für seine anspruchsvolle Geliebte.
Prompt kam eine Frau auf mich zu, eine matronenhafte Mittfünfzigerin. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich warte auf meine Frau«, antwortete ich und versuchte ein dümmliches Grinsen, was mir in diesem Moment nicht weiter schwerfiel.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Madame mit einem Berg Unterwäsche Richtung Umkleidekabine bewegte. Das war meine Rettung. Aus der qualvollen Erfahrung langer Jahre mit diversen Begleiterinnen wusste ich, dass es seine Zeit dauern würde, bis das alles durchprobiert und von vorn und hinten begutachtet war.
»Sagen Sie«, wandte ich mich an die Verkäuferin, »wo sind denn hier bitte die Toiletten?«
Sie sah erst mich an und dann meine Hände. Ihre Miene professioneller Freundlichkeit erstarrte und zerbröselte. Meine Hände hielten die Ehemanntarnung, einen hauchzarten Slip, der im wesentlichen aus Löchern bestand mit etwas Spitze drum herum. Die Frau, die so etwas trug, konnte es eigentlich gleich sein lassen.
Die Verkäuferin riss mir das Nichts aus den Fingern, das immerhin neunundsiebzig Euro kostete, und zischte: »Im ersten Stock.« Und fügte mit Nachdruck hinzu: »In der Herrenabteilung!« Und rauschte nicht empört, entsetzt, verängstigt oder was auch immer davon, sondern stand wie ein Fels in der Brandung, bis ich mich trollte.
Au weia! Jetzt stand ich auf dem Index der Schlüpferfetischisten. In dieser Verkleidung konnte ich mich hier nicht mehr blicken lassen. Und wie sollte ich dann Madame im Auge behalten? Mehrere Zugänge führten zu den Dessous, und selbstverständlich hatte das Haus auch mehrere Ausgänge. Eh schon egal, konnte ich wenigstens aufs Klo gehen. Erster Stock, für Herren.
Ich hatte wiederum Glück. Ich sah sie von Weitem und konnte aufschließen, ohne nochmals unangenehm aufzufallen. Madame hatte eine große Tüte in der Hand, offenbar genug eingekauft und zog mit mir in gebührenden Abstand zurück zum Parkhaus.
Ich fluchte. Im Handbuch für Detektive stand nichts davon, dass man immer Kleingeld dabei haben sollte, um die Parkhauskasse zu füttern. Der Automat war mit meinem Opfer verbündet und verweigerte meine Scheine so lange, bis ich Madame an mir vorbeifahren sah.
Und ein weiteres Mal war mir das Glück hold. Eine lange Schlange vor der Schranke. Ganz vorne stand einer jener Dummköpfe, denen entgangen war, dass die Kassenhäuschen abgeschafft waren und man neuerdings vor dem Ausfahren bezahlen musste. Ich hätte ihn umarmen können. Vielleicht sollte ich ihn für zukünftige Fälle dieser Art unter Vertrag nehmen.
Madame führte mich durch halb Esslingen, und die Stadt war nicht so klein, wie ich gedacht hatte. Sie war eine miserable Fahrerin. Unter anderen Umständen hätte sie mich zur Weißglut gebracht. Wurde schon langsamer, wenn sie sich einer grünen Ampel auf Sichtweite näherte, aus Angst, sie könnte umschalten. Machte fast eine Vollbremsung bei Gelb. Hielt überpenibel die Geschwindigkeitsbegrenzung ein, als könnte hinter jedem Vorgartenbusch eine Radarfalle lauern. Und so jemand fährt einen Sportwagen?
Wenigstens schwamm ihr roter Flitzer auffällig genug im Meer der einheitssilbergrauen Autos, so dass ich keine Angst haben musste, sie zu verlieren. Aber es war ja so langweilig. Warum bog sie nicht mal unvermittelt und ohne Blinken ab, rauschte auf den letzten Drücker über eine Kreuzung? Man hätte meinen können, sie schleppte mich absichtlich hinter sich her.
Mein Navi meldete brav die Straßen, durch die wir fuhren. Das war ausgesprochen nett, nützte mir allerdings wenig. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Gegend wir uns befanden, als der Z3 vor einer Reihe von Wohnblocks hielt, die schon vor vierzig Jahren einfallslose Architektur gewesen waren und durch das Alter nicht gewonnen hatten.
Madame parkte, und auch ich fand ohne Mühe mein Plätzchen. In dieser Straße fiel ich wenigstens nicht auf, hier parkten genügend Autos. Madame stieg aus, die Einkaufstüte in der Hand, und ich blieb sitzen. Madame öffnete die Haustür zu Nummer 43, wie es aussah, mit einem eigenen Schlüssel, aber das konnte ich nicht genau erkennen, und ich schoss mein erstes Foto von ihr mit meiner nagelneuen Nikon. Madame verschwand, und ich rätselte, wo ich wohl etwas zu essen bekommen könnte.
Sie hatte mich schon geärgert, indem sie sich einem Kaffee für meine Pinkelpause verweigerte, und jetzt machte sie sich über meinen knurrenden Magen lustig. Immerhin war ich seit fünf Uhr auf den Beinen, und weit und breit kein Laden, nicht mal eine Imbissbude. Ich begann, mein eigenes Handbuch für Privatdetektive zu schreiben. Erste Regel: Begnüge dich nicht mit zwei Brötchen mit Hopfacher Büchsenwurst, nimm die ganze Büchse mit. Zweite Regel: Eine weitere Thermoskanne mit kühlem Riesling.
Eine saublöde Idee, diese Observierung. Überhaupt eine Observierung. Ich sollte das in Zukunft delegieren. Vielleicht an Sonja. Frauen sind für einen solchen Job besser geeignet. Haben sie endlich mal genügend Zeit, die Haare von links nach rechts zu zupfen und die Fingernägel zu feilen.
Warten macht mich ungeduldig. Vor allem, wenn ich nicht weiß, worauf ich warte. Und wie lange.
Ich parkte mein Auto um, auf die andere Straßenseite, damit ich den Eingang besser im Blick hatte. Ich stellte mich so hin, dass ich direkt vor einer Garageneinfahrt stand, so dass ich nicht rangieren musste, wenn ich losfahren wollte.
Ich zählte die Fenster im Block mit der Nummer 43. Zwölf Stockwerke, auf jedem Stock zwei Wohnungen, macht vierundzwanzig Wohnungen. Jede Wohnung mit zwei Fenstern nach vorne, macht achtundvierzig Fenster.
Ich fotografierte methodisch jedes Fenster, links oben beginnend. Varianten von Gardinen wie aus dem Musterkatalog. Die meisten verwehrten jeden Durchblick, andere waren eher Dekoration. An keinem Fenster zeigte sich jemand.
Ich fotografierte jedes parkende Auto, soweit mein Zoom reichte. Das war reine Langeweile, was sollte ich mit diesen Fotos schon anfangen, Nummernschilder waren nicht zu erkennen.
Ich fotografierte das Klingelschild und probierte die Haustüre. Abgeschlossen. Also hatte Madame doch einen Schlüssel, denn geklingelt hatte sie nicht, da war ich mir absolut sicher.
Keiner der Namen neben den Klingeln sagte mir etwas, wie auch? Ob mein Computergenie Rolf sie mal durch ein paar eigentlich unzugängliche Datenbanken jagen sollte? Spekulation: Madame unterhält hier ein geheimes Liebesnest. Indiz: die Tüte mit den Dessous. Vielleicht unter ihrem Mädchennamen? Hatte Sonja endlich ihre Freundin erreicht und etwas über Madame herausbekommen?
Ich rief an. Im Büro der Anrufbeantworter, am Handy die Mailbox. Typisch. Sobald der Herr aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Und ich saß hier ohne wichtige Informationen und kämpfte mit dem Schlaf.
Bestimmt war Sonja bei Nele. Ich konnte mir die beiden lebhaft vorstellen.