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Der Duft der Frauen

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Ich hatte einen Schlüssel, aber ich klingelte trotzdem: Überraschung! Als die Tür geöffnet wurde, war ich verdattert.

»Wer sind Sie? Habe ich mich in der Tür geirrt?«, fragte ich.

Vor mir stand eine Frau in einem atemberaubenden grauen Lederkleid mit Hemdblusenkragen, das ziemlich weit über den Knien endete. Ihre Beine waren perfekt dafür. Das Haar war zu einem Long-Bob in Kinnlänge geschnitten und im Nacken leicht ausgedünnt. Die katzenschmalen braunen Augen strahlten mich an.

»Überraschung!«, sagte die Fremde. Ihre Stimme war mir vertraut.

Die Nele, die ich bisher kannte, trug zur Arbeit ein wenig aufregendes Businesskostüm samt Bluse und die Haare streng nach hinten gebunden. In der Freizeit durfte das Haar auch mal schulterlang fallen, das Kostüm wurde gegen eine Jeans getauscht. Nele war die Frau mit der kleinsten Garderobe, die ich jemals gekannt hatte. Und nun das!

»Jesses!«, machte ich. »Was ist denn da passiert?«

Nele drehte sich kokett. »Weißt du noch? Ich will mich neu erfinden. Ich bin schon einen Schritt weiter. Gefällt’s dir?«

»Was zwei Wochen Berlin aus einer Frau machen. Weltstadt, was?«

»Weltstädtischer als Schwäbisch Gmünd allemal.«

»Dazu gehört auch nicht viel. Sind das Manolos?«

»Du kennst dich aus?«

»War geraten.«

»Falsch geraten. Louboutin. Manolos sind retro.«

»Echt toll. Wirklich. Kann man darin auch laufen?«

»Dafür sind sie nicht gemacht. Nein, kann man nicht. Außerdem drücken sie.«

»Das kann man beheben.«

»Nicht bei Louboutins.«

»Du musst dir nur den kleinen Zeh wegoperieren lassen. Das macht die Dame von Welt heutzutage so.«

»Andere Schuhe wären billiger.«

»Das sagst du? Als Frau? Apropos operieren. Hast du eine Ahnung, was die Schönheitschirurgen so alles unters Messer nehmen?«

»Die Stunde der Wahrheit. Jetzt hältst du mir alles vor, was dir an mir nicht gefällt. Aber ich sage dir, meine Nase bleibt, wie sie ist.«

»An deiner Nase ist nichts auszusetzen. Ich rede von interessanteren Stellen. Bist du eigentlich mit deinen Schamlippen zufrieden?«

»Bitte was!?«

»Zu groß? Zu klein? Zu dünn? Zu dick? Kein Thema. Messer ansetzten, ritschratsch, fertig. Labioplastik. Voll im Trend. Die perfekte Vulva. Nach deinen Wünschen modelliert. Oder meinen. Die Frau, die da nicht mitmacht, ist total altmodisch.«

»Oder hat noch ein kleines bisschen Verstand. Willst du mir damit eigentlich irgend etwas sagen?«

»Ich weiß ja nicht, wie tiefgreifend die Änderungen sind, die du an dir vornehmen willst.«

»Lass dich überraschen. Woher hast du eigentlich deine Weisheiten?«

»Ein Friseurtermin, und du bist über alles informiert. Frauenzeitschrift.«

»Du solltest den Friseur wechseln. Nicht nur wegen der Zeitschriften. Und lies was Vernünftiges. Playboy zum Beispiel. Mit Frauenzeitschriften bist du überfordert.«

Ich breitete die Arme aus und drückte sie an mich. »Ich habe dich vermisst, Nele. So, wie du bist. Oder wie du werden willst. Warum trägst du heute eigentlich keine Brille? Du willst mich wohl nicht so genau sehen?«

»Kontaktlinsen.«

Es war unfassbar. Nele war die Frau, die mehr Brillen als Schuhe hatte. Sollte sich das Verhältnis umkehren? Was kam da auf mich zu?

»Wie waren deine Termine in Berlin, Frau Anwältin?«

»Interessant. Aber lass uns jetzt nicht vom Geschäft reden. Ich habe Essen vorbereitet.«

»Ich rieche Hühnerfleisch. Hoffentlich ist es genug. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«

»So viel zu tun?«

»Ja. Aber wir wollten doch nicht über Geschäfte reden.«

Nele holte einen Tontopf aus dem Ofen, in dem sie das Huhn mit Gemüse geschmort hatte. Als sie den Deckel öffnete, sog ich glückselig die Aromen ein, die mir entgegenwehten.

»Ah! So liebt es der Mann, wenn er erschöpft von der Jagd ans heimische Lagerfeuer zurückkehrt. Welch verführerischer Duft! Ich meine damit dein neues Parfum. Lass mal schnuppern.«

»Das kitzelt!«

»Du bist zum Anbeißen. Aber in Anbetracht meines Bärenhungers werde ich meine Aufmerksamkeit zuerst dem Geschmorten widmen, bevor ich mich über das Frischfleisch hermache.«

Sie aß einen Schlegel, ich verputzte den Rest. In derselben Zeit.

Ich schaute satt auf den Knochenberg. »Du hast immer behauptet, du könntest nicht kochen. Ich sehe jetzt, dass das eine reine Schutzbehauptung war, damit ich die ganze Arbeit alleine mache.«

»Hat doch funktioniert, oder?«

»Eine hinterlistige Art, sich die Männer gefügig zu machen.«

»Die Illusion der Unentbehrlichkeit trifft es besser. Spezielle Wünsche zum Dessert?«

»Nur das eine. Die zwei Wochen ohne dich waren schrecklich. Du hast mir gefehlt.«

»Nur deswegen?«

»Natürlich nicht. Warum geht dieser verdammte Reißverschluss nicht auf?«

»Nicht so ungeduldig! Das Kleid war teuer.«

»Wer diese BH-Verschlüsse erfunden hat, sollte mit lebenslangem Zölibat bestraft werden. Na endlich! Ah, ich liebe es, wenn diese Handschmeichler frei schweben dürfen!«

»Drück nicht so heftig! Ich steh nicht auf SM.«

»Ist der Slip auch neu?«

»Schön, oder?«

»Schön ist vor allem, was darunter zum Vorschein kommt. Mal sehen, ob ich mich da noch zurechtfinde, nach so langer Zeit.«

»Du machst das ganz gut, Dillinger. Nicht aufhören!«

»Ich muss mal Luft holen. Muss ich mich eigentlich selber ausziehen?«

»Ich mach das schon. Oh, ich sehe, dass ich dir tatsächlich gefehlt habe.«

»Geht das auch mit Kontaktlinsen?«

»Mh. Allerdings sehe ich jetzt alles ganz scharf. Interessant.«

»Tut mir leid, wenn du jetzt desillusioniert bist.«

»Ich komm schon zurecht.«

»Sehr gut sogar. Warum hörst du auf?«

»Ich will dich in mir spüren. Aber hör mal, nicht auf dem Fußboden, dafür sind wir zu alt! Na gut, mach weiter ...«

Später dann, in diesem wohligen Zustand postkoitaler Trägheit, rückte sie mit der schlimmen Wahrheit heraus.

»Man hat mir eine Stelle angeboten. Bei Scholz, Kummer & Arbogast.«

»Du willst deine Selbstständigkeit aufgeben?«

»Meine Kanzlei läuft nicht besonders gut. Nach unserer Trennung hat mein Ex natürlich viele Klienten mitgenommen. Und seit ich auf der Scheidung bestanden habe und ihm klar ist, dass ich nicht zu ihm zurückkomme, macht er mich überall madig.«

»Ist das mit der anwaltlichen Standesehre vereinbar?«

»Sicher nicht. Aber wen kümmert’s?«

»Zeit für eine Veränderung.«

»Eben. Vielleicht werde ich sogar Partner.«

»Scholz, Kummer, Arbogast & Bögelsack. Klingt gut. Wäre das eine Verbesserung?«

»Das ist eine renommierte Kanzlei mit interessanten Fällen. Ich habe ein regelmäßiges Einkommen und muss nicht mehr jedem Klienten hinterherjagen wie bisher.«

»Warum überlegst du dann noch?«

»Die Kanzlei ist in Berlin und in Hamburg. Ich kann’s mir aussuchen.«

»Oh.«

»Damit eines klar ist: Wegen eines Mannes gebe ich meine Zukunftspläne nicht auf. Das habe ich einmal gemacht, und das kommt nie wieder vor.«

»Ich sag ja gar nichts.«

»Aber du guckst so.«

»Ziemlich weit im Norden, Berlin und Hamburg, von hier aus gesehen.«

»Wir würden uns seltener sehen, richtig.«

»Wir haben uns jetzt auch zwei Wochen nicht gesehen, Nele. Ach so, ich verstehe. Du willst mich langsam daran gewöhnen.«

»Quatsch. Und noch ist ja nichts entschieden.«

»Fernbeziehung!«

Ich schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Hat auch seinen Reiz. Und so was ähnliches führen wir jetzt doch auch schon«. meinte Nele. »Living apart together. Ein Paar, zwei Wohnungen. Wir liegen voll im Trend.«

»Aber Fernbeziehung ist eine Verschärfung der Grausamkeit. Und wenn mich ein dringendes Bedürfnis überkommt?«

»In deinem Alter?«

»Das war jetzt aber unter der Gürtellinie.«

»Du kannst ja mitkommen, Dillinger.«

»Nach Berlin? Nach Hamburg? Nie im Leben!«

»Das sind beides interessante Städte.«

»Nele, was soll ich dort? Meine Klienten sind hier. Dort müsste ich ja von vorn anfangen. Und das in meinem Alter! Was ist der Unterschied zwischen Hamburg und Berlin?«

»Die Hamburger machen hauptsächlich Abmahnungen.«

»Widerlich. Da gehst du nicht hin.«

»Wieso das denn?«

»Damit wird unschuldigen Menschen das Geld aus der Tasche gezogen.«

»Du siehst das falsch. Eine Abmahnung ist für beide Parteien die einfachste Lösung. Ein Rechtsverstoß wird festgestellt, und anstatt das vor Gericht auszufechten, was lange dauern kann und teuer ist, gibt es eine Abmahnung. Du unterschreibst eine Unterlassungserklärung, in der du dich verpflichtest, diesen Rechtsverstoß künftig zu unterlassen, deswegen heißt das ja so, und die Sache ist erledigt.«

»Vorher kommt aber noch die Rechnung.«

»Sicher. Das muss so sein.«

»Und Berlin?«

»Da wären es überwiegend Strafsachen.«

»Sagt das etwas aus über die Kriminalstatistik der beiden Städte?«

»Nein. Die beiden Kanzleien haben eben unterschiedliche Spezialgebiete.«

»Strafsachen klingt spannender.«

»Ist es sicher auch. Vielleicht aber auch deprimierender. Die meisten Strafsachen, vor allem Gewaltdelikte, entstehen ja aus einer inneren Not heraus. Und diese kaputten Typen verteidigen zu müssen und nichts ändern zu können an ihrer Situation, das schlägt vielleicht schon aufs Gemüt.«

»Das machst du auf keinen Fall. Wenn wir uns dann am Wochenende sehen, bin ich nur damit beschäftigt, dich wieder aufzurichten.«

»Dann also Hamburg.«

»Untersteh dich! Diese ganze Abmahnerei ist höchst unmoralisch.«

»Was soll ich dann machen? Ach, Dillinger, rutsch mir den Buckel runter. Du machst mich ganz kirre. Das muss ich selber entscheiden.«

»Und ich habe nicht doch ein kleines Wörtchen mitzureden?«

»Nein. Es geht um mich. Um meinen Beruf. Mein Leben. Meine Karriere. Ich rede dir auch nicht rein. Konzentrier dich auf deine Versicherungen. Und auf mich.«

»Wenn du nie da bist.«

»Jetzt bin ich da.«

»Apropos, war Sonja heute bei dir?«

»Wieso?«

»Nur so.«

Ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus, das immer schwerer lastete. Alles war doch gut so, wie es war. Warum konnte das nicht so bleiben?

»Ach, Dillinger, nun schmoll doch nicht. Komm kuscheln. Das Thema ist noch nicht gegessen.«

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, sagt man. Warum eigentlich nicht? Besser, man verbrennt sich den Mund, als dass es einen später kalt erwischt.

Dr. Nele Bögelsack-Aufderheyde, Rechtsanwältin mit Büro in Aalen und Wohnung in Schwäbisch Gmünd, die immer noch den Namen ihres geschiedenen Mannes trug. Wir hatten uns bei einem Fall kennengelernt, der als »Leichenacker« in die Geschichte einging. Wir standen auf verschiedenen Seiten und waren uns dennoch näher gekommen. Vielleicht war das gegen irgendwelche Standesregeln, aber es gibt Situationen, in denen das egal sein muss. Und das sollte jetzt vorbei sein?

Fisch oder stirb

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