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Schlafwandler

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Am nächsten Morgen parkte ich wieder in Esslinger Halbhöhenlage, übermüdet und gereizt. In meinem Kopf lieferten sich angenehme Erinnerung an die letzte Nacht und unangenehme Fragen an die Zukunft einen Boxkampf, und ich bekam viele Treffer ab. Nele. Wie sollte das weitergehen? Warum immer diese Veränderungen?

Diesmal hatte ich vorgesorgt und mir unterwegs beim Metzger eine dicke Tüte belegter Brötchen besorgt.

Heute kein Fitnesstrainer. Dafür müsste jetzt gleich, die Zeit war reif, der Fettkloß mit der Ratte Gassi gehen. Ich war gewappnet. Ich trug einen Bart, der verdammt schwer anzukleben war, und hatte eine Perücke mit längerem schwarzen Haar übergestülpt. Nicht wiederzuerkennen, wie ich hoffte. Dass sie einen Fiesta vom anderen unterscheiden konnte, hielt ich für unwahrscheinlich. Es sei denn, sie hatte sich die Autonummer gemerkt. Ein Restrisiko bleibt immer.

Die Ratte kam nicht. Vielleicht hatte sich der Fettkloß aus Versehen auf sie gesetzt. Die Fummelei mit dem Bart hätte ich mir sparen können. Ich döste vor mich hin und wagte nicht, meinen Posten zu verlassen, weil ich nicht wusste, was Madame vorhatte.

Warum klingelte ich nicht einfach bei ihr und stellte sie zur Rede? Warum ließ ich nicht den Auftrag sausen? Ich pokerte mit dem Schicksal. Wenn jetzt einer kommt und dich blöd anquatscht, dann machst du die Fliege und vergisst die Chose.

Doch niemand kam. Die Straße dämmerte ausgestorben vor sich hin. Ein weiteres Mal stellte ich mir die Frage, was ich hier überhaupt verloren hatte. Welchen Sinn es hatte, Susanne Eulert nachzufahren, anstatt mich um mein eigentliches Zielobjekt zu kümmern. Auch wenn ihr Mann nicht da war, ich konnte wenigstens Hintergrundinformationen sammeln. Ich hätte das gestern doch noch mit Nele diskutieren sollen. Aber ich war damit beschäftigt gewesen, die möglichen Änderungen in unserem Leben zu verdauen. Ich hatte die Ahnung, dass Nele innerlich längst entschlossen war, den Neuanfang zu wagen.

Ich würde ihr bestimmt keine Steine in den Weg legen. Aber was wurde dann aus mir? Die Gelegenheit nutzen und auch noch mal durchstarten? Das vielleicht letzte Mal, bevor die Rente droht?

Der Gedanke war erschreckend und elektrisierend zugleich.

Eine neue Stadt erobern. Herausfinden, wo man am besten einkaufen kann. Neue Gewohnheiten entwickeln. Neue Freunde finden. Die Welt mit neuen Augen sehen. Alles neu. Alles anders.

Und die viele Energie, die ich hier investiert hatte? In meine Beziehungen, bis so etwas wie Freundschaften entstanden waren? In meinen Lieblingsmetzger, bis er mir das perfekt abgehangene Stück reservierte? In mein Lieblingsrestaurant, bis ich unaufgefordert den Extraschlag Kartoffelsalat bekam?

Entschluss gefasst: Nur noch heute würde ich Madame beschatten. Das war eintönig genug, um in Ruhe nachdenken zu können.

Ich musste wohl eingenickt sein, denn ich schreckte hoch, als ich das Garagentor quietschen hörte. Ungefähr zur gleichen Zeit wie gestern verließ Susanne Eulert das Haus und fuhr in die Stadt hinunter.

Kein ausgiebiger Shoppingbummel heute, dafür ein Beauty-Salon, freundlicherweise mit einem Café in strategisch günstiger Lage, von dem aus der Salon gut einzusehen war. Der Kaffee war miserabel, das Croissant aus dem letzen Jahrhundert und die Bedienung unwirsch und alles andere als eine Augenweide.

Warum ist das Leben so grausam? Warum müssen einem immer die Frauen die Laune verhageln? Susanne Eulert mit ihrem undurchsichtigen Auftrag. Nele mit ihren seltsamen Karriereanwandlungen. Sonja, die gemosert hatte, weil ich ihren Wagen erneut in Anspruch nahm. Die Bedienung, die muffig um mich herumschlich und wortlos eine weitere Bestellung einforderte, aber noch eine Tasse von dieser Giftbrühe wollte ich mir nicht zumuten. Hätte sie mich nur einmal angelächelt, bloß ein klein wenig, ich wäre dahingeschmolzen und hätte alle Vorsicht in den Wind geschossen.

Als Madame nach elend langer Zeit dem Beauty-Salon entschwebte, konnte ich keine auffallende Veränderung gegenüber vorher wahrnehmen. Vielleicht waren das auch Feinheiten, die einem schlichten männlichen Gemüt wie mir entgingen. In der Hand trug sie eine Tüte. Werkzeug für Reparaturarbeiten.

Ich durfte weitere Teile der Esslinger Innenstadt kennenlernen, keiner beeindruckte mich übermäßig. Haushaltswaren, Schreibwaren, Buchhandlung. Die Straßen waren heute belebt genug, dass ich nicht auffiel, wenn ich vor einem Schaufenster herumlungerte. Susanne Eulert blieb nie lange, offenbar wusste sie genau, was sie wollte. Kaufte sie überhaupt etwas? Es blieb bei der einen Tüte, aber sie schwoll mit der Zeit an. Umweltbewusst, die Dame. Ich wollte endlich die dämliche Perücke loswerden.

Wieder verzichtete Madame auf ein Mittagessen und ich notgedrungen auch. War auch besser so, wenn ich an mein verkorkstes zweites Frühstück dachte.

Es war schnell absehbar, wohin sie fahren würde. Donnerwetter, jeden Tag, der Kerl hatte Kondition. War garantiert zwanzig Jahre jünger als ich.

Endlich konnte ich selber tätig werden, anstatt brav hinter ihr herzudackeln. Ich hatte mir das auf dem Stadtplan angesehen und eine Route durch Nebenstraßen ausgetüftelt, die mich vor ihr ans Ziel bringen würde, wenn ich ordentlich auf die Tube drückte. Vielleicht bekam ich ihren mutmaßlichen Liebhaber zu Gesicht, wenn er vor ihr ins Haus ging.

Die Idee war gut, scheiterte jedoch an den Widrigkeiten des Alltags. An dem Polo zum Beispiel, der drei Versuche brauchte, bis er seitwärts eingeparkt hatte. Frau am Steuer? Nein, ein Mann, fortgeschrittenes Alter, also über Vierzig. An dem Avensis, der beim Anfahren an der Ampel den Motor abwürgte. Auch ein Mann. An dem Müllauto in der Straße. An der Straße, die sich als Einbahnstraße entpuppte, allerdings in der falschen Richtung. Ein Stadtplan ist auch nur eine eigenwillige Sicht der Realität.

Als ich endlich dort war, zippte Madame gerade ihr Auto zu und ging ins Haus. Man sollte in einer fremden Stadt nicht auf Abwege gehen.

Wenn alles so lief wie beim letzten Mal, musste ich jetzt ungefähr eineinhalb Stunden totschlagen. Ich mampfte ein Brötchen mit Leberwurst, eines mit Pfeffersalami, dann rief ich Sonja an.

»Hast du endlich diese Freundin von dir erreicht?«

»Welche von meinen Freundinnen meinst du?«

Sie wollte mich nur ärgern, ich wusste das. Sie war mit meiner Nebentätigkeit als Privatdetektiv nicht einverstanden und hätte mir lieber ein paar langweilige Schreibtischtätigkeiten in Sachen Versicherungen zugeschanzt.

»Du weißt genau, wen ich meine. Diese Freundin, die angeblich unsere Klientin empfohlen hat.«

»Unsere Klientin?«

»Ja, ich weiß, wir müssen das mal ausdiskutieren. Aber nicht jetzt. Also, hast du etwas erfahren?«

»Schon. Aber ich weiß nicht, ob dir das unbedingt weiterhilft.«

Fisch oder stirb

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