Читать книгу MÜDIGKEIT - Ruth Shala - Страница 10

7

Оглавление

Sie fuhren hinüber ins Amt. Kramer hatte offenbar vorläufig genug von der Außenarbeit und bot von selbst an, die bisherigen Ermittlungsschritte zu Papier zu bringen. Beatrix ging in ihr Zimmer und rief bei der Leitner KG an. Der Geschäftsführer war bereit, gegen Mittag mit ihr zu sprechen. Allerdings würde sie ihn in den Büroräumlichkeiten im Gewerbegebiet von Wiener Neudorf aufsuchen müssen. Zum Glück herrschte jetzt, am späten Vormittag, auf der Autobahn stadtauswärts noch nicht starker Verkehr. Die Pendler würden sich erst später am Tag wieder aus der Stadt hinauswälzen. Beatrix blickte hinweg an den Horizont, wo sie die Aussichtswarte am Anninger erahnen konnte. Hinter dem Hügel war die Sonne ein wenig herausgekommen.

Nachdem Beatrix von der Autobahn abgefahren war, dauerte es eine Weile, bis sie die angegebene Adresse gefunden hatte. Hier hatten die Straßen Nummern statt Namen, und scheinbar an jeder Ecke war irgendein großer Lkw am Rangieren. Die Leitner KG verfügte über ein kleines ebenerdiges Büro, daneben aber über eine lange Reihe an Garagen und Lagerräumen. Der Geschäftsführer hieß Binzik und strahlte eine Aura nervöser Rechthaberei aus.

„Über wen möchten Sie noch mal was wissen?“, fragte Binzik, nachdem Beatrix in sein Büro geführt worden war und einen Kaffee höflich abgelehnt hatte.

„Andreas Varga. Er soll bei Ihnen gearbeitet haben und kürzlich entlassen worden sein.“

„Aha.“ Unvermittelt sprang Binzik von seinem schwarzen Bürostuhl auf und riss die Tür zum angrenzenden Empfangsraum auf. „Sandra, die Personalakte Andreas Varga.“

Beatrix hörte keine Antwort der jungen Sekretärin, statt dessen wurde eine Schublade rasant geöffnet, und gleich danach kehrte Binzik mit der Akte zurück ins Zimmer.

„Ah ja, jetzt weiß ich es wieder. Was wollen Sie jetzt wissen? Brauchen Sie seine Adresse?“

„Nein, die haben wir schon. Was ich gern wissen würde, warum ist er entlassen worden?“

„Diebstahl. Wieder mal so einer“, sagte Binzik.

„Wie meinen Sie das?“

Das Telefon läutete. Noch vor dem zweiten Klingeln hob Binzik den Hörer ab und meldete sich. Die Person am anderen Ende der Leitung schien unmittelbar in einen längeren Monolog zu verfallen. Beatrix wartete. Schließlich sagte Binzik: „Natürlich, ich werde mich sofort darum kümmern.“

Er legte endlich auf und lief ohne ein Wort neuerlich zur Bürotür. „Sandra, warum hab ich noch nicht die Monatszahlen für den Rayon Süd?“, hörte Beatrix. „Wie oft soll ich das noch sagen, dass alle Zahlen, sowie sie hereinkommen, sofort auf meinem Tisch landen müssen? Das darf doch bitte nicht wahr sein!“

Die Antwort der Sekretärin fiel, wie Beatrix fand, recht kühl aus. „Ich hab kein Mail bekommen. Vielleicht hat der Kubelka sie ja in Wirklichkeit noch gar nicht abgeschickt.“

„Geh bitte. Ich bin doch wirklich von Idioten umgeben.“

Binzik warf die Tür zu und setzte sich zurück an seinen Platz, als wäre nichts geschehen. Er sah Beatrix erwartungsvoll an.

„Was meinen Sie mit 'Diebstahl, wieder so einer'?“, fragte Beatrix.

„Ach so. Der Varga war Lkw-Fahrer bei uns. Wir liefern täglich die Lebensmittel an verschiedene große Supermarktketten aus. Es kommt leider vor, dass die Waren, die in den Lkw eingeladen werden, am Ende nicht in den Supermärkten ankommen.“

„Wie ist das möglich? Wird das nicht kontrolliert?“

„Ja, die Frage ist halt immer, wer kann wen kontrollieren“, sagte Binzik. „Wenn Sie zum Beispiel ein System nehmen, dass die Supermarktkette alle Waren vor der Übergabe an den Lkw-Fahrer einscannt und nachher wieder kontrollieren lässt, ob alles angekommen ist, wird es immer zu Unklarheiten kommen. Es muss also eine Möglichkeit geben, Fehlmengen zu registrieren. Wenn aber die Filialleiter in den Supermärkten befugt sind, die Fehlmengen zu registrieren, dann können sie auch in Versuchung kommen, etwas als fehlend aufzuzeichnen, obwohl es in Wirklichkeit geliefert wurde.“

„Was hätte das für einen Sinn?“

„Na, weil in den Filialen auch eine Menge wegkommt, und dafür muss dann der Filialleiter gerade stehen. Wenn er es also so biegen kann, dass die Sachen angeblich schon beim Transport weggekommen sind, steht er selber besser da. Dann war es angeblich der Fahrer, oder die Zentrale hat angeblich schon nicht das weggeschickt, was sie eingescannt hat.“

„Aber wie kann man dann dem Fahrer überhaupt draufkommen, wenn er etwas beiseite schafft?“

„Ja, sehen Sie zum Beispiel den Varga. Auf der Route, die er gefahren ist, hat halt öfters auffällig viel gefehlt. Wenn die Fahrer in Maßen klauen, kommt ihnen eh keiner drauf. Beim Varga haben aber dann zum Beispiel einen Tag gleich mehrere Paletten Red Bull gefehlt, oder womöglich irgendwelche teuren alkoholischen Getränke. Das fällt dann dem Filialleiter auf, auch wenn er nicht alles extra scannt“, erklärte Binzik. „Und dann haben die Zentralen bei den Supermarktketten die Möglichkeit auf ihren Videobändern zu schauen, was unsere Fahrer wirklich an Waren übernommen haben. Wenn der Lkw beladen wird, wird das mitgefilmt. Also, beim Varga war es wohl so, dass er unverschämt viel geklaut hat und dass man am Video sehen konnte, dass die Sachen beim Einladen noch vorhanden waren.“

„Mussten Sie bei der Gelegenheit noch jemand anderen entlassen? Ich meine, hat er mit jemand zusammengearbeitet?“

„Na Sie stellen Fragen. Gehen Sie doch für das zu meiner Sekretärin. Ich weiß das wirklich nicht.“

„Warum haben Sie den Varga eigentlich nicht angezeigt?“, fragte Beatrix.

„Wir machen das nicht.“

„Ja, aber warum nicht?“

„Was haben wir davon? Wir entlassen solche Leute, und fertig. Mit einer Anzeige gibt es nur Scherereien.“

Binzik warf einen Blick auf seinen Computerbildschirm und wurde rot im Gesicht.

„Brauchen Sie noch was? Ich habe dringende Arbeit zu erledigen.“

„Nein, also im Moment nicht. Danke sehr.“

Beatrix ging hinaus, während Binzik offenbar begann, die neuesten E-Mails zu bearbeiten.

Sandra war eine braungelockte 23jährige mit forschem Blick. Sie wirkte nicht gerade begeistert, dass sie für Beatrix auch noch etwas heraussuchen sollte.

„Tut mir leid, dass Sie mit mir auch noch mal Arbeit haben. Ich sehe, Sie haben da einen ziemlich stressigen Arbeitstag.“

„Ich spuck' ihm nachher in den Kaffee“, sagte die Frau ohne irgendeinen Anflug von Humor. „Und was wollen Sie jetzt noch?“

„Ich möchte wissen, ob zusammen mit dem Varga noch ein anderer Mitarbeiter entlassen wurde. Oder vielleicht im Monat davor oder danach.“

„Warten Sie. Ich schaue die Abmeldungen bei der Gebietskrankenkasse durch.“

Sandra suchte im Computer. „Hat er gesagt, dass ich Ihnen das zeigen soll?“

„Ja, ich hätte das so verstanden. Soll ich den Herrn Binzik noch mal fragen?“

„Nein, danke. Er wird sich so oder so aufregen. Also, wir haben zwei Wochen vor dem Varga noch einen Fahrer entlassen. Einen Miroslav Cupic. Ich schreib Ihnen die Daten auf.“

Beatrix nahm den Zettel und ging, bevor sie einen weiteren Ausbruch von Geschäftsführer Binzik miterleben musste.

MÜDIGKEIT

Подняться наверх