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Beatrix hatte noch nie verstanden, wie irgendjemand freiwillig in so einem Kosmetikladen arbeiten konnte. Sie hasste die verwirrenden Gerüche der vielen Parfüms, von denen sie augenblicklich Kopfschmerzen bekam, und sie hätte auch nicht eine Auswahl aus zwanzig verschiedenen Bodylotions gebraucht. Sie selbst übte sich, was ihre weibliche Erscheinung betraf, seit langem in Zurückhaltung. Als sie vor Jahren die Karriereleiter der Polizei so weit erklommen hatte, dass sie die Uniform ablegen konnte, hatte sie die Entscheidung getroffen, bewusst auf einen nachlässigen Kleidungsstil zu setzen. Dieser taktische Entschluss hatte sich schon oft bezahlt gemacht, denn die Menschen achteten nicht auf sie. Sie konnte gelegentlich fast unsichtbar werden. Dass sie in Geschäften wie diesem vom Personal meist argwöhnisch beäugt wurde, störte sie nicht. Sie wusste, dass abgerissene Gestalten wie sie berechtigterweise verdächtigt wurden, dass sie eines der teuren Fläschchen mitgehen lassen könnten.

Bei den Haarshampoos fand Beatrix eine Verkäuferin, deren Kleidungsschildchen sie als die Filialleiterin vom Telefonat auswies. Varga war offenbar die Person, die vorne an der Kassa saß. Die Filialleiterin wechselte ein paar Worte mit ihr, dann begann sie hektisch, die Kunden an die zweite Kassa hinüberzuleiten.

Sylvia Varga war nicht nur gleich alt wie ihr Mann, sondern schien auch eine ähnliche Figur zu haben. Sie trug einen gewaltigen Bauch vor sich her. Ihr Haar war sorgfältig gefärbt und geföhnt, trotzdem strahlte sie eine tief sitzende Hässlichkeit aus. Sie schaute Beatrix verständnislos an.

„Bitte? Was wollen Sie von mir?“

„Frau Varga, können wir irgendwo in Ruhe mit Ihnen reden?“

„Wieso... wir haben einen Personalraum.“ Varga blickte sich suchend um. Von der Kassa winkte die Chefin sie nach hinten.

„Also, anscheinend kann ich kurz Pause machen...“

Die Frau führte sie durch eine verspiegelte Tür in den hinteren Bereich des Geschäfts. Hier sah es bedeutend weniger glitzernd aus als im Kundenbereich. Aus dem angrenzenden Personalraum zog ein beißender Geruch nach altem Zigarettenrauch.

„Es stört Sie doch nicht?“, fragte Varga, während sie sich schon eine anzündete.

Beatrix wartete, bis sich die Frau auf einem zerkratzten Klappsessel niedergelassen hatte, und nahm selbst das zweite Exemplar. Kramer lehnte sich unauffällig an die Wand, in die ein Safe eingelassen war.

„Frau Varga, ich komme vom Landeskriminalamt. Chefinspektor Hellinger mein Name. Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Mann Andreas heute tot aufgefunden wurde.“

„Was?“ Über das Gesicht der Frau zogen eigenartige Regungen. Wenn es nicht so ausgefallen gewirkt hätte, hätte Beatrix gemeint, dass die Frau mit freudigen Gefühlen zu kämpfen hatte.

„Wie meinen Sie das?“

„Er wurde heute Morgen in der Pansigasse auf dem Gehsteig gefunden. Ich fürchte, er wurde gestern Abend dort erstochen.“

Beatrix beobachtete, wie sich in Sylvia Vargas Kopf offenbar die Gedanken überschlugen.

„Nein... das kann doch aber nicht sein. Das...“

„Wann haben Sie Ihren Mann denn zuletzt gesehen?“, fragte Beatrix.

„Na gestern natürlich. Wir sind ja doch verheiratet.“

„Gestern, und wann genau?“

„Er ist so um acht am Abend weggegangen.“

„Wohin wollte er gehen?“, fragte Beatrix.

„Ich hab ihn nicht gefragt. War beim Fernsehen.“

In Vargas Gesicht spiegelte sich die Erinnerung an einen einsamen und frustrierenden Abend.

„Verbringen Sie öfters den Abend getrennt?“, fragte Beatrix. „Und die Nacht?“

„Was wollen Sie damit sagen? Mein Gott, kommt schon vor, dass mein Mann mal länger wegbleibt. Ich mein, die Zeit, wo er sich nach mir verzehrt hat, ist eine Weile her“, schnappte Varga.

Schon hatte sie die zweite Zigarette angezündet. Beatrix kam es so vor, als würde sich die breite Brust der Frau mit jeder Minute mehr verfestigen.

„Frau Varga, wer könnte das getan haben? Hatte Ihr Mann mit irgendjemandem Schwierigkeiten?“

Irgendwas wird sie doch hoffentlich beitragen können?, dachte Beatrix.

„Was weiß ich? Das könnte ich Ihnen vielleicht beantworten, wenn mein Mann in letzter Zeit noch irgendwas mit mir geredet hätte. Hat er aber nicht.“

„Heißt das, Sie waren dabei, Ihre Beziehung zu beenden?“, fragte Beatrix. „Wollten Sie sich scheiden lassen?“

Varga schüttelte den Kopf.

„Frau Inspektor, oder was Sie sind, sind Sie verheiratet? Ach was. Ich mein, ich bin jetzt seit 26 Jahren mit dem Schwein zusammen. Zu lang, dass es mich überhaupt noch interessiert, mich über irgendwas aufzuregen. Wozu soll ich mich scheiden lassen? Es kommt ja doch nix Besseres nach.“

„Ach so. Frau Varga, was haben Sie selbst dann gemacht, nachdem Ihr Mann gegangen ist?“, fragte Beatrix.

„Ich hab doch schon gesagt, ich hab ferngeschaut. Und um zehn bin ich schlafen gegangen. Ich war heute in der Früh eingeteilt.“ Varga blies den Rauch in Kreisen aus dem Mund.

„Hat sich Ihr Mann noch mal bei Ihnen gemeldet?“

„Nein, sicher nicht.“ Sie lachte jetzt tatsächlich.

„Frau Varga, sehr erschüttert kommen Sie mir ja nicht vor, wo doch immerhin Ihr Mann ermordet worden ist“, sagte Beatrix.

„Ja, entschuldigen Sie schon, Frau Inspektor, wenn ich Ihre Gefühle verletzt hab. Ich mein, vielleicht hat das Schwein nur bekommen, was es verdient hat.“

Sie ließ die Asche in eine leere Getränkedose fallen. Beatrix hätte schon gern gewusst, was sich „das Schwein“ wohl zuschulden kommen hatte lassen. Aber es sah nicht so aus, dass sie heute noch viel aus der Witwe herausbekommen würde. Sie würden sich noch ein paar Themen für die nächste Unterhaltung mit dieser herzigen Dame aufheben.

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