Читать книгу Escape Plan - How far would you go to survive - S. L. March - Страница 10
ОглавлениеMyra
Ihre Schritte hallten auf den leeren Straßen wider. Der Morgen dämmerte bereits. Myra bog in die Washington Street ab und erreichte Joes Werkstatt. Angespannt unterbrach sie den wiederholten Anrufversuch. Wieso ging ihr Kontakt nicht ans Telefon? Dann musste sie unbedingt zu ihm. Vielleicht konnte er ihr helfen. Ihre Gedanken schweiften zu Toby. Ihr schmerzte der Magen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie einsam er sich fühlen musste. Jetzt, wo sie nicht bei ihm war. Sie musste ihn finden. Vollkommen egal, wie lange es dauern würde. Ein Knoten zog in ihrer Brust.
Myra betete insgeheim, dass Joe wieder eine seiner Nachtschichten schob. Durch Fenster im Rolltor schimmerte Licht. Sie hämmerte gegen die schwere Metalltür. Die Tür wurde aufgerissen. Ein rundlicher Mann mittleren Alters mit Halbglatze, blauen Augen und einer qualmenden Zigarre im Mund schaute sie irritiert an.
„Die Tür ist doch offen. Was tust du hier? Mitten in der Nacht?“
Myra schob sich an ihm vorbei. In der Werkstatt stank es nach Altöl und Neureifen.
„Ich brauche meinen Wagen. Du hast ihn nicht zufällig schon fertig?“ Sie blieb neben einem weißen VW-Kombi stehen.
„Du brauchst ihn jetzt? Ich habe die Reifen noch nicht gewechselt. Komm morgen früh wieder.“
„Ich brauche ihn sofort!“
Der Mann wischte sich Schweiß mit einem ölverschmierten Tuch von der Stirn.
„Kann das nicht bis morgen warten?“
„Joe, bitte“, flehte sie.
Er stöhnte, ging zu der offenstehenden Motorhaube und schloss sie. „Na schön. Im Grunde bin ich durch. Die Reifen können auch später gewechselt werden.“
Eine Tür krachte ins Schloss. Joe wirbelte herum. „Wir haben geschlossen.“
Myra folgte seinem Beispiel. Als sie ihren Nachbarn erkannte, zog sie eine Braue in die Höhe. „Bist du mir etwa gefolgt?“
Joe drückte ihr den Autoschlüssel in die Hand.
„Der Kerl verfolgt dich?“ Er wandte sich zu ihrem Nachbarn. „Lassen Sie die Frau in Ruhe und verschwinden Sie, bevor ich die Polizei rufe.“
Myra klopfte Joe beruhigend auf die Schulter. „Lass ihn. Er findet den Weg nach draußen selbst.“
„Du hast deinen Schlüssel verloren, als du dein Handy aus der Tasche gezogen hast“, sagte ihr Nachbar.
„Warum hast du ihn mir nicht einfach Zuhause gegeben, anstatt mir hinterher zu spionieren?“
„Weil du ohne den Schlüssel erst gar nicht in den Hausflur gekommen wärst. Ich habe dir eben nachgerufen, aber du warst so in deinem Telefonat vertieft, dass du es nicht mitbekommen hast. Ich wollte ihn dir zurückgeben, ehe ich mich nochmal schlafen lege.“
Joe reichte ihr eine Kladde, auf der sie den Werkstattauftrag unterschrieb.
Wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn, während er ein Sturmfeuerzeug zückte und an seine Zigarre hielt. Myra wühlte nach Bargeld. „Unglaublich dieser Abend“, murmelte sie. „Danke, dass du den Wagen so schnell wieder flottgekriegt hast, Joe.“
Urplötzlich spürte Myra jemanden hinter sich. Ein heftiger Herzschlag trommelte gegen ihren Rücken. Sie stürzte bäuchlings zu Boden. Erschrocken schrie sie. Etwas klirrte. Ein dumpfer Aufprall. Lackdosen rollten durch die Gegend. Joe lag plötzlich regungslos vor ihr auf dem Boden. In der linken Brusthälfte prangte ein Einschussloch, aus dem Blut sickerte. Die Zigarre fiel ihm aus dem Mund, direkt auf den ölverschmierten Lappen, der Feuer fing. Kurz darauf platzte eine der Lackdosen. Gleich danach eine zweite. Feuer breitete sich aus. Die Werkbank, der Holzstuhl, die Ersatzteile, bis sich das Feuer in die Richtung der Benzinkanister leckte, die in der Nähe standen. Es ging so blitzschnell.
Jemand zog sie auf die Beine. Sie sah zu ihrem Nachbarn. Er entriss ihr den Autoschlüssel und schob sie zum Kombi.
„Steig ein“, brüllte er. Er selbst stieg auf der Fahrerseite ein.
Myra stieg ein und schloss die Beifahrertür.
„In den Fußraum. Duck dich!“
„Aber –“ War sie im falschen Film?
„Los!“
Sie kroch in den Fußraum.
Er trat das Gaspedal durch. Es schepperte. Etwas knallte gegen die Karosserie. Erschrocken zuckte sie zusammen. War er etwa gerade durch das geschlossene Rolltor gedonnert?
Matthew
Matthew Baker richtete sich auf, als ein Range Rover vor der Werkstatt hielt. Er griff nach der Kamera, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Die Bremslichter des SUVs leuchteten auf. Wenige Sekunden später setzte sich der Geländewagen wieder in Bewegung. Irritiert sah er zur Werkstatt. Plötzlich durchbrach ein weißer Kombi das Rolltor. Knallen und Poltern durchbrach die Stille des Morgengrauens. Aluleisten flogen herum. Glas zersprang. Matthew hob die Kamera, hielt sie direkt vors Auge. Sein Finger betätigte den Auslöser. Wenige Sekunden später zerfetzte eine Explosion das Dach des Gebäudes. Ein weiteres Mal drückte er auf den Knopf. Dann erst ließ er die Kamera sinken. Der Kombi scherte auf die Straße aus, wurde in die richtige Spur gebracht und raste in die Richtung, in die der Range Rover verschwunden war. Matthew legte die Kamera beiseite und startete den Wagen.
Myra
Myra war aufgebracht. „Wer hat Joe getötet?“
„Der Kerl in dem Range Rover vor uns.“ Der wild entschlossene Blick ihres Nachbarn ließ ihr den Atem stocken.
Furcht durchfuhr sie. Eigentlich war sie der festen Überzeugung gewesen, dass es gar nicht mehr schlimmer werden konnte, als es bisher war. Man hatte Toby verschleppt, Joe war erschossen worden und ein fremder Mann hatte die Kontrolle über ihren Wagen übernommen. Doch der Range Rover …
Ein gewaltiger Knall ließ sie zusammenzucken. Hinter sich sah sie, wie ein riesiger Feuerball das Dach der Werkstatt in den Himmel katapultierte. Joe! Ihr wurde schlecht. Wieso hatten sie ihn nicht mitgenommen? Vielleicht war er nur schwer verwundet gewesen.
„Wir hätten nichts mehr für ihn tun können.“ Als hätte er ihre Gedanken lesen können.
Sie musste das Nummernschild des Range Rovers erkennen. Musste wissen, ob ihre Befürchtung wahr war. Mit wackeligen Beinen zog sich Myra auf den Sitz. Ihre Finger zitterten, als sie den Sicherheitsgurt anlegte.
Der Range Rover vor ihnen wechselte immer wieder die Spur auf der Interstate. Der Kerl, der neben ihr saß, jagte dem Fahrzeug hinterher, dass sie fürchtete, dem nächsten Verkehrsteilnehmer ins Heck zu knallen.
Ihr Puls wollte sich nicht beruhigen. Erst recht nicht, als sie das Heck des Range Rovers erkannte, hinter dem sich ihr Nachbar einreihte. Kein Nummernschild. Dafür ein Aufkleber mit der Silhouette einer nackten Frau in High Heels auf der rechten Seite. „Das darf nicht wahr sein!“
„Kennst du den Insassen des Fahrzeugs etwa?“, fragte er. Sein entschlossenes Antlitz ließ ihr erschreckend bewusstwerden, dass er den Fahrer mit allen Mitteln in die Hände bekommen wollte.
„Wenn mich nicht alles täuscht, ist es Daniel Abenati.“
„WAS?“, fluchte er und trat plötzlich voll auf die Bremse.
Krampfhaft krallten sich ihre Hände in den Sitz. Hinter ihnen hupten Autos und fuhren in waghalsigen Manövern an ihnen vorbei, während ihr Nachbar den Wagen erst auf eine Spur und danach sicher auf den Standstreifen lenkte.
Ihr Herz raste noch immer heftig, als der Wagen bereits still an der Straßenseite stand und der Motor verstummt war. Tief atmete sie durch. Erst nach ein paar Atemzügen wurde ihr klar, was für ein Glück sie hatten, nicht von einem der anderen Fahrzeuge erfasst worden zu sein. Sie schaute zu dem Kerl, der aus der Windschutzscheibe starrte.
„Sag mal, hast du sie noch alle?“, keifte sie ihn an. „Wir hätten dabei draufgehen können.“
„Tut … tut mir leid.“ Ohne sie anzusehen, stieß er die Tür auf und stieg aus. Er trat zur Motorhaube und blickte in die Richtung, in die der Range Rover verschwunden war.
Was zum Henker fiel diesem Typen ein? Mit zitternden Fingern löste sie den Sicherheitsgurt und stieg aus. Was war das bloß für ein verrückter Kerl? Dem würde sie mal gehörig die Meinung geigen. Was fiel ihm ein, ihr Fahrzeug zu übernehmen, um jemanden zu verfolgen und danach doch zu kneifen?
Sie ging um die Motorhaube herum. „Was ist bloß los mit dir?“
Er schaute noch immer in dieselbe Richtung. Autos rasten mit hoher Geschwindigkeit auf der Interstate an ihnen vorbei.
„Erst jagst du dem Rover wie einen Henker nach und dann bringst du uns fast um.“
Myra ging zur Fahrerseite. Als sie einsteigen wollte, packte ihr Nachbar ihren Arm und hielt sie auf.
„Was hast du vor?“, fragte er. Sein Blick war eindringlich. Die Stimme rau und kühl.
„Was für eine dumme Frage. Ich werde den Typen der Joe getötet hat, nicht einfach davonkommen lassen.“
Ehe sie sich versah, drückte er sie samt Handgelenken gegen die Karosserie. Seinen Körper direkt an ihrem. Ihr Herz raste. Sein Blick fesselte sie. Ihr stockte der Atem. Wieso verdammt noch mal prickelte es in ihrem Unterleib?
„Das wirst du schön sein lassen“, knurrte er. Seinen Körper an ihrem zu spüren, ließ ihr Hirn für wenige Sekunden aussetzen. Sie fühlte die Wärme, spürte seine Muskeln. Sein Atem ließ ein prickelndes Gefühl auf der Haut ihres Gesichts zurück. Erneut verblassten Zeit und Ort um sie herum. Der Lärm der rasenden Autos verstummte. Sie war gefangen in seinem Bann. Sie wagte es nicht einmal zu blinzeln, geschweige denn den Atem auszustoßen. Die Kälte des Wagens an ihrem Rücken und die Hitze, die er ausstrahlte, ließ sie erschaudern. Auf angenehme Art und Weise. Ihre Hormone schrien. Wollten mehr von ihm. Mehr von seinen Blicken. Seinen Muskeln. Seinen Berührungen. Und bildete sie sich das nur ein oder näherten sich seine Lippen tatsächlich den ihren?
„Du hast mir gar nichts vorzuschreiben“, schimpfte sie. Komisch, war das tatsächlich ihre Stimme, die sich so unsicher anhörte?
„Da hast du recht. Aber wie willst du das bitte anstellen? Verrate mir deinen Plan.“ Er hob eine Augenbraue. Konnte sie dieses leichte Zucken auf seinen Lippen ernst nehmen? Er glaubte ihr nicht. Traute ihr nicht zu, dass sie diesen Kerl stellen und der Polizei übergeben würde? Zugegeben, es war sehr gefährlich. Wenn sie bloß an den Kerl dachte, wurde ihr ganz anders. Daniel war eines der Mitglieder der Giovanni Familie. Wie brutal und tödlich er vorging, wusste sie nur zu gut. Doch es gefiel ihr, ihren Nachbarn in dem Glauben zu lassen, dass sie verrückt genug war, es zu wagen. Vielleicht würde er dann das Interesse an ihr verlieren und sie nicht ständig mit diesen reizenden Blicken ansehen, wie er es in diesem Moment tat.
Aber wollte sie das auch? Wenn sie es sich recht überlegte, war er derjenige gewesen, der sie rechtzeitig aus Joes Werkstatt in ihren Wagen gezerrt hatte, bevor sie in ihre Einzelteile zerfallen war. Wie hatte er überhaupt so schnell reagieren können? Sie hatte lediglich die blutende klaffende Wunde in der Brust ihres Onkels gesehen, während er ihr mindestens zwei Schritte voraus gewesen war und bereits zur Flucht reagiert hatte. Sie musste schwer schlucken, als sie einsah, wie hilflos sie ausgesehen haben musste.
„Ich werde ihn finden und der Polizei übergeben.“ Sie sah auf seine Brust, die direkt auf ihrer Augenhöhe war. Hob sich sein Brustkorb ebenfalls so heftig wie ihrer?
„Du wärst erstaunt, wie schnell die Polizei ihn wieder laufen lässt“, flüsterte er, während sein Blick ihre Lippen fixierte. Diesen Kerl namens, verdammt, sie kannte nicht mal seinen Namen.
Er ließ langsam ihre Handgelenke los, sodass sie die Arme senkte.
„Wieso das?“ Sie grinste frech. „Aber du wüsstest, wer mir helfen könnte.“
„Die Polizei zumindest nicht. Dafür gibt es genug Beamte, die von dem Clan geschmiert wurden, ohne dass man es ihnen nachweisen kann. Und außerdem: Was ist dann mit der Suche nach deinem Sohn?“
Plötzlich heulte eine Sirene. Myra blickte an ihrem Nachbarn vorbei zu einem Streifenwagen, der mit Warnblinklicht neben ihnen hielt.
„Ist alles in Ordnung bei Ihnen, Ma´am? Belästigt Sie dieser Mann?“
Ihr Blick glitt zu ihrem Gegenüber. Das Antlitz des verängstigten, hilfesuchenden Mannes machte sie stutzig.