Читать книгу Escape Plan - How far would you go to survive - S. L. March - Страница 14
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Der Mittag war bereits angebrochen, als Steven das Gebäude seines Bewährungshelfers betrat. Der Bürokomplex war nicht groß, aber die Einnahmen schienen für eine attraktive Empfangsdame mehr als ausreichend zu sein. Sie führte ihn über den Flur zu einem Zimmer, klopfte und nach einer Aufforderung öffnete sie die Tür.
Richard beendete überstürzt ein Telefongespräch und schmiss das Handy auf den Schreibtisch vor sich. Er wirkte angespannt, rieb sich über die Stirn. Die Empfangsdame ging und schloss die Tür.
„Steven, setz dich. Möchtest du Kaffee, Tee oder Wasser?“
„Wasser, bitte.“
Richard deutete auf einen Wasserkasten. Steven griff nach einer Flasche und schenkte sich selbst ein Glas Wasser ein. Wofür hatte Richard noch mal eine Empfangsdame? Steven betrachtete das dunkelblaue Etikett der Flasche. Sah edel aus. Was sich sein Bewährungshelfer nicht alles leisten konnte …
Er trank das Wasser in einem Zug aus und schenkte sich nach.
Steven nahm Platz. Schon wieder. Dabei war er erst gestern Nachmittag von diesem unbequemen Lederimitatsessel aufgestanden. Der Sessel gab Geräusche von sich, als hätte er einen fahren gelassen. Verdammt, wie sehr er es hasste. Diese Gespräche waren sinnlos. Reine Zeitverschwendung. Zumindest für ihn. Sie brachten ihm nichts außer Was-wäre-gewesen-wenn-Fragen. Danach spukten neue Vorwürfe in seinem Kopf. Und grausame Erinnerungen, die ihn nachts nicht erholsam schlafen ließen. Ab sofort sogar täglich. Ihm graute schon jetzt vor den kommenden Nächten. Möglicherweise könnte er das heutige Gespräch frühzeitig beenden, indem er Richard Unwohlsein vorgaukelte. Das wäre nicht mal gelogen. Nachdem sich die Wege von Myra und ihm am Police Department getrennt hatten, schwirrten ihm die unmöglichsten Fragen im Kopf herum. Weshalb hatte man den Sohn von Myra entführt? Kurz darauf hatte es Daniel auf eine Tänzerin des Gents Club abgesehen. Wieso ausgerechnet auf ein Mädel der Ratte?
Vor seinen inneren Augen sah er klar und deutlich den roten Laserpointer auf Myras Rücken. Er hatte einfach nur reagiert. Dadurch wurde jedoch ein Unschuldiger tödlich verletzt. So was wäre ihm früher nie passiert.
„Wie fühlst du dich?“, riss Richard ihn aus seinen Gedanken.
„Wie ich mich fühle?“ Steven lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, um der Ironie Gewicht zu verleihen. „Ich sitze bei meinem Bewährungshelfer, der anstatt mich zu unterstützen, meine Anrufe heimlich überwachen lässt. Du kannst dich ja mal in meine Lage versetzen. Vielleicht findest du das dann auch noch so prickelnd.“
„Was hast du dir auch dabei gedacht?“ Richard lehnte sich zurück.
„Was ich mir gedacht habe? Ich dachte, ich müsste helfen. Meine Nachbarin wurde attackiert. Ihr Sohn wurde entführt.“
Es klopfte.
Richard kratzte sich am Kopf. „Wieso musst du dich auch bloß immer überall einmischen.“
„Bitte was?“ Steven zog eine Braue in die Höhe.
„Ach komm schon, Steven. Erinnerst du dich an den Auffahrunfall, bei der du der Fahrerin geholfen hast und dich beinahe mit ihrem Ex-Mann angelegt hast?“ Er schnappte sich einen Stift und notierte sich etwas in seinen Unterlagen. Stevens Behandlungsakte. Sein mögliches Ticket auf ein freies Leben nach der Bewährung.
„Ich war Augenzeuge bei dem Auffahrunfall. Der Kerl ist auf sie losgegangen und wollte sie verprügeln. Hätte ich etwa wegsehen sollen?“
„Nein“, gab Richard klein bei. „Aber der Vorfall am See. Der mit dem Jungen.“
Steven schluckte. Seine Stimme sank. „Der Junge war herumgeirrt.“
„Der Junge hat geweint.“
„Er hatte seine Mutter nicht mehr wiedergefunden.“
„Wirklich Steven? War das wirklich so?“
„Was willst du damit sagen?“
Richard zögerte. Sein Blick war ernst.
„Du glaubst, ich hätte den Jungen angerührt?“
„Die Geschichte klingt immer noch unglaubwürdig.“
„Warum? Weil ich sie erzählt habe? Ich, ein vorbestrafter Häftling?“ Der Zorn wütete in seinem Bauch. Es war mehr als verletzend, als Verbrecher abgestempelt zu werden. Bloß weil er zwei Jahre im Bau gesessen hatte.
„So war das nicht gemeint.“
„Komm, erzähl es mir ruhig. Lügner, Triebtäter. Was schreibst du noch alles in deine Unterlagen über mich?“
„Du weißt, ich darf dir die Unterlagen nicht offenbaren.“ Richard klappte den Deckel der Akte zu und hielt die Hand darauf. „Ich will damit nur sagen, dass du ziemlich oft in Probleme gerätst, obwohl du selbst genügend hast.“
„Ihr spioniert mir nach, indem ihr meine Anrufe kontrolliert.“
„Es ist nur zu deinem Besten.“
Steven lachte auf. „Zu meinem Besten, na klar.“
„Ich bin nicht dein Feind. Ich bin dein Bewährungshelfer. Und wenn du es nicht endlich schaffst, dich um deine Probleme statt die von anderen zu kümmern, werden wir ewig hier zusammen hocken.“
„Bei dir klingt es, als müsste ich gegenüber meiner Außenwelt Scheuklappen aufsetzen, um das verflixte letzte Jahr in vollkommener Isolation rumzukriegen, damit du mich loswirst.“ Wie von selbst ballte sich seine Hand zur Faust.
„Unsinn.“ Richard winkte ab. „Reg dich wieder ab.“
„Es tut mir leid, dass ich nicht wegsehen kann, wenn irgendwo Ungerechtigkeit herrscht.“ Steven zog die Stirn in Falten und blickte auf das rege Treiben aus dem Fenster. Auf all die freien Menschen, die mit ihren Aktenkoffern und Kaffeebechern über die Straße hetzten. Auf die Autos, die die Straße entlang rasten. Sie alle waren frei, obwohl sie die freie Zeit nicht richtig genossen. Nie das belastende Gefühl verspürten, so wie er.
„Ich habe nicht jahrelang studiert, um mich hier von dir –“, brüllte Richard und verstummte plötzlich. Dann atmete er tief durch. „Okay, wir beruhigen uns wieder. Ich will einfach, dass du weniger Aufsehen erregst und einen Gang zurückschaltest. Vielleicht sogar zwei. Jede Begegnung mit der Polizei solltest du vermeiden.“
„Schreibst du das auch in deine Bewertung?“
„Was?“
„Das du mir rätst, mich von allem abzuschotten, damit du einen leichteren Job hast?“
„Was redest du für einen Schwachsinn?“
„Wieso lasst ihr mich überhaupt überwachen?“ Steven rieb sich das Kinn. Es ging ihm nicht aus dem Kopf.
Richard räusperte sich. „Darüber kann ich nicht sprechen.“
„Dagegen könnte ich klagen. Ihr dringt in meine Privatsphäre ein.“
„Was aber wenig Erfolg hätte.“ Richard blickte ertappt drein. Als hätte er die Worte nicht aussprechen wollen.
„Wieso nicht? Der einzige Grund, dass jemand damit keinen Erfolg hätte, wäre, wenn jemand für nicht glaubhaft gehalten wird oder man ihn für gefährlich hält –“ Er stoppte, dann sah er Richard an.
Richard blieb still. Er stand auf.
Steven wurde schlecht. „Weshalb wurde ich dann vorzeitig auf Bewährung entlassen, wenn ich dann doch unter Beobachtung stehe? Wer steckt dahinter? Wer hat das angeordnet?“
„Das Wissen deiner Ausbildung des DEA hat hinter den dunklen Mauern nicht gelitten, was?“ Der Bewährungshelfer grinste matt. „Du wirst von mir kein Sterbenswörtchen erfahren.“
„Das ist ja lachhaft!“ Steven war fassungslos, tigerte durch den Raum. Die Anspannung wollte nicht weichen. Er fuhr sich durchs Haar. Der Gedanke daran, dass er, seitdem er aus dem Knast gekommen war, wohlmöglich von jemandem auf Schritt und Tritt begleitet worden war, war furchteinflößend. Alles, was er bisher getan hatte, überall, wohin er gegangen war, hatte man ihn dabei beobachtet? Was war das für eine Freiheit? Es war eine Freiheit, die ihm keine andere Wahl ließ, als mitzuziehen, wenn er nicht zurück in die Hölle des Hartford Connectional Center wollte. Bei dem Gedanken fröstelte es ihm. Er würde alles dafür tun, dort nicht wieder zu landen. Auch wenn es hieß, dass man ihn wohlmöglich bei jedem seiner Schritte überwachte. Selbst bei der Suche nach der Ratte. Von nun an musste er seine Schritte sorgfältiger planen. Noch sorgsamer, als bisher.
***
Nach dem Gespräch ging Steven seinem Hobby nach, bei dem er sonst immer abschalten konnte. Doch auch da fand er keine Ruhe. Die Trainingseinheiten im Fitnessstudio hatte seine Gedanken von dem Gefühl der Paranoia nicht ablenken können. Ständig war da ein gefühlter, lästige Blick der auf ihm lastete, obwohl er niemanden dabei erwischte. Der Druck, der auf ihm lastete, und die verbissene Entschlossenheit sich für seinen schmerzlichen Verlust zu rächen, ließ einfach nicht nach.
Vollkommen ausgepowert stand er unter einer Dusche des Gemeinschaftsbads. Allein. Ein paar Minuten Ruhe für sich und seinen Kopf. Das Wasser prasselte auf seinen Körper. Herrlich. In seiner Erinnerung tauchte plötzlich Myra auf. Sein Herz schlug schneller. Eine angenehme Wärme durchfuhr ihn. Merkwürdigerweise schien der Gedanke an sie die dunklen Gedanken zu vertreiben. Ihr süßer Apfelhintern, die perfekten Rundungen, der Spitzen-BH, selbst ihre weiche Hand, das hinreißende Glänzen ihrer grüngrauen Augen und die roten Lippen ließen ihn an angenehmere Dinge denken. Ihre warme Haut. Die Finger, die sie auf dem Stiel des Cocktailglas auf und ab wandern ließ. Steven ließ das heiße Wasser über seinen Kopf prasseln. Mit einer Hand stützte er sich an den kalten Fliesen ab und schloss die Augen. Mit der anderen Hand packte er seinen Schaft. Er stellte sich vor, wie er durch Myras nasse Haare fuhr. Ihr lächelndes Gesicht streichelte. Wie sie vor ihm kniete. Seinen Schritt betrachtete, so wie in der Bar. Wie sie seinen Schaft mit den weichen Fingern umfasste. Er stöhnte. Er konnte förmlich fühlen, wie sie ihn berührte. Zärtlich. Sanft. Es war ein prickelndes Gefühl.
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Die Tür des Duschraums ging auf. Steven wandte den Hereinkommenden den Rücken zu. Die Berührung verschwand. Das Pochen seines Schafts und die wundervollen Bilder in seinem Kopf jedoch nicht.
Zwei Kerle traten ein, mit Handtücher um die Hüften geschlungen. Sie verstummten, als sie ihn sahen.
Die bedauernden Blicke entgingen ihm trotzdem nicht. Er wusste genau, dass sie auf seinen Rücken starrten. Es brauchte keine Worte, um ihre Reaktion zu verstehen.
Steven stellte den Regler um. Das Wasser wurde eiskalt. Unmittelbar fühlte er Nadelstiche auf der Haut. Trotzdem brauchte er einige Minuten, bis er seine Erektion einigermaßen unter Kontrolle hatte. Hastig riss er das Handtuch von der Stange und schlang es um die Hüften.
Die glühende Fantasie ging bereits soweit mit ihm durch, dass er sie mit einer fremden Frau ausleben wollte. Es könnte jede sein. Wieso ausgerechnet Myra? Die Frau, die er für seinen persönlichen Rachezug benötigte.
Der Knast hatte ihm nicht gut getan. In keinerlei Hinsicht. Er spürte, wie die Blicke der beiden Kerle förmlich an ihm klebten. Steven ignorierte sie, genau wie den Spiegel. Zu schmerzhaft wäre der Anblick. Und mit ihm die Erinnerungen an eine grauenvolle Zeit.
***
Auf dem Heimweg hielt Steven an einer Eisdiele an. Er hatte nicht widerstehen können und bestellte sich gleich eine große Portion. Von der Eisdiele war es nicht weit bis nach Hause. Er würde es sich auf dem Sofa bequem machen und den Schokobecher genüsslich vorm Fernseher verspeisen. Was für ein Luxus. Mit dem eingepackten Eisbecher in der Hand und der umgehängten Sporttasche schloss er die Haustür auf. Mit schnellen Schritten lief er die Treppenstufen hinauf. Auf der zweiten Etage hielt er an. Seine Gedanken schweiften zu Myra. Ob sie bei der Polizei eine Anzeige gegen Daniel gestellt hatte?
Er überlegte, ob er anklopfen sollte. Es war alles still hinter der Tür. Vielleicht war sie noch nicht zurück. Richards Worte hallten ihm durch den Kopf: Er solle sich weniger um anderer Leute Probleme kümmern.
Er seufzte und schaute auf den Eisbecher. Der sollte besser schnell gegessen werden, bevor er schmolz. Danach konnte er immer noch mit Myra reden.
Bei dem Gedanken lächelte er. Bei den letzten Stufen nahm er jede Zweite und stoppte. Eine Gestalt saß wie ein Häufchen Elend auf der obersten Stufe direkt vor seiner Tür.
Sein Lächeln erstarb.
Myra wirkte entkräftet und niedergeschlagen. Ihre grüngrauen Augen glänzten.
„Myra?“, entfuhr es ihn überrascht.
Sie blinzelte. Eine Träne rann über ihre Wange.
Ein Knoten schnürte ihm die Kehle zu.
„Bitte“, krächzte sie. „Ich brauche deine Hilfe.“