Читать книгу Einführung in die Jugendforschung - Sabine Andresen - Страница 14
1.2.2 Die Handlung
ОглавлениеKindheit
Worin besteht die Handlung dieses immerhin als Erziehungsroman bezeichneten Werkes? In fünf Büchern wird die Geschichte einer Beziehung zwischen einem Privatlehrer, dem Gouverneur, in dem Rousseau sich vermutlich selbst gesehen hat, und seinem Zögling erzählt. Emile ist ein Kind aus gutem Hause, das zunächst fernab von der verruchten Stadt Paris, inmitten einer natürlichen Umgebung einzig von seinem Gouverneur und der Natur erzogen wird. In den ersten drei Büchern lesen wir alles über die Erziehungsvorstellungen seiner Zeit, wir erleben, wie Emile in arrangierten Situationen lernt, wir erfahren, was nicht in seine Nähe gelangen darf und bekommen mit, welche Vorlieben und Eigenschaften er entwickelt.
Jugendalter
Im vierten Buch beschreibt Rousseau die Jugendphase mit ihren neuen Schwierigkeiten, aber vor allem legt er seine Auffassung zur Religion sowie zur religiösen Erziehung dar. Dafür steht ein theologisches Manifest, das „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“. Mit genau diesen Passagen handelte sich Rousseau übrigens Verfolgung, Veröffentlichungsverbot und Kritik ein.
Ferner bekommen wir auch die ersten sexuellen Regungen des Jungen mit. Im fünften Buch schließlich tritt ein Mädchen, die auserwählte Gattin Emiles, die junge Sophie, in das Geschehen ein. Rousseau stellt ausführlich die ideale Erziehung des Mädchens dar. Die beiden jungen Menschen finden einander und kommen zusammen.
In einem später verfassten und wenig beachteten Fragment, „Emile und Sophie oder die Einsamen“ (1780 / 1989), bricht die Idylle des natürlichen Aufwachsens schließlich zusammen. Emile berichtet in zwei Briefen – vom Schicksal hart getroffen – vom Niedergang seiner Ehe, vom Verlust seiner Frau und seiner Kinder, vom fernen Vaterland und von verlorener Freiheit.
Erziehung als Gesellschaftskritik
Konkret geht es in der pädagogischen und historischen Jugendforschung am Beispiel dieser Geschichte des Aufwachsens eines Jungen um die politisch und sittlich angelegte Frage, wie der innere und äußere Rahmen von Erziehung zu gestalten sei. Da Rousseau ein großer Kritiker der französischen Gesellschaft, ihrer Sitten, ihrer Kultur und ihrer Sprache war, diente die Darlegung seiner Erziehungsvorstellungen und dem damit verknüpften Bild von Jugend einer deutlichen Abgrenzung von den Moden und Vorstellungen seiner Zeit. Er zielte auf einen fortschrittlichen kulturellen und sozialen Umgang mit der Jugend und wählte dafür einen äußerst unkonventionellen Weg. In der Diskussion über den angemessenen Umgang mit Jugend ließ sich somit auch politische Kritik üben und über alternative Erziehungsvorstellungen konnte man die Phantasie einer besseren Gesellschaft entwickeln.
Rousseau griff zwar keinen vollkommen neuen Gedanken auf, aber er brachte die Thematisierung von Gesellschaftskritik im Fokus der Jugenderziehung in eine Form, die sowohl provozierte als auch den modernen Diskurs über Jugend bis in die Gegenwart hinein beflügelte.