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2 Jugend als Brennglas der Modernisierung um 1900
ОглавлениеDie Existenz und Gestaltung der Jugend hängt mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammen. Im ersten Kapitel wurde bereits darauf verwiesen, dass in autobiographischen Schriften die eigene Jugend Gegenstand intensiver Betrachtung war. Dabei dominierte die Erinnerung an Krisen, die das Verhältnis zu den Eltern, zu Autoritätspersonen wie Lehrern, zu den Traditionen und Vorstellungen der Kindheit erschütterten. Man kann diese Jugenderinnerungen auch als ein Indiz dafür ansehen, dass Jugend in modernen Gesellschaften im zwanzigsten Jahrhundert den Aufbruch symbolisierte.
Das Symbol für Aufbruch und Modernisierung
Dieser Zusammenhang von Jugend und Aufbruch, sozialwissenschaftlich Modernisierung genannt, ist der Kern des nun folgenden Kapitels. Verschiedenen Umständen ist es zu verdanken, dass die Jugendphase und die Jugendlichen um 1900 von vielen Seiten Aufmerksamkeit erfuhren. Wie und in welchem Maß die Jugendforschung daran beteiligt war, wird in den später folgenden Kapiteln ausführlich behandelt. In diesem Abschnitt soll zunächst herausgearbeitet werden, was „Jugend als Brennglas der Modernisierung“ bedeutet. Durch ein Brennglas mit einer Konvexlinse kann Sonnenlicht gebündelt werden, wodurch ein darunter liegendes Papier zunächst zu schwelen und schließlich zu brennen beginnt. Das heißt, übertragen auf unser Thema, dass sich im Jugendbegriff, in den Vorstellungen über Jugend und den Zuschreibungen ganz unterschiedliche Modernisierungsphänomene bündeln. Dadurch wird die Jugend einerseits mit einer gewissen Sorge betrachtet, weil von ihr die „Gefahr“ der Veränderung ausgeht, andererseits verbindet man mit Jugend die Hoffnung auf neue Ressourcen und Energien.
Seit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart lässt sich ein Gemisch aus Fremd- und Selbstthematisierungen von Jugend beobachten. Jugend wird Gegenstand der Fremdthematisierung, also der Betrachtung durch Erwachsene, beispielsweise in Kultur, Politik, Wissenschaft, und sie wird zum Thema der Jugendlichen selbst in Jugendbewegung oder Jugendkultur. Beide Formen darf man sich jedoch nicht als streng voneinander getrennte Diskussionsstränge vorstellen, sondern als aufeinander bezogen und sich wechselseitig beeinflussend.
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels geht es darüber hinaus um soziale Unterschiede. Jugendtheorien, das Jugendleben und die Bedingungen des Aufwachsens sind bis heute auch von der Sozialstruktur abhängig. Um 1900 zeigt sich, dass soziale Probleme einer Gesellschaft vorzugsweise an den davon betroffenen Jugendlichen diskutiert werden. Insofern ist hier von Jugend als „Spiegel sozialer Probleme“ die Rede.
Insgesamt soll dieses Kapitel einen groben Überblick über den Zusammenhang von Jugend als sozialem Konstrukt und gesellschaftlicher Modernisierung ermöglichen. Deshalb wird im ersten Abschnitt (2.1) an der Standardisierung des Lebenslaufs nochmals die Grundüberlegung ausgeführt. Darauf folgen eine Form der Fremdthematisierung am Beispiel kultureller Jugendbilder (2.2) sowie die Selbstthematisierung anhand der bürgerlichen Jugendbewegung (2.3) und schließlich wird auf den Aspekt sozialer Differenzierung (2.4) eingegangen.