Читать книгу Drei Frauen auf Rügen - Sabine Kästner - Страница 14
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Оглавление»Wie kommen Sie denn darauf?«
Lilli wirbelt herum. Frau Tressewitz greift nach Lillis rechter Mantelhälfte, entwirrt sie und hält sie fürsorglich auf. Glitzert im Blick der Wirtin eine Spur von List? Lilli kneift die Augen zusammen. Sie sollte ihre Brille wirklich nicht nur tragen, um Gemälde in Augenschein zu nehmen.
Hermine Tressewitz räuspert sich.
»Sie haben noch nichts davon gehört?«
Lilli schweigt eisern.
»Früher gab es auf Seelitz einen Friedrich, heißt es. Man hat lange Zeit angenommen, dass die Russen das Gemälde entwendet haben. Die haben sogar die Toilettenschüsseln auf Seelitz rausgerissen und abtransportiert. Aber weil mein neuer Gast gestern Abend so gezielt danach gefragt hat und so außerordentlich daran interessiert ist...«
»An Toilettenschüsseln?« Lillis überlässt ihrem Alter Ego die Führung. Langsam wird ihr die Kunst lästig.
Frau Tressewitz schüttelt den Kopf.
»Nein, an dem Friedrich natürlich. Da dachte ich, ich frag Sie einfach mal. Vielleicht hat Sammering oder sonst jemand das Bild ja entdeckt. Schließlich gibt es im Gutshaus jede Menge Keller, die Stallungen und das Gartenhaus...«
Lilli stößt ihren Arm in den Mantel.
»Zur Sammlung Sammering gehört kein Friedrich. Das müsste ich wissen.«
Sie fährt sich nervös durch die Haare. Oder hat Leopold ihr noch mehr Bilder verschwiegen? Ein Friedrich! Auf Rügen. Unmöglich. Das Werk des weltberühmten Romantikers ist überschaubar und größtenteils in Museen untergebracht. Seit Jahren ist kein Friedrich auf dem Markt gewesen. Leopold kann also kein Friedrich-Original für Sammering entdeckt oder erworben und heimlich kopiert haben. Außerdem hat sie sein Ehrenwort.
Hahaha.
Hermine mustert sie schweigend. Lilli ahnt, dass sie nicht nur nervös ist, sondern auch ganz danach aussieht.
»Ich muss an die Arbeit«, sagt sie laut und reißt die Tür auf. Ein Schwall Seeluft umfängt sie, legt sich als feuchter Schleier auf ihr Gesicht, kriecht unter den Mantel. Sie dreht sich um. Frau Tressewitz steht zum Umpusten schmal im Windzug und knetet eine Serviette.
»Heute beschäftige ich mich mit der malakologischen Abteilung«, gibt Lilli Auskunft.
Frau Tressewitz nickt zerstreut. »Makalolo was?«
»Malakologie. Die Sammlung im Gartenhaus.«
Frau Tressewitz schüttelt sich backfischhaft.
»Ach, das Zeugs! Na ja, Herr Sammering hatte viele wunderliche Seiten, vor allem diese fanatische Tierliebe auf seine alten Tage. Was der alles gesammelt und gehortet haben soll. Entweder war er ein Universalgenie oder ein Wirrkopf.«
Mit Sicherheit das Letztere. Lilli stürmt die Treppe hinab und übersieht den hoch gewachsenen Mann, der von der Strandpromenade her um die Ecke biegt. Sie läuft direkt in ihn und seine aufklaffende Jacke hinein. Ein Geruch aus Leder, getränkt mit Seewind und Salz steigt ihr in die Nase, vertreibt alle Gedanken an männliche Wirrköpfe und lässt sie an der Hemdbrust verweilen. Das riecht nach mehr als Urlaub, schießt es ihr durch den Kopf. Was ist jetzt wieder mit ihr los?
»Kalt heute, nicht wahr?«, fragt eine amüsierte Stimme von oben herab. Die Stimme hat einen kaum wahrnehmbaren Akzent. Englisch, tippt Lilli.
Ihre Augen spazieren über königsblauen Hemdstoff nach oben. Verschwommen erkennt sie ein sonnenbraunes Gesicht, kneift aber nicht die Augen zusammen, um es zu inspizieren.
»Pardon«, murmelt sie, »ich habe heute meine Brille nicht auf.« Dann stolpert sie in Richtung Promenade. Das war mal wieder ein selten blöder Satz. Muss an diesem Geruch gelegen haben. Oder an dem ganzen Mann?
Oder daran, dass du Gefühle hast. Wenigstens in deinen Erinnerungen, giftet Lillis Alter Ego.
Der Herr verschone mich von allem Übel, jagt es Lilli durch den Kopf. Die Stimme des Fremden klang verdammt nach Frauenflüsterer.
Zumindest in deinen Ohren, feixt es.
Ach was. Erotische Sehnsüchte hat sie vor Jahren verloren, so beiläufig wie Milchzähne und so gründlich wie ihre Lust am Malen. Ein Gefühlsdusel mit Vorliebe für Gaukler tut besser daran, ohne Leidenschaften zu leben.
Ihre emotionalen Experimente nach Clemens waren ausnahmslos Täuschungen. So wie dieser Axel, den sie bei einem Kongress für Kunstversicherer kennen gelernt hatte und der ihr erst nach einem halben Jahr eröffnete, er sei – nun ja – eigentlich verheiratet. Eigentlich?
Sein Nachfolger Roland hat nur zwei Monate gebraucht, um sich als Hochstapler zu entpuppen, der nicht als begnadeter Orchestermusiker, der er zu sein vorgab, sein Geld verdiente, sondern in der Klassikabteilung bei WOM. Passenderweise hatte sie den bei einem Blind Date aufgefischt. Nein, er sie. Er hat sie – wen sonst – nach dem Weg zur Toilette gefragt und ist dann einfach an ihrem Tisch sitzen geblieben.
Wenn sie jetzt ab und an mit Männern, meist mit Auftraggebern aus der Versicherungsbranche, in Restaurants geht, interessiert sie das Essen auf ihrem Teller mehr als ein attraktives Gegenüber. Sollte ihr je wieder ein männlicher Verstellungskünstler in die Arme laufen, dann gnade ihm Gott.
Du denkst also bereits an den nächsten? Bravo!
Mit schnellen Schritten steuert sie ihr Auto an. Eine Möwe stößt auf die Überreste eines Brötchens herab, schnappt zu, schwingt sich mit der Beute in den Winterhimmel und zieht einen Bogen in Richtung Ostsee. Freiheit sieht so einfach aus.
Lilli steckt die Autoschlüssel zurück in die Manteltasche. Sie wird den Bus nehmen und von der Haltestelle, die Seelitz am nächsten liegt, einen Spaziergang zum Gutshaus machen. Salzige Luft, ein Gang durch Buchenwälder und Boddenwiesen werden ihr gut tun. Rügen eben. Mehr braucht sie nicht.
Und es spricht nichts dagegen, ein wenig Ferienstimmung aufkommen zu lassen.
Außer dem verfluchten letzten Bild. Dem Sisley. Aber der kann bis morgen warten, und dann wird alles gut. Dann ist die Vergangenheit vorbei. Lilli lächelt. Das Leben kann sehr schön sein.