Читать книгу Drei Frauen auf Rügen - Sabine Kästner - Страница 7

4

Оглавление

Liliane Wandler betrachtet den Telefonhörer, als handele es sich dabei um einen besonders widerwärtigen Rattenterrier, der gleich zuschnappen wird. Tatsächlich ist der Hörer Teil eines eleganten, elfenbeinweißen Bakelit-Telefons aus den dreißiger Jahren. Ein Original natürlich. Ihr Vater erlaubt sich in seinem privaten Umfeld keine ästhetischen Schnitzer. Sie lässt den Hörer mit spitzen Fingern auf die Gabel sinken, die sie vor einer Minute energisch herabgedrückt hat, um das Gespräch mit Clemens zu trennen.

Caspar David Friedrich, hallt es in ihrem Kopf. Caspar David Friedrich.

Das darf nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein!

Warum denn nicht? Auf Seelitz gibt es schließlich auch ganz unglaubliche Picassos. Und einen Paul Klee. Und... Oh, Ruhe!

Erschöpft lässt Lilli sich in einen würfelförmigen Art-Déco-Sessel fallen, der erstaunlich bequem ist. Ihr Vater hat nicht nur Sinn für Schönheit, er verbindet seine ästhetischen Bedürfnisse auch mit seiner Lust an körperlichem Wohlbefinden. In dem Wohnzimmer über seiner Kölner Galerie könnte man derzeit ohne Umbauten einen Dashiell-Hammett-Thriller verfilmen.

Mit Leopold als Schurken, denkt Lilli und dreht sich mit wild klopfendem Herzen zu dem Schurken um, der in einen Schlafmantel aus chinesischer Seide gehüllt dasitzt und so tut, als lese er.

Kleines Lexikon der Kunstfälschungen. Ausgerechnet. Er will sich wohl über sie lustig machen.

Lilli wirft ihm einen bohrenden Blick zu. Ihr Vater tut einige Minuten so, als bemerke er den Blick nicht. Dann lässt er das Buch sinken.

»Wer war das am Telefon?«

Lilli schnellt in ihrem Sessel hoch.

»Tu nicht so, als hättest du nicht hingehört. Es war Clemens.«

»Oh, die Ratte. Ich war nur im Zweifel, weil du so lange mit dem Anrufer gesprochen hast. Schließlich hast du mir versichert, du würdest im Leben kein Wort mehr an ihn richten. Abgesehen von Verbalinjurien oder eindeutigen Imperativformeln wie ›Verschwinde‹. Wobei mir in Clemens’ Fall sogar das sehr griffige ›Verpiss dich‹ durchaus zulässig und angebracht scheint.«

Lilli zerrt nervös an ihren Locken, dass es ziept. Dann windet sie die widerspenstigen Haare zu einem Knoten, den sie hinten feststeckt. »Vater, er ist auf Rügen.«

Leopold Wandler seufzt. »Dieser Knoten ist grässlich, meine Liebe. Du bist doch keine verhärmte Bibliothekarin. Und wenn du glaubst, dass irgendwann ein Cary Grant auftaucht, der den Knoten löst und deine wahre Schönheit entdeckt, überschätzt du die meisten Männer hoffnungslos.«

»Leopold! Hast du gehört, was ich gesagt habe? Clemens ist auf Rügen!«

Leopold legt mit müder Geste das Buch zur Seite. »Ich weiß, die Witwe Sammering hat ihn mit dem Verkauf von Seelitz beauftragt.«

Lilli schnappt nach Luft. Der Raum gerät in Bewegung. Scheint, als werde hier bereits ein Film gedreht, meldet sich ihre innere Stimme zu Wort, mit dir in der Rolle des unverbesserlichen Dummchens.

»Warum hast du mir das denn wieder verschwiegen?«

Neben den vielen anderen Dingen, die er dir jahrelang verschwiegen hat, Fräulein Neunmalklug?

Leopold schenkt sich einen Martini ein, fügt Wodka hinzu, rührt mit einem Glasstäbchen darin herum. Selbstverständlich stammt das Cocktailgeschirr auch aus den Dreißigern. Leopold nippt genießerisch an seinem Glas.

»Ich wollte dich nicht aufregen, Liebes. Ich weiß ja, wie sehr dich die Überraschungen der letzten Wochen mitgenommen haben. Außerdem hatte ich gehofft, dass ihr euch dort nicht begegnen würdet. Clemens kann es sich nicht leisten, zu lange an einem Ort zu bleiben. Ihr müsst euch übrigens auch nicht begegnen, denn ich bin nach wie vor der Ansicht, dass ich mich um den Verkauf der Sammlung Sammering kümmern sollte. Dich regt das alles viel zu sehr auf.«

Lilli krallt sich an den Sessellehnen fest.

»Dich lasse ich ganz sicher nicht mehr in die Nähe dieser Sammlung! Und übrigens. Clemens hat mich nach einem verschollenen Caspar David Friedrich gefragt. Was weißt du davon?«

Lilli wirft angriffslustig den Kopf in den Nacken, eine vorwitzige Locke entkommt ihrem Haarknoten, tanzt ihr ins Gesicht.

Leopold setzt sein Glas ab und hebt ehrlich erstaunt die Brauen.

»Caspar David Friedrich? Um ehrlich zu sein, weiß ich über ihn recht wenig. Die deutsche Romantik ist nicht mein Fachgebiet. Dieser düstere Symbolismus, der Hang zur Schwermut, die religiöse Überhöhung liegen mir nicht, aber... «

»Vater, keine Vorträge. Hast du mir einen Friedrich auf Seelitz verschwiegen? Ja oder nein?«

»Nein!«

»Ist das die Wahrheit? Ach, was frage ich denn, als ob du überhaupt wüsstest, was die Wahrheit ist. Sie hat in deinem Leben nie eine entscheidende Rolle gespielt.«

Leopold knotet die Schlinge seines Gürtels neu, strafft das seidene Revers und seine Miene zum Porträt des perfekten Gentlemans.

»Liebe Lilli, ich habe gerade dir in den letzten Wochen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt. Und das hat dich nicht besonders glücklich gemacht. Dabei liegt mir mehr als an allem anderen an deinem Glück. Schon immer. Deine ständigen Verdächtigungen sind, mit Verlaub, ermüdend, wenn du mich doch nur einmal alles in Ruhe erklären ließest...«

Lilli winkt ab. »Alles, Vater, nur keine Erklärungen mehr. Und jetzt gib mir dein Ehrenwort, dass du niemals einen Friedrich gemalt hast – weder für Ewald Sammering noch für sonst jemanden.«

Leopold verdreht die Augen wie ein Musiklehrer, der zum hundertsten Mal an dem Versuch scheitert, einer Sechsjährigen Alle meine Entchen beizubringen.

»Lilli, du tust schon wieder so, als sei ich ein lächerlicher, einfallsloser Bilderfälscher. Wie degoutant. Du weißt, dass alle objets d’art aus dem Hause Wandler Originale waren und sind...«

»Du meinst wohl, alle Objekte im Hause Wandler.«

»Das sind doch Haarspaltereien, Kind...«

»Hast du jemals einen Friedrich produziert oder nicht?«

»Das habe ich nicht. Er liegt mir nicht, wie ich schon sagte. Du hingegen könntest als gelernte Restauratorin sicher eine hinreißende Friedrichkopie...«

Lilli springt aus dem Sessel auf. Keine gute Idee. Ihre Knie geben nach. Ihr Herz schlägt Saltos, was es gar nicht kann und auch nicht tun sollte, zumal Lilli gerade kaum Luft bekommt.

»Vater, ich male seit dreizehn Jahren nicht mehr«, presst sie hervor, »und ich habe auch nicht vor, je wieder damit anzufangen.«

»Zu meinem größten Bedauern, zu meinem allergrößten Bedauern! Sein Talent so zu verschwenden kann nicht glücklich machen. Du versündigst dich gegen deine Berufung, mein Kind. Und dieser Haarknoten!«

Lilli bricht ab. Es hat keinen Sinn. Sie muss hier raus. An die Luft. Sie ist Leopold noch immer nicht gewachsen. Auch nicht nach dreizehn Jahren, die sie wohlweislich in gewisser Entfernung von ihm gelebt hat. In ihrem eigenen Leben, ihrer eigenen Wohnung, in ihrem eigenen Job. Perdu. Alles verloren. Vorbei.

Woran freilich nicht Leopold schuld ist.

Nein, das war Clemens. Und sie auch. Schließlich hat sie Clemens geheiratet gegen den Rat ihres Vaters. Und sie war es auch, die die Ehe erst dann mit einer Scheidung beendet hat, als die ersten Vorladungen eintrafen, zu Gerichtsterminen wegen Verdachts auf Veruntreuung von Geldern, Anlegerbetrug, Immobilienschwindel und und und... Sie hätte wissen müssen, was für ein Windhund Clemens war.

So wie dein Vater, Lilli Dummchen.

Himmel, sie braucht Luft. Ganz schnell.

Lilli reißt die Tür zum Treppenhaus auf, will hinablaufen, durch die Galerie. An die Luft, nur an die Luft.

»Mom«, hält sie aus einem Zimmer am anderen Ende des Ganges eine Stimme zurück. Lilli schluckt. Schluckt tapfer. Immer runter mit der Wut und dem Ärger. Das Kind soll nichts merken. Lilli zwingt sich zum Luftholen.

»Charlotte, du musst schlafen! Morgen ist Schule.«

»Mom, mir fällt eben was ein. Ich muss nächste Woche ein Bild mitbringen oder sonst irgendwas Künstlerisches. Aber was echt Gutes. Hab ich ganz vergessen, fällt dir was ein?«

»Ich male dir keine Bilder mehr, du bist jetzt alt genug, deine Hausaufgaben selbst zu erledigen.«

»Ist keine Hausaufgabe, sondern für den Unicefbasar in drei Wochen.«

»Langt da kein Kuchen? Ich back dir einen.«

»Nur das nicht! Außerdem kaufst du das Zeug sowieso nur bei Aldi und pulst dann dran rum, damit es wie selbstgemacht aussieht.«

»Charlotte! Ich hab wirklich eine Menge zu tun.«

»Ist doch okay, wenn man nicht backen kann, du hast deinen Doktortitel ja nicht bei Oetker gemacht. Aber, Mom, ich hab allen erzählt, wir leben jetzt in einer Galerie und haben jede Menge Ladenhüter übrig. Der Direx ist voll angeknipst von der Idee. Alle denken, wir haben megaviel Knatter. Und, ich meine, Opas Galerie ist doch wirklich voll Gerumpel.«

»Vergiss es, Charlotte, wir haben hier nichts Wertvolles übrig. Und reich sind wir bestimmt nicht. Im Gegenteil. Gute Nacht.«

»Es geht um einen guten Zweck. Hast du kein Mitleid? Weißt du, wie viele Kinder in der Welt verhungern? Ich hab es mir irgendwo aufgeschrieben. Soll ich mal nachsehen?«

»Gute Nacht, Charlotte.«

»Kann ich wenigstens noch ein Milky Way haben?«

»GUTE NACHT!«

Drei Frauen auf Rügen

Подняться наверх