Читать книгу Drei Frauen auf Rügen - Sabine Kästner - Страница 6

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Während sich vorne im Saal die Zuhörer um Hermine drängen, Fragen stellen und um die Signierung ihres Seelitzbuchs bitten, tastet Clemens seinen Mantel ab, angelt eine Schachtel Players aus der rechten Tasche und klopft eine Zigarette heraus.

Ein verschollenes, vielleicht Millionen Euro teures Gemälde! Daraus ließe sich etwas machen. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. O ja! Kostbare Argumente für eine immense Aufwertung der Immobilie Seelitz.

Man muss die Geschichte nur im großen Stil zu verkaufen wissen. Er wüsste auch schon, an wen.

Diese alte Katze aus Berlin, die kürzlich bei ihm wegen des Gutshauses angefragt hat und mindestens so nostalgisch wie Hermine Tressewitz ist, aber wohlhabender und – was noch besser ist – völlig vertrottelt. Sie summt gern geistliche Choräle, wenn er auf Zahlen zu sprechen kommt. Sein Gesicht entspannt sich, während er die Zigarette zwischen seine Lippen schiebt. Wer wäre für den Verkauf einer geheimnisvollen Kunststory besser geeignet als er!

Und seine Familie. Nun ja, seine Exfamilie.

Nämlich Lilli Wandler, kürzlich geschiedene von Krolow und ihr einzigartiger Herr Papa, der Kölner Galerist Leopold Wandler, der sich mit Meisterwerken auskennt. Ein Hinweis von ihm auf einen versteckten Caspar David Friedrich im Gutshaus, und die Sache wäre glaubwürdig.

Leopold hat die Expertenwelt oft mit sensationellen Entdeckungen verblüfft. Ein berechnendes Lächeln umspielt Clemens’ schönen Mund, die Zigarette bewegt sich steil nach oben. Er kramt in seiner Innentasche nach dem Feuerzeug.

Und Leopold Wandler ist auf Rügen ein Begriff. Ein Dutzend Top-Gemälde und ungezählte Antiquitäten hat sein ehemaliger Schwiegervater für Ewald Sammering besorgt. Darunter zwei Zeichnungen von Picasso, die ein Vermögen wert sind.

Leopold hat erstaunlich viele Meisterwerke für Sammerings Sammlung erwerben können, wenn man bedenkt, dass er als Trödelhändler angefangen und in den Kunsthandel nur eingeheiratet hat. Leider hat Clemens’ eigene Ehe mit Lilli Wandler nur auf dem Papier dreizehn Jahre lang gehalten. In Wahrheit waren es elf Jahre weniger. Eine zu kurze Zeitspanne, um Genaueres über Leopolds Galerie und seine Art der Bildbeschaffung in Erfahrung zu bringen. Er muss jetzt mehr herausfinden. Wegen des Friedrichs.

Entschlossen steigt er die Treppen hinab, wirft die ungerauchte Zigarette weg und nestelt sein Handy aus der Manteltasche. Verstohlen schaut er sich um, verschwindet in einer zugigen Ecke hinter dem Museum und tippt eine Nummer ein. Er schaut kurz auf die Uhr. Viertel nach zehn. Lilli wird noch wach sein, war schon immer eine Nachteule. Er drückt das Handy gegen sein Ohr, der Ruf geht durch.

»Wandler, hallo«, meldet sich eine müde Frauenstimme am anderen Ende.

»Hallo, Lilli! Clemens hier.«

Die Stimme wird hellwach. »Du? Was willst du von mir? So spät am Abend! Hast du den Verstand verloren? Nach allem, was du mir und deiner Tochter angetan hast, hätte ich sogar einem Schaumschläger wie dir etwas mehr Taktgefühl zugetraut. Ich will von dir nichts mehr hören, nie mehr. Wir sind offiziell geschieden, und dafür danke ich Gott in jedem Nachtgebet...«

»Liebste Lilli, ich verstehe deine Aufregung, aber gerade deshalb...«

»Nenn mich nicht Lilli.«

»Nun gut, Liliane. Ich rufe an, weil ich mich endlich entschuldigen und alles wieder gutmachen kann. Ich bin bald in der Lage, meine peinlichen Schulden dir gegenüber zu begleichen. Glaub mir, ich melde mich erst jetzt, weil ich vorher einfach keine Möglichkeit gesehen habe, alles wieder einzurenken. Ich bin nicht der Gauner, für den du mich hältst. Ich stehe hier kurz vor dem Abschluss eines großen Deals, und das wollte ich dir sofort mitteilen...«

»Ein Deal? Mit wem? Dem Staatsanwalt? Dem Haftrichter? Den zahlreichen Gläubigern? Oder dem Teufel? Zur Hölle mit dir.«

Clemens tastet nervös nach einer neuen Zigarette. Fängt nicht gut an, das Gespräch. Himmel, seine Ex ist nicht mehr das Lamm, das er mal vor dreizehn Jahren geheiratet hat.

»Lilli, ich meine natürlich, Liliane, du missverstehst die Situation.«

»Ich verstehe meine Kontoauszüge sehr gut. Deine krummen Geschäfte und die fehlende Gütertrennung haben mich bei der Scheidung meine gesamten Ersparnisse und meine Eigentumswohnung gekostet. Ich hätte wissen müssen, dass du nur Unglück bringst.«

»Aber das kannst du doch mir nicht anlasten! Nach dreizehn Jahren Ehe und elf Trennungsjahren lässt du dich aus heiterem Himmel von mir scheiden. Ohne Vorwarnung. Hättest du dir einen anderen Zeitpunkt ausgewählt, wäre es nie zu einer so ungünstigen Abrechnung gekommen.«

»Oh, nein, dann hätten sie mich wahrscheinlich gleich mit dir in den Knast gesteckt.«

»Liliane, bitte beruhige dich. Es wird alles gut. Hör zu, ich bin dabei, Gut Seelitz an den Mann, besser an die Frau, zu bringen. Das könnte ein Millionending werden und...«

Lilianes Stimme wird schrill. »Du sollst Seelitz vermakeln? Welcher Trottel hat dir den Auftrag gegeben?«

»Die Witwe Sammering.«

»Eine Frau. Das hätte ich mir denken können.«

Clemens versteht das als Aufmunterung. »Kein Grund zur Eifersucht, mein Engel.«

»Davon träumst du wohl?«

»Sieh es doch positiv. Frau Sammering vertraut mir, so wie ihr Mann deinem Vater vertraut hat. Der Name Wandler hat eben einen guten Klang, da stecken viele Möglichkeiten drin, und du kannst stolz darauf sein. Auf dich und deinen Vater.«

Am anderen Ende der Leitung wird es merkwürdig still. Als Liliane wieder spricht, merkt Clemens, dass sie mühsam Anlauf genommen hat, ihr Zorn ist nicht verraucht, aber deutlich matter. »Es ist unser Name, nicht deiner, und ich finde es infam, dass du noch immer damit hausieren gehst. Begreif es endlich, unsere Ehe war ein Irrtum von Anfang an, und bei mir und meinem Vater gibt es nichts zu holen für dich.«

Clemens übergeht den Vorwurf und fahrt geschmeidig fort.

»Nun, ich dachte, da Leopold demnächst herkommt, um die Bildersammlung Sammering für den Verkauf vorzubereiten, könnten wir ein gemeinsames Geschäft planen...«

Lilli stößt einen keuchenden Laut aus. »Die Bilder gehen dich nichts an. Und übrigens werde ich anreisen, um die Bilder zu übernehmen.«

»Du steigst in den Kunsthandel deines Vaters ein? Donnerwetter. Wo du dich immer dagegen gesträubt hast.«

Lilli atmet tief ein. »Das geht dich nichts an.«

»Es wundert mich nur. Du hast es doch immer kategorisch abgelehnt, dich an den Geschäften der Galerie Wandler zu beteiligen. Dabei war das von Anfang an meine Idee. Synergieeffekte und so weiter. Der Kunsthandel bietet so glänzende Gelegenheiten. Mein Verkaufstalent und eure Beziehungen, perfekt.« Ein leichter Vorwurf und der Unterton des Beleidigten sind unüberhörbar.

»Ich verzichte auf deine Talente. Und da ich – dank dir – möglichst rasch eine große Summe verdienen muss, kümmere ich mich um den Verkauf. Allein, hörst du. Ohne krumme Touren. Ich will meine Wohnung und mein altes Leben zurück.«

Prima Stichwort, denkt Clemens. »Verständlich. Es ist sicher nicht angenehm, als erwachsene Tochter und Mutter wieder im Haus des Vaters zu leben. Und ich kann dir helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Hör zu, es geht um eine Kunstsache. Genauer gesagt um ein Gemälde, das sich auf Seelitz befindet.«

»Die Gemälde auf Seelitz verkauft die Kunsthandlung Wandler. Das ist im Testament von Ewald Sammering ausdrücklich festgelegt. Dabei brauche ich keine Hilfe.«

Clemens drückt den Hörer dichter ans Ohr. Täuscht er sich, oder gerät Lillis Stimme gerade ins Wanken?

»Schon gar nicht deine.« Lilli klingt ganz atem- und etwas hilflos.

Clemens lächelt wölfisch, scheint so, als habe er seine Macht über Lilli doch nicht ganz verloren. Er streicht sich über sein Haar, rückt seine Krawatte gerade, verlagert sein Gewicht lässig von einem Bein aufs andere. Angriffsposition.

»Liebste Liliane, so habe ich das doch nicht gemeint. Hör zu, wir sollten das in Ruhe bereden. Es wäre wunderbar, dich einmal in entspannter Atmosphäre wiederzusehen. Gerichtssäle haben eine etwas beklemmende Atmosphäre... «

»Ich kann mir denken, dass du so empfindest, aber Gefängnisse, mein lieber Clemens, sind bei weitem beklemmender. Ich warne dich, geh mir aus dem Weg.«

Wer hätte das gedacht, die sanfte, romantische Lilli von einst kann ganz schön bissig werden, geradezu zickig. Muss das Alter sein.

Zweiunddreißig? Nein, sie müsste jetzt vierunddreißig sein. Der zarte Schmelz der Jugend ist eben dahin, wahrscheinlich ist sie etwas frustriert. Außerdem hat Lilli keinen neuen Mann, soviel er weiß.

Er weiß freilich nicht viel. Immerhin hat er seine Exfrau vor der Scheidungsverhandlung jahrelang nicht gesehen, von einigen Augenblicken abgesehen, wenn er Charlotte, die gemeinsame Tochter, hin und wieder abgeholt hat.

Sein Blick fällt auf den Parkplatz vor dem Museum, die Besucher des Vortrags strömen zu ihren Wagen. Er muss sich beeilen. Am besten ist ein Überraschungsangriff.

»Liliane, um es kurz zu machen. Ich könnte eure Hilfe gebrauchen. Es geht auch nicht um die Bilder, die ihr an Sammering verkauft habt.« Er macht eine kurze Pause. »Zumindest nehme ich das an. Frag deinen Vater doch einmal, was er über einen Caspar David Friedrich weiß. Ich meine, einen Friedrich auf Seelitz.«

Lillis Stimme mutiert zu einem schrillen Piepsen. »Ein Friedrich? Auf Seelitz? Das kann nicht sein. Das darf nicht wahr sein.«

Clemens’ Grinsen verbreitert sich. Wusste er doch, dass die Geschichte ein Volltreffer ist.

»Oh, es spricht einiges dafür. Das Bild soll nur verschollen sein oder irgendwo versteckt. Ich glaube, ich bin da einer kleinen Sensation auf der Spur, und solche Sensationen sind doch sicher nach Leopolds Geschmack. Wo der schon Kunstschätze entdeckt hat! Solch eine Entdeckung würde den Wert von Seelitz enorm steigern. Allein die Nachricht, dass Leopold Wandler auf Seelitz einen Friedrich vermutet, könnte den Hauspreis nach oben treiben. Was dir bei einem erfolgreichen Verkauf ebenfalls zugute kommen könnte, wenn ihr euch auf eine gemeinsame Strategie... Lilli? Lilli?«

Mist, sie hat das Gespräch einfach beendet.

Er muss sie persönlich aufsuchen. Von Angesicht zu Angesicht kommt sein Charme besser zur Geltung. Schließlich ist sein Angesicht eine Augenweide.

Er steckt sein Handy weg, entdeckt sein Feuerzeug und schlendert ins Museum zurück. Und falls Lilli tatsächlich zur fanatischen Kratzbürste und eisernen Jungfrau mutiert sein sollte, gibt es noch eine Verbindung zur Galerie Wandler, die weder Leopold noch Lilli durchtrennen können.

Seine Tochter Charlotte.

Clemens lässt das Feuerzeug aufschnappen. Einem dreizehnjährigen Mädchen werden sich sicher ein paar Geheimnisse über Leopolds Galerie entlocken lassen. Vor allem, da sie jetzt sogar dort wohnt. Mit Mama.

»Das ist streng verboten«, unterbricht eine Stimme seine Gedanken und pustet ihm sacht das Feuerzeugflämmchen ins Gesicht, sodass Clemens sengende Hitze in die Nase steigt.

Krolow fährt schnaubend zurück. »Was zum Teufel erlauben Sie sich?«

Vittorio bekommt keine Gelegenheit zur Antwort. Alida, die sich auf seinen Arm stützt, schnellt vor wie eine erboste Furie. »Was erlauben Sie sich, von Krolow! Mich einfach links liegen zu lassen und wie Luft zu behandeln, statt mir nach meinem Sturz aufzuhelfen.« Ihr Vorwurf hat einen Beigeschmack echter Verzweiflung.

Clemens entringt Vittorio seine Beute mühelos. Während er dem Italiener über Alidas Kopf hinweg schneidende Blicke zuschießt, versüßt er seine Schmierölstimme mit so viel Zucker, dass Vittorio vom Zuhören Zahnweh bekommt.

»Verzeihung, Verzeihung, liebe Frau Sammering. Ich war gerade in geschäftliche Überlegungen vertieft.«

Er ist es noch: Seine Tochter Charlotte wird sich sicher über einen Besuch von ihm freuen. Der letzte liegt – Moment – nun ja, ein Dreivierteljahr zurück. Er könnte Charlotte mit einem Weihnachtsgeschenk überraschen. Etwas spät Mitte Januar, aber er hatte anderes zu tun. Die Geschäfte laufen derzeit wirklich schleppend, äußerst schleppend, und die Staatsanwaltschaft ist lästig.

»Ich hoffe, die Überlegungen gelten mir und Seelitz«, schnappt Alida, während sie aus der Werfthalle tritt. »Ich will den elenden Kasten endlich loswerden.«

»Alle meine Überlegungen gelten Ihnen und Seelitz«, versichert Clemens mit der notorisch euphorischen Stimme eines Gebrauchtwagenhändlers und dem Herzrasen eines Bankrotteurs vor dem Offenbarungseid.

Er denkt in der Tat ausschließlich an Seelitz – das Gut ist seine letzte Chance.

Drei Frauen auf Rügen

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