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Chapter Five – I Want You So Bad
ОглавлениеEs tut mir unendlich leid. Bitte lass uns reden. Dieses Mal, das verspreche ich, höre ich zu.
Bea hatte volle zwei Tage für diese drei Sätze gebraucht. Sie drückten zwar nicht annähernd das aus, was sie fühlte, aber sie waren ein Anfang. Daher schrieb sie sie auf ein Blatt Papier, das sie – da sie weder wusste, wo Charlie wohnte noch wie seine Telefonnummer lautete – in Don’s Werkstatt abgab. Sie hätte es auch in Charlies Bar abgeben können, aber sie bat lieber Don um diesen Gefallen als Emma.
Bea war an diesem Morgen noch vor der Arbeit hingefahren und hatte Don gebeten, die Nachricht so schnell wie möglich an Blaze weiterzuleiten. Der nervöse Mechaniker mit dem sonst so irren Blick hatte sie angelächelt und ihr sogar freundschaftlich die Schulter gedrückt.
»Das geht klar, Mäuschen«, hatte er gesagt und ihr aufmunternd zugenickt. »Kriegen wir hin.«
Unter der rauen Fassade schien er ein gutherziger Kerl zu sein – oder Bea hatte verzweifelter gewirkt als angenommen. Danach im Rathaus hatten die Leute sie genauso komisch angesehen, was allerdings daran liegen konnte, dass sie zum ersten Mal eine Jeans und T-Shirt trug.
Bea war am Tag nach ihrem Zusammenprall mit den Advocates shoppen gegangen, weil sie nicht weiterhin den Eindruck vermitteln wollte, eine Bundesagentin zu sein.
»Sieht gut aus«, meinte Maya. »Endlich kann man deinen Hintern erkennen.«
Bea versuchte sich an einem Lachen. »Vielen Dank auch.«
Maya warf ihr einen merkwürdigen Blick zu, wahrscheinlich wegen des falschen Lachens, ging aber weiter. »Ich bring dir Kaffee mit.«
Bea verzog sich in ihr winziges Arbeitsabteil, stellte ihre Handtasche auf dem Schreibtisch ab und setzte sich auf den Drehstuhl. Ihr war klar, sie musste arbeiten, aber es ging einfach nicht.
Im Geiste saß sie noch immer allein und nackt, eingewickelt in eine Patchwork-Decke, auf den zerwühlten Laken und starrte gegen ihre Zimmertür.
Das gesamte Wochenende lang hatte Charlies Geruch sie umgeben. Er hing in den Laken und schien das komplette Haus zu erfüllen, so intensiv, dass Bea ihn beinahe auf der Zunge schmecken konnte. Obwohl es ihr schier das Herz zerriss, brachte sie es nicht fertig, die Bettwäsche zu wechseln. Sie wollte etwas von ihm bei sich haben, denn nachdem er aus dem Raum gestürmt war, hatte sie die Erkenntnis gepackt – mächtig wie ein Wirbelsturm und unabänderlich wie die Vergangenheit: Sie liebte Charlie, hatte es immer getan und würde es immer tun. Egal, wie hartnäckig sie sich dagegen wehrte. Egal, wie weit sie weglief.
All die Männer, mit denen sie versucht hatte, eine Beziehung zu führen, hatten nie eine reelle Chance gehabt, denn ihr Herz war hiergeblieben, als sie fortgegangen war. Nach dieser Nacht konnte sie es nicht mehr leugnen. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, fühlte sie ihn deutlich – auf ihr, in ihr und tief in ihrer Seele. Sie wollte ihn so sehr, dass es weh tat.
Bea war kein naives Dummchen, das daran glaubte, Liebe könnte die Welt retten. Oder diesen Ort. Nach wie vor war Wolfville eine Brutstätte des Bösen. Außerdem war ihr vollkommen klar, dass nicht alle Menschen, die sich liebten, zusammen sein sollten. Genügend Leute waren schlecht füreinander. Aber musste sie es um der Liebe willen nicht wenigstens in Betracht ziehen, dass Charlie und sie zusammengehörten? So wie er gesagt hatte? Da ihr bei dem Gedanken warm ums Herz wurde, konnte er nicht ganz falsch sein.
Was sie abhielt, der Club, die Biker, kannte sie nicht wirklich. Sie war es Charlie zumindest schuldig, zuzuhören. Erst wenn sie nicht mehr nur die überdramatisierte Ansicht der Medien, sondern auch seine Meinung kannte, konnte sie sich ein Urteil erlauben. Oder nicht? Sie war jedenfalls fest entschlossen, alle Vorurteile beiseitezuschieben und sich unvoreingenommen auf seine Sichtweise einzulassen. Wenn er überhaupt noch bereit war, mit ihr zu reden …
Seit sie Don die Nachricht überlassen hatte, war ihr übel vor Nervosität. Was, wenn es ihm endgültig reichte?
Es gab nur eine Situation, in der sie ihn noch mieser behandelt hatte, und das war die Nacht gewesen, als sie Wolfville verlassen hatte.
Sie erinnerte sich an jede Sekunde, jedes Detail. Damals war sie am Rankgitter, das an der Hausfassade befestigt war, hinaufgeklettert, um in Charlies Zimmerfenster einzusteigen. Er hatte bereits tief und fest geschlafen. Bea war zu ihm ins Bett gekrabbelt, hatte ihn mit Küssen geweckt, und ohne ein Wort zu sprechen, hatten sie sich geküsst, ausgezogen und miteinander geschlafen. Danach, in seinen Armen liegend, hatte sie sich ganz gefühlt. Heil. Repariert. Nie zuvor war sie sich derart geliebt und behütet vorgekommen. Und wenn sie ehrlich war, auch nie mehr danach.
Zwei Stunden lang war sie frei von Sorgen gewesen. Zwei Stunden lang hatte sie sich erlaubt, glücklich zu sein. Dann stahl sie sich aus seinem Bett, schlich hinaus und verließ mit Jared die Stadt in Richtung LA.
Es war das Verachtenswerteste, was sie je getan hatte – bis vergangenen Freitag. Und es würde sie nicht wundern, wenn Charlie sie, nachdem sie ihn zum zweiten Mal derart aufs Kreuz gelegt hatte, nun zu innig verabscheute, um sie noch ansehen zu können. Die Vorstellung drückte sie regelrecht nieder.
Noch vor wenigen Tagen hatte sie so weit wie möglich von ihm weggewollt und versucht, ihn von sich zu stoßen. Jetzt machte sie der Gedanke, von ihm getrennt zu sein, fast wahnsinnig.
Seltsam, wie manchmal ohne Vorwarnung ein Gefühl aus einem herausbrechen konnte, das alles infrage stellte. Bea zweifelte mit einem Mal an sich. Sie hatte Charlie an den Kopf geworfen, er mache etwas aus ihr, das sie hasste. Aber machte sie das nicht selbst? War nicht sie Herr über sich und für ihr bescheuertes Verhalten verantwortlich? Sie musste doch nicht in alte Gewohnheiten verfallen, sich von der Wut leiten lassen. Sie war stärker als das! Heute war sie stärker! Und das würde sie ihnen beiden beweisen.
»Also, was ist los?« Maya stellte geräuschvoll einen Kaffeebecher neben ihr ab und musterte sie skeptisch.
Bea zuckte zusammen, ehe sie den Becher in beide Hände nahm und an dem Getränk nippte. Er war derart stark aufgebrüht, dass sie mit einem Schlag ins Hier und Jetzt befördert wurde. Dankbar blickte sie zu ihrer Freundin auf. »Danke für den Kaffee. Es ist alles okay, wieso?«
Maya hob die Brauen. »Du starrst seit zwanzig Minuten den schwarzen Bildschirm an.«
Seufzend lehnte sich Bea im Stuhl zurück. »Ich glaube, ich bin verwirrt.«
»Was du nicht sagst.«
»Es ist, als würde sich gerade meine gesamte Welt aus ihren Fugen heben und die Sterne sich neu ordnen … Das sollte erschreckend sein.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ist es aber nicht. Und ich verstehe einfach nicht, warum.«
»Ähm, ja, ich verstehe das ehrlich gesagt auch nicht.« Maya setzte sich auf den Schreibtisch, dann warf sie ihr einen langen Blick zu. »Hast du getrunken?«
»So was Ähnliches.« Sie massierte sich die Stirn. »Ich habe mit Charlie geschlafen.«
»Überrascht mich nicht.«
Bea blinzelte Maya fragend an, aber diese zuckte nur unbekümmert mit den Schultern. »Es überrascht dich nicht, dass ich mit einem Mann geschlafen habe, der letzte Woche noch für alles stand, was ich nie wollte, und ich mir jetzt überlegen muss, ob ich ihn nicht die ganze Zeit über falsch eingeschätzt habe?«
»Ja.« Maya grinste. »Ich habe ständig versucht, dir zu sagen, dass er nicht der Teufel ist, zu dem du ihn machst, aber du hast mich ja nie ausreden lassen. Außerdem seid ihr zwei wie diese Scheibenputzdinger fürs Aquarium.«
»Magnete?«, hakte Bea irritiert nach.
»Genau. Es war nur eine Frage der Zeit, denn schließlich kann sich ein Magnet nicht dagegen wehren, von seinem Gegenpol angezogen zu werden. Nicht einmal, wenn er durchs halbe Land reist und so tut, als sei er ein einfacher Sticker.«
»Muss ich das verstehen?«
»Als ob dein Welt-aus-den-Fugen-und-Sterne-ordnen-Bild besser gewesen wäre.« Maya rollte mit den Augen. »Ich will nur sagen: Keiner kann sich gegen das Schicksal wehren.«
»Ich glaube nicht an Schicksal. Was habt ihr nur alle damit? Ich werde nicht von einer unsichtbaren Macht gelenkt, ich habe mich immer noch selbst im Griff.«
»Wie wir immer wieder feststellen.« Maya kicherte, dann schaute sie ruckartig zur Seite, und ihre Augen weiteten sich.
Als Bea ihrem Blick folgte, entdeckte sie Charlie, der lässig an der Trennwand zu ihrem Arbeitsabteil stand.
»Ich persönlich stehe mehr auf die Momente, in denen du dich nicht im Griff hast«, meinte er.
Eine endlos lange Sekunde schaute er sie mit harter, undurchdringlicher Miene an, dann hob sich sein rechter Mundwinkel, und sein Blick wanderte ihren Körper entlang. Es war mehr als deutlich, woran er dabei dachte. Bea konnte die Hitze, die in seinen Augen glühte, förmlich auf ihrer Haut spüren. Und damit war sie anscheinend nicht die Einzige.
»Okay, das ist genug. Ich werde mich jetzt meinen Statistiken widmen.« Maya hob abwehrend eine Hand und marschierte aus Beas Abteil. »Bevor hier alles in Flammen aufgeht.«
Ihre Kollegin setzte sich vielleicht auf ihren eigenen Stuhl, aber sie kümmerte sich garantiert nicht um ihren eigenen Kram. Maya war zu neugierig, um nicht zu lauschen. Deshalb wartete Bea gar nicht erst, bis sie Tastaturgeklapper hörte. Sie erhob sich, straffte die Schultern und bedachte Charlie mit dem reumütigsten Blick, den sie zustande brachte.
»Ich habe keine plausible Erklärung für mein Verhalten.« Bea schluckte. Der bittere Ausdruck in seinem Gesicht, den er allem Anschein nach vor ihr verbergen wollte, ließ ihr Herz stolpern. »Was ich getan habe, war …«
»Kindisch?«, half er aus.
»Du bist ein Meister der Untertreibung.« Beschämt schaute sie zu ihm auf. »Glaub mir bitte, dass es mir leidtut.«
»Wie könnte ich dir nicht glauben? Immerhin habe ich es schriftlich.« Er zog einen verknitterten Zettel aus der Hosentasche, kam ein paar Schritte auf sie zu und wedelte mit ihrer Nachricht herum. »Wieso willst du auf einmal zuhören? Was hat sich geändert?«
»Nichts und alles. Das ist es ja.« Sie sah sich kurz in der Abteilung um, während sie wie aus einem alten Instinkt nach seiner Hand griff und ihre Finger miteinander verschränkte. Dann fuhr sie mit leiser Stimme fort: »Ich habe mich daran erinnert, dass du immer der Gute von uns beiden warst. Du hast recht, ich weiß nichts über den Club. Aber ich weiß, was für ein Mann du bist. Und ich weiß, dass ich heute eine stärkere Frau bin. Auch wenn sich diese bisher vor dir versteckt hat.«
Er runzelte die Stirn und schaute auf ihre verschränkten Finger. Er zweifelte zurecht an ihr – immerhin hatte sie noch vor drei Tagen eine völlig andere Sprache gesprochen.
»Ich kann die Augen nicht vor dem verschließen, was ich für dich empfinde. Dafür ist es zu gewaltig.« Sie versank beinahe im warmen silbergrauen Meer seiner Augen, als er sie ansah. »Ich würde dich gern verstehen, Charlie. Ich möchte begreifen, wieso du tust, was du tust, und ich will herausfinden, ob du recht hast mit dem, was du über uns sagst. Mir ist klar geworden, dass ich mich selbst in alte Gewohnheiten zurück katapultiere, ich mache diesen wütenden Menschen aus mir.« Unwillkürlich formte sich ein Lächeln auf ihren Lippen. »Und allmählich habe ich das Gefühl, ernsthaft den Verstand zu verlieren. Es gibt durchaus Verrückteres, was man tun kann, außer jemanden durch ein Fenster auszuspionieren. Und ich denke, ich steuere direkt darauf zu, wenn ich nicht endlich anfange, den herkömmlichen Weg zu gehen, mich wie ein vernünftiger Erwachsener zu verhalten und dich direkt nach dem zu fragen, was ich wissen will.«
Endlich hob Charlie einen Mundwinkel. »Vielleicht sollten wir es darauf ankommen lassen. Ich würde zu gerne sehen, wie du übers Dach ins Clubhaus einbrichst und dich von der Decke abseilst.«
Sie knuffte ihn gegen die Rippen und genoss sein echtes, raues Lachen, das sie so lange nicht gehört hatte. Wie von selbst hoben sich ihre Arme, und ihre Finger verschränkten sich in seinem Nacken. Sie streckte sich ihm entgegen, in dem Moment, in dem er eine Hand an ihre Hüfte legte, sie an sich zog und sie sachte auf die Lippen küsste. Es fühlte sich selbstverständlich an, vertraut wie eine alte Gewohnheit. Dennoch flatterte ihr Herz vor ungekannter Aufregung.
Nachdem sie sich voneinander lösten, hatte Bea das Gefühl, Charlie zum ersten Mal richtig anzusehen, seit sie wieder in der Stadt war. Da war nichts mehr von dem wütenden, gequälten Jungen an ihm; sein Blick war bestimmt, seine Haltung aufrecht. Er schien mit sich und der Welt im Reinen.
Wenn er derart glücklich war, auf die Art, wie er lebte, konnte es dann falsch sein?
»Beatrice … Ich habe vor Urzeiten eine Akte bei Ihnen angefordert. Haltet ihr Mädels wieder Kaffeeklatsch oder ist diese Trödelei …« Peters blieben die Worte sichtlich im Hals stecken, als er an der Schwelle zu Beas Abteil anlangte und den großen Kerl mit den kurzgeschorenen Haaren und der Lederkutte bemerkte. Er schnappte nach Luft, während er Charlie von oben bis unten musterte.
»Gibt es ein Problem?«, fragte dieser in der ruhigen Tonlage, die Bea insgeheim seinen Outlaw-Tonfall nannte.
Peters war sichtlich eingeschüchtert. Unschlüssig schaute er von Charlie über Bea zu Maya, die ihren Kopf einmal mehr über die Trennwand streckte und ihren Vorgesetzten frech angrinste. Schließlich traf sein babyblauer Blick erneut auf Charlies Betonaugen, und er räusperte sich unbehaglich.
»Es war … also es ist … nicht so dringend«, stotterte er, während er die Patches auf der Kutte anstarrte. »Wie ich sehe, sind Sie … beschäftigt, Miss Kramer. Ich komme nachher wieder.« Als Charlie eine Braue hob, überlegte er es sich offenbar anders. »Oder morgen.«
Am liebsten hätte Bea laut aufgelacht. Dieser schmierige Kerl war sonst ein derart arrogantes Großmaul, und auf einmal machte er sich fast in die Hose? Das war armselig.
Peters blieb wie vom Donner gerührt stehen und machte erst bei Charlies angedeutetem Schritt nach vorne eine zuckende Rückwärtsbewegung. Zur Sicherheit krallte Bea ihre Nägel in Charlies Unterarm.
»Sonst noch was?«, fragte er ihren Boss.
»Ähm, nein. Entschuldigen Sie mich. Ich habe noch zu tun.« Damit machte Peters auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
»Was für eine Witzfigur«, sagte Maya und klatschte lachend in die Hände.
Bea verschränkte die Arme vor der Brust und schaute die beiden tadelnd an, konnte das Zucken in ihren Mundwinkeln allerdings nicht unterdrücken. Zugegeben, es war lustig gewesen, diesen Wichtigtuer derart verunsichert zu sehen.
»Wer war denn die Pfeife?«, fragte Charlie mit leicht irritiertem Gesichtsausdruck.
»Der Sachgebietsleiter.«
Er blinzelte sie fragend an. »Und wieso erlaubst du diesem Würstchen, so mit dir zu reden?«
»Er ist vielleicht ein Arschloch, aber gleichzeitig mein Vorgesetzter. Ich habe keine andere Wahl. Er ist ziemlich dicke mit der Abteilungsleiterin, die mich nicht ausstehen kann, weshalb ich mich besser nicht benehmen sollte, wie …«
»Ich?« Charlie löste Beas verschränkte Arme, legte die Hände auf ihre Schultern und bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. »Von mir aus kann der Kerl der Präsident der Vereinigten Staaten sein, er hat dich trotzdem respektvoll zu behandeln. Das musst du ihm klar machen. Ich kann das aber gerne für dich übernehmen.«
»Nein, danke, ich brauche diesen Job.«
Er nickte, zuckte jedoch gleichzeitig mit einer Schulter. »Okay. Aber wenn er in meiner Gegenwart noch einmal so mit dir spricht, ist er fällig.«
Bea konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nur kurz erlaubte sie sich den Gedanken, dass sie deswegen wirklich gerührt sein durfte und wie sehr Peters es verdient hätte.
»Du fackelst wohl nie lange.«
»Ich passe nur auf diejenigen auf, die zu mir gehören«, raunte er mit einem Blick, der liebevoll, leicht anzüglich und eine Spur süffisant war, sprich: unwiderstehlich. Beas Herz zog sich zusammen. »Können wir dann los?«
»Was? Wohin?«
»Wir machen eine Ausfahrt. Zum einen hast du gewaltig was bei mir gut zu machen. Oder dachtest du etwa, du könntest diesen Hardcore-Tiefschlag mit drei Worten und einer engen Jeans ungeschehen machen?« Über sein Gesicht huschte ein finsterer Ausdruck, der Bea einen Stich ins Herz versetzte. Sie fragte sich unwillkürlich, wieso er ihr überhaupt verzieh. »Zum anderen wolltest du wissen, warum ich in einem Motorradclub bin. Also fahren wir Motorrad.«
Sie streckte die Arme aus und deutete durch ihr Abteil. »Ich bin gerade bei der Arbeit.«
»Ich sage der Sanchez, dir sei schlecht geworden oder sowas«, bot Maya an, die inzwischen die Arme auf die Trennwand gestützt und den Kopf darauf abgelegt hatte, als linste sie über die Absperrung eines Autokinos. Fehlte nur noch das Popcorn.
Charlie deutete auf ihre Kollegin. »Problem gelöst.«
»Okay«, sagte Bea gedehnt und griff nach ihrer Handtasche. »Und schon bringst du mich wieder dazu, blauzumachen, Hanson.«
»Stell dich nicht an, Kramer, du kannst morgen Überstunden schieben, wenn du dich dann wohler fühlst.« Lächelnd nickte er Maya zum Abschied zu. »Bis dann, Maya.«
»Viel Spaß«, erwiderte sie grinsend und winkte Bea zu, bevor sie hinter der Trennwand verschwand.
Charlie nahm Bea an der Hand, zog sie aus ihrem Abteil und führte sie den Flur entlang, vorbei an all den tristen Arbeitsschubladen und den mürrischen Gesichtern ihrer Kollegen.
»Sag mal, kennst du Maya?«, hakte sie leise nach.
»Klar. Sie kommt ab und zu in den Courtroom.« Er wackelte mit den Brauen. »Ich glaube, sie steht auf böse Jungs.«
»Das hatte ich vermutet.« Es erklärte nicht nur, wieso sie den Club vehement verteidigte, sondern auch, warum sie ihren Kollegen Daniel schlichtweg nicht als Mann wahrnahm. »Aber ich meinte von früher.«
»Als sie mit uns auf der High School war?«
»Weißt du das oder kannst du dich erinnern?«
Sie waren inzwischen im Foyer angekommen. Charlie hielt an, drehte sich zu ihr und schmunzelte. »Einmal, wir standen im Hof bei den Bänken neben der Wiese, da hat dieses Cheerleader-Prinzesschen, Laura Irgendwas, Maya als ›fettes Schwein‹ bezeichnet. Du hast sie dafür in eine Matschpfütze geschubst. Ihr schickes Cheerleaderdress war völlig versaut.«
Bea kicherte unwillkürlich. »Und ich dachte, ich sei in der Schule gemein zu Maya gewesen.«
»Das warst du bestimmt zwischendurch, aber bei Leuten wie ihr kam meistens deine Robin Hood-Ader durch.«
»Ich hatte eine Robin Hood-Ader?« Bea runzelte die Stirn. »Wieso weiß ich das nicht mehr?«
»Du hast dich bösartiger in Erinnerung, als du warst«, sagte er ernst. »Das liegt mitunter daran, dass sich bei dir meistens alles um dich und dein Drama dreht.«
Sie schnappte nach Luft, fand jedoch kein Gegenargument. Es war ungewohnt, jemanden um sich zu haben, der kein Blatt vor den Mund nahm, andererseits aber auch befreiend. Dass er ihr sagte, was er dachte, hatte sie immer an Charlie geschätzt. Es war der Grund gewesen, wieso sie ihm stets vorbehaltlos vertraut hatte.
»Das ist okay, wenn man siebzehn ist, wenn das Leben einen anschmiert und die Eltern Arschlöcher sind.« Er drückte ihren Arm und schaute ihr tief in die Augen. »Aber die Zeiten sind vorbei. Keiner kämpft mehr gegen dich, außer du selbst. Du musst damit aufhören, dich mit Händen und Füßen gegen alles zu wehren, was in deiner plüschigen Teenie-Traumwelt nicht das Prädikat ›perfekt‹ verliehen bekommen hätte. Dir müsste heute doch klar sein, dass ›perfekt‹ nicht existiert. Blas die Suche danach ab und leb dein verdammtes Leben, wie es kommt.«
Bea blinzelte ihn einen Moment lang überrascht an. Krallte sie sich derart hartnäckig an die schlechten Erinnerungen ihres Lebens, dass sie ihre gesamte Gegenwart bestimmten? Vielleicht war es tatsächlich Zeit, einmal genauer darüber nachzudenken.
»Wow«, sagte sie und grinste ihn frech an. »Bist du jetzt fertig mit der Ansprache? Können wir endlich los oder soll ich dir ein Rednerpult besorgen?«
»Werd nicht gleich übermütig, Kramer.« Er legte einen Arm um ihre Schultern und gemeinsam gingen sie aus dem Rathaus hinaus zum Parkplatz. Er hatte dieses Mal zwei Helme dabei. Einen davon reichte er Bea, dann setzte er sich auf die Harley.
»Fahren wir zum Lake Tahoe?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Wieso willst du immer so weit wie möglich weg von hier?« Charlie schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Die Ecke ist Bribon-Gebiet.«
Bea hob eine Braue. »Ernsthaft?«
»Steig auf. Wir machen eine viel schönere Tour.«
Sie setzte den Helm auf, schwang sich hinter ihm auf das Bike und schlang die Arme um seinen Bauch. »Als ob es hier in der Gegend irgendwas Schönes gäbe … Also sag, wohin fahren wir?«
»Das Wohin ist zweitrangig. Wir fahren, um zu fahren. Es geht nicht um das Ziel, sondern um die Straße, die Kurven und die Aussicht.« Er zwinkerte ihr über die Schulter hinweg zu. »Das Credo, das uns böse Rocker zusammenbringt, ist: ›Lebe, um zu fahren, und fahre, um zu leben‹. Es ist schwer, dieses Gefühl einem Nicht-Motorradfahrer zu erklären. Du musst es selbst spüren.«
Bea lächelte automatisch. Die Leidenschaft, mit der er davon sprach, ließ ihre Finger freudig kribbeln. »Dann los, fahren wir.«
Charlie setzte Helm und Sonnenbrille auf, dann startete er sein Bike. Der Motor röhrte auf, und die Maschine knatterte gemächlich, bis ihr Fahrer am Gashahn drehte und die Harley mit einem tiefen Brummen vom Parkplatz auf die Straße schoss.
Es war ein angenehmes Geräusch, das tief in Bea nachhallte. Ihr wurde mit einem Mal deutlich bewusst, welche enorme Kraft unter ihrem Hintern vibrierte, aber Charlie hatte sein Bike absolut unter Kontrolle; das konnte sie an seiner Haltung erkennen, am Spiel seiner Rückenmuskulatur erspüren. Mit jeder Kurve wurde Bea lockerer, entspannte sich zunehmend und bewegte sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase mit der Harley statt gegen sie.
Das Fahrgefühl war unbeschreiblich, da musste sie ihm recht geben. Es war wie fliegen. Fliegen auf einem Drachen. Allerdings konnte sie der Aussicht nicht viel abgewinnen. Ewig dieselbe Landschaft, braungelbe Wüste, dürre Kakteen und verstaubte Dörfer – bis sich nach einiger Zeit das Valley of Fire vor ihnen erhob.
Bea hatte den State Park ganz vergessen. Charlie fuhr die Touristenroute mit ihr entlang, und Bea musste zugeben, dass die rotweißen Sandsteinformationen, die in der Sonne wie Feuer leuchteten, wunderschön aussahen. Zum ersten Mal, seit sie wieder hier war, konnte sie die Schönheit ihrer Heimat erkennen.
Die unebene Landschaft, roh und unverfälscht, war nicht nur wildromantisch, sondern vor allem echt. Ganz im Gegensatz zu New York, wo alles immer ein wenig künstlich und übertrieben wirkte, wo man jederzeit mit dem Strom schwimmen und in seiner Geschäftigkeit untergehen konnte. Hier zwischen den Felsen konnte man sich nicht verstecken.
Charlie hätte keine bessere Route wählen können. Die Gegend war so ehrlich und wild wie er selbst und brachte Bea unweigerlich dazu, sich zu fragen, ob er sie richtig einschätzte: War sie nur eine egoistische, künstliche Möchtegern-New Yorkerin, die einem Traum hinterherjagte, der nicht der richtige für sie war? Gehörte sie in Wahrheit hierher? Zu ihm? Oder sollte sie lieber auf das flaue Gefühl in ihrer Magengrube hören?
Nachdem sie das Valley of Fire verlassen und im nachmittäglich recht farblosen Las Vegas einen Essensstopp eingelegt hatten, fuhren sie am Lake Mead vorbei zum Lake Mohave, dem Stausee, wo der Davis Dam den Colorado River staute und die Staaten Nevada und Arizona trennte.
Charlie fuhr so nah wie möglich an den riesigen, glasklaren See heran, der von gewaltigen Felsen umschlossen wurde. Er parkte das Motorrad in einer Nische zwischen zwei Steinblöcken, dann zog er eine Decke und zwei Wasserflaschen aus den Satteltaschen der Harley und führte Bea zu Fuß zu einer kleinen Bucht, die an einem einsamen Zipfel des Sees lag. Bea zog die Schuhe aus, als sie sich auf die Decke niederließ. Der feine Kies fühlte sich beinahe an wie Sand unter ihren nackten Füßen. In der Ferne trieb ein kleines Boot auf dem glitzernden Wasser, aber ansonsten waren sie in dieser Ecke vollkommen allein.
Die Stelle war herrlich. Sie lag im Schatten eines Felsen, was angenehm war, obwohl die Sonne an diesem Tag nicht ganz so erbarmungslos vom Himmel knallte. Es wehte sogar eine leichte Brise.
Beas Beine fühlten sich merkwürdig an nach der langen Zeit auf dem vibrierenden Motorrad, außerdem tat ihr der Rücken vom verkrampften Sitzen weh. Das musste sie wohl noch üben. Dennoch freute sie sich bereits jetzt auf die Rückfahrt. Wer hätte gedacht, dass Motorradfahren so großen Spaß machte?
»Weißt du jetzt, was ich meine?« Charlies raue Stimme strich einmal mehr über ihre Haut.
Bea musste ihn nur ansehen, damit er verstand. Grinsend nickte er, legte sich neben ihr auf den Rücken, stützte sich auf den Unterarmen ab und beobachtete ebenfalls das Spiel der Sonnenstrahlen auf dem Wasser.
Das, was er nicht hatte beschreiben können, war unbeschreiblich. Die Geschwindigkeit und den Wind zu spüren, während die Welt verschwommen an einem vorbeiraste, als wäre sie völlig unbedeutend, das war eine Form von Freiheit, die sie noch nie erlebt hatte.
»Das ist der Punkt, den die Leute immer vergessen«, sagte Charlie. »Sie nennen uns Outlaws, Rocker, Gangster, aber wer denkt schon daran, dass wir eine Vereinigung von Leuten sind, die gern Motorrad fahren? Das ist der Grund, der uns zusammenführt. Wir machen Ausfahrten, gehen auf Motorradshows, treffen uns mit anderen Bikern, tauschen uns mit Gleichgesinnten aus und schrauben gemeinsam an unseren Bikes – wir sind keine schnöde Gang, die durch ihr Viertel zieht und einen auf dicke Hose macht. Ein MC ist ein Club, eine Bruderschaft. Wir geben Menschen einen Platz zum Fahren.«
Bea lehnte sich ebenfalls auf die Unterarme zurück und nickte nachdenklich. »Ich glaube dir sofort, dass ihr alle gern Motorrad fahrt. Trotzdem tretet ihr in der Öffentlichkeit als harte Kerle auf, nennt euch Onepercenter, weigert euch, mit der Polizei zu reden und lebt eure eigenen Gesetze.« Sie musterte ihn prüfend von der Seite. »Willst du mir ernsthaft weismachen, ihr seid nur harmlose, herzensgute Jungs, die gern Motorrad fahren?«
»Harmlos nicht immer, aber herzensgut auf jeden Fall.« Schmunzelnd zwinkerte er ihr zu. »Wir sind vielleicht keine Vorzeigenachbarn, aber wir haben viele Freunde in der Stadt. Du musst dich nur umhören.«
»Oder die Bewohner haben zu große Angst, um etwas gegen euch zu sagen. Der Typ, den du vor dem Courtroom verprügelt hast, der hatte jedenfalls Todesangst. Und Peters hätte heute beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als er dich gesehen hat.«
»Perverslinge und Pfeifen …« Er rollte übertrieben mit den Augen. »Normale Leute haben keine Angst vor uns, weil sie das nicht müssen. Aber sie bringen uns Respekt entgegen.« Er stupste sie mit der Schulter an und bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. »Etwas, das du ebenso verdient hast. Niemand wird je wieder so mit dir reden wie dieses Arschloch heute morgen, dafür sorge ich.«
»Du kannst nicht jeden verprügeln, der mich schief ansieht.«
»Ich könnte schon.« Er grinste. »Das habe ich aber nicht gesagt. Mach die Augen auf, dann siehst du, dass der Club in dieser Gegend etwas wert ist. Niemand legt sich mit uns und den unseren an, weil die Leute erkennen und respektieren, was wir für sie tun.«
Bea setzte sich auf, zog die Beine an die Brust und legte grübelnd das Kinn auf die Knie. Nach einer Weile drehte sie sich ihm zu und musterte sein ernstes Gesicht. »Okay, ich komme nicht drauf. Was tut ihr denn für die Stadt?«
»Wir beschützen sie. Wir sind der Grund, weshalb es in Wolfville keine Gangs gibt, auf den Straßen nicht gedealt wird und sich nicht irgendwelche Banden in der Öffentlichkeit über den Haufen schießen.«
»Weil ihr die einzige Bande seid, die ihr hier akzeptiert. Ihr seid im Grunde so etwas wie ein Übel, das andere Übel fernhält.«
»Die meisten von uns kommen aus der Gegend. Ich würde uns demnach eher als engagierte Mitbürger bezeichnen, die auf ihre Stadt aufpassen. Wir sind der Grund, warum sich keine Gangs oder sonstiges Gesindel hier breitmacht. Okay, ja, wir haben uns unser Gebiet erkämpft, das will ich nicht leugnen, aber wenn die anderen die Füße stillhalten, sind wir gleichfalls friedlich. Wir wollen das Beste für unsere Stadt und unsere Familien. Wir unterstützen soziale Organisationen aus der Gegend und lokale Händler …«
»Ihr seid wahre Engel.« Bea schüttelte den Kopf, konnte sich ein Kichern aber nicht verkneifen. Es klang ein wenig, als befände sich Wolfville im Privatbesitz der Advocates. »Aber wie erhaltet ihr euch diesen Respekt und eine Machtstellung, die euch im Grunde nicht zusteht? Die Polizei wird nicht begeistert sein, dass ihr die Stadt eingenommen habt wie ein Königreich.«
»Manchmal ist es nötig, hart durchzugreifen, aber das alles dient einem höheren Ziel. Der Polizei sind viel zu oft die Hände gebunden. Sie sind froh, wenn wir uns um manche Dinge kümmern.«
Bea hob tadelnd die Brauen. »Die Polizei sieht doch nur weg, weil ihr sie mit Geld und Frauen bestecht.«
»Die Polizei arbeitet mit uns zusammen, weil sie weiß, dass manches besser im Untergrund geregelt wird«, beharrte er. »Chief Russo ist ein anständiger Kerl, ein guter Polizist, er nimmt weder Geld von uns noch kehrt er in unsere Bordelle ein. Er will auch nur das Beste für seine Heimatstadt und weiß, dass wir das sind.«
Bea kaute auf ihrer Unterlippe und musterte ihn abschätzend. Aus seiner Miene sprach pure Ernsthaftigkeit und feste Entschlossenheit; beides Anzeichen, wie bedeutsam das alles für ihn war. Er wollte nicht als ehrloser Outlaw gesehen werden, das erkannte Bea in diesem Moment. Die Jungs hielten sich für Könige oder dunkle Engel, das mochte sein, aber es ging ihnen nicht nur um Macht, sondern ebenso um die Stadt, ihre Freunde und ihre Familien.
Zweifellos waren ihre Methoden fragwürdig, aber dafür wohl wirksam. Wenn Bea genau darüber nachdachte, gab es in diesem verschlafenen Städtchen nichts Bedrohliches. Die Verbrechensrate schien gering zu sein. Und dafür war der MC verantwortlich?
»Eine Medaille hat immer zwei Seiten, Bea«, sagte Charlie leise und schaute aufs glitzernde Wasser hinaus. »Manchmal muss man sich fragen, was man bereit ist zu riskieren. Man muss sich entscheiden: Handelt man, damit sich etwas ändert, oder läuft man blind in seinem Hamsterrad wie all die anderen Idioten?«
Irgendetwas in Bea zweifelte. Du kennst ihn! Er hat früher schon alles runtergespielt, weil er nicht wollte, dass du dich sorgst.
Eine andere, ruhigere Stimme wollte ihm glauben. Halt endlich die Klappe. Du wolltest ihm zuhören, dann musst du auch akzeptieren, was er sagt. Du konntest ihm immer vertrauen.
Und wer weiß, ob sie Charlies Rolle in ihrem Leben bisher nicht falsch interpretiert hatte. Schließlich war es stets er, der für sie da gewesen war, sie getröstet und sie am Durchdrehen gehindert hatte. Vielleicht bedeutete dieser Mann keinen Ärger, sondern schützte sie davor, wie sie es andersherum auch immer für ihn getan hatte.
»Ich bin froh, dass wir uns ehrlich unterhalten.« Bea legte eine Hand auf seine und schaute ihm zärtlich in die Augen.
»Ich habe keinen Grund, unehrlich zu sein«, meinte er.
»Erzählst du mir dann jetzt, was dich in letzter Zeit beschäftigt? Ich kann dir ansehen, dass es ein Problem gibt.« Sie dachte an den Tag, an dem sie mit dem Pick-up liegengeblieben war und er völlig gedankenverloren aus Vegas zurückkam. Bei der Erinnerung fuhr ein kalter Schauder über ihren Rücken. »Bist du in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Das sind Clubangelegenheiten.« Er setzte sich ebenfalls auf, legte eine Hand an ihre Wange und küsste sie sanft auf die Lippen. »Darum musst du dich nicht sorgen.«
»Lenk nicht ab, Hanson. Du hast gesagt, ich soll fragen, damit ich mir nicht etwas viel Schockierenderes zusammenfantasiere. Dann musst du auch antworten. Das ist der Deal.«
Er schaute auf den See hinaus und schien seine Worte genauestens abzuwägen. »Zwei ehemalige Member haben uns bei Geschäftspartnern angeschwärzt, weil sie ihr eigenes Ding mit ihnen durchziehen wollten. Wir haben rausgefunden, dass sie uns verraten haben, und sie sind daraufhin abgehauen. Wir wären bereit gewesen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, wenn wir ihre Ärsche hier nie wieder gesehen hätten. Aber diese beiden Idioten glauben, sie hätten tatsächlich irgendein Recht darauf, sauer auf uns zu sein. Es ist ein Machtspielchen, das sie da gerade aufziehen. Offenbar unterschätzen sie uns.«
»Du meinst, sie wollen euch schaden?«, hakte Bea alarmiert nach.
»Wir wissen nicht, was sie vorhaben. Das ist es, was alle nervös macht.« Er blinzelte, als würde er aus einem Traum erwachen, dann lächelte er, legte einen Arm um sie und küsste sie auf die Schläfe. »Keine Sorge, wir haben alles im Griff. Das sind nur zwei dämliche Ratten, die keinen Club mehr im Rücken haben. Was können die schon anrichten?« Sie beäugte ihn skeptisch, und er drückte sie an sich. »War’s das jetzt, Frau Inquisitorin? Darf ich zur Abwechslung eine Frage stellen?«
»Wenn es sein muss«, antwortete sie gespielt entnervt. »Was willst du wissen?«
»Ist das hier nur eine längere Version von Freitag? Verpasst du mir morgen einen weiteren Arschtritt?« Er sah sie nicht an, als er das sagte, aber Bea konnte spüren, wie sich die Muskeln in seinem gesamten Körper anspannten. »Oder gibst du uns eine echte Chance?«
Beas Herz begann warnend gegen ihre Rippen zu hämmern. Sie wusste nicht mehr, was richtig war. Sie wollte mit ihm zusammen sein, so verzweifelt, dass sie am liebsten wie ein Kleinkind mit den Füßen aufstampfen würde, weil ein Teil von ihr etwas anderes überhaupt in Betracht zog. Bei Charlie fühlte sie sich wie ein lebendiger Mensch, er war wie ein Stück von ihr, das in den letzten Jahren gefehlt hatte, und ihr Kopf passte einfach perfekt in diese kleine Kuhle an seiner Schulter. Aber sie konnte nicht alles, was sie für sich und ihr Leben geplant hatte, ohne Weiteres wegwerfen, nur um in diesem Scheißkaff zu versauern. An der Seite eines Outlaws …
»Bea?« Sie spürte seine Stimme auf ihrer Haut. »Bleibst du?«
»Es ist momentan … viel zu viel auf einmal. Ich muss das alles erst verarbeiten und mir über einige Dinge klarwerden.« Sie warf ihm einen flehenden Blick zu. »Lass mir bitte Zeit.«
Er nickte langsam, dann schaute er sie wieder mit diesem ganz besonderen Blick an, diesem liebevollen, leicht anzüglichen und einen Hauch süffisanten Ausdruck in den Augen. »Ich mache dir einen Vorschlag: Du bist hier sowieso gestrandet, du verlierst nichts, wenn du solange bei mir bleibst. Schau dir an, wie es sein könnte, mach dir dein Bild, und wenn du dann immer noch gehen willst …«
Würdest du mich dann wirklich noch einmal gehen lassen, hätte Bea beinahe gefragt. Aber wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich vor der Antwort. Und vor einem Ja noch mehr als vor einem Nein.
»Weißt du, es ist so: Dass ich Motorrad fahre, heißt nicht, dass ich kein Haus mit Garten, Kinder oder einen Beagle haben darf. Es heißt nur, dass in der Auffahrt neben dem Minivan eine Harley parkt. Glaub nicht, du müsstest irgendetwas aufgeben, wenn du es dir wirklich wünschst.«
»Echt? Das darfst du?« Bea versuchte, das Grinsen zu unterdrücken. »Ist das kein Verstoß gegen die strengen Clubregeln harter Biker?«
Er zuckte betont unbekümmert mit den Schultern. »Normalerweise wohnen wir in halbzerfallenen Baracken und pinkeln in anderer Leute Vorgärten, aber dann bin ich eben zur Abwechslung ein Rebell.«
Bea konnte das Lachen nicht mehr unterdrücken. Es war befreiend und verwunderlich zugleich, dass er darin einstimmte.
»Wieso bist du eigentlich nicht stinksauer auf mich?«, wollte sie wissen. »Ich meine nicht nur wegen der Scheiße, die ich abgezogen habe, seit ich wieder hier bin. Auch wegen damals.«
»Weil ich dich verstehe.« Bea blinzelte ihn verwundert an. »Du hast dir die Leute hier angeschaut und wolltest nicht so werden wie sie. Und Du musstest gehen, weil du Angst hattest, genauso zu enden. Aber das wärst du nicht.«
»Wie kannst du so sicher sein?«
Er lächelte. »Du warst nie wie sie. Du warst immer stärker, taffer und hast dich für das eingesetzt, an das du glaubst. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, dass du dich heute selbst kleinhältst und dich von einem Würstchen mit Föhnfrisur herumkommandieren lässt. Aber ich hoffe, dir fällt bald wieder ein, dass du das nicht nötig hast.«
Bea schüttelte seufzend den Kopf. »Bei dir klingt es, als wäre ich ein guter Mensch gewesen. Dabei war ich ein jähzorniges, unfaires Biest.«
»Du warst der beste Mensch, der du unter diesen Umständen sein konntest. Du warst wütend, weil du gezwungen warst zu kämpfen, und du hast unlautere Mittel benutzt, weil du dich nicht anders zu wehren wusstest. Heute sitzt du aber nicht mehr in diesem Käfig. Uns steht vollkommen frei, die zu sein, die wir sind. Und lass dir verdammt nochmal niemals von irgendjemandem einreden, du seist nicht okay, wie du wirklich bist.«
Bea spürte erneut diese Wärme in ihrer Brust, aber gleichzeitig einen Stich im Herzen. »Wenn du damit richtig liegst, habe ich die letzten Jahre, in denen ich versucht habe, ein besserer Mensch zu werden, völlig verschwendet.«
»Manchmal muss man sich von sich selbst entfernen, um zu erkennen, wer man ist.« Er spielte mit einer ihrer Haarsträhnen und wickelte sie sich um den Finger. »Ich habe verstanden, dass du gehen musst, deshalb habe ich dich gelassen. Obwohl ich wusste, wo du hingehörst.«
»Ich war so wütend auf dich«, gab Bea zu. »Insgeheim hatte ich damals gehofft, du gehst mit mir, aber du hast mir klar gemacht, dass du bleibst. Diese Wut habe ich lange Jahre mit mir rumgetragen. Bis sie im Moment unseres Wiedersehens förmlich aus mir herausgeplatzt ist.«
»Ist mir nicht entgangen.« Er lachte leise. »Was meinst du, warum ich so schnell davongefahren bin? Du hast mich angesehen, als wolltest du mir den Kopf abschlagen.«
Sie knuffte ihn in die Rippen. »Blödsinn.«
»Ehrlich – ich hatte Angst um mein Leben.«
»Du bist ein solcher Schwätzer …«
Er packte sie an der Taille, ignorierte ihr erschrockenes Quietschen, zog sie mit einem Ruck zu sich her und rollte sich auf sie.
»Genug geredet«, raunte er und küsste ihren Hals. »Wie war das mit dem Wiedergutmachen?«
Bea sog seinen inzwischen so vertrauten herben Duft in ihre Lungen, fuhr mit den Händen über die Haut an seinen Armen und streckte sich ihm entgegen, da erinnerte sie sich an eine weitere Sache.
Sie drückte ihn an den Schultern von sich, zog sich unter seinem schweren Körper hervor und setzte sich im Schneidersitz neben ihn. »Eines müssen wir noch klären«, sagte sie streng.
Er blinzelte sie ungläubig an, während er sich aufsetzte. »Du bringst mich noch um …«
»Was ist mit deiner Freundin?«
»Welche Freundin?«
»Hast du mehrere?«
Er legte den Kopf schief und musterte sie, als überlegte er, ob sie ihm gerade eine Falle stellte. »Ich habe keine old Lady, wenn du das meinst.«
Was zur Hölle war denn eine old Lady? Bea runzelte die Stirn. »Keine Ahnung, ob ich das meine. Ich rede von Emma.«
Erkenntnis machte sich auf seiner Miene breit, und er lachte auf. »Emma und ich sind nicht zusammen. Sie ist eine Freundin des Clubs. Sie hilft aus, wo sie gebraucht wird.«
»Aha … und manchmal auch in den Betten?«
»Ja, manchmal auch dort.«
Für das breite Grinsen hätte sie ihn am liebsten in den See geschubst. Er konnte sie immer noch wütend machen. »Du verarschst mich doch?«
Charlie hob die Hände und machte ein unschuldiges Gesicht. »Nein, du kannst sie fragen, sie ist eben ein … hilfsbereiter Mensch. Versteh das nicht falsch, sie ist keins unserer Mädchen, sie hat nur Spaß.«
Bea hob die Brauen. »Eurer Mädchen?«
»Süß.« Er kniff ihr liebevoll in die Wange. »Du bist immer noch das prüde Kleinstadtmädchen, was?«
»Ich bin nicht prüde!«
»Wieso zur Hölle hocken wir dann immer noch hier rum?« Er sprang auf und schälte sich aus seiner Kutte. »Runter mit den Klamotten.«
Sie konnte ihn nur anstarren, als er sich nach und nach seiner Kleidung entledigte. Von dem dünnen Jungen von damals war nichts mehr zu erkennen; Charlie hatte definitiv in den letzten Jahren einige Zeit mit Gewichtstemmen verbracht. Wobei er weniger wie ein aufgepumpter Bodybuilder aussah, sondern sehr viel definierter, fast wie ein Schwimmer.
Bea ließ den Blick über die ausgeprägten Muskeln an seinen Schultern, seiner Brust und seinem Bauch wandern. Die samtige Haut, die sich darüber spannte, war mit kunstvollen Tätowierungen versehen: Der altvertraute Dämon prangte auf seiner Brust, und unterschiedlich dicke Kreise zogen sich über seinen rechten Rippenbogen. Bea folgte der schmalen Spur goldener Härchen, die unter dem Bund seiner Boxershorts verschwand, bis er sich das Stück Stoff hinunterzog.
Als Beas Blick zu seinem Gesicht hochschnellte, lachte Charlie kehlig. „Nicht prüde?“ Er zwinkerte ihr zu, dann ging er zum See, wodurch sie für einen kurzen Moment seine knackige Kehrseite bewundern konnte. Dieser Mann war fast unverschämt perfekt.
Ohne zu zögern, rannte er in den See und warf sich nach ein paar Schritten mit einem freudigen Schrei ins Wasser. »Komm rein«, rief er ihr zu.
»Das ist Erregung öffentlichen Ärgernisses«, sagte sie, konnte sich ein Lachen aber nicht verkneifen.
»Vergiss den Jura-Kurs und deinen Ex-Anwalt, Kramer. Zieh dich aus, gottverdammt, und komm endlich zu mir.«
Er versprühte so viel Leben und Freiheit, wie Bea es noch nie erlebt hatte. Früher war sie die Impulsivere gewesen, diejenige, die ihn ab und zu an den Spaß erinnert hatte. Heute war es umgekehrt. Heute war er so viele freier als sie, und sie wollte auch so lebendig sein, sich frei fühlen.
Grinsend erhob sie sich, zog sich aus und rannte mutig in den See. Nach dem ersten Schock fühlte sich das kühle Wasser herrlich auf ihrer erhitzten Haut an, aber lange nicht so gut wie Charlies kräftige Hände auf ihrem Körper. Er zog sie an sich und drängte sie gegen einen Felsvorsprung.
Sanft strich Bea über seine Brust, seine Schultern, erkundete alles, was sie beim letzten Mal in der Eile vernachlässigt hatte. Als Charlie sie an den Hüften packte, schlang sie die Beine um seine Taille, und während sie sich tief küssten, drang er in sie ein. Er traf genau den richtigen Punkt in ihr. Stöhnend lehnte sie den Kopf an den Stein hinter sich.
Er vergrub das Gesicht in ihrer Halsbeuge, zog ihre Haut zwischen seine Zähne und bewegte sich währenddessen bedächtig. Dieses Mal ließ er sich Zeit. Es war die reinste Folter, eine, die ihr gesamtes Inneres zum Glühen brachte.
Bea klammerte sich an seinen Schultern fest, um nicht unterzugehen in dem süßen Schwindel, den er ihr bereitete. In diesem Moment war sie absolut sicher, bei ihm sein zu müssen. Es musste richtig sein. Denn loslassen konnte sie ihn nicht mehr.