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Chapter Eight – A Heart’s Dark Crossroads

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»Und dann hat Pat von der Show auf dem letzten großen Treffen erzählt. Wie er über die Tänzerin geredet hat – mir tat alles weh vor lachen«, plapperte Maya.

Bea wusste allmählich nicht mehr, ob sie entnervt mit den Augen rollen oder schmunzeln sollte, weil ihre Freundin nicht aufhören konnte, über die Jungs zu sprechen. Immerhin wusste sie selbst, dass es Dons liebstes Hobby war zu schimpfen, dass Bennie hervorragend kochen konnte und dass der nervöse Smitty laut seiner Mutter ein mustergültiger Sohn war. Etwas, das ihre eigene Mutter wohl niemals über sie sagen würde – im Gegenteil.

Zurzeit bekamen sie sich oft in die Haare, weil Rosemary es nicht leiden konnte, wenn Bea an ihrem Arbeitsplatz herumhing. Aber es war ihr gleichgültig, was ihre Mutter davon hielt. Nie hatte sie sich ernsthaft für ihre Tochter interessiert, demnach besaß sie das geringste Recht, ihr Vorschriften zu machen. Das war nur ein Grund mehr, weshalb Bea ihr Elternhaus immer mehr mied.

So redete sie es sich zumindest ein. In Wahrheit ertrug sie die bittere Enttäuschung in den Augen ihrer Mutter schlichtweg nicht. Sie begriff einfach nicht, weshalb sich Rosemary so sehr dagegen sträubte, ihre Tochter hierzuhaben. Bea wusste, dass sie einen Schritt auf sie zu machen und die Verhältnisse zwischen ihnen dringend klären musste. So konnte es nicht weitergehen. Aber sie scheute diese Konfrontation und wich ihr durch Streits aus, so feige es auch war.

Weitaus lieber verbrachte sie die Abende im Courtroom oder im Clubhaus, wo sie akzeptiert wurde, und lernte die Leute dort besser kennen. Die Jungs waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten, und jeder von ihnen hatte seine speziellen Macken, aber gerade das machte sie liebenswert. Was sie aber alle verband, war die Leidenschaft für Motorräder und E-Gitarren, genauso wie eine tiefe Loyalität für ihre Brüder, deren Frauen und Familien.

Es fühlte sich fast ein bisschen an, als hätte Bea auf einen Schlag ein gutes Dutzend älterer Brüder bekommen.

Neben ihren früheren Freunden Charlie und Chris hatte sie besonders Pat ins Herz geschlossen. Er war so erfrischend direkt und lustig, trug stets ein Schmunzeln auf den Lippen und hatte ein offenes Ohr für alle. Bea und Charlie bezeichnete er neuerdings als die ›B-Connection‹ und seufzte immer theatralisch, wenn er sie zusammen sah. Bea kicherte unwillkürlich, als sie sich an den gestrigen Abend erinnerte.

»Mein Herz wäre schon einmal gewärmt – wer kümmert sich um den Rest?«, hatte er gescherzt. Und natürlich scharten sich einige Frauen daraufhin um ihn. Mit seinem Charme wickelte der Ire jede um den Finger. Auch Maya.

Sie hatte in den letzten Tagen geradezu an Bea geklebt und sich im Courtroom königlich amüsiert. Kein Wunder; endlich bekam sie die Gelegenheit die harten Biker kennenzulernen, die sie sonst nur aus der Ferne bewundert hatte – ganz zum Leidwesen Daniels. Er war zwar jedes Mal mitgekommen, fühlte sich als dürrer Büroangestellter zwischen den muskelbepackten Rockern aber offenbar nicht ganz so wohl.

»Meinst du, er würde mich mal für eine Runde auf dem Bike mitnehmen?« Maya stützte die Ellbogen auf Beas Tisch und legte den Kopf auf den Händen ab. Inzwischen brachte sie ihren eigenen Schreibtischstuhl mit, wenn sie zum alltäglichen Kaffeeklatsch in Beas Arbeitsabteil kam. Bisher hatte sich jedoch keiner darüber beschwert.

»Oh, Maya, du solltest dir Pat aus dem Kopf schlagen. Er ist nicht für etwas Festes gemacht.«

Sie zuckte mit den Schultern und grinste. »Vielleicht bin ich das auch nicht.«

»Doch, bist du.« So gut kannte sie ihre Freundin allmählich. »So viele dieser armen Mädels denken, sie könnten die Eine für ihn sein und er würde sich ihretwegen ändern, er müsste sie nur erst richtig kennenlernen, bla bla … Tut er aber nicht. Deswegen bekommt er ständig Ohrfeigen. Er weicht schon automatisch zurück, sobald eine Frau die Hand hebt.«

Maya kicherte. »Wahrscheinlich hast du recht.«

»Und wie ich das habe.« Bea rüttelte an ihrem Arm und bedachte sie mit einem herausfordernden Blick. »Geh doch stattdessen einfach mal mit Daniel Essen.«

»Mit Daniel esse ich jeden Tag.«

Bea legte den Kopf schief und hob die Brauen.

»Was ist?«, fragte Maya.

»Ich wollte mich echt nicht einmischen, aber ich kann bei diesem griechischen Drama nicht mehr zu sehen: Merkst du denn wirklich nicht, dass Daniel dich mag? Mehr als nur eine Freundin

Maya schaute sie an, als hätte sie ihr eben etwas an den Kopf geworfen. Es war förmlich zu hören, wie es in ihrem Kopf arbeitete.

»Er hat sich gestern sogar darüber informiert, was er tun müsste, um Prospect zu werden.«

Zumindest hatte er sich informieren wollen. Da er damit aber ausgerechnet an Scar geraten war, hatte er nicht viel Erfolg gehabt. Es war unheimlich, wie dieser Kerl es schaffte, nicht nur jeder einzelnen Frage auszuweichen, sondern gleichzeitig die gesamte Lebensgeschichte aus seinem Gesprächspartner herauszuquetschen. Er war ein Phänomen. Bei ihm merkte man schlichtweg nicht, wie man ins Plaudern geriet. Scar würde einen richtig guten Polizisten abgeben, garantiert, denn ein Verhör mit ihm hielt keiner stand.

»Ich wette, dass Daniel nur darüber nachdenkt, weil er dir damit gefallen könnte.«

»Daniel mag mich?«, hakte sie nach und zog verwirrt die Brauen zusammen. »Meinst du wirklich?«

Bea lachte. »Du bist so unfassbar blind, wenn es um dich selbst geht!«

Ihr Handy vibrierte im Schreibtisch. Sie scheuchte die schwer grübelnde Maya zur Seite und nahm das Telefon aus der Schublade. Als sie Charlies Nummer auf dem Display sah, drückte sie unverzüglich den grünen Knopf.

»Hallo du.«

»Hi, tut mir leid, dass ich bei der Arbeit störe.« Seine Stimme klang gedämpft und ungewöhnlich leise. »Ich bin gerade im Krankenhaus und …«

»Du bist wo?« Bea sprang automatisch vom Stuhl auf. »Was ist passiert?«

»Nichts sonderlich Tragisches. Pat ist vom Bike gefallen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht in meiner Wohnung, sondern im Clubhaus bin, wenn du Feierabend machst. Der Courtroom bleibt heute Abend geschlossen. Vielleicht kannst du das deiner Mom ausrichten; sie steht im Dienstplan.«

Bea runzelte die Stirn und schaute automatisch zu Maya hinüber, aber ihre Kollegin schaute sie nur fragend an. »Du schließt die Bar, weil Pat vom Bike gefallen ist? Was ist bei euch los?«

»Er ist nicht von allein gefallen«, gab Charlie zögerlich zu. »Ich muss jetzt zurück. Ich melde mich später bei dir, okay?«

»Okay«, antwortete sie gedehnt.

Bea legte nach einem kurzen Abschiedswort auf und zog die Brauen zusammen. Charlie hatte sich merkwürdig angehört, leise und besorgt. Mit einem Mal fing ihr Herz wie wild an zu klopfen. Sie wusste, dass ihm nichts Schlimmes passiert war, sonst hätte er kaum mit ihr telefonieren können, aber irgendetwas stimmte da nicht. Wieso waren sie am Vormittag überhaupt schon unterwegs gewesen? Und wer war schuld an Pats Unfall?

»Was ist denn los?« Maya blickte mit ihren großen grünen Kulleraugen zu ihr auf. »Ist Pat verletzt?«

»Ich bin nicht sicher.« Bea schnappte sich ihre Handtasche. »Irgendwas ist da faul. Ich fahre ins Krankenhaus.«

»Gib mir Bescheid.«

Bea nickte ihr zu, dann stürmte sie aus ihrem Abteil, den Flur entlang und nach draußen auf den Parkplatz. Dort stieg sie ins Auto und fuhr in einem Affenzahn zum Red Valley Krankenhaus, wobei sie fast selbst einen Unfall baute, so vertieft war sie in ihre Gedanken. Keine Ahnung, weshalb sie derart panisch war. Sie konnte nur daran denken, schnellstmöglich zu Charlie zu kommen und ihm beizustehen, was immer auch los war.

Endlich auf dem Parkplatz angekommen, stellte sie den alten Pick-up ab und hastete ins Gebäude. Am Empfang gab man ihr zwar eine Zimmernummer, dennoch rannte sie ziemlich planlos durch die Flure, ehe sie ein paar Kuttenträger in einem Wartebereich entdeckte.

Moses und Bennie lümmelten gelangweilt in ihren Stühlen, während sich Don und Scar leise unterhielten. Smitty fummelte an einem Verband herum, der um seinen Unterarm gewickelt war und Lenny, dem ein Pflaster an der Schläfe klebte, schickte Lucky gerade mit einer Bestellung zum Kaffeeautomaten.

Wieso hatten sie in derart großer Zahl und um diese Zeit eine Ausfahrt gemacht? Da sie alle dabei waren, muss es sich um eine offizielle Clubangelegenheit gehandelt haben.

Und wo waren nun die anderen?

»Sagt mir mal einer, was hier passiert ist?« Bea bemerkte ihren Befehlston selbst, konnte sich aber nicht zügeln. »Wo ist Charlie?«

Lenny hob die Arme, als wollte er ein wildes Tier besänftigen. »Keine Sorge, Süße, niemand ist ernsthaft verletzt. Syd und B sind in Pats Zimmer.« Er deutete mit dem Daumen nach links.

Ohne ein weiteres Wort wirbelte Bea herum und marschierte in den Raum. Es war ein Einzelzimmer, und da es recht klein war, wurde es von dem riesigen Krankenbett dominiert. Deshalb fiel Beas Blick zuerst auf Pat.

Der Ire trug einen breiten Verband um den Kopf, aber er grinste sie an. »Na, schau an, ich hab Besuch.«

Nun drehten sich auch die anderen zwei Biker zu ihr um. Bea blieb für einen Moment das Herz stehen. Charlies linkes Auge war bläulich-rot gefärbt und geschwollen, und neben der Braue prangte ein Schnitt, der mit kleinen weißen Streifen geklebt war. Sie keuchte, ging auf ihn zu, nahm sein Gesicht in die Hände und musterte es prüfend. Keine weiteren Verletzungen zu sehen.

»Was?!« Sie wunderte sich selbst über ihre schrille Stimme. »Wer war das?«

Charlie nahm ihre Hände in seine und schaute ihr durchdringend in die Augen. »Ist nicht so wild, Bea. Nur ein blaues Auge.«

Das war er wohl noch von früher gewohnt, ging ihr schlagartig durch den Kopf. Aber auch wenn die Verletzung nicht sonderlich schlimm war, schimmerte etwas in seinen Augen, das ihr große Sorgen bereitete. Bea löste sich von ihm, legte eine Hand an ihre Brust, weil ihr Herz einfach nicht aufhören wollte zu rasen, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Als sie wieder aufblickte, bemerkte sie die Blutflecken auf Charlies weißem Shirt, das unter dem Hoodie hervorblitzte. Es war nicht viel Blut, aber zu viel für den Cut an seinem Auge. Sie erwischte sich dabei, wie sie sich wünschte, die Flecken kämen von der üblen Abreibung, die sein Angreifer für das blaue Auge bekommen hatte.

Sie drehte sich um, drückte Syd den Arm und musterte ihn aufmerksam – er schien unverletzt zu sein. »Hey, Pres, alles klar?«

»Ich habe nichts abgekriegt.«

Bea nickte zufrieden, ehe sie Pat sachte auf die Wange küsste und sich daraufhin auf sein Bett setzte, auch, weil ihre Knie merkwürdig weich waren. »Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Geht’s einigermaßen?«

»Ich fühl mich hervorragend.« Er deutete grinsend auf die Infusion. »Ich bin total high. Noch nie war ich so leicht …«

Unwillkürlich musste sie lachen. »Was ist denn passiert?«

»Also das hier ist viel zu viel!« Eine kleine schwarzhaarige Schwester huschte in den Raum und sah die Besucher nacheinander streng an. »Mister O’Reilly braucht jetzt Ruhe. Bitte verlassen sie alle das Zimmer.«

»Geben Sie doch zu, dass Sie nur mit mir allein sein wollen, Schwester.«

Pat wackelte mit den Brauen, und die strenge Frau konnte sich sichtlich das Lächeln nicht verkneifen. Er schaffte es immer wieder …

Bea drückte Pat freundschaftlich den Arm, ehe sie ein wenig wacklig aufstand und Charlie und Syd aus dem Zimmer folgte.

»Schwester, ich habe solche Schmerzen«, hörte sie Pat noch jammern, bevor sie die Tür hinter sich schloss. »Vielleicht hilft es, wenn Sie mir die Wunden küssen.«

Kichernd schüttelte Bea den Kopf. Dieses Mundwerk war nicht totzukriegen.

»Kommst du?« Charlie legte ihr eine Hand an den Rücken und führte sie zu einem kleinen, mit Glas abgetrennten Wartebereich.

Er ließ sich in einem der Polsterstühle nieder, rubbelte über seine kurzen Haare und entließ einen Luftschwall aus seinen Lungen. Nachdem Bea sich neben ihn gesetzt hatte, nahm sie seine Hand und küsste die Knöchel, die verräterisch rot und aufgeschrammt waren.

»Was ist passiert, Charlie? Wer hat euch angegriffen? Und warum?«

Er musterte sie von der Seite. »Willst du das wirklich wissen?«

Bea spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihren gesamten Körper zog. Sie hatte eine Ahnung, dass sich mit ihrer Antwort Grundlegendes verändern würde, aber sie schob den Gedanken beiseite. Jetzt zählte nur eines: Sie musste wissen, wer ihren Freund verletzt hatte und wer ihm etwas Böses wollte. Er musste doch zu seiner Freundin kommen können, wenn ihn etwas belastete oder wenn etwas geschehen war. Sie wollte nicht aus seinem Leben ausgegrenzt werden. Außerdem sollte der sorgenvolle Ausdruck aus seinem Gesicht verschwinden, jetzt sofort. Alles andere war nebensächlich.

»Ich weiß nie, wie viel ich dir zumuten kann.« Charlie wirkte mit einem Mal wie zerschlagen. »Und ob du morgen noch da sein wirst, wenn ich dir heute etwas erzähle.«

»Ich gehe nirgendwohin«, antwortete sie bestimmt. »Versprochen. Es tut mir leid, dass ich all die Jahre nicht für dich da gewesen bin, aber glaub mir, jetzt bin ich es.«

Ein leises Lächeln erhellte seine Miene, bevor schwere Gedanken sie wieder verdüsterten. »Ich habe dir von den ehemaligen Members erzählt, die uns verraten haben.« Er wartete, bis Bea nickte. »Die beiden Ratten haben inzwischen einen eigenen Club gegründet und haufenweise Männer um sich geschart. Sie sind angefressen, weil wir ihnen ein Geschäft vermasselt haben, das sie uns wegschnappen wollten. Deswegen fangen sie jetzt an, uns anzugreifen. Fünfzehn von diesen Arschlöchern haben uns angehalten, indem einer von ihnen Pat vom Bike gefahren hat.«

»Was für miese Kerle.« Bea schüttelte schnaubend den Kopf. »Und was wollt ihr jetzt tun?«

»Wir müssen das klären, bevor die ganze Scheiße eskaliert.« Er schaute ihr bitterernst in die Augen. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie in Wolfville einfallen, und dann trifft es vielleicht auch Unschuldige.«

Bea legte eine Hand auf den Mund und atmete tief durch. Nun verstand sie seinen Gesichtsausdruck. Die beiden Verräter mussten aufgehalten werden, so viel war klar.

Sie zuckte zusammen, als jemand ans Glas klopfte. Syd. Er hielt ein Handy hoch und schüttelte den Kopf.

»Scheiße.« Charlie rieb sich über die Haare.

»Was?« Bea beobachte, wie Syd draußen gegen ein Stuhlbein trat und das Möbel einige Meter nach vorne rutschte. »Was ist passiert?«

»Wir wissen weder, wer all diese Typen sind, noch wo ihr Clubhaus ist. Alles was wir haben, ist der Name von JJs Freundin. Wir gehen davon aus, dass sich die Ratte bei ihr versteckt.« Er machte ein widerwilliges Gesicht. »Misha hat einen Kontakt im Rathaus, aber anscheinend kann der uns dieses Mal nicht mit der Adresse helfen.«

»Dann besorge ich sie euch«, sagte Bea, ohne zu zögern.

Charlie drückte ihre Hände. »Ich hätte nie etwas gesagt, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«

»Das ist doch keine große Sache.« Bea lächelte ihn zuversichtlich an. »Ihr habt mir 20.000 Gefallen getan, dann kann ich euch wohl eine poplige Adresse aus der Datenbank ziehen.«

Er kramte einen Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn ihr. ›Vera Brewster‹ stand darauf. Bea nickte und steckte das verknitterte Papier ein.

»Du rettest uns damit wirklich den Arsch. Danke.«

»Niemand verpasst dem Mann, den ich liebe, ungestraft ein blaues Auge.«

Charlie lächelte liebevoll. Ein erleichternder Anblick. »Ich erinnere mich.«

Er vergrub eine Hand in ihrem Haar und küsste sie so tief und hingebungsvoll, wie sie es von ihm gewohnt war. In diesem Moment war Bea sicher, dass alles gut werden konnte. Bald hätte der Club die Adresse, würde die Streitigkeiten klären, und dann verschwand der sorgenvolle Schatten aus den silbergrauen Augen, deren Glanz sie so sehr liebte.

Wieder klopfte jemand ans Glas, und widerstrebend löste sie sich von Charlie. Syd deutete auf seine Armbanduhr und winkte ihn zu sich.

»Krisensitzung«, sagte er und erhob sich.

Bea stand ebenfalls auf und folgte ihm aus dem Raum. Inzwischen war der Deputy Chief eingetroffen und befragte die Jungs zu dem Unfall.

»Jetzt verarsch mich nicht, Shoemaker«, sagte er gerade zu Lenny. »Du willst mir also erzählen, O’Reilly sei einfach so vom Bike gefallen. Und als ihr angehalten habt, seid ihr mit den Augen und den Knöcheln auf eure Lenker geprallt, oder wie?«

Lenny grinste. »So ein Lenker kann brutal hart sein. Da landet man schon mal mit dem Gesicht drauf, wenn man stark bremst.«

»Hättest Komiker werden sollen.«

Bea konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sie verabschiedete sich mit einem Kuss von Charlie, zog den Reißverschluss seines Hoodies zu, damit man die Blutflecken nicht sehen konnte, winkte den Jungs kurz zu und machte sich daraufhin auf den Weg zum Parkplatz.

Während sie zurück zur Arbeit fuhr, überlegte sie, wie sie am besten an Vera Brewsters Adresse kam. Da man ihr den Zugriff auf fast sämtliche Verzeichnisse gesperrt hatte, blieb ihr dummerweise nichts übrig, als an den PC der Sanchez zu gehen und von dort aus das Führerscheinregister nach JJs Freundin zu durchsuchen.

Bea schaute auf die Uhr, als sie auf den Parkplatz des Rathauses abbog. Es war jetzt halb zwölf, was bedeutete, dass die Sanchez bald ihr tägliches Sandwich im Café gegenüber einnehmen würde. Für gewöhnlich war sie eine halbe Stunde fort. Genügend Zeit, um sich in ihr Büro zu schleichen und die Adresse herauszusuchen. Bea wusste sogar, dass ihre Chefin das Passwort für den Computer unter ihrer Schreibunterlage aufbewahrte, weil die ältere Dame ein überaus schlechtes Gedächtnis hatte und der Code alle sechs Wochen geändert werden musste.

Alles in allem würde diese Aktion ein Kinderspiel werden. Schnell rein und wieder raus in unter fünf Minuten, lautlos und unbemerkt. Wie sie zu Charlie gesagt hatte, es war keine große Sache.

Sie stieg aus dem Auto, betrat das Rathaus und marschierte zu ihrem Arbeitsabteil. Sofort streckte Maya den Kopf über die Trennwand und schaute sie mit großen Augen an.

»Was ist passiert? Geht es allen gut?«, fragte sie aufgeregt.

»Nicht weiter schlimm. Pat baggert schon wieder das Krankenhauspersonal an, also kann es ihm nicht wirklich schlecht gehen.« Bea winkte ab, stellte ihre Handtasche auf den Schreibtisch und schaute noch einmal auf die Uhr. »Könntest du mir einen riesigen Gefallen tun?«

»Klar, was brauchst du?«

»Würdest du Peters ein paar Minuten beschäftigen? In seinem Büro? So ab zwölf?«

Maya legte den Kopf schief und zog die Brauen zusammen. »Was hast du vor?«

»Er soll nur nicht merken, dass ich früher in die Pause gehe.«

Es war offensichtlich, dass Maya ihr die Ausrede nicht abnahm, dennoch nickte sie. »Kein Problem.«

Maya verschwand hinter der Trennwand, und Bea gab vor, am Computer zu arbeiten, in Wahrheit behielt sie jedoch die Uhr im Blick. Sie stand fünf Minuten vor zwölf auf und ging zur Treppe ins Obergeschoss, wo das Büro der Sanchez untergebracht war. Wie sie nicht anders erwartet hatte, verließ die Chefin ihr Büro überpünktlich und marschierte die Stufen ins Erdgeschoss hinab. Bea schlug unauffällig den Weg zur Toilette ein, nickte der älteren Frau freundlich zu und drehte erst um, nachdem die Sanchez außer Sichtweite war.

Daraufhin eilte sie die Treppe hinauf und folgte dem Flur bis zu dem kleinen Zimmer am östlichen Ende. Ganz die zuverlässige Beamte hatte die Sanchez natürlich ihre Bürotür abgeschlossen, doch Türen, Fenster oder Spinte waren noch nie ein Hindernis für Bea gewesen. Sie zog die zwei Büroklammern, die sie zuvor bereits zurechtgebogen hatte, aus der Hosentasche und öffnete mit ein wenig Fingerspitzengefühl das Schloss. Dann schlüpfte sie in den Raum.

Sanchez’ Büro war ein winziges, dunkles Zimmer, in dem sich die Akten auf dem Schreibtisch, in den Regalen und sogar auf dem Fußboden stapelten. Anscheinend saß diese Frau tatsächlich nur noch ihre Zeit ab und verbrachte die Stunden damit, Arbeit für das arme Schwein zu sammeln, das ihr nachfolgte. Und nebenher aß sie eine Unmenge an Pfefferminzbonbons, den Papierchen nach zu urteilen, die hier überall verstreut lagen.

Kopfschüttelnd ging Bea um die Aktenberge herum, setzte sich auf den Drehstuhl, der noch warm war, zog das Post-it mit dem Passwort unter der Schreibunterlage hervor und entsperrte den Bildschirm. Es war kein Problem, das richtige Register zu finden, und nachdem Bea den Namen eingegeben hatte, spuckte das Programm gleich die Adressdaten aus. Sie schrieb sie auf den Zettel, den Charlie ihr mitgegeben hatte, beendete das Programm, sperrte den Bildschirm wieder und schob den Stuhl ordentlich an den Schreibtisch.

Nachdem sie den Blick über den Raum hatte schweifen lassen, um zu prüfen, ob alles an seinem angestammten Platz lag, nickte sie sich im Geiste feierlich zu. Rein und raus in weniger als fünf Minuten, wie sie es geplant hatte. Ihr Herz hatte nicht einmal Zeit gehabt, seinen Rhythmus zu beschleunigen, so mühelos war diese Aktion gewesen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde streifte sie der Gedanke, dass sie zu ruhig war dafür, dass sie gerade eine Straftat verübte, aber sie schob die Überlegung von sich. Das hier war kein richtiges Verbrechen.

Der Club musste diese Scheiße klären, bevor es eskalierte.

Ein Hupen schallte von der Straße herauf, da erinnerte sich Bea daran, dass sie trotzdem langsam verschwinden sollte. Sie ging zur Tür, fummelte die Büroklammern aus der Hosentasche, damit sie wieder abschließen konnte und stürmte nach draußen – wobei sie beinahe jemanden umrannte. Verdammt, sie hatte vergessen zu lauschen, ob sich jemand vor der Tür aufhielt.

»Was machen Sie denn hier?«

Peters’ Stimme. Natürlich. Wer hätte es sonst sein sollen?

Mit einem Mal spürte Bea eine siedend heiße Wut durch ihren Körper pulsieren. Knurrend wirbelte sie herum, schubste ihren Chef gegen die Wand und drückte ihn an den Schultern gegen die raue Tapete.

»Ich habe es so satt«, spie sie ihm entgegen. »Wie du hier rumstolzierst, als wärst du der König des Rathauses. Du glaubst, du könntest dir alles erlauben und deine Arbeit auf gutmütige Mitarbeiterinnen abwälzen, während du selbst im Flur rumhängst, Kaffee säufst und alle überwachst; dabei bist du nur ein kleines, inkompetentes Arschloch, ein Nichts. Aber eines sage ich dir: du hast uns die längste Zeit schikaniert, jetzt reicht es!«

Wie er nach Luft schnappte, und sie mit seinen babyblauen Augen anblinzelte, löste beinahe eine Kernschmelze in ihrem Inneren aus. »Aber … Miss Kramer, ich …«

»Du bist jetzt still, du Lachnummer«, schnauzte sie. »Du hast mich nicht gesehen, verstanden? Wenn du nur ein falsches Wort sagst, mache ich dich fertig. Du weißt, dass ich das kann. Immerhin kennst du meine Freunde, nicht wahr?«

Er schluckte, und seine Augen wurden größer.

»Verstehen wir uns?« Bea beugte sich weiter zu ihm vor und fixierte ihn zornig.

»Ja«, krächzte er. »Verstanden.«

»Gut.« Sie ließ ihn los und zupfte lächelnd seinen Kragen zurecht. »Ich wusste doch, dass du ein einsichtiger Mensch sein kannst, Hal. Wenn wir alle ein wenig mehr Respekt für den anderen aufbringen, werden wir hier keine Probleme miteinander bekommen.« Als er sie weiterhin nur anstarrte, scheuchte sie ihn mit einer Handbewegung fort. »Hast du nichts zu tun?«

Ohne ein weiteres Wort machte Peters auf dem Absatz kehrt und marschierte davon. Bea konnte sich das Lachen nicht verkneifen; zu schön war die Genugtuung, ihm das süffisante Grinsen aus dem Gesicht gewischt zu haben. Diese klaren Worte waren längst überfällig gewesen. Irgendwann musste er eben lernen, dass er mit seinen Angestellten nicht auf diese Art umgehen konnte.

Bea schloss die Tür zu, ehe sie zurück in ihr Abteil ging, wo Maya bereits nervös auf und ab ging.

»Tut mir so leid. Peters war nicht in seinem Büro, und ich habe ihn nicht gefunden.«

»Macht nichts.« Bea winkte ab. »Ich glaube, so war es sogar besser.«

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