Читать книгу Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts - Sandy Palmer - Страница 107
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Unterdessen hatten wir einen ausgedehnten Park betreten und marschierten auf einen auffallenden Hügel mit den Ruinen einer Normannenburg zu. Hier durften sich unsere Schützlinge ein Weilchen austoben, ehe wir kehrtmachten und unseren Rundgang fortsetzten. Wie vereinbart setzte ich mich jetzt an die Spitze unserer Karawane und schickte Neill zu Patricia zurück. Und ich selber hatte endlich das Vergnügen, mit Dorothy plaudern zu dürfen, ohne dass uns jemand belauschen konnte.
Freilich stellte sich rasch heraus, dass das Vergnügen eher bescheidener Natur war. Denn Dorothy litt unter einer schweren Depression. Und Ursache war natürlich ich. Nachdem sie sich eine Zeitlang in bitteren Klagen über die Ungerechtigkeit des Schicksals ergangen hatte, ließ sie mich mit einer höchst unerwarteten Bemerkung aufhorchen: „Ich glaube, ich bin nicht stark genug. Wie soll ich meinen Vorsatz durchhalten? Wenn ich daran denke, dass wir noch fast zwei Wochen miteinander ... Ich bin jetzt schon völlig fertig. Was rätst du mir, Liebster?“
Und dazu blickte sie mir unverwandt in die Augen, und ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Begehren, und ich weiß nicht, welchen Gefühlen noch, und brachte für mehrere Augenblicke keinen Laut über die Lippen, hatte jedes Zeitgefühl verloren. Dann erinnerte ich mich an die Idee, die gerade vorhin Patricia geäußert hatte.
„Ich weiß nicht recht, was ich raten soll. Vielleicht dies eine: Wir könnten doch einen Kompromiss finden. Ich meine, einen Mittelweg. Wer sagt denn, dass wir nur die Wahl haben: Alles oder nichts? Wie wär's, wenn wir zum Beispiel nachts im Wald spazieren gehen und plaudern und uns umarmen und küssen und sonst nichts? Was meinst du?“
Dorothy nickte zögernd, machte ein feierliches Gesicht. „Hm, ja, das wäre eine Idee. Aber du? Wärst du damit überhaupt zufrieden?“
„Aber natürlich, liebste Dorothy. Ich leide ja nicht weniger als du unter dem Entzug deiner Liebe. In welcher Form ich sie genießen darf, ist doch höchst zweitrangig. Wenn ich nur mit dir zusammen sein darf.“
Dorothy wirkte sehr beeindruckt. „Das klingt ja genauso, wie wenn du süchtig wärst.“
„Bin ich ja. Süchtig nach dir. Süchtig nach deiner Liebe.“
„Errätst du, Liebster, was ich jetzt am liebsten täte?“
„Ich glaube schon. Ich dich auch.“
„Und? Können wir gleich heute Abend anfangen? Heute ist es ja schön, und der Abend verspricht mild zu werden. Wer weiß, wie bald der nächste Regen kommt.“
„Abgemacht. Sobald sich die anderen zurückgezogen haben. Oder nein. Früher. Sobald sich die ersten zwei zurückgezogen haben. Dann stehe ich auf und gehe hinaus und warte auf dich, sagen wir, beim Swimmingpool. Ja?“
„Liebster Benedikt“, hauchte sie, sichtlich beeindruckt, „ich liebe dich.“ Und nun strahlte sie wieder.
Im Folgenden fühlte ich mich freilich verpflichtet, ihr bezüglich der Sache mit Patricia reinen Wein einzuschenken. Wie nicht anders zu erwarten, versuchte sich Dorothy daraufhin in Askese und Verzicht zu üben und drängte mich, bei Patricia zu bleiben, und ich bat sie, sich nicht aus falsch verstandenem Edelmut selber in Depressionen zu stürzen. Außerdem könne ich gar nicht bei Patricia bleiben, weil ich noch nie bei ihr gewesen sei. Bleiben könne ich also nur bei ihr, Dorothy. Und nach langem Zureden gelang es mir, sie zu überzeugen, dass sie ihrem Herzen folgen solle.
Während wir, wie ausgemacht, vor dem Rathaus auf unseren Bus warteten und viele unserer Schützlinge sich noch rasch mit Eis oder Ähnlichem versorgten, entdeckte ich Neills Favoritin. Man hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie die zwei die Köpfe zusammensteckten und einander anhimmelten. Sie war eine Österreicherin, die anscheinend besonderer Nachhilfe in Englisch bedurfte. Und ich nahm mir vor, ihn bei der ersten Gelegenheit darauf anzusprechen.
Die Gelegenheit ergab sich, nachdem wir ins Heim zurückgekehrt waren und er kurz nach mir unser Zimmer betrat. Ich redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern sprach Klartext und betätigte mich, um meinen Worten Gewicht zu verleihen, im selben Atemzug als Seelsorger, Mädchenhändler und Schuldirektor in Personalunion, indem ich ihm dringend nahelegte, wieder die Patricia zu beglücken. Das sei ungefährlich und außerdem bei weitem lohnender; denn von einer erfahrenen Frau könne man bedeutend mehr lernen als von einem jungen Gänschen. Er verteidigte sich anfänglich mit dem dümmlichen Argument, sie hätten eh nur geknutscht – im O-Ton: „We only did some petting, Andrea and I“, versprach aber zuletzt, sich meine Warnung und meinen Rat zu Herzen zu nehmen.