Читать книгу Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane - Sandy Palmer - Страница 14
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ОглавлениеTage vergingen.
Johanne hatte den Zwischenfall oben am Berg nicht vergessen, aber aus ihrer Erinnerung doch ein wenig verdrängt. Nur noch einmal war sie einen Tag danach mit Peter Finkenthal zusammengetroffen.
Unterhalb des Berghofs ihres Vaters hatte er ihr aufgelauert und um Verzeihung gebeten. Sie war geneigt gewesen, ihn schroff abzuweisen, doch sie hatte es nicht getan und seine Entschuldigung angenommen.
Es hatte sich als großer Fehler erwiesen, denn er war kurz darauf zudringlich geworden und hatte als Beweis einen Kuss verlangt und sie aufgefordert, mit ihm zum Fest nach Berlingen zu gehen. Sie hatte abgelehnt, und er war erneut voller Wut davongezogen.
Johanne hatte Raphael dies alles erzählt. Nur mit ihm konnte sie über so etwas reden. Es tat ihr in der Seele weh, dass sich ihr Leben in den letzten Tagen derart verändert hatte. Sie fühlte sich wie bei einem Katz- und Mausspiel, und sie war die Maus.
Der Vater und der alte Harlander durften nichts von ihrer Liebe zueinander wissen. Peter Finkenthal war in diesem Spiel eine fürchterliche Bedrohung, denn in seiner Eifersucht würde er nichts auslassen, um ihrer Liebe zu schaden.
Johanne schaute auf die Uhr. Es war kurz nach drei Uhr. Sie musste sich sputen, wenn sie nicht unpünktlich sein wollte. Heute hatte sie sich mit ihrem Liebsten beim Paradiesweg unterhalb der Weißburgerklamm verabredet.
»Ich geh jetzt, Mutter«, verabschiedete sie sich und gab der korpulenten Frau einen Kuss. »Vor dem Nachtmahl werd’ ich net zurück sein.«
Ihre Mutter nickte und strich ihr über das dichte Haar.
»Gib auf dich acht, Madl«, erwiderte sie. »Und mach’ dir keine Sorge wegen dem Vater. Der ist sowieso bis heut Nachmittag unten im Dorf und verhandelt mit dem Zittler wegen der nächsten Fleischlieferung. Ihm werd’ ich schon eine Geschicht erzählen, warum du weg bist. Mach dir ruhig einen schönen Tag! Auch, wenn’s Wetter wieder mal net so mitspielt.« Sie seufzte.
Dieser Sommer zehrte immer häufiger an den Nerven. Es regnete fast ununterbrochen. Die wenigen Stunden, die die Sonne schien, konnte man zählen. Im Tal machten sich die Bauern schon ernsthafte Sorgen, denn Wind und Wetter drohten die Ernte zu vernichten.
Johanne verließ das elterliche Haus und machte sich auf zum Paradiesweg. Sie freute sich auf Raphael, denn am gestrigen Tag hatte sie sich nicht mit ihm treffen können. Sein Vorgesetzter hatte ihn nach Sonnbach zu einer Konferenz bestellt gehabt. In drei Tagen sollte die Straßenvermessung nach einigen Anfangsschwierigkeiten endlich beginnen. Sie selbst war nicht sehr glücklich darüber. Dann würde sie ihren Liebsten garantiert viel seltener sehen.
Sie lief mehr, als dass sie ging. Endlich hatte sie die Wegbiegung unterhalb der Klamm erreicht. Jeden Augenblick würde sie Raphael sehen.
Plötzlich erschrak sie und erstarrte wie unter einem Schock.
Raphael war wirklich schon da, doch er war nicht allein. Neben ihm stand ihr Vater und sprach heftig mit ihm. Gestikulierend und drohend redete Sebastian Giefner auf ihn ein. Es sah fast so aus, als ob er Raphael jeden Augenblick angreifen würde.
»Vater«, rief sie voller Entsetzen, als der hagere Mann ihren Liebsten plötzlich am Kragen packte und nah an sich heranzog.
Erschrocken verharrte Sebastian Giefner in derselben Sekunde mitten in der Bewegung, ohne den jungen Mann loszulassen. Er sah seine Tochter mit fliegenden Röcken auf sich zulaufen und schien irritiert. Mit ihrem Erscheinen hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Als sie nahe genug heran war, entdeckte er das Entsetzen in ihren blauen Augen. Unwillkürlich ließ er Raphael Harlander los, als hätte er sich an ihm verbrannt.
Dann stand seine Tochter atemlos vor ihm.
»So also verbringst du deine Freizeit«, stieß Sebastian Giefner unterdrückt hervor und strich sich mit gespreizten Fingern durch das dünne Haar. »Mit dem Harlander. Das darf doch wohl net wahr sein!«
Johanne suchte nach Worten der Erklärung. Sie wollte um Verständnis bitten, doch in ihr herrschte plötzlich der Trotz vor. Sie sagte sich, dass sie alt genug sei, selbst für sich zu entscheiden.
»Ja, und ich bin gerne mit Raphael zusammen«, erwiderte sie. »Das geb’ ich offen zu.«
Der Giefner schnappte nach Luft. Er glaubte, sich verhört zu haben. Zuerst hatte er nicht glauben wollen, was man ihm unten in Hallgau zugetragen hatte.
»Und so etwas sagst du deinem Vater ins Gesicht?«, fragte er empört. »Unten im Dorf pfeifen’s die Spatzen von den Dächern. Meine Tochter die Geliebte vom Harlander. Ich kann’s einfach net fassen!«
Harlander wurde hellhörig und neugierig.
»Reg dich net auf, Giefner!«, forderte er. »Ich lieb’ die Johanne, und daran kannst du auch nix ändern. Wer aber posaunt es drunten in Hallgau aus? Niemand weiß davon.«
Johanne fröstelte, doch es war nicht der kühle Wind, der dies bewirkte. Das erste Mal hatte Raphael zu ihrer Liebe vor einem anderen Menschen gestanden. Und das gerade vor ihrem verbohrten Vater. Sie wollte sich an ihm vorbeidrücken. Es gelang nicht. Sebastian Giefner packte zu und hielt sie gewaltsam am Oberarm fest.
»Nix da«, herrschte er. »Du gehst jetzt sofort rauf zum Hof, und keine Widerrede!«
Johanne aber war nicht geneigt, der Aufforderung ihres Vaters nachzukommen.
»Das werd’ ich net tun«, erwiderte sie trotzig. »Ich bin kein kleines Madl mehr, das sich rumstoßen lässt. Ich bleib’ hier beim Raphael und sonst nirgendwo.«
Giefner schluckte. In seinen Augen begann es böse zu funkeln. Man sah dem hageren Mann deutlich an, dass er wütend wurde. Sein leicht gebräuntes Gesicht lief rot an.
»Lass gut sein, Johanne«, mischte sich Raphael ein. Er spürte, dass die Situation zu eskalieren drohte. »Tu, was dein Vater sagt, bitte. Es hat keinen Sinn, dass alles noch schlimmer wird, als es unsere Großväter und sogar unsere Väter schon gemacht haben.«
Die junge Frau wollte erneut aufbegehren. Ehe sie jedoch etwas sagte, sah sie den Blick ihres Liebsten und wusste fast augenblicklich, dass Raphael recht hatte. Außerdem war er ein besonnener Mensch. Vielleicht half es, wenn er jetzt mit dem Vater allein redete. Sie nickte und ging den schmalen Pfad zum Berghof zurück. Immer wieder drehte sie sich um, doch die beiden Männer standen reglos da und schienen zu warten, bis sie bei der Wegbiegung an der vom Blitz gespaltenen Eiche verschwunden war.
»So, Giefner«, meinte Raphael, nachdem er Johanne aus den Augen verloren hatte. »Nun gilt’s! Was zwischen dir und meinem Vater ist, schert mich net. Das macht’ untereinander aus. Schlagt euch die Nasen platt, aber es wird euch net gelingen, die Johanne und mich auseinanderzubringen. Ich lieb’ sie, und damit basta.«
Der Berghofbauer schnaubte wie ein wilder Stier. Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er sich auf den jungen Mann stürzen. Er besann sich, denn dumm war der Sebastian Giefner nicht. Gegen den kräftigen Burschen hätte er nicht die geringste Chance.
»Das werden wir ja sehen«, giftete er zurück und stemmte die Fäuste in die Seite. »Noch ist die Johanne meine Tochter und lebt in meinem Haus.«
Raphael nickte.
»Da hast recht, Giefner«, bestätigte er. »Aber du schuldest mir noch eine Antwort. Wer in Hallgau führt sich als altes Waschweib auf?«
Sebastian Giefner räusperte sich. Er schien nicht geneigt zu sein, es auszuplaudern, woher er die Information hatte.
»Was ist?«, fragte Raphael fordernd. »Muss ich mich wirklich auf den Weg nach Hallgau machen und rumfragen? Das kannst einem Harlander ruhig ersparen, auch wenn du sie hasst.«.
Der Bergbauer war ein wenig irritiert. Die ganze Zeit über hatte Raphael sich ruhig und ohne jegliche Aggression verhalten, obwohl er ihm anfangs bei ihrer Begegnung sofort an den Kragen gegangen war.
»Der Finkenthal Peter hat’s mir erzählt«, gestand er nach einer Weile. »Droben beim Fernauer Bernd hat er euch gesehen, Eine Schand’ ist’s, dass die Johanne mich so hintergangen hat.«
»Ach, red’ keinen Schmarr’n«, schimpfte Raphael. Er wurde böse. »Deine Tochter kann nix dafür. Was hat sie denn schon getan?«
Sebastian Giefner verspürte keine Lust mehr, sich länger mit dem jungen Mann zu unterhalten.
»Jetzt troll’ dich«, murrte er. »Und wag’ dich net noch einmal in die Nähe meiner Tochter, verstehst mich? Sonst brenn’ ich dir eine Ladung Schrot ins Kreuz. Ein Harlander hat nix mit uns Giefnern zu schaffen. Basta!« Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und stampfte den Weg hinauf.
Raphael blieb allein zurück. Er seufzte und zuckte mit den Schultern. Den Tag hatte er sich schöner vorgestellt. Rascher als erwartet, war er wieder in den Strudel der verfluchten Familienfehde gerissen worden. Es war wie vor Jahren gewesen, als er das Tal wegen dieser ewigen Streiterei verlassen hatte. Nichts hatte sich seither zwischen den beiden verfeindeten Parteien geändert.
Doch, eins war anders als früher.
Er hatte seine Liebe zu Johanne Giefner entdeckt und das erste Mal ihre Zärtlichkeit genossen.
»Giefner«, rief er hinter dem wütenden Mann her. »Noch auf ein letztes Wort.«
Unwillkürlich blieb der Bergbauer stehen und drehte sich um. Sein Gesicht war ernst. Er wirkte ungehalten.
»Was gibt’s?«, fragte er herrisch.
Raphael Harlander machte eine kleine Pause und antwortete nicht sofort.
»Du hasst meinen Vater, warum auch immer«, erklärte er fast sanft. »Ich aber hab’ nix gegen dich und werd’ auch nie etwas gegen dich haben. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo wir uns die Hände reichen.«
Sebastian Giefner erwiderte nichts. Er knurrte etwas Unverständliches, ehe er weiterging und Raphael allein in der Wildnis der Berge stehenließ.
»So«, murmelte der junge Mann nach einiger Zeit und machte sich auf den Weg nach Hallgau. »Jetzt möchte ich wissen, was der Peter Finkenthal zu alledem zu sagen hat.«
Alles in ihm war aufgewühlt wie ein See während eines heftigen Sturmes. Wenn er in diesem Zustand dem verhassten Mann gegenübertreten würde, konnte es nur einen verhängnisvollen Zusammenstoß geben.
Als Raphael den Paradieshang, eine steil abfallende Felswand südlich des Ortes, erreicht hatte und Hallgau direkt unter sich sah, besann er sich. Was hatte es für einen Sinn, diesen einfältigen Finkenthal zur Rede zu stellen? Die Sache würde gewiss eskalieren und alles noch viel schlimmer machen. Das half weder ihm noch seiner Liebe zu Johanne.
Er wandte sich um und machte sich auf den Weg zum elterlichen Hof. Dazu wählte er die Abkürzung quer durch die Wälder. Dort war er allein und musste nicht Gefahr laufen, noch einmal einem unliebsamen Mitmenschen über den Weg zu laufen. Sein Bedarf an Streitigkeiten war vorläufig gedeckt. Er wollte seine Ruhe haben, denn er musste nachdenken.
Nie und nimmer würde er Johanne aufgeben. Es musste eine Lösung geben.