Читать книгу Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane - Sandy Palmer - Страница 16
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ОглавлениеDie Tage vergingen.
Anfang der Woche hatte Raphael den elterlichen Hof für ein paar Tage verlassen, ohne Johanne auch nur noch einmal zu Gesicht zu bekommen.
Seine Sehnsucht wurde immer größer. Eines Nachts hatte er versucht, zum Hof der Giefners zu schleichen. Das Unternehmen war völlig unsinnig gewesen, denn der Hofhund hatte rasch seine Witterung aufgenommen und das ganze Haus geweckt.
Auch ein zweiter Versuch, Johanne tagsüber heimlich anzutreffen und nur kurz zu sprechen, schlug fehl. Wie ein eifersüchtiger sturer Haremswächter rannte der alte Giefner mit dem Gewehr, einer alten Schrotflinte herum, wenn seineTochter nach draußen ging, um Wäsche aufzuhängen oder das Federvieh zu füttern.
Wenn die Sache nicht zu ernst gewesen wäre, hätte man über diese Szenen lachen können.
Aber es war kein Spaß, sondern blutiger Ernst.
Aus diesem Grund hatte Raphael beschlossen, früher als geplant nach Sonnbach zu fahren und sich bei seiner neuen Firma zu melden. Die ersten Vermessungsarbeiten begannen zwar erst in ein paar Tagen, doch Arbeit lenkte ihn ab. Deshalb bereitete er die erforderlichen Unterlagen früher als nötig vor und suchte das zu vermessende Landstück zwischen »Sonnenberg«, »Krähenhorst« und »Zinne« auf.
Als er am Abend des dritten Tages in sein Büro kam, erwartete ihn bereits die Sekretärin seines Chefs.
»Sie kommen genau fünf Minuten zu spät, Herr Harlander«, begrüßte sie ihn und nahm ihre Brille ab. »Gerade war ein Bekannter von Ihnen hier. Er hat Ihnen diesen Brief hinterlassen.«
Raphael stutzte und nahm das Kuvert entgegen.
»Ein Bekannter?«, fragte er. »Hat er sich vorgestellt?«
Die Sekretärin verneinte.
»War ein ziemlich finster dreinblickender Bursche, vor dem man Angst bekommen konnte«, bekannte sie. »Irgendwie war er unheimlich.«
Raphael ahnte, um wen es sich handelte, doch er schwieg. Mit einem Dankeschön verabschiedete er sich und ging in sein Büro. Erst dort öffnete er den Brief.
Sein Verdacht bestätigte sich. Niemand anderes als Peter Finkenthal hatte diese Nachricht für ihn hinterlassen. Was aber mochte er von ihm wollen?
»Hallo Raphael, wahrscheinlich wunderst du dich, das ich dir schreibe. Lass uns den Streit begraben! Ich will dich sprechen, aber allein, denn ich muss dir etwas wichtiges sagen. Komm heute abend rauf zum Falkeneck. Hinter der etwas apseits gelegenen Scheune beim Giefnerhof warte ich um 9 Uhr auf dich. Es ist ganz dringent. Peter.«
Raphael Harlander zog die Augenbrauen hoch und schmunzelte trotz allem. Die furchtbar gekritzelte Schrift und die zahlreichen Schreibfehler bewiesen eindeutig, dass Finkenthal der Schreiber dieses Briefes sein musste. Schon in der Schule war er keine große Leuchte gewesen und hatte sich höchstens durch Schulhofkeilereien und anderes schlechtes Benehmen hervorgetan.
Nachdenklich faltete er den Brief zusammen und steckte ihn in die Innentasche seiner Jacke.
Was plante Peter? Wieso setzte er sich überhaupt mit ihm in Verbindung?
Und was gab es Wichtiges auf dem Hof von Sebastian Giefner?
Er fand keine Antwort. Stattdessen hatte er ein eigenartiges Gefühl, das ihn nicht mehr losließ.
Unwillkürlich musste er an die Worte von Peters Kollegen oben beim Fernauer Bernd denken. Die Warnung würde er nicht vergessen. Er musste also auf der Hut sein.
Aber war Peter Finkenthal, dieser einfältige Holzklotz, überhaupt in der Lage, Intrigen zu spinnen? Dafür war er eigentlich zu dumm.
Raphael versuchte, sich abzulenken. Auf jeden Fall würde er am Abend zurück nach Hallgau fahren und seinen Widersacher treffen. Er musste jede Möglichkeit ausnutzen. Vielleicht half sie, Johanne wiederzugewinnen.
Nach einer halben Stunde vergeblichen Bemühens, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, gab er auf und meldete sich bei seinem Chef ab. Er flunkerte ein bisschen und erzählte von einer Magenverstimmung und Kopfschmerzen. Auf dem Weg nach Hallgau machte er auf der östlichen Seite der Lorgau, einem kleinen Flüsschen, das das Tal von Süden nach Norden durchfloss, ein wenig Pause. Den Wagen ließ er stehen und schlenderte den Weg entlang des Ufers Richtung »Zinne«.
Die Spitze des waldumsäumten Berges lag im goldenen Licht der Nachmittagssonne. Es war angenehm warm, und Raphael genoss es. Auf einer Bank ließ er sich nieder und lauschte dem Rauschen der Bäume und dem Plätschern des Wassers.
Seine Gedanken schweiften ab. Er musste an Johanne denken. In den letzten Tagen seiner Einsamkeit war ihm immer klarer geworden, dass ihm die junge Frau mehr als alles andere bedeutete. Ohne sie gab es kein Glück mehr in seinem Leben und kein herzhaftes, freies Lachen. Ohne sie war er leer, nur eine Hülle, die existierte.
Wie sehr hätte er sich gewünscht, sie möge neben ihm sitzen und sich an ihn schmiegen, während sie auf den Fluss schauten. Die Einsamkeit konnte selbst in einer solch majestätischen Umgebung mehr als grausam sein.
Seufzend erhob er sich. Die Sonne hatte sich hinter einer Wolke verzogen. Der Wind frischte auf und wurde kühler. Als Raphael nach Westen schaute, sah er, dass sich über dem »Sonnenberg« neue Regenwolken türmten. Er blickte auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. Noch drei Stunden bis zum Treffen. Langsam konnte er sich auf den Weg machen.
Von der »Lorgau« bis zur Westflanke des »Falkenecks«, benötigte er nicht einmal eine Viertelstunde. Er ließ seinen Wagen auf einem einsam gelegenen Parkplatz, den man für Touristen angelegt hatte, stehen und zog sich um. Seine Jacke tauschte er gegen einen Lodenmantel, die Halbschuhe gegen derbe Halbstiefel, die besseren Halt beim Kraxeln und Wandern boten. Und noch etwas steckte er ein.
Einen Hirschfänger. Man konnte nie wissen, was ihn da oben in der Einsamkeit der Berge erwartete.
Als er das Messer samt Lederscheide an den Gürtel band, überkam ihn wieder das eigenartige Gefühl, das ihn schon Stunden zuvor beim Lesen des Briefes beschlichen hatte. Instinktiv ahnte er, dass sich an diesem Abend Vieles in seinem Leben ändern konnte. Trotzdem zögerte er nicht und machte sich auf den Weg in die Tiefen der Wälder und steilen Schluchten an der Westflanke des Berges.
Er musste sich beeilen, denn von hier aus war es ein weiter Weg bis zum Giefnerhof.