Читать книгу Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane - Sandy Palmer - Страница 19
12
ОглавлениеEine Stimme, die scheinbar aus einer anderen Welt in sein Bewusstsein drang, rief seinen Namen. Etwas Weiches, Warmes berührte seine Wange, doch Raphael wehrte sich dagegen. Die Stimme aber ließ nicht locker und hieß ihn, aufzuwachen. Sie ignorierte seine Lustlosigkeit, die schweren Lider zu öffnen. Nach einer Weile spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Er kam vom Nacken her und pflanzte sich bis zur Stirn und den Schläfen fort.
Plötzlich war die Erinnerung wieder in seinem Bewusstsein und verdrängte die Trägheit, die ihn bisher beherrscht hatte. Er riss die Augen auf und ächzte, als helles Licht in seine Pupillen drang und ihn peinigte.
»Ganz ruhig«, sagte die sanfte Stimme und drückte ihn sanft in die Kissen zurück, als er sich unwillkürlich danach aufrichten wollte. »Es geht gleich vorbei.«
Die Stimme hatte recht. Der Schmerz ließ rasch nach, und die Schleier vor seinen Augen wichen ebenfalls. Er blickte in das schmale, leicht gebräunte Gesicht einer jungen Frau. An dem weißen Kittel erkannte er sofort die Krankenschwester.
»Wo bin ich?«, fragte er verwirrt. »Was ist mit dem Giefner? Und wo ist Johanne?«
»Immer mit der Ruhe«, meinte die junge Frau sanft. »Ich bin Schwester Hildegard, und Sie befinden sich im Sankt Marien Krankenhaus in Sonnbach. Sie müssen ganz ruhig liegenbleiben, denn Sie haben eine große Platzwunde am Kopf und dadurch jede Menge Blut verloren und eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen. Ein Glück, dass sie überhaupt noch leben. Sie scheinen einen treuen Schutzengel zu haben. Außerdem haben Sie eine Rauchvergiftung, mit der nicht zu spaßen ist.«
Der stechende Schmerz im Kopf, den Raphael plötzlich wieder empfand, wenn er sich nur wenig bewegte, und das würgende Brennen in seinen Lungen bestätigte die ausführliche Erklärung der jungen Schwester.
»Wo ist Johanne?«, fragte er leicht verwirrt, obwohl er nicht verlangen konnte, dass die Frau wusste, was er meinte.
»Sie wartet bereits seit Stunden draußen, dass Sie endlich aus der Narkose erwachen«, sagte sie lächelnd. »Wenn Sie ganz brav sind, hole ich sie jetzt herein. In Ordnung?«
Raphael nickte, und er bereute es im gleichen Augenblick wieder, denn der Schmerz war kaum zu ertragen. Er griff sich an den Kopf und merkte erst jetzt, dass er einen festen Verband trug.
Die Krankenschwester verließ das Zimmer. Wenig später trat eine andere Frau in den Raum.
»Johanne!«
Seine Freude, die Geliebte zu sehen, wurde getrübt, als er den traurigen und zweifelnden Blick in ihren wunderschönen Augen entdeckte.
Schlagartig wurde ihm bewusst, was Johanne denken musste. Irgendjemand hatte ihn in der Scheune niedergeschlagen, sie angezündet und versucht, ihn umzubringen. Wer ihm aufgelauert hatte, war ihm klar, obwohl ihm die Beweise fehlten. Aber das war auch zweitrangig. Viel schlimmer zählte die Tatsache, dass er aus der brennenden Scheune gewankt und den Giefners regelrecht in die Arme getorkelt war. Für sie konnte nur er der Brandstifter sein. Erschwerend hinzu kam, dass er sogar ein Motiv für einen solchen Racheakt hatte.
»Wie geht es dir?«, fragte Johanne steif. Sie machte sich Sorgen um Raphael, doch zwischen ihnen stand eine Wand, die sich nicht so einfach wegreißen ließ.
»Es wird schon werden«, entgegnete er und fühlte ein heißes Brennen in seiner Brust. Er musste husten und hatte das Gefühl, sich die Lungen aus dem Leib zu husten.
»Wie geht es deinem Vater?«, fragte er, nachdem der Hustenanfall vorüber war. Es dauerte eine Weile, bis Johanne antwortete.
»Er ist auf dem Weg der Besserung, doch er hat neben einer Rauchvergiftung Verbrennungen an den Armen und im Gesicht. Viel schlimmer aber ist der Schock, denn wir haben viel verloren.«
»Ich weiß«, meinte Raphael und empfand eine Art Mitschuld, obwohl er mit der ganzen verbrecherischen Tat nichts zu tun hatte. Wie ein kleiner Junge war er in eine Falle getappt.
Johanne stand noch immer stocksteif neben seinem Bett. Sie schaute ihn seltsam an und wagte es nicht, näher zu kommen. Irgendetwas schien sie abzuhalten, sich ihm zu nähern und ihn zu trösten.
»Raphael«, sagte sie mit einem seltsamen Tonfall in der Stimme, der voller Zweifel und Furcht war. In ihren Augen stand zudem ein eigenartiger Glanz, den er noch nie an ihr bemerkt hatte. »Bitte, beantworte mir eine Frage!«
Der junge Mann nickte, doch er kam ihr zuvor.
»Du willst wissen, ob ich eure Scheune angezündet habe, net wahr?«, sagte er schwerfällig.
Johanne nickte. Sie senkte den Blick, denn sie schämte sich. Noch vor Stunden hätte sie ihrem Liebsten alles geschenkt und war voller Vertrauen und Hoffnung gewesen. Ein Bild aber ließ sich nicht aus ihrem Kopf verdrängen. Halbblind vor Hitze und Qualm, mit Blut überströmt, war er aus der Scheune getorkelt.
»Nein, Johanne«, entgegnete Raphael ernst und streckte seiner Liebsten die Rechte entgegen. »Ich habe mir nix zuschulden kommen lassen, was dir hätte schaden kennen. Wie nur kannst du so etwas von mir denken?«
Sie fröstelte, als sie in seine Augen blickte. Er schaute sie offen an, und in seinem Blick war kein Falsch. Etwas in Johanne zerbrach. Es war, als ob eine böse Hülle aufplatzen würde, die ihr Vertrauen eingepuppt hatte, um es zu endgültig vernichten. Sie kämpfte gegen die Tränen an, aber sie verlor. Schluchzend näherte sie, sich dem Bett und sank daneben auf die Knie. Weinend umklammerte sie Raphaels Hand und drückte sie gegen ihre feucht werdenden Wangen.
»Warum nur habe ich dir so unrecht getan?«, fragte sie tränenüberströmt.
Raphael drehte sich zur Seite und streichelte ihr über das Haar. Jede Bewegung schmerzte ihn, aber er ließ es sich keine Sekunde lang anmerken.
»Bitte, höre auf zu weinen, Liebes«, flehte er. »Es wird schon alles wieder gut.«
Johanne wischte sich über das nasse Gesicht und versuchte, ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. Ganz gelang es ihr nicht, denn sie wusste, dass ihr Glauben für die anderen null und nichtig war.
Ihr Vater hatte die Gendarmerie noch im Krankenhaus informiert und Raphael Harlander als Brandstifter angegeben. Jeden Augenblick konnten die Beamten hereinkommen und ihren Geliebten verhaften. Gewiss brachten sie ihn noch heute ins Gefängnishospital nach Sonnbach.
Nie in ihrem Leben war Johanne derart hilflos gewesen wie in diesen Minuten. Sie wusste, dass sie Raphael nicht helfen konnte, obwohl sie ihm glaubte. Es gab keine Beweise, nicht einmal ein Indiz, dass er nicht als Täter in Frage kam. Immerhin hatte sie selbst ihn aus der Hütte torkeln sehen.
»Was soll denn nur werden, wenn die Polizei dir net glaubt?«, fragte sie gequält. »Sie werden dich einsperren, Raphael. Nein, das würd’ ich nie ertragen.«
.Der junge Mann lächelte besänftigend und zwinkerte ihr aufmunternd zu.
»Mach dir keine Sorgen, Schatzerl«, meinte er. »Wenn ich erst wieder auf den Beinen bin, werd’ ich’s schon richten. So leicht kriegt man einen Harlander net auf die Knie.«
»Aber sie werden dich einsperren«, klagte Johanne verzweifelt. »Was willst du gegen die Polizei ausrichten? Der Vater hat dich angezeigt.«
Der junge Harlander nickte ernst. Er wusste selbst, in welch kritischer Situation er sich befand. Er konnte es dem alten Giefner nicht einmal verdenken. Alles sprach gegen ihn.
Es klopfte.
Johanne zuckte regelrecht zusammen. Sie fuhr herum und starrte auf die Tür.
Das Klopfen hatte energisch und keinesfalls zaghaft geklungen, wie man es bei Krankenbesuchen eigentlich gewohnt war.
»Das ist die Polizei«, keuchte Johanne voller Angst.
»Ganz ruhig, Schatzerl«, beschwichtigte Raphael die völlig aufgelöste Frau. »Herein!«
Die Tür wurde geöffnet, und ein Uniformierter trat in das Einzelzimmer. Die jungen Leute kannten Hauptwachtmeister Gregor Brauner seit ihrer Kindheit. Er war ein gutmütiger Mann, der seinen Beruf jedoch sehr ernst nahm, wenn er Dienst hatte.
»Sind Sie Herr Raphael Harlander?«, fragte er ernst und musterte den Mann im Krankenbett mit strenger Miene.
»Aber das wissen Sie doch, Herr Brauner«, meinte Johanne verwirrt. All die Jahre hatte der Beamte, der im nächsten Jahr in Pension ging, sie nur geduzt.
Hauptwachtmeister Brauner blieb ernst.
»Ich muss Sie leider bitten, diesem Herrn die Antwort zu überlassen, mein Fräulein«, tadelte er dienstbeflissen.
Am liebsten hätte Raphael laut losgelacht. So, wie der kleine, gedrungene Mann in der grünen Uniform vor ihm stand und auf seine Antwort wartete, musste er sich bezwingen, nicht einmal zu schmunzeln. Wie Brauner sich gab, glich er einer Witzfigur. Allein sein wichtigtuender Gesichtsausdruck reizte zum Lachen, wenn die Sachlage nicht so furchtbar ernst gewesen wäre.
»Ja, mein Name ist Raphael Harlander, Herr Wachtmeister«, bestätigte er ernst. »Um was geht es?«, fragte er, obwohl er wusste, warum der Beamte ins Krankenhaus gekommen war.
»Hauptwachtmeister, bitte«, korrigierte Brauner, nachdem er sich beleidig geräuspert hatte. »Gegen Sie liegt eine Anzeige vor, Herr Harlander.« Er unterbrach sich und ließ seinen Blick über die beiden Verliebten gleiten. Man sah ihm nicht an, was er in diesem Augenblick dachte oder fühlte. Er kannte diese jungen Menschen seit vielen, vielen Jahren und hatte sie schon im Sandkasten oder auf dem Schulhof spielen sehen. Nun musste er einen solchen schrecklichen Verdacht aussprechen. Wohl konnte ihm bei diesem Gedanken nicht sein.
Raphael Harlander ein Brandstifter?
Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er war immer ein netter, freundlicher Junge gewesen, der wie Johanne unter der Familienfehde gelitten hatte. Aber solch ein Verbrechen traute er ihm nicht zu.
»Der Raphael hat nix Unrechtes getan«, sagte Johanne hastig und erhob sich. Mit in die Hüften gestemmte Hände stellte sie sich vor den Kranken, als könne sie ihn auf diese Art und Weise schützen.
»Der Herr Hauptwachtmeister tut auch nur seine Pflicht«, bemerkte Raphael und ergriff ihre Hand. Der Schmerz in seinen Gliedern wurde langsam wieder unerträglich. Die Schmerzmittel, die man ihm verabreicht hatte, schienen nachzulassen.
»Genau«, erwiderte der Beamte und begann plötzlich zu lächeln. »Deshalb darf ich auch nicht vergessen zu erwähnen, dass die Anzeige hinfällig ist.« Er schmunzelte und freute sich scheinbar wie ein kleiner Junge über einen gelungenen Streich.
»Wieso das?«, wollte Johanne entgeistert wissen. »Mein Vater würde so etwas nie und nimmer tun.«
»Das stimmt zwar«, erwiderte Brauner, »doch gegen Beweise und Zeugenaussagen kann er nicht an. Der wahre Brandstifter, Peter Finkenthal, ist verhaftet und bereits geständig.«
Raphael und Johanne glaubten, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Ihre Ungläubigkeit aber schlug rasch in riesige Freude um. Die junge Frau lief auf den Beamten zu und umarmte ihn wie einen alten Freund.
»Bitte, bitte«, meinte Brauner lachend, »ich bin im Dienst.«
Dem jungen Harlander fiel ein Stein vom Herzen. Keinen Augenblick zweifelte er an den Worten des Polizisten, doch ein paar Fragen blieben noch offen.
Wieso hatte sein Widersacher gestanden?
»Was ist geschehen?«, wollte er wissen.
Hauptwachtmeister Brauner räusperte sich und löste sich mit sanfter Gewalt aus Johannes stürmischer Umarmung. Solch eine Spontanität hätte er der eher als schüchtern bekannten jungen Frau niemals zugetraut. Mit einer ungelenken Bewegung richtete er seine Uniformjacke.
»Vor zwei Stunden war der Hornauer Seppl bei mir und hat seine Aussage gemacht«, erzählte er. »Ihm kannst du verdanken, dass die Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist. Sonst wär’s gewiss bös’ für dich geworden, Bub.« Er räusperte sich und murmelte eine zaghafte Entschuldigung, als er bemerkte, dass er im Eifer des Gefechtes, in ein persönliches Du verfallen war.
»Der Hornauer?«, fragte Raphael verwirrt. »Was hat er mit der ganzen Sache zu tun?«
Harlander kannte den Landstreicher schon seit Jahren. Die meiste Zeit hielt sich der Mann mit den grauen Haaren und dem uralten Wildledermantel, der ihn wie einen Menschen aus der Pionierzeit des Wilden Westens erscheinen ließ, im Tal auf. Keiner wusste genau, wo er wohnte. Mal schlief er in einer Scheune oder verkroch sich im Winter in einen warmen Stall. Alle kannten den harmlosen, etwas eigenartigen Mann, und sie ließen ihn gewähren. Längst war er in Hallgau und Umgebung zu einer Art Original geworden.
»Er muss unterhalb vom Giefnerhof unter einer Wildkrippe Zuflucht vor dem Unwetter gesucht haben«, erklärte der Polizist. »Rein zufällig hat er Peter Finkenthal an diesem Abend kurz vor Ausbruch des Feuers auf dem Giefnerhof ins Tal rennen sehen. Daraufhin haben wir Finkenthal verhört. Lange hat er net geleugnet, als er hörte, dass es einen Zeugen gibt.«
Raphael atmete erleichtert durch.
Der Hornauer Seppl mochte ein Landstreicher und eigenartiger Einzelgänger sein, doch als Spinner stempelte ihn in Hallgau keiner ab. Jeder würde glauben, was er zu Protokoll gegeben hatte.
»Dem lieben Gott sei Dank«, stöhnte Johanne und schloss kurz die Augen. »Das werd’ ich dem Seppl nie vergessen. Wo ist er jetzt? Ich möcht’ mich bei ihm bedanken.«
Brauner zuckte mit den Schultern.
»Ihr kennt ihn ja, den Hornauer«, meinte er bedauernd. »Er ist mal hier, mal da. Wer weiß schon Genaues über ihn. Gewiss streift er wieder irgendwo durch die Berge. Ein Mann wie er hält nix von großen Worten oder Dankeshymnen. Vielleicht hast einmal irgendwann in den nächsten Wochen Gelegenheit, ihm zu danken, wenn du ihn zufällig über den Weg läufst.«
Johanne nickte. Brauner hatte recht.
»Auf jeden Fall dank’ ich Ihnen schön, dass Sie mir meinen Raphael net verhaften müssen«, sagte sie erleichtert. »Oder kann mein Vater ihm noch etwas anhaben?« Ihre Frage klang plötzlich wieder voller Unsicherheit und unterschwelliger Furcht, die sie noch nicht ganz losgelassen hatte.
»Nein«, sagte der Hauptwachtmeister und hatte wieder sein Dienstgesicht aufgesetzt. »Die Anzeige verliert durch die Zeugenaussage automatisch ihre Wirkung. Es sei denn, Sebastian Giefner besteht auf einer Gerichtsverhandlung und schaltet einen Anwalt ein. Aber ich denk’, dazu wird’s net kommen, Johanne, wenn ich mich net täusche, oder?«
Er zwinkerte ihr schmunzelnd zu.
Johanne verstand und fühlte sich besser. Ihr Vater mochte verbohrt sein, wenn es darum ging, den Harlanders Ärger zu bereiten. Aber er war auch geizig. Einen Prozess, den er mit größter Wahrscheinlichkeit verlor, würde er niemals anzetteln. Dafür war ihm sein Geld zu schade.
»Noch mal herzlichen Dank.« Mit einem festen Händedruck und dem schönsten Lächeln einer jungen Frau verabschiedete sie sich von Hauptwachtmeister Brauner.
»Gute Besserung, Raphael«, wünschte der Beamte und nickte dem Verletzten freundlich zu. »Kopf hoch, Bub! Es wird schon wieder werden.«
Wenige Augenblicke später hatte er das kahle Krankenzimmer verlassen.
Johanne und ihr Liebster waren allein. Als sie sich neben Raphaels Bett setzte und ihn anschaute, durchströmte sie ein Gefühl von Glück, wie sie es lange nicht mehr empfunden hatte. Vertrieben waren die trüben Gedanken, obwohl sie wusste, dass der Streit der Väter noch lange nicht beendet war.
»Ich liebe dich«, hauchte sie und beugte sich über Raphael.
»Ich dich auch«, entgegnete er und ignorierte die Schmerzen n seinem Körper.
Ihre Lippen fanden sich, und der Kuss, der sie vereinte, wollte nicht enden. Sie beide wussten, dass ihnen nur wenige Stunden blieben. Selbst die bewiesene Unschuld würde Sebastian Giefner nicht davon abhalten, auch weiterhin dafür zu sorgen, dass er Johanne nicht treffen durfte.