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Kritische Diskursanalyse, historische Diskurssemantik und die Topos-Analyse

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Sowohl in den Geistes-, als auch in den Sprach- und Sozialwissenschaften werden dem Begriff Diskurs unterschiedliche Bedeutungen und weit gestreute Verwendungsweisen zugemessen. Es gibt also keine einheitliche Definition des Diskursbegriffes, jedoch findet sich ein gemeinsamer Nenner in der wissenschaftlichen Anwendung des Begriffes. Denn der wissenschaftliche Einsatz – so resümiert Joachim Landwehr – richtet sich immer auf die Untersuchung des Sprach- und Zeichengebrauchs, unabhängig davon, ob es sich um mündliche oder schriftliche Texte, kleine oder große Korpora, bildliche der akustische Medien handelt.147

Die Analyse von Argumentationsstrategien bzw. Argumentationsmustern nimmt in der Diskursforschung eine bedeutende Stellung ein, insbesondere im Rahmen des in Wien von Ruth Wodak begründeten diskurshistorischen Ansatzes der Kritischen Diskursanalyse sowie im Rahmen der in Düsseldorf durch Georg Stötzel begründeten historischen Diskurssemantik. Aus diesem Grund wird in diesem Abschnitt sowohl auf die Kritische Diskursanalyse als auch auf die historische Diskurssemantik eingegangen. Ebenfalls werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Topos-Analysen herausgearbeitet, wobei die Argumentationsanalyse der Düsseldorfer Schule schließlich vorbildgebend für die vorliegende Arbeit war (siehe Kapitel 3, Teil 1).

Die Kritische Diskursanalyse wurde unter Anlehnung des Diskursbegriffs von Foucault von Mitarbeiter*innen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) entwickelt. Wichtige Vertreter*innen sind der niederländische Sprachwissenschaftler Teun van Dijk, die österreichische Linguistin Ruth Wodak und der britische Sprachwissenschaftler Norman Fairclough. Sigfried Jäger hat im deutschsprachigen Raum zudem einen eigenen Ansatz zur Kritischen Diskursanalyse entwickelt.148 Die Kritische Diskursanalyse als interdisziplinäres Forschungsprogramm vereint ein breites Spektrum an Ansätzen, Theorien und Methoden. Allen gemeinsam ist der Fokus auf die Analyse von sozialen Macht-, Dominanz und Ungleichheitsstrukturen, die sich in Sprache manifestieren. Es geht also um das Aufdecken von Wirklichkeitsverzerrungen und irreführenden Repräsentationen von Ereignissen. Wobei auch festgehalten werden muss, dass es der Kritischen Diskursanalyse nicht um richtig oder falsch geht, aber doch darum, was mit derartigen Diskursen bewirkt werden kann.149

Während Siegfried und Margarete Jäger im Wesentlichen auf den Theorien und Arbeiten von Michel Foucault und Jürgen Link aufbauen, betont Ruth Wodak, die sich unter anderem auf Jürgen Habermas bezieht, stärker die pragmatische Dimension der Diskursanalyse und versteht Diskurse als soziale Praxis in einem mit zu beachtenden Kontext.150 Eine Spielart der Kritischen Diskursanalysen ist deshalb die diskurshistorische Analyse, die von Ruth Wodak in Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftler*innen entwickelt wurde.151 Wesentlicher Bestandteil des diskurshistorischen Ansatzes ist die Verbindung von Analysen sprachlicher Äußerungen mit dem Kontext, in dem diese entstanden sind. Denn Aussagen stehen nie für sich allein, sondern sind Bestandteil eines Diskurses, die in sprachliche, nichtsprachliche, gesellschaftliche, politische Kontexte und Handlungsräume eingebettet sind.152 Wodak beschreibt dabei drei Dimensionen, die zentral für die diskurshistorische Analyse sind: Der Inhalt der Daten, die eingesetzte diskursive Strategie (zum Beispiel Argumentationsstrategien und Topoi) sowie die linguistische Realisierung des Inhaltes und der Strategie.153 Argumentationen bilden in der diskurshistorischen Analyse eine der fünf diskursiven Strategien und sind wesentlich bei der Präsentation des positiven wir und negativen Anderen.154

Argumentationsstrategien bzw. Topoi sind also ein Bestandteil der diskurshistorischen Spielart der kritischen Diskursanalyse. Ruth Wodak und Martin Reisigl haben in ihrem Buch „Discourse and Discrimination: Rhetorics of Rasism and Antisemitism“155 eine Reihe von Argumentationsstrategien im österreichischen Migrationsdiskurs ausgemacht. Darunter u. a. den topos of danger, den topos of threat, den topos of humanitarianism oder den topos of justice. Martin Reisigl hat im Rahmen eines Vergleiches rechtspopulistischer und faschistischer Rhetorik ebenfalls unter Anwendung der Argumentationsanalyse Strategien wie den Topos des Nichts-Wissens oder den Topos der Freiheit formuliert.156

Auf ähnliche Art und Weise hat auch der Sprachwissenschaftler Martin Wengeler Argumentationsmuster bzw. Topoi formuliert und in einem großangelegten Forschungsprojekt Migrationsdiskurse untersucht. Anders als Wodak oder Reisigl ist die Argumentationstheorie von Wengeler jedoch nicht der Wiener Gruppe zuzuordnen, sondern der von Georg Stötzel begründeten Historischen Diskurssemantik, bei der die Analyse von argumentativen Topoi ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen.157 Georg Stötzel ist der Gründungsvater der Düsseldorfer Schule, der unter anderem auch die Sprachwissenschaftler*innen Matthias Jung, Karin Böke und Martin Wengeler angehören. Ihre Überlegungen zur Diskursgeschichte bauen auf Arbeiten von Dietrich Busse und Wolfgang Teubert auf,158 die das Programm der Historischen Diskurssemantik formulierten und sich dabei an Foucaults Diskurstheorie anlehnten. Sie waren es auch, die mit ihrer Behauptung, „Argumentationsanalyse könne eine Art von Tiefensemantik leisten und damit einen Ausschnitt einer Diskursanalyse im Foucault’schen Sinne darstellen“159, die systematische Begründung und Anwendung der Argumentationsanalyse möglich machten. Die Düsseldorfer Schule hatte also die Argumentationsanalyse neben Schlüsselwörtern, Metaphernfeldern und expliziten Sprachthematisierungen als ein Zugriffsobjekt der Diskursanalyse in ihr Methodenset aufgenommen. Sie kam insbesondere bei Auswertungen des Migrationsdiskurses in den 1990er- Jahren durch Martin Wengeler zur Anwendung und etablierte sich dadurch zunehmend.160 Laut Wengeler sollte durch die Argumentationsanalyse ein Zugang zu dominanten Denkmustern geschaffen werden, die immer Teil eines Diskurses sind, wobei er auch stets den subjektiven Charakter der Analyse betonte, da die Überzeugungskraft einer Argumentation nur subjektiv bestimmt werden könne.161

Wie die Wiener Schule verstand auch Wengeler Argumentationen als konstitutives Element von Diskursen.162 Aber es gab auch Unterschiede zwischen den beiden Schulen. Während Vertreter*innen der diskurshistorischen Analyse Argumentationsstrategien dafür nutzten, um plausible bzw. trugschlüssige Aussagen aufzudecken und diese zu kritisieren,163 standen ideologie- und machtkritische Überlegungen bei der Historischen Diskurssemantik im Hintergrund. Dies bedeutete natürlich keineswegs, dass nicht auch die Düsseldorfer Schule ihre Untersuchungen kritisch reflektierte und auf gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen aufmerksam machte.164 Insbesondere Wengeler hatte den kritischen Anspruch, Veränderungen von „Wirklichkeitssichten“ aufzuzeigen und den Einfluss auf das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung offen zu legen.165

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