Читать книгу Autochthone Minderheiten und Migrant*innen - Sarah Oberbichler - Страница 21

1.3 Migration und Diskurs

Оглавление

Diskurse sind nichts Individuelles, sie sind sozial. Jeder Mensch ist ein Teil von Diskursen; er trägt nicht nur zu seiner Gestaltung bei, sondern verinnerlicht Schemata und Modelle (oft vermittelt durch Medien, Organisationen, Erziehung usw.), die eben nicht individuell sind, sondern im Laufe der Sozialisation angeeignet werden. Dabei sind Diskurse alles andere als harmlose Prozesse. Sie bestimmen Handlungen und üben Macht aus, sie können sogar zu Angriffen auf Migrant*innen, Überfällen auf Flüchtlingsunterkünften oder Terror verleiten.132 Diskurse haben also die Macht, Handlungen zu ermöglichen oder zu verhindern, auch bestimmen sie, wie und auf welche Art gehandelt werden soll.133 Diskursanalysen thematisieren deshalb Texte mit Einbezug des sozialgeschichtlichen Hintergrundes, auf den sie sich beziehen und auf den sie sich wiederum auswirken. Denn sprachliche Prozesse speisen sich aus realen Ereignissen und reale Ereignisse wiederum werden durch sprachliche Prozesse beeinflusst.134

Schemata und Modelle im Sprechen über Migration werden ebenfalls oder gerade wegen fehlender Alltagserfahrungen im Laufe der Sozialisation angeeignet. Der mediale Migrationsdiskurs trägt wesentlich zu dieser Sozialisation bei. Zu ermitteln, wie Medien Migrationsdiskurse steuern und dadurch Macht ausüben, ist wesentlicher Bestandteil der Diskursanalyse. Wissenschaftliche Beiträge, in denen Migrationsdiskurse untersucht und dafür unterschiedliche Herangehensweisen der Diskursanalyse verwenden werden, haben sich gerade die Beantwortung derartiger Fragen zur Aufgabe gemacht.

Wesentlich sind hierbei die Aufsätze von Ruth Wodak und Bernd Matouschek.135 Sie heben verschiedene Formen von Migrationsdiskursen hervor und resümieren, dass in Österreich der Mitleids- und Bevormundungsdiskurs in einem starken Zusammenhang mit dem Rechtfertigungs- und Begründungsdiskurs steht, womit eine restriktive Migrationspolitik legitimiert wird.136 Zu nennen sind zudem die Untersuchungen von Margarete Jäger. In ihrem Aufsatz „Skandal und noch einmal“137 deckt sie diskursive Verschiebungen und Benennungspraxen des Einwanderungsdiskurses in (West-)Deutschland auf. Darüber hinaus hat sie in ihrem jüngsten Buch zum Flüchtlingsdiskurs in deutschen Medien 2015 und 2016 gemeinsam mit Regina Wamper herausgearbeitet, dass es – unter Anzweifelung einer wirklichen Krise – 2015 und 2016 auf jeden Fall zu einer diskursiven Krise kam: „Diskursiv wurde der Notstand ausgerufen, Katastrophisches beschrieben und prognostiziert, es wurde also massiv denormalisiert.“138 Stereotype und Topoi des antimuslimischen Rassismus hat zudem Yasemin Shooman139 anhand deutscher Medienberichterstattung und Zuschriften an die Türkische Gemeinde Deutschlands (TGD) offengelegt.

Auch Diskursanalysen, die Migration und soziale Medien zum Gegenstand haben, gehören zur neueren Forschung. Marieluise Mühe etwa analysierte rassistische Diskurse über Flüchtlinge in sozialen Medien in Deutschland. Sie stellte fest, dass rassistische Kommentare in Online-Debatten ein Feindbild von jungen, muslimischen Männern konstruieren, die der Armut entflohen sind. Auch schlussfolgert sie, dass sich das Medium Facebook verstärkt auf die einseitige Wahrnehmung von Flüchtlingen auswirkt.140 Eine Diskursanalyse der Sarrazin-Debatte nahm Sebastian Friedrich141 vor und identifizierte eine Verschiebung des Diskurses nach der Veröffentlichung von Thilo Sarrazzins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Er stellte fest, dass Migrant*innen zunehmend über das „Leistungsparadigma“ ausgegrenzt werden.142

Im englischsprachigen Raum hat Christopher Hart143 Migrationsberichterstattungen mithilfe einer Kombination von Diskursanalyse und Kognitionswissenschaft untersucht. Aidan McGarry und Helen Drake144 haben wiederum den Sicherheitsdiskurs in Frankreich unter dem Aspekt der Politisierung von Roma analysiert und Mikko Kuisma145 hat eine Arbeit zum Thema ökonomischer Nationalismus im Migrationsdiskurs von Finnen veröffentlicht. Kiumsa hatte dabei Argumentationen ausgemacht, die Migrant*innen in gute bzw. in böse Zugewanderte einteilen. Irland als Untersuchungsfeld für eine Diskursanalyse der Migration hat zudem Elaine Burroughs146 gewählt, und untersuchte mithilfe einer Argumentationsanalyse die diskursive Repräsentation von illegalen Migrant*innen in irischen Medien.

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

Подняться наверх