Читать книгу Autochthone Minderheiten und Migrant*innen - Sarah Oberbichler - Страница 20

Der Einfluss der Medien auf die Wahrnehmung von Migration und die Rolle der Politik

Оглавление

Niklas Luhmann schrieb 1996: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“112 Es ist heute eine unumstrittene Tatsache, dass Medien einen deutlichen Einfluss darauf haben, welche Frames und welche Argumentationen den Diskurs über Menschen anderer Herkunft bestimmen. Wie sehr der Alltagsdiskurs von Mediendiskursen gespeist ist, verdeutlichen die Untersuchungen von Siegfried Jäger, der in seinem Buch „BrandSätze. Rassismus im Alltag“113 Alltagshaltungen mithilfe von Interviews untersuchte. Jäger resümiert, dass die Befragten nicht nur Begriffe, sondern auch Argumentationen wortwörtlich von Medien übernahmen, insbesondere dann, wenn sie komplexere Zusammenhänge erklären sollten. Medien sind deshalb nicht nur informierend, sondern im weitaus größeren Maß bewusstseinsbildend.

Es geht aber nicht nur darum, was Medien berichten, sondern auch wie. Medien stehen eine Reihe von Konzepten zur Verfügung, wie sie Migration auf die Tagesordnung bringen können. So kann zum Beispiel eine Nachrichtenmeldung über eine Migrationsreform das Konzept der erhöhten wirtschaftlichen Kosten enthalten. Gleichzeitig kann die Nachrichtenmeldung aber auch ein positiveres Konzept vermitteln, indem hervorgehoben wird, dass mit der Reform die Trennung von Familien verhindert wird.114 Aus diesem Grund können Medieninhalte auch nie als „einfache Wiederspiegelungen und Abbilder einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit“115 betrachtet werden. Sie liefern nie nur reine Abbildungen oder Beschreibungen als solche.116 In diesem Zusammenhang wird auch von konstruierter Realität oder einfach Medienrealität gesprochen.117

Medienberichte sind oft einseitig, ungenau und verzerrt. Auch politische Nachrichten präsentieren eine Politik-Illusion, wenn sie sich auf prominente Personen und auf die Meinung bestimmter Parteien konzentrieren.118 Massenmedien als Spiegel der Wirklichkeit zu betrachten, ist also mehr als naiv, trotzdem eine notwendige Sichtweise. Wir haben für viele Realitätsbereiche keinen anderen Zugang zur Wirklichkeit als über Medien. Die Medienrealität hat für die Gesellschaft einen vergleichbar objektiven Wert, wie es die individuelle Weltanschauung hat. So wie wir in unserer Wahrnehmung begrenzt sind, sind Medien in ihrer Darstellung von Realität begrenzt. Wichtig ist deshalb, Medien als „informationsverarbeitende Systeme“ zu begreifen – sie bewerten, selektieren, interpretieren und entwerfen ein Bild der Welt, das für die Bedürfnisse der Rezipient*innen zugeschnitten ist.119

Darüber hinaus ist die journalistische Praxis beeinflusst von Interessen sozialer, politischer oder kultureller Institutionen.120 Das heißt, Medieninhalte werden stets von unterschiedlichen Interessen (Redaktion, Zielpublikum, Wirtschaft und Politik) gelenkt. Im quellenkritischen Umgang mit Medieninhalten stellen sich deshalb Fragen nach der Herkunft der Nachricht, nach Kriterien der Auswahl sowie nach der Kondensierung der ausgewählten Nachricht.121 Aus diesem Grund müssen Medien als Quelle indirekter Erfahrung gesehen werden, denn die Informationen, die durch Medien über Migrant*innen vermittelt werden, strukturieren die Vorstellung der Rezipient*innen und bestätigen bereits vorhandene Ansichten und Vorurteile.122

Insbesondere Politikerinnen und Politiker haben ein beständiges Interesse daran, ihre Argumentationen in der Presse zu verlauten. Denn für politische Parteien ist die Fremddarstellung politischer Botschaften in den Medien eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Form der Kommunikation mit der Bevölkerung. Menschen, die in der Politik tätig sind, beliefern Medien nicht selten mit Eigendarstellungen. Christiane Eilders123 hat festgestellt, dass Parteien und Verbände in übermäßigen Anteilen in den Medien vertreten sind, während andere Gruppen wie Kirchen oder zivilgesellschaftliche Vereine unterrepräsentiert sind.124 Nicht alle Parteien und politischen Akteur*innen werden in den Medien zu gleichen Teilen präsentiert. Weniger bekannte Politiker*innen und schwächere Parteien sind häufig – selbst wenn sie großartige Arbeit leisten – in den Medien marginalisiert.125

Es obliegt den Medien, zu entscheiden, was als veröffentlichungswürdig erachtet wird und wie viel Aufmerksamkeit sie einer Person oder einer Thematik schenken. Dijk stellte fest, dass üblicherweise führenden Politiker*innen – insbesondere bei Konflikten – um ihre Meinung gefragt werden, selbst wenn diese eine Minderheitenmeinung vertreten. In Nachrichtenmeldungen über Migrant*innen müssten im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattungen jedoch auch die Meinungen wichtiger und kompetenter Vertreter*innen dieser kleineren Gruppen berücksichtigt werden, was aber meistens nicht der Fall ist.126 Diese Art der Berichterstattung wirkt wiederum auf das politische Handeln ein, denn je größer die Aufmerksamkeit der Presse, desto höher ist die Bedeutung des Themas in der Bevölkerung und dadurch wiederum für die Politik.127 Nick Couldry zum Beispiel argumentierte, dass Medien wie eine Art Metafeld funktionieren, da sie andere Bereiche, wie etwa die Politik, deutlich beeinflussen können.128 Die Beziehung zwischen Medien und Politiker*innen kann also als bidirektional verstanden werden. Medien formen die öffentliche Meinung, um politische Entscheidungen zu legitimieren, und spiegeln damit die Interessen der etablierten Elite wider. Gleichzeitig treiben Medien aber auch die politische Entscheidungsfindung voran, indem sie öffentliche Meinung zu Politiker*innen formen, die darauf reagieren müssen.129 Diese öffentliche Meinung ist jedoch zumeist nichts anderes als eben eine politische Meinung. So beschreiben Brigitta Busch und Michał Krzyzanowski130 die Beziehung zwischen dem Feld der Politik und dem Bereich der Medien als eine Kette der Re-Kontextualisierung, die in zwei Richtungen erfolgt: vom politischen Diskurs in die Medien (z. B. durch das Zitieren von Reden und andere politische Stellungnahmen) und von den Medien wiederum in den politischen Diskurs (z. B. Politiker*innen zitieren Medien als öffentliche Meinung, obwohl sie ihre eigenen in den Medien abgedruckten Statements zitieren).

Mit einer derartigen Einflussnahme und Agenda-Setting Funktion stehen die Medien unter besonderem Interesse bei der Ermittlung von Immigrationsdiskursen, denn sie sind das Zentrum der Repräsentation von Migration und versammeln Informationen, die in Feldern wie Politik, Recht, Bildung und Alltag entstanden sind.131

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

Подняться наверх