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Einleitung

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„Dass Südtirol von der modernen Völkerwanderung verschont bleiben sollte, war wohl eine Utopie der Wenigen.“1 (Dolomiten)

Südtirol blieb – wie die deutschsprachige Tageszeitung Dolomiten 1996 berichtete – nicht von der „modernen Völkerwanderung“ verschont. Bereits ein Blick in die Südtiroler Tageszeitungen zeigt, wie präsent und brisant das Thema Migration für die Südtiroler Bevölkerung seit den frühen 1990er-Jahren ist, auch wenn oder gerade weil für sie die Erfahrung mit Menschen ausländischer Herkunft eine relativ neue ist. Allzu leicht wird vergessen, dass das heute wohlhabende Südtirol bis Ende der 1980er-Jahres stärker von Auswanderung als von Einwanderung geprägt war – aus ökonomischen Gründen, aber auch aus politischen und militärischen.

Erst in den späten 1980er-Jahren – mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Konjunktur und der Stabilisierung des Arbeitsmarktes – kam es zu einer Intensivierung der Einwanderung, motiviert durch soziale Sicherheit und Arbeit.2 Zum Einstieg einige Zahlen dazu: 1990 lebten laut den Erhebungen des Landesinstituts für Statistik nicht mehr als 5.099 ausländische Staatsbürger*innen in Südtirol,3 bis 2017 stieg die Zahl auf 48.018 an. Ende 2018 lebten damit 139 unterschiedliche Nationalitäten im Land.4 Albanerinnen und Albaner bildeten die größte Gruppe, gefolgt von Menschen deutscher und marokkanischer Herkunft.5

Trotz rasanten Zuwachses und großer Vielfalt war und ist die Sichtbarkeit von Migrant*innen in der Südtiroler Öffentlichkeit mehrheitlich auf die Darstellung in den Medien beschränkt. In politischen oder gesellschaftlichen Kontexten sind sie hingegen kaum präsent. Medien spielen eine Schlüsselrolle bei der Konstruktion des Fremden. So gehen mit Migration immer medial produzierte und vermittelte Vorstellungen des Fremdseins einher. Medien als machtvolle Instanzen tragen wesentlich dazu bei, welches Bild von Migration sich im kollektiven Wissen6 einer Gesellschaft verankert bzw. niederschlägt. Wenn Medien (über Migrant*innen) berichten, konstruieren sie also Wirklichkeit bzw. Medienrealität, womit sie das Denken und Argumentieren der Rezipient*innen steuern und beeinflussen. Ausländische Bürger*innen in Südtirol sind aufgrund eingeschränkter Mitsprachemöglichkeit der lokalen Medienwirklichkeit, oder besser gesagt, den zwei ethnisch getrennten Wirklichkeiten, besonders ausgeliefert. Denn Südtirols Mediensystem ist, wie auch Südtirols Gesellschaft, gespalten und die zwei größten Tageszeitungen, die deutschsprachige Dolomiten und die italienischsprachige Alto Adige – beide Grundlage vorliegender Arbeit –, berichten stets im Interesse ihrer eigenen Sprachgruppe und der eigenen politischen Leitgedanken.

Vorliegendes Buch erforscht die Wahrnehmung von Migration in den Südtiroler Tageszeitungen. In diesem Zusammenhang strukturiert sich die Arbeit in zwei wesentliche Teile. Im ersten Teil der Arbeit geht es um eine Darstellung des Forschungsstandes, der Methoden und des methodischen Vorgehens: Das erste Kapitel bietet eine Übersicht über den Forschungsstand und bettet die Arbeit in einen theoretischen Rahmen ein. Das zweite Kapitel beschreibt das Textkorpus, das dieser Arbeit zugrunde liegt. Das dritte Kapitel erläutert die herangezogenen Methoden, begründet die Kombination verschiedener Ansätze und beschreibt das methodische Vorgehen. Anschließend werden in diesem Kapitel die ausformulierten Schlussregeln der in den Tageszeitungen vorkommenden Argumentationen aufgelistet.

Der zweite Teil der Arbeit dient der Analyse: Im ersten und umfangreichsten Kapitel wird der historische und politische Rahmen zum Thema Einwanderung in Südtirol rekonstruiert und die durch die vergleichende diskurshistorische Argumentationsanalyse/Inhaltsanalyse erhaltenen Ergebnisse werden erläutert. Den ersten Schwerpunkt bildet das Thema Flucht und Vertreibung, es folgen die Südtiroler Moscheekonflikte und die Entstehung illegaler Barackensiedlungen in den frühen 1990er-Jahren. Die Themen Wohnen und Integration schließen das Kapitel ab. Im zweiten Kapitel werden – aufbauend auf dem vorhergehenden Kapitel – Fragen geklärt, die über die einzelnen Diskurse (Flüchtlingsdiskurs, Moscheebaudiskurs etc.) hinausgehen: So zum Beispiel die Frage nach der historischen Kontinuität von Argumentationsmustern, der ethnischen Debatte beider Sprachgruppen, der Mitsprachemöglichkeiten der Migrant*innen sowie der Rolle der Politik im Migrationsdiskurs.

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

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