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Der Vergleich der italienischen und der deutschen Berichterstattung hat gezeigt, dass beide ethnischen Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Informationen und Meinungen präsentiert bekommen. Da die beiden auflagenstärksten Tageszeitungen in Südtirol einen wesentlichen Beitrag zur Bildung des kollektiven Wissens der Bevölkerung leisten, kann zurecht resümiert werden, dass beide Sprachgruppen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Dadurch können gemeinsame Zustimmungsprozesse erschwert und notwendige Maßnahmen zur Regulierung von Migration und Integration verzögert werden.

Während in der Alto Adige Migrant*innen häufiger als Gefahr wahrgenommen werden, wurden sie in der Dolomiten immer wieder (politisch) instrumentalisiert. Weit auseinander gingen außerdem die Vorstellungen zum Thema Integration. Beide Sprachgruppen nutzten ihre Tageszeitungen nicht nur zur Verbreitung unterschiedlicher Standpunkte, sondern auch zur Kritik der jeweils anderen Gruppe. Insbesondere in der Alto Adige wurde die deutsche Migrationspolitik an den Pranger gestellt und die Vorhaben deutschsprachiger Politiker*innen kritisiert. Die italienische Sprachgruppe nahm dabei die Rolle der kritischen Beurteilerin ein, die die unmenschliche und die Gesellschaft spaltende Politik der deutschen Partei anklagte. Die Dolomiten stellte hingegen den Traditions- und Heimatbezug in den Vordergrund und griff wiederholt auf ein traditionell-konservatives Repertoire an (christlichen) Werten zurück, wodurch der Verweis auf kulturelle bzw. christliche Anschauungen aber auch die Angst vor dem Verlust von Traditionen und insbesondere des Status quo einen wesentlichen Bestandteil bildeten. Auch dies führte zu Ablehnung und Kritik auf italienischsprachiger Seite. War zu Beginn der 1990er-Jahre in den Tageszeitungen tatsächlich so etwas wie ein Wir-Gefühl unter den Sprachgruppen auszumachen, führte die Zuwanderung von Menschen anderer Länder insgesamt jedoch zu mehr Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen in Südtirol. Während des Untersuchungszeitraums konnte jedenfalls im Analysekorpus weder eine Annäherung der gemeinsamen Interessen noch eine steigende Tendenz des Zusammengehörigkeitsgefühls der autochthonen Bevölkerungsgruppen ausgemacht werden. Jedoch waren unterschiedliche Ansichten und Kritik an der jeweilig anderen Sprachgruppe im Migrationsdiskurs der Zeitungen stetig präsent.

Stärker als angenommen bestimmten politische Akteur*innen die Darstellung und die Wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten in den Medien mittels direkter oder indirekter Rede. Die Aufmerksamkeit der italienischsprachigen Tageszeitung galt hierbei vorwiegend italienischsprachigen Politiker*innen, während sich die deutschsprachige Zeitung mehr der deutschsprachigen Politik widmete. Lediglich die Südtiroler Volkspartei war in beiden Tageszeitungen eindeutig überrepräsentiert und kann somit als die meinungsbildende Partei eingestuft werden.

Mithilfe der Tageszeitungen konnten Akteur*innen gezielt Inhalte verbreiten, die die Stimmung in der Bevölkerung lenken sollten. Ging es darum, (politische) Maßnahmen zu legitimieren, die die Zuwanderung von Menschen mit ausländischem Pass einschränkten, war die Darstellung der Migrant*innen als Gefahr eine logische Konsequenz. Wenn es aber galt, Zustimmung für die eigene Partei zu gewinnen, waren Argumente, die die einheimische Bevölkerung in den Vordergrund stellten, eine wirksame Maßnahme. Der politische Nutzen von Zugewanderten wurde wiederum hervorgehoben, wenn es darum ging, einen Vorteil für die eigene Sprachgruppe zu erkämpfen. Für jede Situation gab es wirksame Argumente, mit denen für oder gegen bestimmte Maßnahmen plädiert, mit denen kritisiert oder pauschalisiert, Ängste verstärkt oder Ängste vermindert wurden. Zudem können gewisse Trends im Sprechen über Migration und Flucht nachgezeichnet werden. Denn es waren stets dieselben Argumentationen, die Generation für Generation den Migrationsdiskurs begleiteten.

Darüber hinaus ist in beiden Tageszeitungen seit den 2000er-Jahren eine Radikalisierung im Reden über Migration im Sinne eines deutlichen Anstiegs des Gefahrendiskurses zu erkennen. Gleichzeitig konnte auch festgestellt werden, dass etwa die Caritas, jener Wohlfahrtsverband, der sich stets mit der Beratung, Unterstützung und Unterbringung von Flüchtlingen auseinandersetzte, in den Tageszeitungen nach und nach an Aufmerksamkeit einbüßte, während rechtspopulistische Parteien und ihre fremdenfeindliche Weltanschauung deutlich an Präsenz gewannen. All dies trägt dazu bei, dass Menschen sich ablehnender zum Thema Migration positionieren.

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1 Fremde Gäste für die Gastwirtschaft, in: Dolomiten, 10.01.1996.

2 Rainer Girardi / Eva Pfanzelter, Migration in Zahlen: Ein- und Auswanderung in Südtirol in den amtlichen Statistiken, in: Eva Pfanzelter / Dirk Rupnow (Hrsg.), einheimisch – zweiheimisch – mehrheimisch, Bozen 2017, 43–67, 44.

3 Rainer Girardi, Geschichtlicher Abriss und demographische Daten zur Migration in Südtirol, in: Roberta Medda-Windischer / Gerhard Hetfleisch / Maren Meyer (Hrsg.), Migration in Südtirol und Tirol. Analysen und multidisziplinäre Perspektiven, Bozen 2011, 77–95, 81.

4 ASTAT, [https://astat.provinz.bz.it/de/bevoelkerung.asp], eingesehen am 29.12.2018.

5 Girardi / Pfanzelter, Migration in Zahlen, 48.

6 Medien sind Teil des schriftlichen Nachlasses der Menschheit und gehören somit zum kulturellen Gedächtnis, vgl. dazu: Aleida Assmann / Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten / Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, 114–140.

7 Hans Karl Peterlini, Between Stigma and Self-Assertion: Difference and Belonging in the Contested Area of Migration and Ethnicity, in: Georg Grote / Hannes Obermair (Hrsg.), A Land on the Threshold. South Tyrolean Transformations 1915-2015, Bern 2017, 341–360.

8 Günther Pallaver, Transformationsmodelle der Südtiroler Autonomie 1972-2012. Konfliktlösungsmodell, Konkordanzdemokratie, Parteien, in: Günther Pallaver (Hrsg.), Politika 12 (=Jahrbuch für Politik), Bozen 2012, 205–241, 206.

9 Der „ethnische Proporz“ bezeichnet das Recht der drei Sprachgruppen (Deutsche, Ladiner und Italiener), im Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Stärke berücksichtigt zu werden. Geregelt werden dabei die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst, die Zusammensetzung der Organe der örtlichen Körperschaften sowie die Verteilung der Haushaltsmittel des Landes. Abgedruckt in: Südtiroler Landesregierung – Bozen (Hrsg.), Südtirols Autonomie. Beschreibung der autonomen Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Landes Südtirol, Bozen o.J., 91.

10 Peterlini, Between Stigma and Self-Assertion, 345.

11 Roberta Medda-Windischer, Diversity Management „neuer“ Minderheiten in Alto Adige/Südtirol, in: Medda-Windischer / Hetfleisch / Meyer (Hrsg.), Migration in Südtirol und Tirol, 19–33, 20.

12 Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Südtirol und im Trentino. Überblick über Land und Geschichte, Recht und Politik, Bozen-Trient 22000, 167 f; Medda-Windischer, Diversity Management, 20.

13 Eike Pokriefke, Abschlusstagung „Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft“, in: [http://www.apollis.it/download/19dextBwIFTX.pdf], eingesehen am 18.05.2018.

14 1991 wurde zu den drei bekannten Sprachgruppen eine vierte Kategorie („andere“) hinzugefügt, die für EU-Bürger*innen und Drittstaatangehörige eine Möglichkeit bietet, wenn sie die Erklärung für Wohngeld oder für andere Dienstleistungen brauchen. Abgedruckt in: Medda-Windischer, Diversity Management, 20.

15 Markus Costa, Integrationspolitik in Südtirol. Kritische Analyse der Integrationspolitik unter den Aspekten der Assimilationstheorie und des Multikulturalismus in einer ethnisch fragmentierten Gesellschaft, Diplomarbeit, Innsbruck 2012, 71–72.

16 Emil Juen (Hrsg.), Tiroler Almanach / Almanacco Tirolese, Innsbruck 1991.

17 Renzo Gubert, Die neuen Völkerwanderungen und die alpinen Volksgruppen, in: Juen (Hrsg.), Tiroler Almanach, 10–14, 10.

18 Gubert, Die neuen Völkerwanderungen, 10.

19 Siegfried Jäger, BrandSätze. Rassismus im Alltag, Diusburg 1992.

20 Martin Wengeler, Topos und Diskurs: Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960-1985), Tübingen 2003.

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

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