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3. Methodischer Rahmen 3.1 Auswertungsmethoden: Die vergleichende diskurshistorische Argumentations- und Inhaltsanalyse

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Um die der Arbeit zugrundeliegenden Forschungsfragen beantworten zu können, ist die Kombination von mehreren Methoden notwendig. Die wichtigste Säule bildet die vergleichende diskurshistorische Argumentationsanalyse, die es ermöglicht, beide Tageszeitungen, unabhängig ihrer sprachlichen Realisierung nach Mustern und Schemata über einen langen Zeitraum hinweg, zu untersuchen. Vorbild für die methodische Auswertung waren Martin Wengelers praxisnahen Arbeiten, der – zur Düsseldorfer Schule der Diskursanalyse angehörig – eine Reihe von Argumentationsmustern für den Migrationsdiskurs formulierte. Diese Methode ermöglicht es, Strukturen und Muster von expliziten und impliziten Argumentationen zu analysieren und über eine längere Zeitspanne zu vergleichen. Zudem war die Wiener Schule in Hinblick auf die Kontextualisierung von Diskursen wegweisend. Die Argumentationsanalyse hat sich besonders für die interlinguale Gegenüberstellung der beiden Zeitungen Dolomiten und Alto Adige angeboten, da die Analyse auf inhaltlicher Ebene geführt wird und dadurch die Lexik nicht im Vordergrund steht.222

Die Argumentationsanalyse hat sich im Besonderen im Migrationsdiskurs etabliert, da sie eine „sinnvolle diskursanalytische Interpretation eines Textkorpus“223 ermöglicht und Denkmuster offenlegen kann.224 Sie ist ein passendes Instrument, um Argumentationen – wahr oder nicht wahr – zu erfassen, die in öffentlichen Diskursen Meinungen bilden oder Handlungen rechtfertigen.225 Für die Begründung einer diskurshistorisch ausgerichteten Argumentationsanalyse steht die Richtigkeit einer Position oder Entscheidung nicht im Vordergrund. Es geht ausschließlich um die Erfassung des kollektiven Wissens einer gegebenen Zeit.226 Diesen Grundsatz verfolgt auch vorliegende Forschungsarbeit.

Den Überlegungen zur diskurshistorischen Argumentationsanalyse liegen unter anderem die Arbeiten von Josef Kopperschmidt227 und Manfred Kienpointner228 zugrunde. Die von Kopperschmidt sogenannte mikrostrukturelle Argumentationsanalyse kann sich auf eine Vielzahl von Texten konzentrieren und ist so für eine Diskursanalyse einsetzbar. Dabei unterscheidet er zwischen formaler, materialer und funktionaler Analyse, wobei für diese Arbeit eine Mischform von formaler und materialer Argumentationsanalyse sinnvoll ist. Die funktionale Ebene ist für die Diskursanalyse nicht anwendbar. Auf formaler Ebene geht es um die Typologisierung und Analyse der allgemeinen Formprinzipien/kontextabstrakten Mustern von Argumenten über einen längeren Zeitraum hinweg.229 Präziser gesagt, geht es um die Analyse von impliziten Schlussregeln, die den Topoi230 der antiken Rhetorik naheliegen.231 Diese Topoi können, in einem öffentlichen Diskurs gebraucht, in der Gesellschaft verbreitete Denkgewohnheiten und Einstellungen offenlegen. Kienpointner hat in seinem Buch „Alltagslogik“ eine Reihe kontextabstrakter Mustern formuliert, die für das Argumentieren einer Sprachgemeinschaft prototypisch sind.232 Für Martin Wengeler reicht es jedoch nicht aus, nur allgemeine/formale Argumentationsmuster (z. B. Kausalschemata oder Vergleichsschemata) ausfindig zu machen, sondern sie müssen mit spezifischen Inhalten gefüllt werden. Um eine diskursgeschichtlich ausgerichtete Argumentationsanalyse durchführen zu können, wird also die formale Topik mit der materialen/inhaltlichen Topik verbunden. Dadurch können „Unterschiede in der Verwendung typischer Topoi zwischen verschiedenen Gruppen zu einem Zeitpunkt und zwischen diesen Gruppen zu verschiedenen Zeitpunkten in einem Themenbereich herausgefunden“233 und anschließend verglichen werden.234

Da Argumentationen meist implizit bleiben, muss das Gesagte zunächst interpretativ erschlossen werden. Dies geschieht durch die Ableitung von Schlussregeln bzw. Topoi aus impliziten Argumenten. Aufgrund der Vielzahl an Variationen können Argumente nicht singulär verglichen werden, durchaus aber Schlussregeln, die Argumente mit gleicher Schlussfolgerung zusammenfassen.235 Diese Schlussregeln können in der Analyse als knappe Stichworte, Ausdrücke, Kurzsätze oder Regeln formuliert werden. Die Dominanz, das Vorkommen und die Veränderung dieser Muster ermöglichen anschließend einen Vergleich von dominanten Denkmustern über die Zeit und darüber hinaus den Vergleich von Diskursen in verschiedenen Medien. So z. B. der Migrationsdiskurs der Tageszeitungen Dolomiten und Alto Adige.236 Beide Südtiroler Tageszeitungen berichten in unterschiedlichen Sprachen und repräsentieren ihre jeweilige Sprachgruppe und Kultur. Es kann hierbei nicht von einem internationalen Vergleich gesprochen werden, trotzdem handelt es sich um zwei unterschiedliche Kulturen, die zwei unterschiedliche Sprachen sprechen und eine Art Parallelgemeinschaft führen. Dieser interlinguale und doch intranationale Aspekt ist für die Auswertung nicht unbedeutend, da auch die Denkmuster/das kulturelle Gedächtnis237 keine Gemeinsamen sind. Dadurch ergeben sich prototypische Argumente, die nur für eine Sprachgruppe charakteristisch sind.

Für die diskursgeschichtliche vergleichende Argumentationsanalyse in Südtirol gilt also zu klären, ob:

• die beiden Sprachgruppen die gleichen Argumente/Argumentationsmuster verwenden oder nicht,

• es Gemeinsamkeiten/Parallelen in den Diskursen der jeweiligen Sprachgruppen gibt und ob diese zur selben Zeit oder phasenverschoben auftreten,

• es eine Veränderung/einen Wandel im Gebrauch bestimmter Argumentationsmuster gibt und dieser synchron verläuft,

• bestimmte Argumentationsmuster signifikant für die jeweilige Sprachgruppe sind.238

Eine diskurshistorische Analyse – und hier wird auf die Wiener Schule der Diskursanalyse verwiesen – darf neben dem argumentativen Aspekt nicht die Ebene des „nicht-sprachlichen gesellschaftlichen Kontextes“239 vergessen. Die Bedeutung der einzelnen Topoi entsteht nicht nur durch den Gebrauch im Diskurs, sondern auch in Verbindung mit dem relevanten Kontext. Um es einfach auszudrücken: Sprachliche Äußerungen finden an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit und aus einem bestimmten Grund statt, weshalb gesellschaftliche, historische und kulturelle Kontexte zu beachten sind. Bernd Matouschek unterschiedet hierbei drei Kontexte auf der Makroebene:

• Der diskursive Kontext: die inhaltliche/thematische Verknüpfung der einzelnen Texte (Intertextualität)

• Der soziale Kontext: Um den Bezug zum nicht-sprachlichen Kontext herzustellen, müssen auch verfügbare Sozialdaten miteinbezogen werden (Daten zur Einwanderung, Asylanträge, Arbeitsmarktlage, Lebensverhältnisse der Migrant*innen, Kriminalstatistiken usw.)

• Der historische Kontext: Die untersuchten Texte sind in einer vergangenen Zeit entstanden, weshalb es für die Analyse auch wichtig ist, den relevanten geschichtlichen Hintergrund zu beschreiben.240

Um formale und inhaltliche Merkmale der Zeitungsartikel festzuhalten, wurde zeitgleich mit der Argumentationsanalyse eine Inhaltsanalyse durchgeführt. Denn durch inhaltsanalytische Verfahren können formale Aspekte wie Darstellungsformen, Medientypen oder Zeiträume erschlossen und anschließend graphisch dargestellt werden. Die Inhaltsanalyse ist besonders effizient in der Verarbeitung großer Datenbestände und hilft bei der Strukturierung, Abrufung und Einordnung einzelner Texte. Unterschieden werden muss bei der Methode der Inhaltsanalyse zwischen qualitativen und quantitativen Verfahren.241 Für diese Arbeit wurden quantitative Verfahren angewendet, mit dessen Hilfe folgende Kriterien erfasst wurden:

• Datum (Jahr und Monat)

• Art des Mediums (Dolomiten oder Alto Adige)

• Artikulationsmöglichkeiten von Migrant*innen (Kommen zu Wort bzw. kommen nicht zu Wort)

• Journalistische Form (Nachrichten/Meldungen, Berichte, Reportagen, Dokumentationen, Leitartikel/Kommentare/Glosse, Interviews, Pressemitteilungen, Leserbriefe)

Die Kombination von Diskursanalyse und Inhaltsanalyse hat sich als gewinnbringend gezeigt. Durch die Inhaltsanalyse wurden die einzelnen Artikel mit den notwendigen Metadaten versehen, die für die Strukturierung, Einordnung und Auswertung der Artikel notwendig sind. Außerdem konnten inhaltliche Aspekte wie die Artikulationsmöglichkeiten von Migrant*innen erhoben werden.

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

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