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Ethnische Berichterstattung, mangelnde Meinungspluralität, Autoreferenzialität und die Folgen für die Migrationsberichterstattung

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Medien stellen Öffentlichkeit her. Diese Öffentlichkeit sollte möglichst alle Bürger*innen eines Landes umfassen und ihnen die gleichen Informationsmöglichkeiten bieten. Gerade dies ist aber nur möglich, wenn alle Bürger*innen Zugriff auf dieselben Medien haben und dieselben Sprachen verstehen. In Südtirol ist jedoch Gegenteiliges der Fall. Da in Südtirol nicht von einer Gesamtgesellschaft die Rede sein kann, sondern vielmehr von nebeneinander lebenden Subgesellschaften mit eigenen Medien, fehlt es an einer wünschenswerten und notwendigen Berichterstattung für die Gesamtgesellschaft. Eine Umfrage aus dem Jahr 2000 hatte beispielsweise ergeben, dass zur damaligen Zeit lediglich 9 Prozent der italienischsprachigen Bevölkerung auch ab und an zur deutschsprachigen Dolomiten griff und immerhin 22 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung auch die Alto Adige las.199 Diese Trennung gilt und galt nicht nur für die Adressaten, sondern auch für die Auswahl der Nachrichten. Neben den allgemeinen Parametern der Nachrichtenfaktoren, also den Merkmalen, die den Nachrichtenwert bestimmen, gibt es in Südtirol den zusätzlichen ethnischen Nachrichtenfaktor.200

Die Tageszeitungen können also im Grunde als Spiegel des sozialen bzw. politischen Systems verstanden werden, das auf der ethnischen Trennung der drei Sprachgruppen – der deutschen, italienischen und ladinischen – beruht. Das bedeutet, dass jede Gruppe ihre eigenen einsprachigen Medien besitzt und als Folge dessen eine jeweils andere mediale Wirklichkeit präsentiert bekommt. Dadurch wird die Bevölkerung nicht auf gleiche Art und Weise über politisches Handeln aufgeklärt und es kommt vor, dass Medien der einen Sprachgruppe eine politische Maßnahme als unbedingt notwendig verkaufen, während Medien der anderen Gruppe diese als nutzlos bezeichnen. Im ethnisch geteilten Südtirol erschweren deshalb getrennte Realitäten gemeinsame Zustimmungsprozesse. Denn wenn eine getrennte Massenkommunikation zu einer segmentierten Öffentlichkeit führt, ist die Legitimation des politischen Systems asymmetrisch und brüchig.201 In der Zuwanderungspolitik hat dies insofern weitreichende Folgen, als Rechte, die sich u.a. auf wohlfahrtstaatliche Leistungen und politische Partizipation beziehen, stets durch die Gesamtbevölkerung legitimiert werden müssen.202 Das getrennte System verhindert eine Wir-Identität zwischen den beiden Sprachgruppen, vielmehr arbeiten beide Gruppen in wichtigen Fragen gegeneinander,203 was sich auch in der Migrationsberichterstattung widerspiegelt.

Eine weitere Charakteristik für das Südtiroler Mediensystem ist die mangelnde Meinungspluralität. Sowohl die Alto Adige als auch die Dolomiten haben innerhalb ihrer Sprachgruppe eine Reichweite von über 80 Prozent. Dies bedeutet, dass – laut einer ASTAT-Studie aus dem Jahr 2000 – 88 Prozent der deutschen-ladinischen Bevölkerung täglich die Dolomiten liest und 82 Prozent der italienischsprachigen Bevölkerung mindestens einmal pro Woche zur Alto Adige greift.204 Obwohl Südtirol eine wachsende Anzahl an regionalen und überregionalen Medien zur Verfügung stehen, fehlen nach wie vor konkurrenzfähige Alternativen. Unabhängige und kritische (Print-)Medien müssten in Südtirol mehr Einfluss und finanzielle Mittel erhalten, um am Leben erhalten zu werden.205 Geschieht dies nicht, werden Informationen weiterhin einseitig verbreitet. Dies wirkt sich im Besonderen auf die Wahrnehmung von Migration aus. Zugewanderte sind in Südtirol außerhalb des medialen Raums kaum öffentlich sichtbar, weshalb es dem Großteil der Bevölkerung nicht möglich ist, sich ein eigenes oder ausgewogenes Bild über viele Themen zu machen. 2016 kam es zudem zu einem großen Rückschritt für die Meinungspluralität in Südtirol, als die Alto Adige in den Medienkonzern der Athesia-GmbH einverleibt wurde.

Neben der ethnischen Berichterstattung und der mangelnden Meinungspluralität ist das Südtiroler Mediensystem auch von ethnischer Autoreferenzialität geprägt. Dies bedeutet, dass Ereignisse und (politische) Akteur*innen der eigenen Sprachgruppe stärker berücksichtigt werden. So dominieren in der deutschsprachigen Zeitung deutschsprachigen Personen und in der italienischsprachigen die italienischen. Die ethnische Autoreferenzialität führt ebenfalls dazu, dass sich die Alto Adige stärker auf Ereignisse in den Ballungszentren konzentriert, dort, wo die italienischsprachige Bevölkerung eine Mehrheit bildet. Dies wirkt sich auch auf die Migrationsberichterstattung aus. Denn ebenfalls Migrant*innen suchen ihren neuen Lebensmittelpunkt bevorzugt in den Ballungszentren Südtirols. So lebt zum Beispiel ein Drittel aller Zugewanderten in der Landeshauptstadt Südtirols.206 Die Alto Adige bildet somit eine unterschiedliche (Medien-)Realität ab als die Dolomiten, die ihren Fokus stärker auf den ländlichen Raum legt,207 wo sich lange Zeit nur vereinzelt Migrant*innen niedergelassen haben. Erst in den letzten Jahren kam es auch hier zu einem Anstieg.208

Autochthone Minderheiten und Migrant*innen

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