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III. Plattformspezifische Wettbewerbsphänomene

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In der ökonomischen Literatur werden Plattformen häufig mehrseitige Märkte genannt.138 Das bedeutet zunächst, dass Plattformen üblicherweise nicht nur einen Markt bedienen, sondern mehrere. Das allein wäre dabei nicht ungewöhnlich, da auch andere Unternehmen, die keine Plattformen sind, auf einer für sie selbst unübersehbaren Anzahl an Märkten im Sinne des Kartellrechts als Anbieter wie auch Nachfrager von Produkten oder Leistungen auftreten können. Und auch Plattform-Unternehmen selbst werden in ähnlicher Weise als Anbieter und Nachfrager auf einer Vielzahl an anderen Märkten tätig, ohne dass dies im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Plattform zusammenhängt. Vielmehr zeichnen sich diese Unternehmen in besonderer Weise dadurch aus, dass sie von verschiedenen wirtschaftlichen Effekten profitieren und mit Besonderheiten konfrontiert sind, wie sie bei herkömmlichen beobachteten Marktkonstellationen regelmäßig nicht in diesen Formen auftreten.

Die bisherigen Beobachtungen für Plattformen haben bereits gezeigt, dass es bei ihnen besonders einerseits darauf ankommt, Nutzer „mit an Bord“ zu holen, und andererseits, dass die Entscheidungen der Nutzer weitere Einflüsse auf die Entscheidungen weiterer Nutzer oder anderer Individuen haben können. Plattformen vernetzen ihre Nutzer also untereinander, sodass sie auch als Netzwerk bezeichnet werden können.139 Sie erlangen ihre wirtschaftliche Bedeutung überhaupt erst durch die tatsächliche Wahrnehmung durch ihre Nutzer. Die Auswirkungen und Abhängigkeiten der Nutzerentscheidungen auf Nutzergruppen werden als Netzwerkeffekte beschrieben.140 Der Plattform-Betreiber kann von diesen Netzwerkeffekten profitieren, zum Beispiel indem er mit steigender Nutzerzahl die Kosten für den Aufbau und Betrieb der Plattform auf eine größere Nutzeranzahl verteilen kann und darüber hinaus Gewinne über zunehmende Umsätze erwirtschaftet.141

In der industriekökonomischen Literatur hat sich um den Beginn des neuen Jahrtausends herum das Konzept der „mehrseitigen Märkte“ ausgebildet.142 Hierunter lassen sich verschiedene vor allem wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsversuche zusammenfassen, die die herkömmliche Betrachtung des Marktes unter Berücksichtigung von Netzwerkeffekten und sogenannten Externalitäten erweitern und insbesondere für die kartellrechtliche Bewertung von Plattform-Sachverhalten herangezogen werden.143 Maßgeblich sind hierfür unter anderem die Aufsätze von Evans144, Schmalensee145, Rochet/Tirole146 und Armstrong147, die sich zunächst noch ausschließlich mit wettbewerblichen Zusammenhängen in der Kreditkarten-Branche befassten, deren Erkenntnisse auf andere Plattform-Konstellationen übertragen werden.148 Zusammengefasst zeichnen sich hiernach bezeichnete mehrseitige Märkte durch verschiedene Besonderheiten aus. Zum einen besteht ihr maßgebliches Angebot in der Erbringung von Vermittlungsleistungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen, welche in dieser Form nicht oder noch nicht für beide Nutzergruppen ausreichend internalisiert sind.149 Zum anderen machen sich die Unternehmen dabei die zwischen den Nutzergruppen bestehenden indirekten Netzwerkeffekte zu eigen. Das bedeutet, dass die Transaktionskosten zwischen diesen Nutzergruppen bisher höher waren und aufgrund dessen die Nutzergruppen weniger optimal zusammenfanden. Diese Nutzergruppen werden je nach Ausrichtung der Vermittlung in verschiedene Kategorien unterteilt und können mit unterschiedlichen Preisen belegt werden. Der wesentliche Sinn und damit wettbewerbliche Vorteil digitaler Plattform besteht also in der Erbringung von nutzergruppenübergreifenden – und vermittelnden Dienstleistungen.

Das Bundeskartellamt hat in einem Beschluss über eine Zusammenschlusskontrolle im Jahr 2008 erstmalig die Wirkung von indirekten Netzwerkeffekten in der Anzeigen- und Werbebranche untersucht.150 Kurz zuvor hatte die Behörde noch in einem anderen Fusionskontrollverfahren mit Bezug zur Werbebranche mangels monetären Preises auf der einen Seite lediglich einen sachlich relevanten Markt angenommen.151 Mittlerweile geht die Behörde davon aus, dass die untersuchten Unternehmen ihre Leistungen gegenüber „faktisch zwei verschiedene(n) Kundengruppen (Marktseiten)“ anbieten, zwischen denen Wechselwirkungen bestünden und die demzufolge beide als Märkte zu untersuchen seien.152 Auch die EU-Kommission hat bereits die wettbewerblichen Besonderheiten digitaler Plattformen untersucht.153

Kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattformen

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