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Prolog

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Es war einmal eine Insel …

Abertausende von Jahren lag sie unberührt im Meer, weit entfernt von den Behausungen der Menschen, ein Ort von Mythen umrankt und voller Magie. Jeden Morgen erhob sie sich funkelnd aus dem Meer, in dem sie im abendlichen Dämmerlicht wieder versank. Kein Schiff wagte es, die Wasser dieser Insel zu kreuzen, kein Mensch hatte je seinen Fuß an diese Gestade gesetzt. Jene Seeleute, die von ihr wussten, schworen, es sei die Heimstatt der Meeresgötter und den Sterblichen sei der Zutritt verwehrt. Es waren gespenstische Beweise, die sie erbrachten: unheimliche Gesänge, die über das Wasser schwebten, der Schall eines Lachens, süß wie die Sünde. Peitschende Winde kamen auf, sollte ein Schiff es doch einmal wagen, sich zu nähern, Nebelschwaden zogen sich zu einem undurchdringlichen Schleier zusammen, und das Meer begann zu wüten. Andere schworen, man müsse bis in alle Ewigkeit segeln, um sie zu erreichen. Doch die Suche nach der lockenden Vollkommenheit sei ein unerreichbarer Traum.

So bewahrte sich die Insel ihre Reinheit und Ruhe und war wie eine schimmernde Perle in der unendlichen Weite des tiefblauen Meeres, während die Welt sich dem Wandel hingab.

Manchmal lächelten die Winde des Meeres, und die undurchdringlichen Nebel lichteten sich. Jene, die einen Blick auf die Insel hatten erhaschen können, würden den Anblick nie vergessen: ein versunkenes Paradies von betörender Schönheit, so verlockend und gleichzeitig Verderben bringend; eine verzauberte Insel, die einem den Geist so verwirrte, dass ein Mann seine Seele verkaufen würde, um sie zu besitzen.

Und eines Tages tat ein Mann genau dies.

Niemand kannte seinen vollen Namen. Er lebte vor jener Zeit, als man solche Dinge aufzeichnete, bevor der Mensch begann, die Erträge seiner Felder auf Schriftrollen festzuhalten, oder die Lieder, die die Heldentaten der alten Götter besangen, vom Vater auf den Sohn übergingen. Diesen Mann kannten alle nur unter dem Namen Kell, und es war dieser Name, den er der Insel gab, als er sie in Besitz nahm und später dann ebendort sein Leben aushauchte.

Er war ein einsamer Fischer, den ein Sturm aufs weite Meer hinausgetrieben und der jede Hoffnung verloren hatte, je wieder nach Hause zu finden. Er lag im Sterben. Und während er mit dem Tode rang, erschien ihm im Traum eine Frau, die neben ihm kauerte und leise ein Lied sang, welches seine Schmerzen zu lindern schien, bis er völlig verzaubert neben ihr trieb.

Natürlich war sie keine Frau. Genau wie ihre Insel war sie etwas, das nie ein Mensch besitzen würde: eine Meerjungfrau mit Haar wie gesponnenes Gold, tiefblauen Augen und einer Haut, die wie kostbarstes Elfenbein schimmerte. Mit ihrer betörenden Stimme machte sie dem Fischer ein Angebot, und er schlug ein: sein Leben gegen seine Seele und seine Einwilligung, sie zum Weibe zu nehmen.

Sie war die Letzte ihrer Art, und sie hatte die Meere nah und fern durchstreift, denn es war ihr Schicksal, allein zu leben und zu sterben, wenn es ihr nicht gelänge, die willige Seele eines sterblichen Mannes zu erobern. Als sie den Bund fürs Leben schlossen, schwor sie, die Seele des Fischers vor Unbill zu bewahren, ihn zu ehren und ihm zu dienen, wie es jede andere irdische Maid getan hätte. Er würde mehr Reichtümer besitzen, als er sich je erträumt hatte, ein Schloss, eine Familie, ein Heim. Ihre Liebe würde ihm bis in alle Ewigkeit gehören.

In der Legende heißt es, dass Kell weder ein Heide noch ein Narr war. Ihm war bewusst, was er aufs Spiel setzte, doch er ließ sich trotzdem auf den Handel ein, denn er hatte bereits den letzten Rest Vernunft verloren, als er seinen Blick in ihren tiefblauen Augen versenkt hatte. Und darüber hinaus hatte er auch bereits die Insel gesehen, die ihnen gehören würde, wie sie ihm erklärte. Sie war von grünen Wäldern bedeckt, durch die glitzernde Ströme sprudelten. Es gab sandige Strände und versteckte Höhlen, Hirsche, Eulen und Geschöpfe, die nur des Nachts erwachten. Die Insel besaß all die Reichtümer, die Land und See zu bieten hatten.

Und so überließ er auf dem in der Sonne glitzernden Meer seine Seele der Meerjungfrau und wagte noch mehr: Er gab ihr das Versprechen, sie ebenso sehr zu lieben wie sie ihn, sie frei durch die Meere und durchs Land ziehen zu lassen und nie an ihrem ach so wilden Herzen zu zweifeln.

Viele Jahre lebten sie zusammen auf ihrer verzauberten Insel. Es verstrichen mehr Jahre, als ein Mensch zählen kann. Sein Weib, die Meerjungfrau, gebar ihm viele Kinder; alles, was sie ihm versprochen hatte, wurde wahr. Eine Zeit lang war Kell zufrieden.

Doch die Zeit verändert alle Menschen, und der Fischer Kell machte da keine Ausnahme. Obwohl er seine Seele verloren hatte, war da immer noch sein ungestümes Herz, und darin keimte ganz allmählich die Saat des Zweifels. Im Laufe der Jahre wuchs er langsam und leise und wurde so groß, dass Kell trotz des herrlichen Lebens, das er führte, anfing, den Handel, den er mit der Meerjungfrau geschlossen hatte, zu bedauern. Er begann, die Insel und seine dem Meer entsprungene Familie abzulehnen. Er sprach davon, in seine alte Heimat zurückzukehren. Jenen Ort, der von Pflug und Ackerfurche und einfachen Menschen geprägt war. Einen Ort, dem keinerlei Magie oder Schönheit innewohnte.

Aber die Meerjungfrau ließ ihn nicht ziehen. Sie verwahrte seine Seele neben ihrem Herzen in einem Medaillon aus glänzendem Silber an einer Halskette, die sie nie ablegte.

Eines Nachts, als der Mond nicht schien, konnte Kell es nicht länger ertragen. Verstohlen näherte er sich seinem schlafenden Weib, riss ihr die silberne Kette vom Hals und öffnete das Medaillon. Sie fuhr aus dem Schlaf auf, streckte die Arme nach ihm aus und schrie:

»Mein Liebster! Du Narr! Du hast uns beide verraten!«

All die Jahre hatte sie es kein einziges Mal geöffnet. Seine Seele war immer eine Gefangene gewesen, nahe ihrem Herzen, versklavt, doch in Sicherheit. Als der Fischer das Medaillon öffnete, war seine Seele hinauf zu den Sternen geflohen.

Der alte Kell starb im selben Moment, in dem er den Verrat beging, wie die Meerjungfrau gesagt hatte. In jener Nacht kehrte sie verletzt und verlassen ins Meer zurück. In ihrem Schmerz schwor sie, die Liebe zu verfluchen und ihre Insel und ihre Kinder vor den treulosen Sterblichen zu beschützen.

Aus den sternenübersäten Grotten ließ sie ihren Sirenengesang erschallen, der alle warnte, die sich der Insel zu sehr näherten:

Ein Eiland voller Magie, nur Verachtung für die Welt ich hab

Ein Ozean so rau, des eil'gen Seemanns frühes Grab.

Hier sei mein Fluch, den wahrer Liebe Trug gebar –

Bleib fern von diesem Ort, bleib fern – sonst war.

Fasse Mut und komm. Erfahr der Fesseln Macht.

Gefangen im Herzen, bei Tag und bei Nacht.

Und wenn du fliehst, der Preis ist hoch.

Ach, bitte – flehe nicht, der Tod ereilt dich doch.

Doch Erbarmen lass ich walten – eine Wende im Fluche liegt.

Der Wille zum Wandel, Hoffnung, die den Tod besiegt.

Sechs Menschenleben werden sein,

den Fluch zu brechen und mich zu befrei'n.

Des Königs Kuss den Tod mir bringt und die Seel' befreit;

Das Kind der See vom Schleier enthüllt und vom Feind gefreit;

Zwei gleichen Geistes getrennt und heimgekehrt zu vollenden

das Schicksal, das mir blieb.

So sei mein Fluch. So muss es sein.

Und immer noch lockt die Insel verwirrend und verführerisch, ohne dass sie je einer erreichen könnte. Noch immer hört man die Seeleute raunen: Nimm dich vor der Sirene und ihren Kindern in Acht. Nimm dich in Acht vor dem süßen Gift von Kell.

Zeiten der Leidenschaft

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