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Edith sah es an. Ein schönes Kind. Und so winzig. Die Augen hielt es fest geschlossen. Edith musste an einen Film denken, in dem Schweinebabys zu sehen waren, nackte und schutzlose Säugetiere. Nicht dass sie ihr Kind mit Ferkeln vergleichen wollte, aber irgendwie konnte sie nicht umhin, es darin wiederzuerkennen. Das Kind hatte die Hände vor den Augen gefaltet. Edith sah es nur an, sie traute sich nicht, es zu berühren. Sie traute sich nicht, sich zu rühren. Reglos lag sie da, auf dem Bauch das Wesen, das einen Tag vorher noch in ihrem Bauch gewesen war. Ihr Unterkörper fühlte sich wund und blutig an. Sie versuchte sich nicht darauf zu konzentrieren, versuchte nur das Kind vor sich zu betrachten und zu bewundern, sich zu freuen.

Freute sie sich?

Wer, wenn nicht sie, konnte jetzt ganz klar analysieren und erkennen, welche Emotionen aus welchen Gründen in ihr steckten und mit den Hormonen einen wilden Samba tanzten. Daher war das alles nicht ganz ernst zu nehmen, weder das Hoch, das sie verspürte, noch die Rührung. Das alles konnte sich sehr schnell ändern.

Die Tür ging auf. »Alles in Ordnung?«, fragte Peter. Sie nickte. »Schlaf jetzt«, sagte er und schloss die Tür wieder. Sie hatte gewusst, dass er es schaffen würde, und er selbst hatte nie an sich gezweifelt. Peter war kein emotionaler Mensch. Er war klar und strukturiert und dank seiner Rationalität ein Genie. Die Geburt war problemlos vor sich gegangen, er hatte nicht eingreifen müssen, war nur kontrollierend dabeigestanden und hatte die Hebamme misstrauisch beobachtet.

Die arme Frau, für sie musste es schlimmer gewesen sein als für Edith selbst.

Das Baby machte ein Geräusch. Was war das? Ein Seufzen? Sie kannten einander noch nicht, obwohl sie schon viele Wochen gemeinsam verbracht hatten.

Es war so ein hübsches Kind, der Kopf wohlgeformt und die Gesichtsfarbe gesund und rosig. Eine Prinzessin, hatte Peter gemeint, als er sie in Empfang nahm. Es würde eine Königin werden, schoss es Edith durch den Kopf, nicht nur eine Prinzessin, und sie würde einen königlichen Namen tragen. Teresa, so wollten sie das winzige Wesen nennen.

Die ersten drei Monate nach der Geburt blieben in Ediths Gedächtnis eine Abfolge dunkler Tage, nur unterbrochen von Besuchen der stolzen Schwiegereltern, die das Kind zum Spaziergang ausführten. Währenddessen fiel sie in einen dumpfen, traumlosen Schlaf. Kamen die Schwiegereltern zurück, war ihr, als seien sie gerade erst aufgebrochen. Nach einem höflich distanzierten Gespräch verabschiedeten sie sich, und Edith blieb allein zurück bei ihrer Königin.

Die Königin weinte, schlief, trank und schiss. Sie war Mitte Oktober zur Welt gekommen, die grauen Nebeltage zogen sich endlos hin. Nie wurde es richtig hell. Edith getraute sich mit dem Baby kaum hinaus, nur zum Windelkaufen legte sie es viel zu dick angezogen in den Wagen und beeilte sich. Meist begann das Kind spätestens an der Kasse zu schreien, Edith spürte den Schweiß aufsteigen und die Milch einschießen.

Zuhause waren sie sicher, doch Edith litt an der Einsamkeit. Die Königin war keine Unterhaltung. Edith redete gern, lachte gern, hörte gern zu. Sie konnte niemanden einladen, ihre Freundinnen arbeiteten, deren Kinder waren alle schon älter. Also begann sie fernzusehen. Sie sah sich alles an, Wiederholungen, Dokumentationen, Kindersendungen, sogar die Wetterkamera. Stille vertrug sie nicht. Wenn sie auf Fernsehen keine Lust mehr hatte, drehte sie das Radio auf. In der Zeit hörte sie, obwohl sie sonst klassische Schallplatten bevorzugte, ausschließlich Ö3. Bald konnte sie jedes Lied mitsingen, eines schlechter als das andere.

Als Teresa vier Monate alt wurde, begann Edith wieder zu arbeiten. Zur gleichen Zeit kam das Au-pair. Cloé war ein Glücksgriff. Sie kam aus Réunion, die französischen Worte sprudelten aus ihr heraus, sie war gut gelaunt und herzte das Kind, während Edith einen Stock tiefer Klienten therapierte.

Edith fühlte sich befreit, auch wenn sie dem Kind gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Alle mussten ihren Senf dazugeben: Ihre Tochter sei doch zu jung, um von einer anderen Person betreut zu werden. Es sei üblich, bis zum dritten Lebensjahr der Kinder zuhause zu bleiben. Arbeitende Frauen waren eine verachtete Minderheit, die für Geld sorgen musste, weil der Mann nicht da war oder keine Arbeit hatte. Edith musste nicht für Geld sorgen, Peter verdiente genug. Sie arbeitete einfach gern. Eine unverständliche Sünde. Dabei genoss es Teresa, von Cloé verwöhnt zu werden, und quiekte vor Freude, wenn sie ihr Kindermädchen sah. Ja, es versetzte Edith einen Stich, als wäre sie – nein, sie war eifersüchtig. Sie versuchte mit Peter darüber zu sprechen, doch er verstand sie nicht. Sie hatte, so meinte er, doch alles, wovon andere Frauen träumten: ein großartiges Kind und einen Beruf, der sie erfüllte. Er fand es wichtig, dass sie arbeitete, er fand es gut, dass er und seine Frau nicht Teresas einzige Bezugspersonen waren.

Er hatte recht, natürlich. Aber. Aber. Sie hinterfragte ihre Mutterrolle, ihren Ehrgeiz, ihre eigene Kindheit, ihre Mutter; sie analysierte, woher ihre Gefühle kamen, doch die Eifersucht blieb, bis Cloé wieder mit dem Flugzeug davonflog, weit weg, zurück in den Süden.

Am Flughafen hob Edith ihre Tochter hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Meine kleine Königin«, flüsterte sie, und dachte: Mutter sein, völlig verrückt.

Teresa hört auf

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