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»Das passt zu Ihnen.«

Wenn ich sie jetzt frage, warum sie das glaubt, woher sie wissen will, was zu mir passt, was das überhaupt heißen soll, »zu mir passen«, dann wird sie ihren Mund halten und ich kann mich anschauen, in einem riesigen Spiegel. Ich werde mich nicht sehen. Nur ein Haar. Den Ausschnitt meines Mundes. Ich weiß, dass mir nichts passt, weder Blau noch Rot, kein Grün und kein Gelb, mir passt die Kälte nicht und nicht die Wärme, kein Lärm und keine Stille, die Welt nicht und was auf ihr passiert. Woher sollte gerade eine Vekäuferin wissen, dass mir nichts und nichts zu mir passt?

»Ich habe da eine Idee.« Sie legt den Zeigefinger über die Lippen, ihre Nägel sind lang, unecht und dunkelrot lackiert. »Lassen Sie mich kurz überlegen, einen Moment.« Sie verschwindet aus meinem Spiegelbild und kommt mit einem grauen Poncho wieder, den sie mir umhängt, als wäre ich eine Schaufensterpuppe. »Sieht auch gut aus.«

Sie kann nicht wissen, dass ich mich nicht erkenne, dass ich mich nicht sehe, egal, was sie mir an- oder umlegt. Vor dem Spiegel bin ich ein nacktes Puzzle. Ich betrachte ihr konzentriertes Gesicht, ich will es aufbewahren, mache ein Selfie im Kopf und lege es in meinem Gedächtnisspeicher ab.

»Was sagen Sie dazu?«

Ich habe nichts zu sagen. Ich rülpse laut. Das Dosencola hat seine Wirkung nicht verfehlt. Auf dieses Getränk ist Verlass. Die Frau erschrickt. Fast lässt sie das Kleidungsstück fallen. Sofort darauf tut sie so, als wäre nichts passiert. Was für eine langweilige Reaktion. Wortlos gehe ich in die Kabine zurück. Ich stelle mir vor, wie sie den Kopf schüttelt, die Augen verdreht, leise seufzt, mich für die Arbeit verflucht, die ich ihr mache, und ich lächle. Ich mag es, wenn die Leute sich über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma, und das schlechte Karma, das bin ich.

Fünf Oberteile und einen Poncho lasse ich auf dem Hocker liegen. Ich verlasse das Geschäft, verabschiede mich höflich, »Auf Wiedersehen«, sage ich sehr freundlich zu den Kleidern, Jacken und Hosen. Die Verkäuferin ist verschwunden. Wahrscheinlich hat sie sich ins Lager verdrückt und tippt mit ihren Krallen gerade eine WhatsApp an ihre Freundin: »Stell dir vor, da hat eine Kundin voll laut gerülpst! Ich pack es nicht!«

Draußen verweht der Wind Staub, Blätter und Zigarettenstummel. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Bekleidungsgeschäft betreten habe. Ich kaufe alles online, nur wegen der plötzlichen Hitze musste ich schnell leichte Hosen besorgen. Die vom Vorjahr habe ich weggeworfen, sie waren verwaschen, kaputt. Ich kaufe immer dieselben, jedes Jahr, keine Überraschungen, nur die Größe variiert manchmal, je nachdem, welches Projekt ich gerade am Laufen habe.

Auf dem Nachhauseweg ruft mich meine Mutter an, die Einzige, die noch immer versucht, mich als Freundin zu gewinnen. Ich hebe nicht ab.

Vor dem Hofer gibt es nur einen einzigen Einkaufswagen. Wir kämpfen, und ich gewinne; die Frau mit ihrem Gehstock und dem verfressenen Pudel, den sie noch anhängen muss, ist nicht schnell genug, ich erreiche den Wagen vor ihr und höre sie fluchen. Beim Hofer gilt Höflichkeit nicht, kein noch so mitleidsvolles Wesen kann mich hier aufhalten.

Im Geschäft ramme ich die Hüfte einer viel zu stark geschminkten Frau, ergattere die letzten Schokokekse und stoße mit einem Wagen zusammen, der bei den Fertigprodukten im Weg steht. Ich müsste mir einen ganzen Urlaubstag nehmen, um richtig einzukaufen. Warum nicht? Andere fahren weg oder rasten sich aus, machen irgendwelche unnötigen Wellnessurlaube in überteuerten Hotels, wo sie sich in versifftem Thermalwasser treiben lassen. Ich bin zynisch, oder? Mir reicht ein Urlaubstag, um mit Pensionistinnen und Jungmüttern an Regalen vorbeizuspazieren, die mir in ihrer Pracht entgegenleuchten. Wer braucht Natur, wenn es so viele Konsumwaren gibt?

Nach dem Einkaufen bringt mich der Lift in meinen Palast, denn ich bin eine Königin. Aber das ist nicht sicher, vielleicht bin ich auch eine Hexe und da oben ist mein Hexenhorst. Ich lasse die Säcke fallen und öffne die Terrassentür. Zu meinen Füßen liegt die Stadt, über mir ist nur noch der Himmel.

Das Handy reißt mich aus meinen Gedanken. Es steckt in meiner Tasche in der Garderobe, doch der durchdringende Ton macht vor der räumlichen Distanz nicht halt. Es läutet und läutet, kurz ist es still, dann beginnt es von vorn. Nur meine Mutter besitzt die Penetranz, gleich zweimal hintereinander anzurufen. Der Handyton, den ich für ihre Anrufe verwende, klingt wie eine Polizeisirene, vor der man davonläuft, als hätte man ein schlimmes Verbrechen begangen.

Ich muss es trotzdem eingeschaltet lassen, »Ich melde mich am Abend«, hat die Marketing-Frau von Coca-Cola gesagt und dabei gestresst geklungen. Wahrscheinlich muss sie während der Arbeitszeit ständig Facebook abrufen und über WhatsApp Herzchen verschicken.

Auf der Terrasse stehen zwei Stühle und ein Tisch, der Holzboden ist neu, die schmalen Balken aus Diamantnuss hat meine Mutter ausgesucht, ökologisch und optisch unaufdringlich, aber hochwertig. Genauso wie sie sein möchte. Mir ist ein Boden unwichtig, mit den schweren, protzigen Fliesen davor konnte ich genauso gut leben.

Von den unteren Wohnungen dringen Stimmen nach oben. Das Volk ist immer so lärmend, kann es nicht seinen Mund halten? Doch ich habe kein Heer, keine Getreuen, nur die Tauben können ihnen auf die Köpfe scheißen. Die Tauben sind meine Verbündeten, solange sie sich von mir fernhalten.

Ich ziehe mich in die Gemächer zurück, schließe die Terrassentür, obwohl es heiß und stickig ist, die Stimmen sind mir lästig. Hier hat sich meine Mutter noch nicht durchgesetzt – altmodische, viel zu kitschige Glanzfliesen zieren den Wohnzimmerboden, kalt und unpersönlich, passend für eine Königin. Oder eine Hexe.

In meinem Wohnzimmer stehen eine braune Ledercouch und ein kleiner Tisch aus Glas sowie eine Stehlampe, die grelles Licht an die Decke wirft. Die Wände sind weiß und nackt, wie ich, wenn ich vor dem einzigen und zentralen Punkt stehe: dem Spiegel, meinem Hilfsmittel und Gradmesser, meinem Grenzzaun, meinem Freund, Feind, Glück und Hass; alles vereint er, nichts kann ich vor ihm verbergen. Einen Meter und sechzig Zentimeter ist er hoch, einen Meter breit. Ein Ungetüm der Eitelkeit, wie meine Mutter ihn nennt, schrecklich und unansehnlich, meint sie. »Hm«, sagt mein Vater dazu, »hm.«

Stück für Stück entkleide ich mich, auf meinem Körper stehen kleine Schweißperlen, die Hitze einer Dachgeschoßwohnung ist unerbittlich, der Preis meiner Ho(ch)heit. Erst als ich ganz nackt bin, drehe ich mich um. Es geht um den Bereich knapp über meinem Knie, um die ersten Ansätze des Oberschenkels. Auf dem Boden liegen weiße Blätter, große Bögen, dazwischen fertige Zeichnungen.

Ich will nirgends mehr hin. Ich will nichts mehr erleben, ich will keine neuen Erfahrungen machen. Selbst wenn ich zum letzten Arsch der Welt aufbreche, war schon irgendwer dort, der dann auf Instagram gepostet hat: Ich bin hier.

Wogegen soll ich schon rebellieren, es ist alles schon gewesen, alles schon versucht, nichts mehr zu machen. Dann lieber eine Familie gründen, Kinder bekommen, sich zurückziehen ins konservative Biedermeier, dabei ist das die reaktionärste Möglichkeit, sich auszuklinken – wer will schon Verantwortung übernehmen für jemand anderen?

Da geht nur mit regelmäßigem Aussteigen, mit Alkoholexzessen, Sex-Abenteuern, Après-Ski-Gelagen was; wo man das fühlt, was einen umgibt. Zu viel. Der Ursprung allen Übels der Ersten Welt, meiner Welt, ist nicht das Zu-wenig, sondern das Toomuch. Zu viele Flieger am Himmel, zu viele Joghurtsorten im Kühlregal, zu viele Menschen auf der Welt. Mir ist alles zu viel. Ich bin zu viel. Was für ein Schlamassel. Und dann schreiben wir schnell auf Facebook, dass die Reichen immer reicher werden, was für eine Frechheit! Dabei vergessen wir ganz: Die Reichen, das sind ja wir! Mit unserem iPhone 135, das eine super Fotoqualität hat. Oder ist erst reich, wer zwei Autos hat und eine Riesenwohnung, oder lieber gleich mehrere davon, oder einen Geschirrspüler, oder ein Dach überm Kopf, oder einfach nur genug zu essen?

Ich spiel da nicht mehr mit, ich spring mitten hinein ins Schlamassel, so ein Wort, in dem ich genau richtig bin.

Das Handy läutet wieder, es ist keine Sirene, sondern der normale Ton. Widerwillig löse ich mich von meinem Spiegelbild, langsam schreite ich zu meiner Tasche, und mit zurückhaltender Stimme hauche ich ein königliches »Hallo«.

Teresa hört auf

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