Читать книгу Teresa hört auf - Silvia Pistotnig - Страница 5
XX
ОглавлениеMama lachte. »Also die Szene mit den Polizisten, die ist einfach herrlich.« Sie stand auf und drehte den Fernseher an der Taste rechts unten ab. Er verschwand wie von selbst, dafür musste man einfach die Schranktüren schließen. Wie ein kleines Zauberstück war das, richtig magisch. »Magst du es noch einmal sehen?«, fragte Mama. Teresa wollte lieber etwas anderes anschauen. Etwas mit Zeichentrick. Heidi vielleicht, oder Wickie. Aber es gab nur diese kurze Sendezeit mit Kindersendungen, bevor das Betthupferl begann. Und gerade lief eben diese Pippi Langstrumpf. Die war eine volle Angeberin, und ihre zwei roten Zöpfe sahen blöd aus. Aber wenn die Mama schon fragte – da musste man schnell sein. Sonst gab es vielleicht gar kein Fernsehen mehr.
»So, jetzt spiel noch ein bisschen«, sagte die Mama. Teresa ging zum Papa. Er lächelte sie an. Dann las er weiter. Zeitung oder so ganz dicke Bücher, irgendetwas las er immer. Sogar beim Frühstück, und das war unfair. Sie durfte beim Essen kein Buch anschauen.
Beim Einschlafen dachte sie noch weiter über Pippi nach. Pippi war stärker als der stärkste Mann der Welt. Das konnte nicht sein. Sogar ihr Pferd konnte dieses Zopf-Mädchen hochheben. So etwas Dummes. Weil wenn das ging, wollte Teresa das auch können. Nein, sie wollte es nicht können. Sie wollte besser sein. Mehr. Sie wollte den stärksten Mann der Welt besiegen und Bäume ausreißen und freche Buben und böse Menschen durch die Luft schleudern, bis ihnen schlecht wurde. Sie wollte das alles auch, und dann würden sie alle bewundern. Dabei wollte sie aber nicht so blöd aussehen wie diese Pippi. Jawohl, sie wollte aussehen wie Schneewittchen – und stark sein wie Pippi. So irgendwie halt.
Teresa stand vom Bett auf. Da kam ein Bub auf sie zu, nein, es waren mehrere, eine ganze Gruppe, die sich vor ihr aufbaute. »Was will denn das schwache Mädchen?«, lachte einer, der aussah wie Stefan, der nebenan wohnte. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, packte sie ihn an den Schultern und wirbelte ihn herum wie ein Stück Stoff. Die anderen Buben starrten sie an, dann rannten sie davon, während Stefan um Hilfe wimmerte.
»Was ist denn da noch?«, fragte Mama. Teresa hatte sie gar nicht bemerkt. Sofort verschwanden die Buben samt ihrer wundersamen Stärke. »Schlafen, nicht turnen!« Mama lachte. Teresa war enttäuscht. Warum sah denn keiner, was sie sehen konnte, warum bemerkte denn niemand, dass sie, sie … »Ab ins Bett!«, sagte Mama jetzt. Teresa legte sich hin. Sie hatte keine Schneewittchenhaare. Und keine unendlichen Kräfte. Aber sie hatte Fantasie. Das sagte die Mama immer. Wobei Teresa nicht genau wusste, was das war, Fantasie. Mama hatte ja keine Ahnung, in welchem wilden Wettkampf sie sich gerade befunden hatte!
Als die Mama aus ihrem Zimmer draußen war, träumte Teresa liegend weiter, wie sie ihre Rivalin herausforderte. Spring doch höher, noch höher, mach doch, na, tu es, traust du dich nicht, dann hüpf doch! Teresa drückte ohne Angst mit Pippi Arm, rang mit ihr, da, sie hatte sie schon auf den Boden geworfen, lag über ihr und, ja, sie blieb liegen, Pippi blieb liegen, sie, Teresa, war die Gewinnerin! Ihr Arm wurde hochgehoben, die Leute jubelten, alle Kinder, die sie kannte, waren da, und natürlich Tommy und Annika und Nils Holgersson und Heidi und wie sie alle hießen.
Teresa zeigte es allen, sie bewies allen, dass sie die Stärkste war, dass sie die Schönste war; sie konnte Räder schlagen und einen Salto nach dem anderen machen, sie konnte auf Bäume klettern, schneller als ein Affe und ohne sich festzuhalten, und sie sprang über Dächer und jagte einem Gepard hinterher, denn natürlich hatte sie keine Angst vor wilden Tieren und streichelte sie, ohne dass sie sich voreinander fürchteten.
Nur Pippi saß wütend und gedemütigt in der Ecke und schmollte. Als Teresa das bemerkte, ging sie zu ihr hin und streckte die Hand aus, bot ihr die Freundschaft an. Denn Teresa war eine richtige Heilige, nicht so wie die anderen Kinder. Sie war gut und brav. In allem und immer und überall die Beste. In der Fantasie ist alles möglich. Das sagte Mama immer. Und das verstand Teresa nicht.