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1.1 Gottes Einwohnung im Menschen

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Altes und neues Leben

Spirituell zu leben heißt nach christlichem Verständnis, ein Leben zu führen, das auf unverfügbare Weise von Gottes Geist bestimmt wird (Gal 5,8; Röm 8,9.11.15f.26) bzw. sich aus freien Stücken von diesem Geist bestimmen lässt (Gal 5,16; Röm 8,14). Es spricht traditionsgeschichtlich gesehen einiges dafür, dass Paulus dort, wo er die christliche Existenz als pneumatisch qualifiziert, auf eine bereits geprägte Sprechweise zurückgreift, die sprachgeschichtlich gesehen eine bemerkenswerte Innovation darstellt (Barclay/83). Nach urchristlicher Selbstdeutung ist die pneumatische Neubestimmung des Lebens ein eschatologisches Ereignis: Insofern ein Leben vom Geist neubestimmt wird, partizipiert es am Anfang des guten Endes der Heilsgeschichte, hat es schon Teil am Auferstehungsleben Jesu Christi. Zugleich steht dieses neue Leben unter einem eschatologischen Vorbehalt: Es ist erst ein Anfang gesetzt, der zudem so verborgen ist, dass die christliche Verkündigung ständig neu an ihn erinnern muss. Eine theologische Hermeneutik des christlichen Lebens sieht sich damit konfrontiert, dass sich dieses Leben kontrastiv versteht: Die pneumatische Präsenz Gottes im Leben der Menschen schafft nach der paulinischen Deutung des christlichen Lebens nicht nur Neues, sondern sie deckt, indem sie das tut, auch Altes auf. Da Gott Neues hervorbringt, überwindet er das Alte, das sich diesem Neuschaffen widersetzt, indem er es begrenzt und entkräftet. Gottes Pneuma wirkt auf diese Weise kontrastbildend: Die Präsenz des Geistes macht den Anfang von Gottes neuer Schöpfung, aber auch die Persistenz der Abergeister wahrnehmbar. Wo sich durch die Ankunft Gottes dasjenige ereignet, über das hinaus nichts Größeres geschehen kann (Schelling/459:423) und Menschen sich im Licht von Gottes guter Selbstvergegenwärtigung neu sehen und verstehen lernen, wird ihr Leben „irreversibel in das vergehende alte und das kommende neue Leben unterschieden“ (Dalferth/419:471). Das Werden des Neuen im Alten macht offenbar, was keine Zukunft hat und keine Verheißung in sich trägt. Als bereits endgültig Überwundenes und Vergangenes bildet es einen kontrastiven Hintergrund, als nach wie vor Persistierendes einen unheimlichen und beunruhigenden Untergrund christlicher Existenz. Dass Gott inmitten einer altgewordenen und altwerdenden Welt eschatologisch Neues wirkt, lässt sich in einer Hermeneutik des geistbestimmten Lebens in zweifacher Richtung artikulieren: Im Blick auf die Gegenwart als Entdeckung der verborgenen, aber wirksamen und verheißungsträchtigen Gegenwart Gottes, im Rückblick auf das bereits gelebte Leben als Spur des Neuen im Alten.

Gabe des Geistes

Unter den verschiedenen Möglichkeiten, die pneumatische Präsenz Gottes im menschlichen Leben auszusagen, kommt der Rede von der Gabe des Geistes eine vorrangige Bedeutung zu. Sie erfüllt die grundlegende Funktion, zu benennen, was christliches Leben aktuell ermöglicht und trägt. Versteht man Gaben als glückliche Ereignisse lebensweltlicher Kommunikation, die Menschen Lebensmöglichkeiten zuspielen, die sie sich selbst nicht eröffnen können, so liegt die pneumatologische Pointe der Gabemetaphorik darin, dass dem göttlichen Geben auf Seiten des Menschen eine glückliche Passivität entspricht (Dalferth/417). Die Rede von Gottes Gabe verweist auf Phänomene des Überschusses und Erfahrungen unverhoffter Fülle: Es geht um Gaben, die nicht nur einen Mangel beseitigen, sondern die etwas überraschend Neues hervorbringen, das alle Erwartungen zugleich durchkreuzt und übersteigt. In dieser Gebrauchsweise fungiert ,Gabe‘ in der christlichen Theologie als die zentrale Gnadenmetapher: Gottes Gnade ist nicht nur in dem Sinne Gabe, als wir sie uns nicht verdienen können und wir keinen Anspruch auf sie haben: Sie ist auch mehr, als wir uns erhoffen können. Von dieser gnadentheologischen Verwendung der Gabemetapher ist ihr pneumatologischer Gebrauch in dreifacher Hinsicht zu unterscheiden: In ihrer trinitätstheologischen und soteriologischen Entfaltung betont die Rede von der Gabe des Geistes, dass im Geist Gott sich selbst den Menschen gibt. In seinem Geist gibt Gott den Menschen Anteil an sich, holt sie hinein in sein beziehungsreiches Leben. Die Selbstgabe Gottes im Geist, die sich durch die Selbsthingabe Christi vermittelt, ist die Gabe schlechthin: die „Gabe, über die hinaus Größeres nicht gegeben werden kann“ (Werbick/479:26). Zweitens ist der Heilige Geist nicht allein Gabe, sondern selber auch Geber guter Gaben, indem er Glaube, Liebe und Hoffnung weckt, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Treue als pneumatische Frucht reifen lässt und Charismen leuchtender und verborgener Art austeilt. An die Stelle der biblischen Synekdoche, die das universale eschatologische Wirken des Geistes als ,Ausgießung über alles Fleisch‘ aussagt, ist in der Pneumatologie der Gegenwart die Metapher des pneumatischen ,Feldes‘ oder ,Milieus‘ getreten. Die als , Wirkfeld‘ bestimmte Präsenz des Geistes kann als transformative und inspirative Wirkmacht verdeutlicht werden, die negative Eigendynamismen unterbricht und unverhoffte Möglichkeitshorizonte erschließt. Die Gabe des Geistes zeigt sich drittens in der Erschließung des Christusereignisses und in seiner Vergegenwärtigung. Die hermeneutisch-kognitiven Gaben, die der Geist weckt, befähigen dazu, in der Sprache des alten Äons das Neue anzusagen und Jesus als den Christus, den Gott Israels als den Vater Jesu Christi, den erhöhten Christus als gegenwärtig in seinem Geist und den Geist als die eschatologische Gabe Gottes wahrzunehmen.

Einwohnung des Geistes als ekklesiale Wirklichkeit

Alle eben beschriebenen Momente gehen in die Rede von der ,Einwohnung‘ des Geistes ein und werden von ihr weiter präzisiert. ,Einwohnung‘ verweist zunächst auf eine bestimmte Gegebenheitsweise des Pneumas. Die frühchristliche Pneumatologie hat deutliche Berührungspunkte mit der antiken Vorstellung vom Pneuma als einer dynamischen und belebenden Wirklichkeit, die sich ebenso durch ihre Un(be)greifbarkeit auszeichnet wie durch die „Fähigkeit, anderes zu durchdringen, zu erfüllen und so beim anderen zu sein“ (Härle/425:361). Doch während etwa bei Seneca die unmittelbare Einwohnung des göttlichen Geistes in einem polemischen Gegensatz zu der kultischen Vermittlung steht (ep. 41) und sich die mantische Inspiration auf medial begabte Einzelne beschränkt, bezeichnet die neutestamentliche Rede von der Einwohnung des Geistes in den Getauften eine ekklesiale Wirklichkeit. Der christliche Glaube, dass sich die prophetische Verheißung der endzeitlichen Geistausgießung (Jo l 3,1 – 5) nachösterlich erfüllt habe, bindet die Einwohnung des göttlichen Geistes im Einzelnen an die Gemeinschaft der Glaubenden. Die christlichen pneumatikoi finden sich in gemeinsamer Orientierung am geistgesalbten Messias von Anfang an in eine communio hineingenommen. Die Einwohnung des einen Geistes Christi manifestiert sich u. a. darin, dass er die Menschen, die er erfüllt, unabhängig von Status, Geschlecht und Herkunft miteinander verbindet und zu einer weiten „Wohnung Gottes erbaut“ (Eph 2,22). Es ist auffällig und bedeutsam, dass das alttestamentlich vorgeformte Motiv, dass Gottes Name im Tempel wohnt (1 Kön 8,16 etc.), in der pneumatologischen Fortbestimmung des Neuen Testaments ebenso auf den Einzelnen wie auf die Gemeinschaft der Glaubenden übertragen wird (1 Kor 3,16; 6,19; 2 Kor 6,16; Eph 2,21f.). Zur christlichen Grammatik der Einwohnungsmetaphorik gehört zudem, dass niemand aus sich selbst Kenntnis gewinnt, über den Geist, der ihn oder sie erfüllt. Die Gewissheit, vom Heiligen Geist bewohnt zu werden, ergibt sich aus dem Hineingenommensein in die Gemeinschaft derer, die die pneumatische Präsenz des Kyrios bekennen und bezeugen. Dass der Geist in ihnen wohnt, wissen die Glaubenden nicht aufgrund von enthusiastischen Erfahrungen oder Introspektion, sondern aus der Selbstbezeugung des Geistes im Gottesdienst (Röm 8,15 f.) und dem gemeinschaftlich gefeierten Wort Gottes. Damit sind wichtige Differenzen gesetzt: Auch als einwohnendes Pneuma bleibt der Geist Gottes vom Pneuma der Einzelnen und dem Gemeingeist einer bestimmten Kirche unterschieden. Gegen die naheliegende Vorstellung eines ,Geistbesitzes‘ wird neutestamentlich die Unverfügbarkeit des göttlichen Pneumas unterstrichen. Wenn jemandem das Pneuma ,gehört‘, dann dem auferweckten Gekreuzigten, der sich von ihm selbst restlos in Anspruch nehmen ließ.

Gegebensein des Geistes im Modus der Annahme

Die Metapher der Einwohnung steht für das Gegebensein des über ,alles Fleisch‘ ausgegossenen Geistes im Modus der Annahme. Der Einwohnung des Geistes in den Glaubenden entspricht das neue Sein der Glaubenden in Christus. Die reziproken, aber nicht symmetrisch strukturierten paulinischen und johanneischen Immanenzaussagen verweisen sowohl auf das passive In-Christus-versetzt-Werden als auch das ,kooperative‘ Sich-ergreifen-Lassen und In-Christus-Bleiben der vom Geist Ergriffenen. Die johanneische Sprechweise von der Einwohnung der Liebe (bzw. des Geliebten) im Liebenden erwies sich spiritualitätsgeschichtlich besonders geeignet, um den kooperativen Aspekt der Einwohnungsmetaphorik herauszustreichen. Nach Thomas von Aquin weilt Gott aufgrund des Heiligen Geistes nicht nur in uns, sondern wir ebenso in ihm, insofern wir durch den Heiligen Geist Gott zu lieben beginnen und die/der Geliebte im Liebenden ist (S. c. Gent. IV,21).

Singuläre Nähe und unverbrüchliche Gemeinschaft

Mit der Metapher der pneumatischen Einwohnung wird ein besonderes Näheverhältnis ausgesagt. Die Wirksamkeit des Geistes im Leben der Glaubenden wird dadurch unterschieden von allen anderen Beziehungen. Nichts anderes, keine geschöpfliche Wirklichkeit vermag sie in derselben Weise innerlich zu bestimmen. Da das zugeeignete Pneuma zugleich eine gegenüber dem Menschen eigenständige Wirkmacht bleibt, ist das Näheverhältnis von göttlichem und menschlichem Pneuma als personale Relation zu beschreiben. Was die ,absolute Metapher‘ eines göttlichen Pneumas aussagt: Gottes ungegenständliche und dynamisierende Gegenwart im menschlichen Leben, wird durch die Einwohnungsmetaphorik unterstrichen. Gott kommt uns in seinem Pneuma heilsam nahe, ohne sich zu verendlichen. Er wird uns in einer Weise gegenwärtig, die uns seiner selbst gewärtig, ihm gegenwärtig werden lässt. In der Präsenz des Geistes erkennen wir Gottes „persönliche Gegenwart: Gott ist nicht nur in uns, sondern mit uns, und wir sind mit ihm“ (Congar/412:229). Wenn vom Geist zudem gesagt wird, dass er ein für allemal gegeben ist und in den von ihm Ergriffenen Wohnung nimmt, so betont dies nicht nur die Verlässlichkeit dieser Geistespräsenz, sondern signalisiert Endgültigkeit. Die Ankunft des Geistes ist definitiv. Mit der Einwohnung des Geistes ist in der Vergänglichkeit menschlicher Existenz die endzeitliche Gemeinschaft mit Gott am Werden. Das einwohnende Pneuma Gottes stiftet unverbrüchliche Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus, den die Evangelien als den Geistträger des neuen Äons bezeugen. Durch seine pneumatische Einwohnung gibt Gott den Menschen Anteil an seinem Leben. Die Geschichte, in die Gott pneumatisch eingeht, „kann so wenig aufhören, wie Gott selbst aufhört“ (Thielicke/106:49).

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