Читать книгу Einführung in die Theologie der Spiritualität - Simon Peng-Keller - Страница 24

2.1 Umkehr

Оглавление

Umkehr und Horizontwechsel

Das Wirken Jesu beginnt mit dem Ruf zur Umkehr und zum glaubenden Sich-Einlassen auf die Nähe Gottes (Mk 1,15). Die Metapher der Umkehr verweist auf einen grundlegenden Wechsel der Blickrichtung, auf einen Sinneswandel und eine Neuorientierung des Lebens. Wer umkehrt, wechselt den Horizont, von dem her er oder sie sich versteht. Die Radikalität der von Jesus im Anschluss an den Täufer verkündeten Umkehr hat damit zu tun, dass es bei einer solchen nicht nur darum geht, eine neue Sichtweise auf einen bereits bekannten Sachverhalt einzuüben oder einen neuen Aspekt in einer vertrauten Welt zu entdecken, sondern die Wirklichkeit als ganze und damit auch sich selber neu sehen zu lernen. Es handelt sich nicht nur darum, eine neue Sprache zu erlernen für Dinge, die man bereits kennt, sondern um das Erschließen eines Horizonts, den man bisher nicht wahrgenommen hat und in den hineingestellt alles in ein anderes Licht kommt. Nach dem Anspruch des Evangeliums Jesu eröffnet sich in einer solchen Umkehr zudem nicht nur ein neuer Erkenntnishorizont, sondern auch und vor allem die heilsame Beziehung zum personalen Urgrund alles Geschaffenen. Dass ein geistbestimmtes Leben einen Prozess der Umkehr voraussetzt, wurde zwar selten bestritten, jedoch unter volkskirchlich-katholischen Verhältnissen meist nicht mit dem Christwerden, sondern mit einer Berufung zum ,Geistlichen‘ oder zum ,Stand der Vollkommenheit‘ verknüpft. In den Kirchen der Reformation, die diese Zweiteilung christlicher Existenz kritisierten, bildet das Verständnis der Umkehr bis in die Gegenwart einen zentralen Streitpunkt: Gehört zu einem bekehrten Christsein eine singuläre Bekehrungserfahrung oder genügt es, sich als Glaubender zu identifizieren, der mehr oder weniger erfolgreich mit seinem Unglauben ringt? Die Frage nach dem Anfang des auf seine Weise je einzigartigen ,neuen‘ Lebens gehört zu den Grundproblemen einer Hermeneutik des geistlichen Lebens. Aus der Perspektive der Beteiligten sind dabei sowohl der Ereignischarakter des Umkehrprozesses als auch seine identitätsbestimmende Kraft zu bedenken.

Ereignischarakter der Umkehr

Entgegen der eingespielten Gewohnheit, Umkehr als menschliche oder göttliche Tat zu konzipieren, soll sie im Folgenden als ein Ereignis beschrieben werden, das den Lebensprozess eines Menschen auf unverfügbare Weise unterbricht und neu orientiert. Ob es sich in einem punktuellen Widerfahrnis verdichtet oder sich über mehrere Etappen erstreckt, ist theologisch betrachtet nebensächlich. Eine Umkehr im theologischen Sinne umfasst immer den ganzen Prozess des Zum-Glauben-Findens. Der Ereignischarakter dieses Prozesses liegt im glücklichen Zusammenspiel verschiedener Größen: der Ruf Gottes vermittelt sich durch vielfältige Formen der Kommunikation den Hörerinnen und Hörern des Wortes, denen die Ohren dafür durch das Wirken des Pneumas geöffnet werden müssen. Im selbstdeutenden Rückblick der Zum-Glauben-Gekommenen sind Interpretamente wie ,Handeln Gottes‘, , Vorsehung‘ und ,himmlische Fügung‘ für das jeweils komplexe Geflecht von Wirkfaktoren insofern passend, als es zum Ereignis der Umkehr gehört, sein Leben neu von einem geschichtsmächtigen Gott her zu verstehen, der Menschen als „der wohltuend ganz Andere“ (Fuchs/88:264) anspricht und durch seinen Geist das Klima dafür schafft, dass sie von der „Reich-Gottes-Leidenschaft“ ergriffen werden können.

Umkehr als Identitätswandel

Als Durchbruch zu einem neuen Leben lässt sich Umkehr damit als ,Schwellenereignis‘ denken, das sich hinsichtlich der betroffenen Menschen dadurch auszeichnet, dass „kein identischer Jemand zu finden ist, (…) der hinüber- und herüberwandert nach identitäts- und kontinuitätsverbürgenden Regeln“ (Waldenfels/469:30). Im Hinblick auf die noch zu erörternde Frage nach einem passenden Modell spiritueller Reifung (Kap. V) ist dabei zu beachten, dass ein solcher Identitätswandel aus soziologischer und psychologischer Perspektive etwas anderes beschreibt als aus der Beteiligtenperspektive des Glaubens. Während Erstere von einem kontinuierlichen Lebensprozess ausgehen, der allerdings radikal unterbrochen und neubestimmt werden kann, artikuliert sich aus der theologischen Perspektive eine radikale Diskontinuität: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17). Solche Rede verweist auf das ereignishafte Neuwerden des Selbst aus einem unverhofften Widerfahrnis. Das neue Sein, das darin hervorgerufen wird, ist nicht aus dem ableitbar, was das alte Selbst bisher angestrebt und gesucht hat, mag sich auch das neue Selbst im alten schon angekündigt haben. Heilsam ist ein solches Schwellenereignis allerdings nur dann, wenn jemand das, was ihm bzw. ihr widerfuhr, als befreienden Neuanfang wahrzunehmen vermag, mit dem er oder sie sich uneingeschränkt identifizieren kann. Wie die Deutung der Umkehr als göttliches Handeln, so ist auch die Rede vom Neuwerden nur aus der Perspektive der Beteiligten nachvollziehbar: Aus der Beobachterperspektive sind lediglich Veränderungen des Lebensvollzugs und des Selbstverständnisses zu konstatieren.

Einführung in die Theologie der Spiritualität

Подняться наверх